G. F. Unger 1962 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 1962 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

In Red Mesa hatten sie meinen Bruder gehängt - anstelle des wirklichen Mörders. Verdammt, meine Gefühle für die Stadt waren wirklich nicht die friedlichsten ...


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Seitenzahl: 162

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein Tag zum Sterben

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Salvador Faba/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6596-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ein Tag zum Sterben

Auch in der sechsten Nacht legten wir uns wie immer nach dem Zureiten der Wildpferde in unserer Zweighütte zur Ruhe. Ich schlief ziemlich unruhig, wachte mehrmals auf und lauschte.

Ich wartete auf meinen Bruder – doch er kam nicht.

Als ich dann kurz vor Morgengrauen komische Geräusche hörte, wusste ich, dass jemand gekommen war. Aber es war nicht mein Bruder Jack. Denn dieser hätte sich durch einen Ruf oder Pfiff angemeldet.

Ich flüsterte: »Tomás, he, Tomás …«

»Ja, ich weiß«, sagte dieser leise. »Da ist Besuch. Sie haben uns eingekreist und warten auf das erste Tageslicht – und darauf, dass wir aus der Hütte kommen.«

Ich schwieg, denn er hatte alles gesagt, und er wusste es schon besser als ich. Einem erfahrenen Apachen – und dem besten Wildpferdjäger, den ich kannte – konnte ich nichts vormachen in dieser Hinsicht. Ich nahm meinen Colt und mein Remington-Revolving-Carabine-Gewehr. Ich kroch etwa zwanzig Schritte weit auf die Schlucht zu. So war ich zwischen unseren dort eingesperrten Pferden und jedem Angreifer. Ich fand gute Deckung zwischen ein paar Felsbrocken und Büschen und wartete.

Der graue Morgen kam langsam, doch er kam. Und dann sah ich die Hombres …

Drei waren zu sehen, und es waren Weiße, keine Apachen also. Es waren auch keine mexikanischen Banditen oder gar Bandoleros.

Nein, es waren Burschen angloamerikanischer Abstammung. Dies erkannte ich schon an ihren Hüten, ihrer Kleidung. Sie waren im Dreieck um unsere Hütte verteilt, etwa vierzig Schritte davon entfernt. Sie hatten sich gute Positionen ausgewählt und standen etwas erhöht, sodass sie freies Schussfeld für ihre Gewehre hatten.

Einer hob seine Waffe, und da die anderen ihn sehen konnten, taten sie es ihm nach. Dann begannen sie zu schießen.

Oh, sie waren gut bewaffnet. Sie hatten die gleichen Waffen wie wir, nämlich 44er Karabiner der Firma Remington.

Die drei Hombres konnten sich ausrechnen, dass wir in dieser Hütte nicht viel Spielraum haben konnten. Es war für drei Killer also eine scheinbar einfache Sache.

Aber nicht mehr lange. Denn nachdem sie etwa ein Dutzend Kugeln herausgepfeffert hatten, machten wir mit. Denn das wurde Zeit. Sie mussten endlich merken, dass sie auf eine leere Hütte feuerten. Und deshalb würden sie sich im nächsten Moment schon in Deckung werfen.

Ich erwischte zwei – und Tomás einen.

Dann gingen wir nachsehen.

Einer – es war jener, den ich zuerst von seinem Felsen holte, von dem aus er so schön auf unsere Hütte schießen konnte – lebte noch.

Er sah mich bitter an. Und ich sagte: »Amigo, das war gar keine gute Idee von euch. Und warum eigentlich? Warum wolltet ihr uns zur Hölle schicken?«

Er grinste verzerrt, und es ging ihm nicht gut. Deshalb kniete ich bei ihm nieder, um nach seiner Wunde zu sehen. Tomás ging einen Moment fort. Er brachte in seinem Hut Wasser von der Quelle, und er brachte es schnell.

