G. F. Unger 1960 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 1960 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Endlich hatte ich Nancy wiedergefunden. Aber für mich gewinnen konnte ich sie erst nach dem Spiel, bei dem der Teufel selbst die Karten gemischt hatte ...

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Seitenzahl: 155

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Inhalt

Cover

Impressum

Spiel um Nancy

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Salvador Faba/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6445-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Spiel um Nancy

Es war eine jämmerliche Heimkehr. Der Süden hatte den Krieg verloren. Ich gehörte zu den Verlierern und befand mich auf dem Heimweg. Es war inzwischen richtig Frühling geworden. Abseits der Kriegsschauplätze und der gnadenlosen Zerstörung erschien alles so frisch, so sauber und schön.

An einem Mittag erreichte ich die kleine Stadt Georgesville und wusste, dass ich drei Meilen weiter von der Straße auf einen Weg abbiegen musste und nach zwei weiteren Meilen die Claybrook-Plantage erreichen würde.

Das Haupthaus war schon aus größerer Entfernung zu erblicken. Denn es stand etwas erhöht, sodass man dort alle Baumwollfelder meilenweit zu Füßen liegen hatte.

So jedenfalls hatte es mir mein Kamerad, Captain Claybrook, beschrieben. Er war am letzten Kriegstag von einer Kugel getroffen worden und eine Stunde später gestorben. Nun war ich zu seiner Witwe unterwegs. Ich hatte sie auf dem Bild gesehen, welches er stets bei sich getragen hatte. Mit wenigen anderen Habseligkeiten wollte ich es seiner Witwe zurückbringen. Wie würde sie die Nachricht aufnehmen? War sie in Wirklichkeit tatsächlich so schön wie auf dem Bild?

Ich hatte von der Claybrook-Plantage noch einen weiten Weg nach Hause zu meinen Eltern, und wer wusste, wie es daheim aussehen würde? Ich hatte schon ewig keinen Brief mehr von ihnen bekommen.

Also würde ich mich nicht lange bei Nancy Claybrook aufhalten …

Ich ritt immer noch auf meinem grauen, narbigen Wallach, der damals, als ich mit ihm in den Krieg ritt, jung und ohne Narben gewesen war.

Auch ich hatte einige Narben, nicht nur am Körper, nein, auch tief in mir, sozusagen in meiner Seele. So erging es uns allen.

Etwas später näherte ich mich dem Haupthaus. Es sah immer noch nobel aus, war nicht zerstört worden. Rechts davon befanden sich die Schlafhäuser der einstigen Sklaven. Sie bildeten ein kleines Dorf, und es mochten gewiss an die vierhundert Seelen dort gelebt haben. Sie waren als Sklaven ein sehr kostbarer Besitz gewesen. Und ein kluger Sklavenhalter hatte ihn nicht verkommen lassen, sondern sie möglichst gesund und arbeitsfähig gehalten.

Nun ging es ihnen nicht mehr so gut. Denn niemand kümmerte sich um sie. Aber dafür waren sie frei und mussten nicht arbeiten, wenn sie nicht wollten.

Als ich das Haupthaus auf der kleinen Anhöhe erreichte, da standen vor der Veranda drei Sattelpferde angebunden.

Und auf einer Bank saß ein Mann mit einem Gewehr quer über den Oberschenkeln. Als ich vor der Veranda anhielt, da erhob er sich und hielt das Gewehr im Hüftanschlag mit der Mündung auf mich und meinen Wallach gerichtet.

So etwas mochte ich ganz und gar nicht. Und auch der ganze Kerl gefiel mir nicht. Ich kannte diese heruntergekommene Sorte. Sie gehörte zum Abschaum des Krieges. Die Kerle waren sogenannte Guerillas, raubten und plünderten, wo sie nur konnten.

Ich beugte mich im Sattel etwas vor und stellte mich in den Steigbügeln hoch. Dabei sprach ich mit trügerischer Freundlichkeit: »Mein lieber Freund, Sie sollten nicht das Gewehr auf mich gerichtet halten.«

Er grinste zwischen seinem Bartgestrüpp und erwiderte: »He, Rebell, es ist mir egal, ob dir das gefällt oder nicht. Was willst du überhaupt hier? Gehört die Frau da drinnen vielleicht sogar dir? Wenn das so ist, dann wird dir abermals etwas nicht gefallen. Am besten wäre für dich, wenn du für zwei Stunden von hier verschwinden und nicht stören würdest!«

Ich begriff nun alles.

