G. F. Unger 2064 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2064 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Das Zuchthaus von El Toro ist die letzte Station vor der Hölle. Auch Amos Radigan weiß: Wer die schmale Brücke zum Zuchthaustor hinter sich gelassen hat, ist schon so gut wie tot ...

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Brücke zur Hölle

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Salvador Faba / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9611-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Brücke zur Hölle

Es war in Dodge City, als ich Nancy Callager zum ersten Mal sah. Ich war mit einer Treibherde von Texas heraufgekommen. Ich saß in einer Badewanne und gönnte mir gerade den Luxus eines heißen Bades.

Da kam sie in mein Zimmer, und ich war sicher, dass sie nicht angeklopft hatte. Ich grinste sie an und sagte: »Schwester, wenn du mir den Rücken einseifen möchtest, kommst du genau im rechten Moment. Wie heißt du, Honey?« Ich glaubte nämlich, sie wäre eines der Mädel, die es auf die Treibherdenbosse abgesehen hatten.

»Ich heiße Nancy«, sagte sie. »Nancy Callager. Dein Bruder und ich, wir wollten heiraten. Deshalb sind wir nach El Toro geritten.«

Ich staunte und fragte vorsichtig: »Verwechseln Sie mich auch nicht, Schwester? Ich bin Radigan, Amos Radigan. Und von meinem Bruder habe ich schon acht Jahre nichts mehr gehört. Ich weiß nur, dass er während des Krieges gefallen sein soll.«

»Ich verwechsle Sie nicht«, erwiderte sie. »Ich wollte zu dem Treibherdenführer Amos Radigan, von dem man sich längs des Chisholm Trails und in den Viehstädten eine Menge Geschichten erzählt.«

»Der bin ich«, sagte ich. »Es gibt zwischen Texas und Kansas nur einen Cattle-Radigan. Sie sind in der richtigen Schmiede, Nancy. Mein Bruder lebt also? Na fein! Er war ja schon immer etwas eigenwillig. Und in El Toro wolltet ihr heiraten? Soll ja ein böses Nest sein, wenn das, was man so hört, stimmt. Doch von Südarizona bis hierher ist es ein mächtig langer Weg …«

Ich blickte fragend zu ihr auf.

»Ja«, sagte sie und setzte sich auf einen der beiden Stühle, die mein Hotelzimmer zierten. Sie war müde und erschöpft. Gewiss hatte sie die letzten zwei Wochen in den schwankenden Überlandpostkutschen zugebracht, die aus dem Arizona-Territorium über Santa Fe nach Kansas und zurück verkehrten. Oft genug fuhren sie aber nicht, weil Apachen und Banditen sie überfielen.

»Ich bin erst vor drei Stunden hier angekommen«, sagte sie. »Und ich habe das Glück – das große Glück! -‍, Sie in Dodge City anzutreffen. Es ist das erste Glück seit drei Monaten. Nur Bill wird nie wieder Glück haben, solange er in El Toro für einen Fremden eine Strafe von zwanzig Jahren Zwangsarbeit abbüßen muss.«

Ihre Worte trafen mich wie ein kalter Wasserguss.

So wohl ich mich in der Badewanne gefühlt hatte und so sehr ich in der ersten Minute über ihren Besuch erfreut gewesen war, nun war plötzlich alles anders.

Ich musste in diesem Moment gleich mit zwei Dingen fertig werden: Mein Bruder Bill lebte!

Und er sollte sich unschuldig im Zuchthaus von El Toro befinden.

Mein Misstrauen regte sich. Ich betrachtete Nancy Callager scharf.

Aber sie erwiderte meinen Blick ruhig und fest.

»Langsam«, sagte ich, »nur langsam. Damit ich alles richtig mitkriege. Wie kommt es, dass mein Bruder lebt? Wieso sitzt er für einen Fremden in El Toro eine Strafe ab?«

Sie sah mich nach meinen Fragen forschend an. Sie wollte herausfinden, ob sie mir auch wirklich vertrauen konnte.