Als ich dem Mann die Jacke öffnete – denn er hatte sie zugeknöpft, weil es ja noch recht kalt war an diesem grauen Morgen –, da sah ich den Sheriffstern.

Deputy

Red Mesa

Das stand auf dem Stern zu lesen. Es war kein besonderer Stern, sondern solch ein Ding, welches ein Waffenschmied aus dem Boden einer Konservendose schneiden konnte. Die Buchstaben waren ziemlich unordentlich eingepunzt.

Aber es blieb dennoch die Tatsache, dass der Mann ein Deputy Sheriff aus Red Mesa war.

Wir ließen ihn trinken, obwohl er einen Bauchschuss hatte. Aber ihm war nicht mehr zu helfen, so weit von einem Arzt entfernt in der Wildnis. Ich kannte das aus dem Krieg. Er würde binnen einer Stunde tot sein.

Aber wenn er ein Deputy Sheriff war, warum hatte er uns dann mit den beiden anderen Burschen in der Hütte zusammenschießen wollen? Das machte ein Gesetzesmann doch nicht – oder? Als er getrunken hatte, grinste er immer noch, doch jetzt nicht mehr ganz so verzerrt.

»Da staunst du wohl, Ben Spain«, sagte er. »Bevor sie in Red Mesa deinen kleinen Bruder hängten und er noch daran glaubte, seine Unschuld beweisen zu können, verriet er uns genau, wo wir dich finden könnten. Aber jetzt ist er tot. Und Johnny Quade, dem er so ähnlich sah – fast wie ein Zwilling – lebt noch. He, Ben Spain, bleib fort von Red Mesa. Geh nicht dorthin. Oder …« Er kam nicht mehr weiter.

Er starb von einem Atemzug zum anderen.

Ich hatte mich von Tomás getrennt, der wieder nach Hause wollte. Nach kurzer Zeit kam ich auf einem Seitenpfad zur Post- und Wagenstraße und erreichte eine Brücke. Sie führte über einen Creek, der sich tief in den Boden gefressen hatte.

Und drüben lag die Stadt, in deren Häusern schon die ersten Lampen brannten.

Hinter mir waren plötzlich Reiter. Sie kamen schnell aus der Dämmerung. Sie ritten rau und verwegen, ganz und gar wie ein wildes Rudel, welches Wetten darauf abschloss, wer zuerst an der Bar stehen wird.

Das kannte ich. Auch ich war in jüngeren Jahren mit anderen wilden Jungs aus ähnlichen Gründen um die Wette geritten.

Als ich den ersten Reiter in der Dämmerung erkannte, spürte ich einen heftigen Schock.

Denn ich glaubte wahrhaftig, dass dieser Bursche mein Bruder Jack wäre.

Die Ähnlichkeit war unheimlich.

Für einen Sekundenbruchteil war die Hoffnung in mir, dass dies wirklich Jack und er gar nicht gehängt worden wäre. Es war ein wilder, jäher und zugleich freudiger Schrecken.

Dann erkannte ich, dass es nicht Jack war.

Überdies erkannte mich der Bursche nicht. Im Gegenteil, er schrie heiser: »Platz da, du Hammel!« Und dann schlug er mit den langen Zügelenden zur Seite. Vielleicht wollte er nur mein Pferd treffen, damit es erschreckt einen Seitensprung machte, aber es war ihm wahrscheinlich ganz egal, was er traf.

Er traf mich mit einem Zügelende auf die Wange, und das andere, welches etwas kürzer war, traf meinen Handrücken. An den Enden dieser langen Zügel waren Metallspitzen. Manche Reiter liebten das. Wenn sie dann diese Zügelenden nach rechts und links hinter sich schlugen, trafen sie Schenkel und Flanken des Pferdes schmerzvoll. Dann dienten die Zügelenden als Peitschenersatz.

Mein Pferd machte einen Sprung zur Seite.