Er hielt Wache, damit seine beiden Partner – es waren ja drei Sattelpferde vor der Veranda angebunden – nicht gestört wurden. Wahrscheinlich hatten sie ausgelost, wer zuerst den ganzen Spaß haben durfte.

Ich wollte es nun noch genauer wissen: »Da drinnen ist also eine Frau, ja? Und was macht ihr mit ihr?«

Abermals grinste er zwischen dem Bartgestrüpp und zeigte seine braunen Zähne. Er war ziemlich abgerissen und ungepflegt. Gewiss stank er auch. Diese Sorte stank immer.

Dann sagte er: »Sie hat uns ziemlich hochnäsig behandelt, als wir hier vors Haus geritten kamen und um eine kleine Unterstützung baten, weil wir doch für die Sklavenhalter als Guerillas kämpfen. Sie war nicht nett zu uns, beschimpfte uns als Strolche. Jetzt zahlt sie. Und du verschwindest hier und störst nicht länger. Oder ich mache dir Beine, Captain.«

Er hatte meine Rangabzeichen erkannt und grinste voller Hohn.

Ich aber wusste nun endgültig Bescheid. Und so nickte ich nur und zog mein Pferd herum, tat so, als hätte er mit seinem Gewehr die Oberhand.

Doch ich zog das Pferd so herum, dass mein Revolver auf der ihm abgewandten Seite nicht zu sehen war. Ich bekam die schwere Waffe blitzschnell heraus und schoss quer an meiner Brust vorbei unter dem linken Arm hindurch.

Er bekam die Kugel voll in den Bauch und hatte keine Chance mehr.

Zwar feuerte er noch das Gewehr ab, aber die Mündung zielte nicht mehr auf mich. Er schoss vor der Veranda in den Boden.

Verdammt, da war es wieder. Ich war auf dem Heimritt, kam aus dem Krieg und wollte nicht mehr töten müssen. Und dennoch blieb mir nichts anderes übrig. Denn es ging ja noch weiter. Es war noch nicht vorbei. Dort drinnen in dem schönen, großen und nobel wirkenden Haus war eine Frau in Not. Es war die Frau meines Kameraden und Freundes Captain Claybrook, der ich die letzten Grüße des Sterbenden bringen sollte.

Ich hörte sie drinnen um Hilfe rufen. Sie hatte die Schüsse gehört und daran erkennen können, dass hier draußen vor dem Herrenhaus etwas im Gange war. Und so rief sie verständlicherweise.

Ich kam schnell aus dem Sattel, sprang die Stufen zur Veranda hoch, über den sterbenden Exguerilla hinweg und glitt durch den offenen Portalflügel in die Empfangshalle hinein.

Eine geschwungene Treppe führte nach oben. Von dort kamen die Hilferufe der Frau. Sie befand sich also nicht im Erdgeschoss.

Als ich auf der fünften oder sechsten Treppenstufe war, erschien oben am Geländer ein Bursche, der von jenem, den ich erledigt hatte, der Zwillingsbruder hätte sein können. Ja, sie glichen sich, die Drecksäcke.

Er brüllte einen wilden Fluch und versuchte es dann mit einem Schnappschuss.

Doch darauf verstand ich mich besser. Ich sah, wie ihn meine Kugel in den Kopf traf und wie sein Oberkörper nach hinten fiel.

Ich hetzte weiter und oben den Gang entlang bis zu einer offenen Zimmertür, aus der die Stimme der Frau rief: »Hier! Hier bin ich!«

Und da sah ich sie.

Man hatte ihr die Kleider vom Leib gerissen, doch sie musste sich heftig gewehrt haben.

Als sie mich sah, deutete sie auf das offene Fenster: »Da ist er hinausgesprungen!«

Ich war mit drei oder vier Sprüngen am Fenster und sah ihn unten. Er schwang sich in diesem Moment auf eines der drei Sattelpferde. Er wollte weg, nichts wie weg.

Ich gab ihm keine Chance und schoss. Dieser verdammte Hurensohn hatte eine Lady überfallen und mithilfe von Kumpanen vergewaltigen wollen. Er gehörte zum letzten Dreck der Menschheit. In jeder Stadt hätte man ihn am Hals hochgezogen, bis kein Leben mehr in ihm gewesen wäre.

Nachdem ich ihn vom Pferd stürzen gesehen hatte, wandte ich mich wieder ins Zimmer zurück.

Und da sah ich sie endlich richtig. Ich konnte mir ja jetzt Zeit nehmen. Es war alles vorbei.

