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Er war des Kämpfens und des Tötens müde, doch dann brauchte die schöne Jane McKeon seine Hilfe, um aus der Station am Pecos eine aufblühende Stadt zu machen ...
***
G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Jede Woche erscheint ein neues Abenteuer von G. F. Unger.
Alle Folgen sind in sich abgeschlossen und können unabhängig von den anderen Folgen der Serie gelesen werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Am Ende aller Fährten
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7360-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Am Ende aller Fährten
Als ich das Pferd vor dem Saloon sah, da wusste ich, dass hier wieder einmal das Ende einer Fährte war. Denn es war Cockboones Pferd. Hinter Cockboone aber war ich schon einige Wochen her. Auf seinem Steckbrief in meiner Tasche standen unter anderem auch die Worte »Tot oder lebend«, denn er hatte schon zwei Gesetzesmänner, die ihn verhaften wollten, von den Beinen geschossen.
Ich fragte mich, indes ich vor dem Saloon absaß und mein Pferd anband, ob er das auch bei mir schaffen würde. Einen Moment lang war ich unentschlossen. Und fast wäre ich wieder auf mein Pferd geklettert und fortgeritten. Doch es war mein Job, Verbrecher zu jagen. Ich trug die Plakette eines US Deputy Marshals. Ich hatte einen Eid geschworen. Dieses Land hatte ein Recht auf meine Treue. Denn die Gemeinschaft der Redlichen und Guten musste beschützt werden vor den Unredlichen und Bösen. Und da ich das Abzeichen eines Gesetzesmannes trug, war das, was jetzt zu tun war, mein Job.
Ich entschloss mich also in diesen Sekunden endgültig …
Nein, ich ritt nicht fort, sondern stieß nach wenigen Schritten die Schwingtür auf und trat ein.
Es war ein mieser Saloon in einer kleinen, miesen Stadt, die kaum größer war als eine Siedlung, obwohl sie an der Kreuzung zweier Wagenwege lag. Hinter dem Schanktisch hockte eine dicke Frau. Ihr Körper war unförmig. Doch ihr Kopf ließ mich an eine wunderschön geschnittene Gemme denken.
Zwei Gäste spielten Billard. In der Ecke saßen drei Pokerspieler beisammen. Sie alle sahen zu mir her. Ich hatte meine Marshal-Plakette nicht an der Jacke. Und so unterschied ich mich nicht von all den Reitern dieses Landes. Ich wirkte abgerissen, staubig vom langen Reiten, war stoppelbärtig und hatte einen verbeulten Hut auf. Nein, ich unterschied mich äußerlich nicht von den anderen Gästen hier.
Sie wandten sich auch bald wieder ihrem Spiel zu, indes ich zu der dicken Frau mit dem schönen Kopf an den Schanktisch trat.
»Ma’am«, sprach ich, »lässt sich Ihr Bier trinken?«
Sie erwiderte nichts, aber sie begann ein Glas zu füllen. Dabei betrachtete sie mich mit stahlblauen Augen fest. Ich wusste, dass sie jetzt auch ihren Instinkt gegen mich sandte.
Sie war eine erfahrene Frau, die sich mit Männern jeder Sorte auskannte und der nichts fremd war auf dieser Erde. Unsere Blicke trafen sich, und ganz plötzlich wusste sie Bescheid über mich. Vielleicht konnte sie den Marshalstern in meiner Tasche wittern wie eine Wölfin den Stahl einer verborgenen Falle.
Sie schob mir das Bier zu. »Sonst noch etwas?« So fragte sie, und ihre Stimme war die einer ausgebildeten Sängerin. An ihren dicken Wurstfingern funkelten viele Ringe.
Ich trank erst das Bier. »Ja, es ist genießbar«, sagte ich, als ich das Glas absetzte.