»Es wäre eine lange Geschichte«, begann sie. »Doch ich kann sie vorerst auch ganz kurz erzählen. Bill hatte damals genug vom Krieg. Er desertierte und steckte seine Papiere in die Taschen eines anderen Soldaten, der gefallen war und von dem er wusste, dass er keine Angehörigen hatte. Bill wurde also als gefallen in die Verlustlisten der Armee eingetragen. Man konnte ihn nicht als Deserteur suchen. Er nahm einen anderen Namen an und lebte bis nach dem Krieg drüben in Mexiko – in Sonora. Nach dem Krieg kam er wieder in die Staaten und geriet in ziemlich üble Gesellschaft. Als er mich kennenlernte, wollten wir unter alles einen Schlussstrich ziehen und gemeinsam neu beginnen. El Toro lag auf unserem Weg nach Kalifornien. Wir wollten uns trauen lassen. Es war späte Nacht, als wir in El Toro ankamen. Die Postkutsche hatte Verspätung. Während wir aus der Kutsche kletterten, hörte ich, wie jemand zu einem der Fahrgäste sagte: Bill McClusky ist vor drei Tagen ausgebrochen, Sir.«

Einige Sekunden schwieg Nancy nachdenklich. Dann fuhr sie fort.

»Ich maß diesen Worten keine besondere Bedeutung bei. Ich wusste jedoch, dass es bei El Toro eine Strafanstalt gab, und es war mir klar, dass dort ein gewisser Bill McClusky ausgebrochen sein musste. Aber was kümmerte es mich! Ich dachte nur daran, dass Bill und ich bald Mann und Frau sein würden. Ich war glücklich. Wir gingen sofort ins Hotel. Es gab jedoch nicht genug Zimmer. Bill wollte nicht mit mir zusammen in einem Zimmer übernachten, bevor wir verheiratet waren. Deshalb verabschiedete er sich vor der Zimmertür. Er versprach mir, mich zum Frühstück abzuholen. Er wollte bis dahin auch schon alles Notwendige erledigt haben, sodass wir nach dem Frühstück zum Friedensrichter gehen konnten. Ich bat ihn noch, anschließend mit mir zur Missionskirche zu gehen. Obwohl wir beide evangelisch sind, wollte ich an jenem Tag doch in einer Kirche um Gottes Segen bitten. Bill versprach mir alles. Er würde auch zwei prächtige Trauzeugen finden, sagte er. Im Stroh des Mietstalles würde er von mir träumen. Aber am anderen Morgen kam er nicht. Er war verschwunden. Ich sah ihn nicht wieder. Und niemand wollte ihn gesehen haben. Es war ganz so, als wäre ich mit einem Geist nach El Toro gekommen. Ich glaubte, verrückt geworden zu sein. Ich irrte in der Stadt umher und fragte jeden nach Bill. Fast alle Leute, denen ich Bills Aussehen beschrieb, benahmen sich merkwürdig. Einige sagten mir auf den Kopf zu, dass mein Bill kein anderer als der entsprungene Sträfling Bill McClusky sei. Man hätte ihn vergangene Nacht im Mietstall festgenommen. Wahrscheinlich wollte er sich dort ein Pferd beschaffen, nachdem er sich irgendwo in der Stadt drei Tage versteckt gehalten hatte. Viele Menschen hielten mich für verrückt, und vielleicht war ich das auch in jenen Stunden.«

Nancy Callager machte wieder eine Pause.

Einen Moment fragte ich mich, ob sie vielleicht doch nervenkrank oder verrückt war.

Doch als ich in ihre Augen sah, wusste ich, dass sie die Wahrheit sprach. Mein Bruder lebte und war in El Toro, einer miesen Grenzstadt im südlichen Arizona-Territorium, in eine Klemme geraten.

»Aber das hätte man doch aufklären können«, sagte ich. »Schon der nächste Sheriff oder Friedensrichter hätte dieser Sache nachgehen müssen. Es musste sich doch feststellen lassen, dass man den falschen Mann verhaftet hatte. Selbst wenn sich mein Bruder Bill und dieser McClusky so ähnlich sahen wie Zwillingsbrüder, hätte man mit einiger Mühe feststellen können, dass sie nicht dieselbe Person sind.«