Und die Reiter drängten über die Brücke. Die Hufe donnerten auf den starken Balken. Es waren fünf Reiter, und sie fegten in die Stadt und wirbelten den Staub auf. Sie stießen wilde und verrückte Schreie aus, sodass man fast meinen konnte, sie wären eine angreifende Apachen-Horde.

Ich aber hielt immer noch vor der Brücke und strich mit den Fingerspitzen über die Wange. Das Metallende der Zügelleine hatte meine stoppelbärtige Wange aufgeschlitzt. Ich spürte das klebrige Blut.

Und ich fühlte in mir einen bösen, wilden und heißen Zorn. Ich bekam ihn schnell unter Kontrolle, aber er blieb in mir. Er legte sich nicht. Er wurde nur kalt und unversöhnlich.

Das war also dieser Johnny Quade. Kein anderer konnte es sein. Denn es gab auf dieser Welt gewiss nicht noch einen dritten Mann dieses Aussehens. Es war Johnny Quade, von dem ich nach den Worten des sterbenden Deputy Sheriffs vermutete, dass mein Bruder an seiner Stelle gehängt wurde.

Dieser Johnny Quade hatte mich geschlagen, sodass mir das Blut über die Wange lief.

Ich ritt auf die Brücke.

Und ich ritt langsam.

Dieser Johnny Quade und ich, wir waren füreinander bestimmt. Der konnte mir gar nicht entkommen. Ich wusste, dass ich ihn an der Whiskytränke oder an einem Spieltisch finden würde.

Denn dieser Bursche war nach Red Mesa gekommen, um sich zu amüsieren.

Anders konnte es nicht sein.

Ich ritt bei zunehmender Dunkelheit in den Hof des Mietstalls und kam vor das offene Doppeltor des Gebäudes. Drinnen brannten Laternen, und als ich mein müdes Pferd in den Vorraum führte, kam ein alter krummer Bursche zum Vorschein, dem man ein langes Leben im Sattel ansah und der nun wohl nicht mehr reiten konnte, weil sein Rückgrat schon zu schlimm gestaucht wurde und sein Rheuma selbst hier im warmen Südwesten nicht besser geworden war.

Aber er hatte zwei falkenscharfe, helle und kluge Augen. Mochte ein langes Reiten und Leben in Wind und Wetter ihm auch den Körper ruiniert haben, sein Auge und sein Verstand waren noch in Ordnung.

Er nickte und warf einen Blick auf das Brandzeichen meines Pferdes. Aber das war neutral. Ich war nicht so dumm, auf einem Pferd zu kommen, welches das gleiche Brandzeichen wie das Pferd meines Bruders trug.

Er stellte keine Fragen. Ein Blick auf mein Pferd genügte ihm. Denn ich ritt ohne Sporen.

Dann ging ich.

Red Mesa wirkte friedlich. Das größte Hotel lag neben der Posthaltestelle. Hier gab es auch einen Store.

Schräg gegenüber war ein großer Saloon. Hier standen zwei Dutzend Sattelpferde an den Haltestangen. Auf der Straße waren auch ein paar Wagen angebunden. Aus offenen Türen und Fenstern fielen Lichtbahnen.

Ich dachte immer noch an diesen Johnny Quade. Meine Wange brannte. Die Pferde des wilden Rudels standen vor dem Red Mesa Saloon. Ich erkannte eines der Tiere, es war ein verrückt gefleckter Pinto.

Und dann erreichte ich das City House. Eine Laterne hing vor der Tür und beleuchtete das Schild. Weitere Schilder verrieten, dass sich in diesem Haus auch das Gericht, das Gefängnis und das Sheriff’s Office befanden.

Der Sheriff trat heraus, so als hätte er auf mich gewartet. Aber das überraschte mich nicht.

»Fremd hier? Geschäfte?«

»Mir wurde Jennifer Cannons Hotel empfohlen«, sagte ich und fügte hinzu: »Wo finde ich es?«

»Dort schräg gegenüber«, sagte er. »Was führt Sie nach Red Mesa?«

»Oh, ich reite viel herum«, sagte ich. »Manchmal mache ich auch Geschäfte. Mein Name ist Ben Roberts.«

Er nickte.