Fast nackt stand sie vor mir, aber sie zeigte Stolz, so als wäre sie sich ihres Zustandes nicht bewusst. Sie sah mir gerade und fest in die Augen. Es waren schwarze Augen, und ich erkannte darin eine Frage.

Mein Hut saß immer noch fest auf meinem Kopf, und so nahm ich ihn ab und verbeugte mich leicht, wobei ich sagte: »Ma’am, ich bin Jones McConnor, der Freund und Kriegskamerad Ihres Mannes. Ich kam zum Glück noch im letzten Moment und bin sehr froh darüber.«

Als ich verstummte, nickte sie. »Ich weiß über Sie Bescheid, Jones«, sprach sie. »Mein Mann hat Sie in seinen Briefen oft erwähnt. Wann kommt er endlich heim?«

Ich zögerte mit meiner Antwort. Oh, verdammt, was tat sie mir leid! Sie hatte soeben Schlimmes überstanden, und nun musste ich ihr Schmerz zufügen, Seelenschmerz.

Ich zögerte. Sie sah mir an, warum ich zögerte. Und da begann sie es bereits zu ahnen. Heiser fragte sie: »Oder wird er nicht mehr heimkommen können?«

Ich nickte stumm. Dann sprach ich leise: »Ich war bei ihm, als er starb. Wir ritten mit unseren beiden Schwadronen einen letzten Angriff gegen die Kanonen der Unionstruppen. Er bekam die Kugel in die Brust und starb eine Stunde später. Er wurde mit allen Ehren bestattet. Er bat mich in seiner letzten Stunde, auf meinem Heimweg bei Ihnen vorbeizureiten. Es ist kein großer Umweg für mich. Es tut mir so leid, Ma’am, dass ich Ihnen diese Nachricht bringen muss. Die amtliche Nachricht wird gewiss erst in einigen Wochen kommen.«

Ich sprach immer langsamer.

Und sie stand mit geschlossenen Augen mitten im Zimmer, nur noch mit den Fetzen ihrer Kleidung am Körper. Ich sah, wie das Zittern ihren ganzen Körper durchlief.

Dann sah sie mich wieder an.

»Sagen Sie nicht immer Ma’am zu mir, Jones McConnor. Für Sie bin ich Nancy. Ich stehe in Ihrer Schuld. Aber leider kann ich Ihnen keine besondere Gastfreundschaft bieten. Unsere einstigen Sklaven nahmen mir alles weg, auch fast alle Kleidung. Ich wäre schon längst fort, hätte ich nicht auf die Heimkehr meines Mannes gewartet. Aber ich werde wohl noch etwas zum Anziehen finden in unserem großen Haus.«

Sie blickte an sich nieder.

Ich murmelte: »Sie sollten vor allen Dingen auch Ihr Gesicht mit Wässer kühlen. Es wird anschwellen und sich verfärben. Ich werde die Toten wegschaffen.«

Nach diesen Worten ging ich an ihr vorbei und vermied es, sie anzusehen. Denn sie war ja halb nackt. Ich wusste, jetzt würden ihr meine Blicke unangenehm sein. Sie hatte ihren ersten Schock überwunden.

Wenig später kehrte ich zurück.

Nancy Claybrook hatte sich inzwischen wieder einigermaßen hergerichtet. Sie trug nun einen alten Reitrock und eine verschlissene Flanellbluse. Ihr rotblondes Haar war unter einem schwarzen Tuch verborgen. Obwohl ihr Gesicht von den Schlägen der Vergewaltiger angeschwollen war, sah man immer noch ihre Schönheit.

Sie sah mich an und sagte: »Nehmen Sie mich mit, Jones. Ja, ich weiß, dass ich von hier weg muss. Es gibt ja auch keinen Grund mehr, hier auf etwas zu warten. Ich bin in wenigen Minuten fertig zum Abreiten. Vielleicht können Sie schon mal die Steigbügel eines Pferdes etwas kürzer schnallen.«

Ich sah sie staunend an und erkannte, wie kühl und beherrscht sie war. Ja, sie besaß offenbar eine starke Lebenskraft.

»Oder wollen Sie mich nicht mitnehmen, Jones?«, fragte sie, weil ich noch schwieg und sie staunend betrachtete.