»Ich habe alles versucht«, sagte sie. »Ich war beim Sheriff, beim Richter und später auch beim Direktor des Zuchthauses. Es liegt etwa zwölf Meilen vor der Stadt und sehr nahe der Grenze. Ich habe alles versucht, diesen Männern klarzumachen, dass Bill Radigan nicht Bill McClusky ist. Aber sie glaubten mir nicht. Ich gewann die feste Überzeugung, dass man mir nicht glauben wollte. Amos Radigan, sie wissen dort ganz genau, dass sie nicht den richtigen Bill McClusky geschnappt haben. Aber das ist ihnen gleich. Mir kam es sogar so vor, als wäre ihnen Bill als Ersatz gerade richtig gewesen. Aber warum? Weshalb? Amos, ich konnte es nicht herausfinden. Ich erkannte, dass ich es einfach nicht schaffen konnte, Bill aus der Klemme zu helfen. Welche Beweise hatte ich denn? Er war ja für tot erklärt worden. Nur sein eigener Bruder kann ihm helfen. Wir hatten inzwischen gehört, dass du als Herdenführer auf dem Chisholm Trail einen schon fast legendären Namen hast. Deine Treibherde war jedes Jahr eine der ersten, die von Texas heraufgetrieben wurde. Eine Zeitung schrieb einmal, dass ihr Herdenführer mit jenen Tee-Clipper-Kapitänen zu vergleichen wärt, die jedes Jahr den Ehrgeiz hätten, die erste Schiffsladung nach England zu bringen, denn die erste Ladung brächte die besten Preise. Und so wäre es auch mit den ersten Rinderherden, die zur Verladung kommen. Ich konnte also hoffen, dich um diese Jahreszeit hier in Dodge City oder drüben in Abilene zu finden. Zum ersten Mal seit Monaten hatte ich Glück. Ich fand dich. Und nun bitte ich dich, hilf deinem Bruder!«

Ich sah ihr an, dass sie alles gesagt hatte. Es ging ihr wie einem Läufer, der mit letzter Kraft sein Ziel erreicht hat.

Sie hatte mich gefunden und mir die Verantwortung übertragen.

Wie eine schwere Last fiel alles von ihr ab. Sie erschlaffte. Dennoch sah sie mich forschend an.

Ich saß still in der Badewanne. Ich musste erst alles verarbeiten. In mir waren eine ganze Menge Gedanken, Gefühle und Empfindungen.

Mir wurde heiß, und das lag nicht nur an dem warmen Wasser, in dem ich saß. Der Schaum der Fliederseife kam mir albern und lächerlich vor.

Auch all der Spaß, den ich mir in den nächsten Tagen hatte gönnen wollen, erschien mir jetzt so dumm wie der Seifenschaum.

Ich starrte auf die Tür, ohne sie richtig zu sehen.

Dann aber merkte ich, dass sich der Messingtürknopf langsam und vorsichtig drehte.

Da wir still waren, hätte ich ein Anklopfen hören müssen.

Oha, wer wollte leise und überraschend die Tür aufstoßen?

Ich hob meinen mit Seifenschaum bedeckten Arm aus dem Wasser und nahm den Colt vom Stuhl.

Der Bursche dort draußen auf dem Gang hatte einen Revolver, mit dem er sofort zu ballern begann.

Aber er traf mit dem ersten Schuss nur die Badewanne, nicht mich.

Ich schoss ihn von den Beinen, und er feuerte noch zweimal in die Dielen, bevor er gegenüber der offenen Tür mit dem Rücken an der Wand des Ganges niederrutschte. Ich wusste sofort, dass er tot war.

»Schnell hinaus! Geh auf dein Zimmer!«, zischte ich Nancy Callager zu.

Sie gehorchte sofort.

Kaum war sie weg, da wurde es im Hotel lebendig. Die Schüsse hatten natürlich eine Menge Aufmerksamkeit erregt, obwohl in der wilden Treibherdenstadt Dodge City ziemlich viel geschossen wurde.

Ich saß immer noch in der Badewanne, deren Wasserspiegel sich langsam senkte, weil der Bursche ein Loch in den Bottich geschossen hatte.

Zu den Leuten, die vor meiner Tür erschienen, sagte ich freundlich: »Jemand soll die Tür zumachen. Es könnte eine Lady kommen, wenn ich aus der Wanne steige. Und wenn ihr wissen wollt, was geschehen ist, so lasst euch sagen, dass ich diesen Hombre nicht kenne. Seht in seinem Colt nach. Er hat dreimal geschossen – ich nur einmal.«

Sie kannten mich fast alle, und sie waren alle mehr oder weniger Fachleute. Ein Mann, der einen anderen in der Badewanne überfällt, dreimal zum Schuss kommt und nicht trifft, so ein Mann war ihrer Meinung nach selbst an seinem Unglück schuld.

Sie machten die Tür von außen zu.

Ich trocknete mich ab und zog mich an. Das Wasser lief nicht mehr aus der Wanne, weil der Durchschuss ziemlich weit oben war. Aber natürlich stand das Zimmer unter Wasser.

Als ich es verließ, kam der Hausneger herein. Draußen hatte man den Toten schon fortgeschafft. Aber einer der Town Deputy Marshals war da. Er kannte mich und wartete auf meine Erklärung.