Sie lächelte. »Hier ist alles genießbar«, erwiderte sie, »auch meine drei Mädchen oben. Ich habe eine echte russische Gräfin, eine Chinesin und eine feurige Schöne aus Haiti anzubieten. Die Gräfin wird bald frei sein.«
»Ich werde sie mir ansehen«, erwiderte ich, ließ mir das Bierglas noch einmal füllen und ging damit zu einem Tisch, von dem ich alles gut übersehen konnte – die Treppe nach oben, die Schwingtür und auch die Tür des Hinterausganges.
Ich begann mir eine Zigarette zu drehen. Bevor ich sie anrauchte, leerte ich das Glas noch zur Hälfte. Als ich dann die ersten Züge paffte, kam Joe Cockboone mit einem Mädchen die Treppe herunter. Sie lachten und schäkerten.
Ich hörte ihn sagen: »Oha, Honey, wenn ich nicht weitermüsste, würde ich sofort noch mal mit dir hinaufgehen. Aber ich war schon zu lange …« Er verstummte und hielt auf der letzten Treppenstufe an. Denn er hatte mich entdeckt. Ich war vorhin nicht hier gewesen. Jetzt aber wollte er wissen, ob ich ein Mann war, der seiner Fährte folgte. Denn damit rechnete er. Das bewiesen seine letzten Worte.
Ich behielt die Zigarette im Mundwinkel, und indes ich mich erhob, nahm ich mit der Rechten die Marshal-Plakette aus der Hemdtasche und steckte sie mir mit einer raschen Bewegung an die Jacke.
Es war eine einzige, schnelle Bewegung, die wie eingeübt wirkte auf jeden Zuschauer. Mein Colt aber, den ich links trug, war immer noch im Holster. Doch meine Linke schwebte über dem Kolben.
Und ich sprach ruhig in die Stille: »Cockboone, ich bin US Deputy Taggert. Ich nehme Sie hiermit fest und werde Sie zum nächsten Bundesrichter bringen. Leisten Sie keinen Widerstand. Denn Sie wissen ja, auf Ihrem Steckbrief steht ›Tot oder lebend‹. Öffnen Sie die Schnalle Ihres Waffengurtes. Lassen Sie ihn einfach fallen. Lady, treten Sie zur Seite.«
Meine letzten Worte galten dem Mädchen, das neben Cockboone auf der Treppenstufe verharrte. Sie gehorchte sofort, denn sie war keine Närrin. Cockboone war für sie nur ein zahlender Gast, kein Freund oder gar Geliebter. Sie würde ihn von einer Minute zur anderen vergessen, sobald er den Saloon verließ.
Cockboone aber sagte lachend: »Taggert. ich habe schon zwei von deiner Sorte auf meiner Fährte sterben lassen. Warum überlegst du es dir nicht noch mal? Oh, ich weiß schon seit Santa Fe, dass du auf meiner Fährte reitest. Ich habe auch einige Geschichten über dich gehört. Dennoch sage ich dir, dass du der dritte Bursche deiner Sorte wärest, dessen Fährte auf meiner Fährte für immer enden würde. Hau lieber ab und vergiss, dass du mich einholen konntest. Vergiss es einfach. Hau ab!«
Ich trat hinter dem Tisch hervor und nahm mit der Rechten die Zigarette aus dem Mund, ließ sie einfach fallen. Und das war auch schon das Zeichen für ihn: er wusste plötzlich, dass er es mit mir auskämpfen musste. weil ich nicht fortlaufen wurde. Er wusste, dass es nun jene schwarze Sekunde geben würde, in der sich entschied, ob das Gesetz Sieger blieb oder besiegt wurde. Und so zog er.
Ich war mir des eigenen Ziehens gar nicht bewusst, denn es war ein einziger, wilder Reflex der Selbsterhaltung. Ich sah in sein Mündungsfeuer, aber meine Kugel stieß ihn bereits. Denn ich war schneller gewesen. Ich sah, wie meine Kugel in seiner Herzgegend einschlug und dass nichts mehr auf dieser Erde ihn retten konnte.