»Aber sicher reiten wir zusammen von hier weg«, erwiderte ich. »Sie können ja später – wahrscheinlich in einigen Monaten – nach hier zurück. Irgendwann werden die Besatzungsbehörden dieses Land wieder …«

»Nein, ich werde nie wieder nach hier zurück wollen«, unterbrach sie mich. »Das hier ist vorbei. Dieses Jahr wird es keine Ernten geben. Doch die Steuern werden hoch sein. Wer keine Steuern zahlt, dessen Besitz wird versteigert. Yankees werden die Plantage für einen lächerlichen Preis ersteigern. Warten Sie draußen mit den Pferden auf mich. Ich habe nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen.«

Ich nickte und ging wieder hinaus. Die Steigbügel der Pferde waren tatsächlich für sie zu lang, obwohl sie für eine Frau etwas mehr als mittelgroß war.

Ich musste nicht lange warten, dann kam sie heraus. Sie hatte nur eine lederne Reisetasche bei sich, die sie ans Sattelhorn hängte.

Dann saß sie geschmeidig auf. Ich erkannte, dass sie eine gute Reiterin war, die auch im Herrensitz reiten konnte.

Wir ritten an.

Nancy Claybrook sah nicht einmal zurück, starrte nur vorwärts.

Aber als ich mich nach einer Viertelmeile umwandte, da sah ich das stolze und noble Herrenhaus lichterloh brennen.

Sie hatte also alles hinter sich abgebrannt.

Wir ritten nach Westen. Hinter uns nahten die Schatten der Nacht.

Wir befanden uns immer noch in Virginia. Da und dort sahen wir die Zerstörungen des Krieges.

Nancy fragte plötzlich: »Jones, wohin wollen Sie eigentlich?«

»Nach Tennessee«, erwiderte ich. »Heim zu meinen Eltern will ich. Und wohin wollen Sie, Nancy?«

»Zum Mississippi, zum großen Strom, der Lebensader unseres Landes«, erwiderte sie. »Dann reiten wir ja wohl noch ein Stück zusammen. Wenn ich eine Möglichkeit mit einer Postkutsche bekomme, verkaufe ich das Pferd. Ich will zum Mississippi.«

»Ah«, machte ich nur und versuchte mein Staunen zu verbergen.

Aber sie sprach: »Nun, Jones, dann fragen Sie doch endlich, was ich am Mississippi will. Sonst platzen Sie vielleicht noch vor Neugier.«

Sie sprach ziemlich grimmig. Aber das war ja wohl kein Wunder, denn sie war eine Frau, die alles verloren hatte und völlig neu anfangen musste.

Ich tat ihr endlich den Gefallen und fragte: »Nancy, was wollen Sie am Mississippi?«

»Na also«, stieß sie hervor. »Nun wollen Sie es doch gerne wissen, Jones McConnor. Aber das zu erklären ist eine längere Geschichte. Hat Ihr Freund, der mein Mann war, Ihnen nichts über meine Vergangenheit erzählt? Hat er Ihnen nicht geschildert, wie und wo er mich aus einem dunklen Loch herausgezogen hat?«

»Nein«, erwiderte ich. »Er hat mir nur immer gesagt, dass er die schönste und beste Frau der Welt bekommen hätte, aber sein großes Glück erst nach dem Krieg genießen und auskosten können würde. Er sagte mir nur, dass sie beide nur die Hochzeitsnacht zusammen waren.«

»Ja, das war vor zwei Jahren«, erwiderte sie. »Danach bekam er keinen Urlaub mehr. Ich sah ihn vor zwei Jahren zum letzten Mal. Eine lange Nacht gaben wir uns alles, was ein Paar sich in einer so kurzen Zeit geben kann. Ich wäre ihm eine gute Frau gewesen nach seiner Heimkehr. Und ich war ihm die ganzen zwei Jahre treu. Das schwöre ich. Doch jetzt …«

Sie brach ab und sprach nicht weiter.

Und so ritten wir schweigend, bis die Nacht uns eingeholt hatte und wir anhalten mussten. Wir verließen die staubige Straße und fanden in Stück abseits wir einen geschützten Platz in einer Senke, welche von Büschen umgeben war.

Als wir absaßen, sagte ich: »Hier können wir sogar ein Feuer unterhalten, weil es nicht in weiter Runde zu sehen ist. Die Nacht wird ziemlich kalt werden. Es ist noch längst nicht Sommer.«

Sie erwiderte nichts, aber sie begann Holz zu sammeln, indes ich mich um die Pferde kümmerte.

Als wir dann am Feuer saßen, hatten wir nicht viel zu essen, eigentlich nur meinen Proviant.