»Ich kenne ihn nicht, Jesse«, sagte ich. »Er stieß die Tür auf und schoss sofort. Wenn er mich nicht mit einem anderen Mann verwechselt hat, dann wollte er vielleicht für einen Freund eine alte Rechnung begleichen. Ein Mann wie ich, der mit rauen Jungs Rinder treibt, macht sich nicht nur Freunde.«

Deshalb sagte er: »Ich mache ein Protokoll. Die Leichenschau findet in einer Stunde wie üblich statt. Komm pünktlich. Du musst deine Aussage unterschreiben. Ich habe schon einige Zeugen gehört. Es ist ziemlich gemein, auf einen friedlich in der Badewanne sitzenden Mann zu schießen.«

Er nickte mir zu und ging.

Ja, so war es damals in Dodge City.

Ich überlegte, in welchem Zimmer Nancy wohnen könnte.

Da sah ich auch schon am Ende des Ganges eine Tür aufgehen. Nancy trat aus dem Zimmer, und ich ging schnell zu ihr hin.

Es war ja noch eine Menge zu klären.

Als ich die Tür hinter mir schloss und mich von innen dagegen lehnte, stand sie am Fenster. Sie drehte mir den Rücken zu und blickte auf die staubige Straße hinunter.

Nach einer Weile wandte sie sich mir zu.

»Es war ein Mann aus El Toro«, sagte sie. »Ich sah ihn schon in El Toro. Er muss mir gefolgt sein. Doch er benutzte keine der Kutschen, mit denen ich fuhr.«

Ich nickte. »Das brauchte er auch nicht. Zwischen El Toro und Dodge City wirst du doch wohl einige Male Rast gemacht haben, um in einem Hotelbett zu schlafen – oder?«

Sie nickte. »In Santa Fe und später, als wir den Oregon Trail am Cimarron erreichten«, sagte sie. »Da konnte ich nicht mehr und musste für eine Nacht in einem kleinen Gasthaus bleiben. Ich glaube, dass ich zwei oder drei nachfolgende Kutschen vorbeiließ.«

Ich nickte und ging zu ihr ans Fenster. Ich stellte mich neben sie und blickte auf die Straße.

»Es scheint«, sagte ich, »sie wissen ganz genau, dass ihr Gefangener nicht der richtige McClusky ist, sondern dass es sich bei ihm um Bill Radigan handelt. Vielleicht haben sie auch irgendwo herausgefunden, dass er mein Bruder ist. Der Kerl, der dich beschattete, wollte mich töten, um zu verhindern, dass ich mich um meinen Bruder kümmere. Dort in El Toro stinkt etwas. Mir ist, als könnte ich es bis hierher riechen. Ich werde Bill herausholen! Irgendwie schaffe ich es. Es ist gut, dass du mich gefunden hast, Nancy.«

Sie sah mich an. Sie musste zu mir aufblicken, denn ich maß mehr als sechs Fuß. Sie aber war nur mittelgroß.

Mit meinem Bruder Bill hatte ich nicht die geringste Ähnlichkeit. Bill war mittelgroß, blond und blauäugig, ein Bursche, der blitzend lachte und verwegen wirkte.

Ich war größer als Bill, dunkel wie ein Comanche und trug einen schwarzen Texanerbart, der mir wie eine doppelte Sichel über die Mundwinkel hing. Ich war hager und wirkte etwas knochig. In meinem Gesicht gab es dunkle Linien und Narben. Meine Augen waren von rauchgrauer Farbe.

Niemand würde Bill und mich für Brüder halten.

Deshalb konnte ich es wohl wagen, unter einem anderen Namen nach El Toro zu gehen.

Nancy sah mich immer noch an.

Sie gefiel mir. Ich fragte mich, wie mein Bruder Bill wohl an sie gekommen sein mochte.

Obwohl sie erschöpft war, konnte sie dennoch die Gedanken eines Mannes lesen, wenn sie ihm in die Augen sah.

Sie sagte plötzlich: »Machen wir uns nichts vor, Amos, gleich von Anfang an. Ich war zuletzt mit einer schlechten Schauspielertruppe unterwegs, die in Nogales gastierte und dann auseinanderbrach. Ich arbeitete ein paar Tage in einem Saloon. Etwas anderes fand ich nicht. Ich war froh, dass Bill sich in mich verliebte und mich dort herausholte. Vielleicht habe ich Bill nicht so geliebt, wie eine Frau einen Mann lieben sollte. Vielleicht kam es mir am Anfang nur darauf an, nicht länger in einem Saloon arbeiten zu müssen. Doch ich mochte Bill von Tag zu Tag mehr. Er war gut zu mir. Ich halte jetzt zu ihm bis in die Hölle und zurück. Ich werde wieder nach El Toro gehen. Vielleicht kann ich dir helfen.«

Ich lächelte bitter und fragte: »Wie?«

»Das wird sich finden«, erwiderte sie. »Ich bin vielleicht keine gute Schauspielerin auf einer Bühne. Doch ich kann mich schon ziemlich verändern. Ich werde mir die Haare färben und die Frisur anders machen. Ich werde meine Stimme tiefer klingen lassen und einen völlig anderen Typ darstellen. Ich glaube nicht, dass man mich in El Toro erkennen wird.«

Ich grinste und nickte.