Er starb stehend und fiel dann krachend zu Boden.
Pulverrauch hüllte mich ein, breitete sich aus. Ich sah nach den anderen Gästen. und ich hätte jede Bewegung aus den Augenwinkeln bemerkt. Doch niemand bewegte sich. Sie sahen mich an, und ihre Feindschaft strömte gegen mich wie ein heißer Atem. Wahrscheinlich waren auch sie Gesetzlose oder zumindest auf der Seite von solchen.
Die dicke Wirtin sagte böse: »Raus hier, Marshal! Raus hier aus meinem Saloon! Sie verdammter Killer mit dem Stern! Raus hier!«
Ich konnte sie gut verstehen. Denn dieses Land westlich des Pecos gehörte den Gesetzlosen. In diesem Saloon waren die meisten Gäste Gesetzlose, die über den Pecos geflüchtet waren. Sie lebte hier mit ihren Mädchen von solchen Gästen. Deshalb war sie auf deren Seite.
Ich hatte hier auch wirklich nichts mehr verloren. Die Leute würden sich Joe Cockboones Sachen aneignen und ihn dafür beerdigen. Mir war das recht so. Ich würde einen Bericht schreiben und bei meinem Vorgesetzten abliefern. Und ich würde Meilengeld und eine Prämie kassieren. Diese Prämie hätte ich auch bei Ablieferung kassiert.
Ich ging zur Schwingtür, wollte schon hinaus zu meinem Pferd. Doch im allerletzten Moment warnte mich ein ungutes Gefühl. Und so verhielt ich in der schon halb geöffneten Schwingtür und hielt den Colt bereit. Der kleine Ort war still. Nur die Fliegen summten. Sonst regte sich nichts.
Aber dennoch sah ich es. Im Fenster des gegenüberliegenden Hauses zeigte sich nun ein Mann mit einer Schrotflinte. Er schoss sofort. Er brauchte ja auch nicht besonders zu zielen. Die Schrotkugeln trafen mich überall, aber ich schoss im selben Moment zurück. Dann sah ich, wie er mit der Flinte nach vorn kippte und aus dem Fenster auf das Vordach des Erdgeschosses fiel. Sein Körper durchbrach es.
Joe Cockboone hatte also einen Freund hier.
Ich ging zu meinem Pferd. Und ich blutete nun aus einem halben Dutzend Wunden. Als ich mich in den Sattel zog, da wusste ich, dass die Gesetzlosen dieses Landes mich bald jagen würden. Denn ich war in ihr Gebiet eingedrungen, um einen aus ihrer Mitte zu holen. Das nahmen sie nicht hin.
Ich ritt im Trab davon und schlug die Richtung nach Osten ein. Denn dort im Osten war der Pecos. Und dieser Fluss bildete die Grenze zwischen dem Gesetz und den Gesetzlosen.
Vielleicht konnte ich entkommen. Ich war nicht lebensgefährlich verletzt. Die Schrotkugeln waren nicht tief in meinen Körper eingedrungen. Gewiss konnte man sie mit einem spitzen Messer oder einem stricknadelähnlichen Instrument herauspulen. Offenbar war die Pulverladung der Flinte nicht stark genug gewesen. Doch die Wunden bluteten heftig. Und wenn sie sich entzündeten, dann …
Aber was dann war, daran wollte ich vorerst nicht denken.
☆
Indes ich unter Schmerzen ritt und mich immer wieder umsah nach Verfolgern, da war in mir ein Durcheinander von Gefühlen und Gedanken. Und alles war von Bitterkeit beherrscht. Denn ich hatte wieder einmal getötet. Zwei Männer musste ich in Ausübung meiner Pflicht erschießen, und es war kein Trost für mich, dass ich in Notwehr handelte, dass ich Recht und Gesetz hinter mir hatte. Nein, das alles half mir verdammt wenig.