»Was ist mit Ihrer Wange?«

Seine Augen waren scharf, denn obwohl wir unter der Laterne über dem Eingang standen, beschattete doch mein Hut viel von meinem Gesicht. Aber wahrscheinlich war die Platzwunde nun etwas angeschwollen. Diesem Mann entging nichts.

»Ich bekam was mit dem Metallende eines Zügels übergezogen, weil ich bei der Brücke nicht schnell genug Platz machte«, sagte ich. »Der Bursche hieß Johnny Quade. Prügelt der immer andere Leute aus dem Weg?«

Er sah mich an – und dann machte er eine Bewegung mit der Hand. Er hatte nun einen Colt darin, stieß ihn mir gegen die Seite und sagte: »Ich verhafte Sie! Gehen Sie vor mir hinein. Und keine Dummheiten!«

Da staunte ich doch nicht schlecht.

Aber ich verdaute die Überraschung schnell. Da ich meine Sattelrolle, das Gewehr und die gefüllten Satteltaschen trug, also mit einer Menge Gepäck beladen war, hatte der Sheriff mit seinem Colt in der Hand alle Vorteile für sich.

»Warum das alles?« So fragte ich.

Und er sagte knirschend: »Ich habe dich nach dem Steckbrief sofort erkannt, Ben Roberts. Vorwärts also!« Er war ein Stück um mich herumgetreten, sodass er hinter mir stand. Ich spürte den Druck seiner Revolvermündung im Rücken. Mit seiner freien Hand griff er nun meinen Colt aus dem Holster.

Ich ging ins Office hinein. Er blieb mit dem Revolver immer hinter mir und ließ mich den Druck der Revolvermündung spüren.

»Weiter durch den Raum«, sagte er. »Die Tür dort führt in den Zellenraum. Und nur keine Dummheiten, willst du kein Loch bekommen.« Ich wollte kein Loch bekommen. Aber ich konnte auch nichts mehr hinnehmen. Es war jetzt genug.

Und deshalb wirbelte ich herum.

Ich war schnell wie ein Wildkater – schon immer. Mit der Sattelrolle, die ich unter dem rechten Arm geklemmt trug, stieß ich den Colt des Sheriffs zur Seite, und noch im Herumwirbeln bekam er von mir das Knie in die Leistengegend. Sein Bein knickte sofort weg.

Aber er schoss nicht. Es war ihm also mit dem Schießen nicht so ernst gewesen. Wahrscheinlich vertraute er auch zu sehr auf seine Körperkraft.

Aber da konnte ich ihm eine Menge zeigen. Ich wog zweihundert Pfund und hatte nicht ein Gramm zu viel Fleisch auf meinen Rippen. Ich war vom Wildpferdefang und dem Zureiten trocken – und ich war schnell mit allen Reflexen.

Da ihm das Bein wegknickte, war er im Nachteil. Ich hatte all mein Gepäck einfach fallen lassen. Und nun gab ich es ihm. Er versuchte, mir den Revolverlauf quer über das Gesicht zu schlagen, aber er streifte nur meine Schulter.

Er schoss immer noch nicht. Er ließ die Waffe fallen und warf sich gegen mich. Er umfasste mich, und wir gingen zu Boden. Seine Arme waren unheimlich stark. Er versuchte, mir die Rippen zu brechen, indes wir uns rollten.

Aber dann bekam ich das angezogene Knie zwischen unsere Leiber. Ich warf ihn über mich – und ich war zuerst auf den Beinen und traf ihn mit zwei langen Schwingern. Er fiel über den Schreibtisch und knallte gegen einen Geldschrank, so richtig mit dem Kopf auf die Ecke. Das war mein Glück und sein Pech.

Daran konnte ein Mann sterben. Ich hatte es schon mal erlebt, während des Krieges. Aber dieser Sheriff hatte einen Eisenschädel.