»Sicher«, sagte ich. »Wir fahren nach El Toro. Aber erst musst du dich ausschlafen. Sonst hältst du die Rückfahrt nicht aus.«

Ich streichelte über ihre Wange, wandte mich um und ging.

An der Tür blickte ich noch einmal zurück.

Sie hatte sich noch nicht bewegt. Ihre grünen Augen waren merkwürdig groß und staunend.

Ich ging, um erst einmal das Protokoll beim Marshal zu unterschreiben.

Die nächste Stunde verbrachte ich damit, mich auszurüsten und mich um mein Pferd zu kümmern. Ich musste es verkaufen. Das fiel mir schwer.

Als es Nacht geworden war, stieg ich in die Postkutsche nach Santa Fe. Es war klar, dass ich Nancy nicht bei mir haben wollte.

Nun war ich an der Reihe. Sie konnte nichts mehr tun. Das glaubte ich.

Die Kutsche fuhr durch die Nacht nach Westen. Erst wenn wir das Cimarron Valley verlassen mussten, würde die Fahrt südlicher gehen.

Es war eine mächtig lange Reise nach El Toro, die auch einen zähen Burschen wie mich anstrengte.

Schon fast am Ziel – die Kutsche rollte bei hellem Mondlicht durch das staubige San Pedro Valley nach Süden – passierte etwas.

Wie die meisten anderen Passagiere in der neunsitzigen Abbottkutsche schlief ich und hatte mir den Hut tief übers Gesicht gezogen.

Ich erwachte erst, als die Kutsche umkippte und wir durcheinanderflogen. Die beiden weiblichen Fahrgäste schrien wie verrückt.

Die Kutsche war nach meiner Seite gekippt. Das bedeutete, dass ich meine beiden Banknachbarn auf mir liegen hatte.

Der dicke Handelsvertreter wog gewiss zweieinhalb Zentner. Über mir und diesem Dicken lag noch eine der beiden schreienden Frauen. Ich hatte keine Chance, freizukommen.

Draußen knallte es einige Male, und ein paar Reiter waren rings um die Kutsche. Ich hörte einen Mann aufbrüllen und dann mit einem Fluch verstummen, wahrscheinlich für immer.

Nach einer Weile holten sie uns heraus. Es waren sechs Mann.

Fünf waren zu sehen. Der sechste Mann lag mit einem Gewehr auf einem Felsen. Er überblickte alles und würde gewiss rücksichtslos schießen.

Es wäre dumm gewesen, jetzt noch etwas zu riskieren. Ich war kein hitzköpfiger Wild Bill mehr, der es nicht erwarten konnte, eine Kugel in den Bauch zu bekommen.

Deshalb blieb ich ruhig.

Aber ich hatte so meine Sorgen.

Da ich meinen letzten Gewinn – ich hatte fünf Prozent vom Verkaufspreis der Herde erhalten – noch nicht verjubeln konnte, befanden sich zweitausend Dollar in meinem Geldgürtel unter dem Hemd und dreihundertsiebenundfünfzig Dollar in meiner Brieftasche. Deshalb hatte ich einige Sorge.

Der Begleitmann lag tot am Boden, und der Fahrer war angeschossen worden. Den Fahrer hörten wir fluchend sagen: »Ihr habt heute Pech, Jungs! Der geplante Geldtransport wurde in letzter Minute umdisponiert. Die Kutsche hat nur einen mit Sandbeuteln gefüllten Geldkasten mit. Die Gelder für die Aurora-Mine sind schon längst mit einem gewöhnlichen Frachtwagen am Ziel. Es hat nicht geklappt, Jungs! Und eines Tages wird man euch aufhängen. Warum habt ihr Joe Skinner erschossen, ihr Schufte?«

»Weil er sonst geschossen hätte«, sagte einer der Banditen. »Dieser Narr hätte seine Schrotflinte wegwerfen sollen, dann würde er noch leben.«