Ich wusste, dass ich die Gesichter der Toten in nächster Zeit in meinen Träumen wiedersehen wurde – und hinter diesen beiden Gesichtern würden all die anderen Gesichter auftauchen. Denn mit dem Abzeichen an der Brust hatte ich wieder töten müssen in diesem Land.
Bis jetzt war jeder Gesetzlose, den ich einholte und der gegen mich den Revolver zog am Ende aller Fährten angelangt. So mancher Gesetzesmann wäre an meiner Stelle stolz gewesen, stolz darauf, unbesiegbar zu sein. Ich war es nicht. Denn ich kam mir mehr und mehr vor wie ein Killer mit einem Stern.
Und so wuchs der Wunsch in mir, endlich mein Leben zu ändern, einen anderen Weg zu reiten und völlig andere Ziele anzustreben. Ich hatte genug. Aber ich hatte bisher – seitdem ich ein Mann war – nichts anderes getan als reiten, Fährten verfolgen und kämpfen. Zu was würde ich sonst noch taugen?
Hätte man mir nicht den Stern gegeben, so wäre ich gewiss ein Revolverheld geworden, ein Revolverkämpfer, dessen Colt man sich mieten konnte, von dem man sich beschützen ließ, den man zu Hilfe rief bei irgendwelchen Problemen, die in diesem Lande nur mit Gewalt gelöst werden konnten.
Als es endlich Abend wurde und ich hinter mir auf meiner Fährte immer noch keine Verfolger entdecken konnte, da war ich sicher, dass ich entkommen würde. Denn der Pecos war jetzt dicht vor mir. Ich würde ihn in der Nacht durchfurten. Dies aber war nur an wenigen Stellen möglich, denn es gab in diesem Gebiet überall Treibsand. Man musste also eine Furt finden. Ich kannte eine, und als ich sie erreichte, trieb ich das Pferd hinein.
Am Himmel standen jetzt ein paar blasse Sterne. Aber es würde bald schon klarer werden, und dann strahlten von oben Milliarden funkelnder Edelsteine auf die miese Erde nieder, auf der sich die Menschen immer wieder umbrachten, betrogen und belogen, hintergingen und beraubten.
Ja, in mir war immer noch Bitterkeit. Ich war voller Schmerzen. Meine Wunden brannten. Ich war auch am Ende meiner Kraft und Zähigkeit. Ich hatte eine Menge Blut verloren. Meine Kleidung klebte am Körper. Voll Sorge fragte ich mich, ob ich jemanden finden konnte, der mir helfen würde.
Mitten im Pecos hielt ich an, ließ mein Tier saufen und erfrischte auch mich, indem ich mich ächzend aus dem Sattel beugte und mit der hohlen Hand Wasser schöpfte. Mein braves Pferd soff nur mäßig. Das kluge Tier wusste genau, was gut oder schlecht war nach solch einem harten Ritt. Es war mit Schweiß und Staub bedeckt wie ich. Bei mir kam noch das Blut hinzu.
Wir ritten weiter. Ich schlug drüben eine nördliche Richtung ein. Irgendwo stromauf musste es eine Wagenfurt geben, dazu wahrscheinlich eine Siedlung. Dort würde ich vielleicht Hilfe erhalten.
Ich konnte mich kaum noch im Sattel halten. Das Wundfieber begann sich bereits bemerkbar zu machen. Als ich etwa eine halbe Stunde geritten war, strahlte der Himmel in voller Pracht. Aber dann hielt ich jäh an und versuchte all meine Instinkte und Sinne noch einmal scharf zu konzentrieren. Denn da vorne am Fluss leuchteten Feuer in der Nacht. Und dann bekam ich eine bestimmte Witterung. Ich roch Tequila. Dort vor mir am Fluss bei den Feuern wurde Tequila gebrannt. Und so ritt ich darauf zu, denn dort waren Menschen.