Er war nur wenige Minuten bewusstlos. Dann stöhnte er knirschend und hielt sich den schmerzenden Kopf.

Er machte die Augen wieder auf, sah mich zuerst merkwürdig dumm an und begann sich zu erinnern.

»Sie sind gestolpert«, sagte ich, »und mit dem Bumskopf gegen den Geldschrank geknallt. Und ich werde ganz bestimmt nicht steckbrieflich gesucht. Warum wollten Sie mich also einsperren, als Sie begriffen, dass ich mit diesem Johnny Quade Verdruss hatte?«

Er erhob sich langsam. Ich hatte ihn inzwischen entwaffnet und auch sonst alle Vorsorge getroffen, dass er mich nicht noch mal reinlegen konnte.

Er hob den umgekippten Schreibtischsessel auf, setzte sich hinein und legte seine massigen Unterarme auf die Tischplatte. An seiner Schläfe rann etwas Blut aus einer Wunde. Eine kleine Beule wurde dort noch etwas größer.

»Mann«, sagte er, »ich wollte Ihnen eine Menge Ärger ersparen. Ich hätte Sie morgen wieder rausgelassen und mich wegen meines Irrtums entschuldigt. Morgen wäre Johnny Quade nicht mehr in der Stadt gewesen. Oder irre ich mich, dass Sie mit ihm noch nicht fertig sind? Mann, Sie sehen wie eine harte Nummer aus, die von einem Burschen wie diesem Verrückten nichts hinnimmt. Das da an der Wange brennt schlimm, nicht wahr?« Er sprach mit Bitterkeit.

Und ich erkannte, dass er nicht nur mir, sondern auch sich selbst hatte Ärger ersparen wollen.

Dieser Johnny Quade hatte hier anscheinend Narrenfreiheit. Der konnte hier alles machen, was er nur wollte. Und ihm räumte sogar der Sheriff selbst jeden Verdruss zur Seite.

Welche Macht stand hinter diesem Johnny Quade?

Ich ging draußen schräg über die Fahrbahn auf Jennifer Cannons Hotel zu.

Wenige Minuten später sah ich sie.

Sie stand hinter dem Anmeldepult und erledigte irgendeine Schreibarbeit. Als ich eintrat, sah sie mich an.

Ich war auf meinen Wegen dann und wann einer Frau begegnet, die mir vom ersten Moment an gefiel.

Auch jetzt war es so.

Ich sah in ihre bernsteinfarbenen Augen und bewunderte den Honigglanz ihres Haares. Sie war kein Mädchen mehr, sondern eine junge, selbstbewusste Frau, der auf dieser Welt nichts mehr fremd war. Ihr Gesicht hatte eigenwillige Konturen, doch es war schön. Ihre Lippen waren voll, weiblich – und irgendwie spürte ich ihre Einsamkeit. Sie war tief in ihrem Kern lebendig, sehr lebendig und liebte das Leben. Aber sie war einsam auf dieser Welt und ging ihren Weg.

Ich sagte: »Der Mann im Mietstall glaubt, dass ich hier ein Zimmer bekommen würde. Ob er recht hat?«

Sie sah mich an und lächelte. Dann nahm sie einen Schlüssel vom Brett und legte ihn neben das Anmeldebuch.

Ich trug mich als Ben Roberts ein.

»Sie können noch Essen bekommen«, sagte sie, und ihre Stimme gefiel mir. Es war eine etwas kehlige und dunkle Stimme mit einem Timbre, das mich stark berührte.

Sie nahm eine Lampe und ging vor mir her die Treppe nach oben.

Manchmal sah ich ihre Fesseln. Sie hatte schlanke Beine, und sie bewegte sich auf eine geschmeidige Art. Für eine Frau war sie mittelgroß und mochte etwa hundertzwanzig Pfund wiegen. Es war also alles richtig an ihr.

