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Er war nur ein Satteltramp. Dennoch machte die schöne Yester ihn zum Vormann ihrer Ranch, die nur eine starke Hand vor dem Untergang bewahren konnte ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Brazos
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Salvador Faba/Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9612-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Brazos
Wiley Cummings blickt vom Sattel aus auf die Inschrift des Grenzsteins und liest die Worte:
Westgrenze von Nebraska
Ostgrenze des Wyoming-Territoriums
»Nun gut«, sagt er. »Reiten wir ins Wyoming-Territorium. Mal sehen, ob die Kühe hier zwei Köpfe haben. Bottle, wir sind in Wyoming.«
Mit Bottle, was ja Flasche heißt, ist das gescheckte Pferd gemeint, auf dem Wiley Cummings sitzt. Es ist ein Pferd mit einem Senkrücken, einem Fassbauch und sieben Schwanzhaaren. Es ist ein Pferd, das ein richtiges Mienenspiel zuwege bringt, in dem man die verschiedensten Gemütsbewegungen erkennen kann. Diesmal drückt Bottles Mienenspiel deutlich aus, dass er die Sache völlig uninteressant findet.
»Los, ich will weiter, alte Flasche«, sagt Wiley grinsend. Und da setzt sich Bottle in einen wunderbar leichten Trab, den man ihm gar nicht zugetraut hätte.
Drei Meilen weiter kommt Wiley Cummings an einen kleinen Fluss, über den eine Brücke führt. Der Fluss strömt in der Tiefe zwischen zwei Steilufern.
Die Brücke ist also sicherlich weit und breit der einzige Übergang. Neben der Brücke, auf der anderen Seite, steht eine feste Blockhütte, zu der ein Schuppen, einige Corrals und ein großes Rad gehören. Das Rad dreht sich nach Art aller Wassermühlen im Fluss und treibt eine Pumpe an.
Bei der Hütte sind einige Sattelpferde. Und dann sieht Wiley Cummings es …
Die Männer, denen die Sattelpferde gehören, stehen beim Corral und sehen zu, wie ein rabenschwarzes Pferd einen brüllenden Reiter zum Himmel zu schleudern versucht. Es ist ein großer, klotziger und schwerer Mann. Vielleicht schafft es der wilde Hengst deshalb nicht, ihn bis zum Himmel zu schleudern. Der Mann fliegt jedoch in hohem Bogen durch den Corral und rollt sich sofort zur Seite und unter den Stangen hindurch ins Freie.
Der Mann erhebt sich langsam, keucht nach Luft und wischt sich ein kleines Rinnsal Blut von den Lippen. Es ist ein gewaltig wirkender Mann.
»Du lieber Himmel«, sagt er keuchend, »dieses schwarze Biest wird unseren Ruf ruinieren. Bald wird man auf zweihundert Meilen in der Runde über die Strickland-Mannschaft lachen, die einen Gaul im Corral hat, den kein Reiter der Mannschaft zu reiten vermag. Was für eine Schande ist das doch!«
Die drei anderen Männer starren auf das Tier, auf diesen herrlichen, prächtig wilden und rabenschwarzen Hengst.
Einer räuspert sich, spuckt in den Corral und sagt bitter: »Er wird die ganze Strickland-Mannschaft ruinieren, dieser Coleman. Ich habe mal gehört, dass der Teufel manchmal seine schlimmsten Söhne aus der Hölle jagt, weil sie ihm dort zu viel Unheil anrichten. Und ich glaube ganz fest daran, dass dieser schwarze Schuft dort solch ein Teufelssohn ist. Er hat sich in einen Wildhengst verwandelt, doch er versteht jedes Wort von uns und kann sogar Gedanken lesen.«
Die anderen Männer nicken zu diesen Worten. Sie sind mit dem Sprecher einer Meinung.
Dann hören sie den Hufschlag auf der Brücke, wenden sich um und sehen einen Reiter. Es ist Wiley Cummings, der vor der Schranke verhält, die wie ein Zollschlagbaum am Brückenende den Weg versperrt. Sie betrachten ihn auf eine Art, die schweigsam, mürrisch, ja sogar irgendwie unduldsam und grimmig ist.
Sie sehen einen etwas über mittelgroßen, prächtig gebauten, auf eine verwegene und männliche Art hübschen Cowboy, dessen Haar so rot ist, dass es sicherlich auf manche Menschen wie eine Herausforderung wirkt.