»Meine Exsklaven hatten mir alles aus dem Haus geholt«, sprach sie einmal, als sie den Speck kaute und den harten Zwieback im Wasserbecher etwas aufweichte.

»Vielleicht kann ich morgen ein Wild schießen oder in einem Creek Forellen fangen«, versuchte ich ihr Hoffnung zu machen.

Sie schüttelte leicht den Kopf und starrte kauend ins Feuer.

»Als die Nachricht von der Kapitulation des Südens kam«, murmelte sie, »liefen alle weißen Angestellten davon. Ich war plötzlich ganz allein. Einige Male kamen Plünderer. Doch denen saßen stets heimkehrende Südstaatler dicht auf den Fersen, sodass sie die Flucht ergriffen, bevor sie mir etwas antun konnten. Doch heute …« Sie brach ab und sah mich fest an. »Es war mein Glück, dass Sie kamen, Jones. Ich bin in Ihrer Schuld.«

»Nein«, erwiderte ich nur. »Aber was wollen Sie am Mississippi, Nancy?«

Sie lächelte im Feuerschein und kam mir jetzt noch schöner vor.

»Das ist mein altes Revier«, erwiderte sie. »Mein Vater war ein Spieler, ein wirklich erfolgreicher Spieler, einer von der Marke Gamble King. Als ich meine Mutter verlor, gab er mich in ein vornehmes Internat nach Boston. Dort erzogen, formten und drillten sie mich zu einer Lady, welche auch in den höchsten und nobelsten Kreisen hätte verkehren können. Aber als ich mit dieser Ausbildung fertig war, holte mein Vater mich zu sich. Dann begann meine zweite Ausbildung und Schulung. Ich wurde seine Gehilfin. Wir reisten auf den großen und noblen Luxussteamern zwischen New Orleans und Saint Louis und nahmen die Narren aus, die meinen Vater für einen reichen Magnaten hielten, der seiner eben erst aus dem Internat entlassenen Tochter die Welt zeigen wollte auf seinen Geschäftsreisen. Aber wir zogen den fetten Hammeln das Fell über die Ohren. Aber eines Tages war unser Glück beendet. Jemand verdächtigte meinen Vater des Falschspiels. Er schoss sofort. Mein Vater bekam die Kugel in den Magen, und dennoch schoss er zurück und traf ebenfalls voll. Da wir unmittelbar nach diesem Vorfall eine Schiffsanlegestelle erreichten, warf man mich mit meinem sterbenden Vater von Bord. In einem armseligen Zimmer eines kleinen Gasthauses starb er nach einigen Stunden. Ich war allein. Als ich auf dem kleinen Friedhof des Ortes am Grab meines Vaters stand, ritt ein Regiment der Konföderierten vorbei.

Ein Captain führte die letzte Schwadron als Nachhut. Sie hielten an, um ihre Pferde zu tränken. Er sah mich am Grab stehen und kam herüber. Es war Liebe auf den ersten Blick. Es traf uns in einer einzigen Sekunde. Wir erkannten es beide sofort. Er fragte mich, wessen Grab das wäre. Und da erzählte ich es ihm mit knappen Sätzen. Ich sprach Wort für Wort die Wahrheit, machte ihm nichts vor. Es war wie eine Beichte. Ich konnte ihn nicht anlügen, vom ersten Moment an nicht, vermochte ihm nichts vorzumachen. Als er mich fragte, was ich nun tun wolle, da zuckte ich nur mit den Schultern und erwiderte, dass ich nicht bettelarm wäre, denn ich trüge noch wertvollen Schmuck, wie er ja sehen könne.«

Nancy machte eine Pause. Im Feuerschein konnte ich ihr Gesicht betrachten und darin lesen. Ja, sie erinnerte sich jetzt an gute Dinge.

Ich wartete geduldig. Erst nach einer Weile sprach sie weiter: »Er sagte, dass wir uns näher kennenlernen müssten. Doch er hätte keine Zeit dazu, sondern müsste weiter mit seiner Schwadron, dem Regiment hinterher nach Vicksburg. Er bat mich zu seiner Plantage zu reisen und schrieb mir eine Anweisung an seinen Verwalter. Ich würde nicht sehr lange auf ihn warten müssen, denn er müsste endlich einen längeren Urlaub bekommen.«

Sie machte abermals eine Pause, sah ins Leere oder mehr in sich hinein. Ja, sie erinnerte sich, und es waren gute Dinge, an die sie sich erinnerte. Dann sah sie mich über das Feuer hinweg an.