Sie ging vor mir ins Zimmer und zündete drinnen die Lampe an. Dann nahm sie ihre Lampe, mit der sie vorausgegangen war, wieder auf und ging hinaus.

Aber draußen auf dem Gang hielt sie noch einmal inne.

»Sind Sie geschäftlich hier, Mister Roberts?«

»So könnte man es nennen«, sagte ich.

»Was ist mit Ihrer blutenden Wange? Schlug jemand Sie mit einer Peitsche?«

»Der Liebling dieser Stadt prügelte mich aus dem Weg«, sagte ich ruhig.

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Wenn Sie Johnny Quade meinen«, sagte sie, »so ist er für einige Leute hier durchaus nicht der Sonnenschein oder Augenstern. Das können Sie sich merken.« Damit ging sie, und sie war zornig geworden. Sie ließ die Tür offen.

Ich ging hin, um sie zu schließen, und da blickte diese Jennifer Cannon vom Treppenabsatz noch einmal zu mir her.

»Ich bin in wenigen Minuten zum Abendessen unten«, sagte ich.

Als ich mich dann in der Ecke am Waschtisch wusch, mich rasierte und die Platzwunde betupfte, da war mir so richtig klar, in was ich hier hineingeritten war.

Hier lebte ein King. Ich befand mich in seiner Stadt. Und meilenweit in der weiten Runde war sein Reich.

Sein Sohn und mein Bruder sahen sich ähnlich wie Zwillinge.

Und meinen Bruder hatten sie hier für irgendein Verbrechen gehängt.

Ich ging hinunter zum Essen, und weil es schon fast zu spät für ein Abendessen war, gab es außer mir keine anderen Gäste im Speiseraum.

Jennifer Cannon bediente mich selbst, aber es war noch jemand in der Küche. Ich hörte dort das Klappern von Geschirr.

»Erzählen Sie mir etwas über Johnny Quade«, sagte ich zu ihr.

»Was soll ich Ihnen viel erzählen? Er ist der Sohn von Big Jim Quade.«

»Und wo findet man ihn? Ich bin wirklich ganz fremd hier.«

»Die Quade Ranch kann man nicht verfehlen«, sagte sie. »Man muss nur nach Süden reiten. Die Quade Ranch ist eine alte spanische Schenkung und liegt zu beiden Seiten der Grenze. Wollen Sie sich bei Big Jim Quade über dessen wilden Sohn beschweren? Weil er Ihnen was mit der Peitsche überzog?« In ihrer Stimme war nun Spott, auch ein Anflug von Verachtung. Doch dann wurde ihr bewusst, was ihre Augen sahen.

Ich kaute schon, und das Essen war gut. Es gab Hammelbraten, Reis und grüne Bohnen. Jennifer Cannon stand immer noch bei meinem Tisch und hatte die Hände auf der Lehne eines Stuhls liegen.

Auf ihren nackten Unterarmen glänzten die feinen Härchen goldig im Lampenlicht. Ich sah diesen feinen Schimmer auch an ihren Kinnwinkeln.

»Ich glaubte diesen Johnny Quade bei der Brücke wiederzuerkennen«, sagte ich langsam. »Aber dann war er es doch nicht. Er sah nur so aus wie ein Cowboy, den ich vor langer Zeit einmal kannte.«

Sie bekam schmale Augen. Und dann zog sie den Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich mir gegenüber.

»Er hatte einen Doppelgänger«, sagte sie. »Doch den hat man vor etwa zwei Wochen gehängt.«

Nun konnte ich nicht mehr essen. Ich legte Messer und Gabel hin und sagte: »Wollen Sie mir alles berichten, Miss Jennifer Cannon?«

Sie erwiderte eine Weile nichts.

Als sie dann sprach, wollte ich ihren Worten gar nicht glauben. Denn sie sagte langsam: »Wahrscheinlich bin ich schuld, dass sie ihn aufknüpften. Zumindest war ich der Anlass.«

Ich regte mich nicht, aber ich sah sie schweigend an.