Es war ein Camp mit drei Wagen. Im Feuerschein konnte ich dann auch die ziemlich große Destillierblase erkennen, aus der es ständig tröpfelte und rann.
Männer und Frauen hielten Gefäße unter den fließenden Schnaps. Dann tranken sie, tanzten sie, sangen sie. Sie alle waren mehr oder weniger betrunken. Es war ein Fest. Nur ein Teil des destillierten Zeugs gelangte in die Flaschen und Fässchen. Immer wieder füllten die tanzenden und singenden Trinker ihre Gefäße. Ja, es waren Mexikaner, schnurrbärtige Männer und bunt gekleidete Frauen. Die Männer trugen gekreuzte Patronen und Revolver. Aber sie alle waren fröhlich. Sie lachten, sangen, tanzten. Und bald würden sie alle so berauscht sein, dass sie umfielen. Denn der Tequila rann unaufhörlich aus der großen Destillierblase – oder genauer gesagt, aus der Kupferrohr-Spirale, unter der das eine Feuer brannte.
Ich wollte absteigen, aber ich hatte Angst, dass ich vom Pferd fallen würde, sobald ich auch nur das Gewicht im Sattel verlagerte.
Einer der lachenden Tänzer – ein schnurrbärtiger Mexikaner – kam bis zu mir und meinem Pferd getanzt. Nun erst sah er mich. Aber er lachte, kam noch näher und reichte mir ein Blechgefäß.
»Trink, Amigo«, lachte er trunken. »Lass es in deinen Bauch rinnen, damit es darinnen wie Feuer brennt und die verdammte Welt ein Paradies wird, in dem sich alle lieben, so wie es schon unser Erlöser haben wollte, hahaha!«
Ich nahm den Blechbecher, denn mir war nach einem scharfen Schluck. Den konnte ich gewiss gebrauchen. Dann würde ich vielleicht vom Pferd steigen können, ohne zu fallen und ohnmächtig zu werden. Ich trank – aber weil ich dabei den Kopf nach hinten legen musste, bekam ich das Übergewicht, und so fiel ich in bodenlose Tiefen – wie mir schien.
☆
Als ich erwachte, war es still. Aber es war keine richtige Stille. Denn ich hörte überall Schnarchtöne.
Ich begann mich zu erinnern. Und so begriff ich, dass die Gesellschaft nun ihren Rausch ausschlief.
Am Himmel graute der Morgen. Ich lag auf einer Decke am Boden und war mit einer anderen Decke zugedeckt. Wundfieber plagte mich. Meine Wunden schmerzten jedoch erträglich. Ich fühlte unter der Decke nach ihnen. Das war leicht, denn mein Oberkörper war nackt. Die Wunden jedoch waren zugepflastert. Man hatte sich also um mich gekümmert, mich versorgt. Aber wer von all diesen Säufern hier konnte das getan haben?
Als ich mich stöhnend aufsetzte, um mich besser umsehen zu können, da kam jemand zu mir und hockte sich dicht bei mir auf die Absätze. Im verblassenden Licht der Sterne erkannte ich eine Frau. Aber sie konnte ebenso gut auch noch ein Mädchen sein. Und sie war keine Mexikanerin, das sah ich gleich.
Sie war gelbhaarig und hatte gewiss blaue Augen.
»Wie geht’s?« So fragte sie sachlich. In ihrer Stimme erkannte ich einen Beiklang, der mir sagte, dass sie sich auf dieser Erde keine Illusionen mehr machte.
»Ach, es ging mir schon schlechter«, erwiderte ich, und meine heisere Stimme kam mir fremd vor. »Wer hat meine Wunden versorgt?«
»Ich«, erwiderte sie. »Wer sonst? Diese Bande war schon zu betrunken. Ich habe Ihnen beim Schein einer Laterne die Schrotkugeln mit einem spitzen Messer herausgeholt. Das war wohl eine ganze Ladung, wie? Es waren genau elf Schrotkugeln. Ich fand auch Ihren Marshalstern, Mister. Aber den habe ich sofort in meinem Stiefelschaft versteckt. Denn sonst …« Sie verstummte.
Und ich begann zu begreifen, was alles sie für mich tat. Wenn das hier eine üble Bande war, dann hatte sie mein Leben gerettet, indem sie meine Marshal-Plakette versteckte.
»Und warum sind Sie hier bei diesen Leuten, Schwester?« So fragte ich sie.
Aber sie ließ mich erst den Tee trinken. Dann erwiderte sie langsam und mit fast tonloser Stimme: »Sie überfielen unsere Siedlung an der Furt weiter im Norden. Mich nahmen sie mit, um mich, wie sie sagten, drüben in Mexiko an ein Bordell zu verkaufen, wo man für blonde Mädchen Spitzenpreise zahlt. Sie haben meinen Mann getötet, auch meinen kleinen Bruder. Sie sind versoffene Bandoleros, die – wenn sie nicht rauben und morden – Tequila brennen und vom Verkauf dieses Feuerwassers leben. Sie nehmen mit, was sich ihnen bietet.«
Ich dachte nach. Und da wunderte ich mich, warum sie noch hier war. Denn die ganze Bande war doch betrunken und schnarchte ihren Rausch aus. Und so fragte ich: »Warum sind Sie jetzt noch hier, Schwester? Sie hätten doch auf einem Pferd entkommen können – oder?«
»Bis vor einer halben Stunde nicht«, erwiderte sie. »Da waren noch welche auf den Beinen. Und überdies ist da noch ein Wächter. Ja, einer von ihnen ist tatsächlich nicht betrunken. Das ist wohl ihr ehernes Gesetz. Einer muss nüchtern bleiben. Und da kommt er auch schon.«
Ich saß am Boden und wandte den Kopf. Ja, da kam ein Mann herbei. Seine Sporen klingelten melodisch. Er trug ein Gewehr in der Hand. Sein großer Hut beschattete sein Gesicht. Unter der Hutkrempe funkelten seine Augen wie die eines großen Wolfes.
»Ay, Gringo, wer hat dich denn so schwer gemacht?«, fragte er spöttisch in spanischer Sprache. Mit »schwer gemacht« meinte er die Bleikugeln.
Und so lachte ich mühsam und erwiderte: »Ja, ich wäre wohl in jedem Fluss ertrunken mit all dem vielen Blei. Ich hatte einen Gesetzesmann auf meiner Fährte.«
Er dachte über meine Worte nach. Dann sagte er: »Aber du bist ein Gringo. Wir mögen keine Gringos. Wir kommen nur dann und wann über den Rio Grande, um einigen Gringos das Fell abzuziehen, hahaha!« Nach diesen Worten ging er.
Die junge Frau neben mir atmete langsam aus. Ich aber wusste nun Bescheid. Diese Bandoleros und Tequila-Brenner würden mir bald schon – wenn sie erst wieder nüchtern waren und dazu noch verkatert – die Haut abziehen. Der Wächter wollte seinen Compañeros den Spaß nicht verderben. Sonst hätte er mich schon ausgeplündert.
»Wo ist mein Colt?« So fragte ich.
»Neben Ihnen unter der Decke. Und das Pferd mit Ihrem Sattel und dem Gepäck steht bei den anderen Tieren im Seilcorral. Miguel – so heißt der Wächter – sagte mir, dass die Hombres um alles würfeln würden.«
Ich nickte. Dann fand meine tastende Hand den Colt. Mit ihm in der Faust erhob ich mich. Ich spürte den kalten Morgen auf meiner nackten Haut. Die ersten Schritte legte ich schwankend wie ein Betrunkener zurück. Dann aber wurde mir besser.