Sie sehen, dass dieser Rotkopf ziemlich abgerissen ist, nicht schmutzig und ungepflegt zwar, doch sehr abgerissen vom ständigen Reiten und dem Nächtigen unter freiem Himmel in einsamen Camps. Man sieht es ihm an, diesem Wiley Cummings.
Als ihn die vier Männer hinter der Schranke lange genug betrachtet haben, spricht einer grimmig: »Schon wieder einer von dieser Sorte!«
Der Mann aber, der vom Pferd geworfen wurde, tritt langsam an die Schranke. Die drei anderen Männer folgen ihm, halten sich jedoch ein oder zwei Schritte zurück.
»Was wollen Sie?«, fragt der Mann.
»Kann man auf dieser Straße nicht weiter?«, fragt Wiley Cummings sanft und friedlich.
Sie starren ihn wieder an, hart, grimmig und unfreundlich. Wiley begreift, dass er auf eine Weide gekommen ist, wo man Fremde nicht gern sieht, besonders abgerissene Satteltramps nicht.
Er hört den klotzigen Mann fragen: »Wohin, Cowboy? Wohin? Oder sind Sie gar kein Cowboy?«
Wiley Cummings grinst. Er zeigt wortlos seine Handrücken. Und dort erkennt man das Zeichen aller Männer, die das Lasso schwingen: Narben! Es sind Narben, die eine rutschende und reibende Lassoleine erzeugt, wenn sie heiß brennend über die Haut reibt, bis das Blut läuft.
Zugleich sind diese Narben auch eine Art Ausweis.
Denn wer diese Narben trägt, ist ein Spitzen-Cowboy oder zumindest ein Reiter, der eine solche Menge Lassotricks beherrscht, dass er das Lassoende nicht am Sattelhorn befestigt, sondern in der Hand hält.
Und schließlich beweisen diese Narben noch, dass ihr Besitzer nicht von der weiten Ebene, sondern aus dem Buschland kommt. Denn all die Buschlandreiter können ihr Lasso nicht am Sattelhorn befestigen. Stier, Büsche und Reiter würden ein schlimmes Durcheinander bilden, wenn das Lasso am Sattelhorn befestigt wäre und solch ein Stier mit der Leine mehrmals um einige Büsche raste.
Also, es ist klar, dass ein erfahrener Vormann nun ziemlich genau Bescheid weiß.
Auch dieser Vormann weiß es. Er wirft noch einen Blick auf den Sattel, auf die Chaps mit den dollargroßen Messing-Conchas, und er erinnert sich, wie der Fremde soeben gedehnt und fast singend sprach.
»Ein Tex vom Brazos, nicht wahr?«, fragt er.
Wiley Cummings nickt. »Ja, vom Brazos«, sagt er sanft.
»Wohin?«, fragt der Vormann.
Wieder lächelt Wiley Cummings auf seine blitzende Art. »Am liebsten wäre mir«, sagt er, »wenn ich irgendwo eine gut bezahlte Arbeit finden könnte, denn ich bin weit geritten und abgebrannt. Mein Pferd braucht neue Hufeisen und ich ein Paar neue Stiefel. Auch sonst könnte ich mal wieder eine Weile an einem Platz bleiben. Das ist ein schönes Land hier. Und wenn diese Straße hier endet, dann gibt es wohl stromauf oder stromab einen Übergang über den Fluss?«
»Zwanzig Meilen südlich ist der Hauptweg, der durch eine Furt führt«, sagt der Vormann. »Diese Brücke gehört der Strickland Ranch. Und wir lassen hier nur Leute herüber, die wir kennen.«
»Mein Name ist Cummings, Wiley Cummings!« Er grinst wieder auf seine blitzende Art, die schon fast eine Herausforderung ist, genauso wie sein rotes Haar, und fügt lässig hinzu: »Da ich mich vorgestellt habe, kennen wir uns nun. Und da ihr hier Leute durchlasst, die ihr kennt, steht ja meinem Weiterritt nichts im Weg. Gibt es dort im Westen eine Stadt?«
»Die County-Straße und die Furt sind weiter südlich«, sagt der Vormann. »Wir lassen hier keine Satteltramps durch.«
Damit will er sich abwenden, und seine Worte waren ein klares Verbot.
Doch bevor er sich richtig abwenden kann, sagt Wiley lässig: »Ein hübsches Pferdchen haben Sie dort im Corral, Mister. Hat es schon jemand reiten können?«
Nicht nur dem Vormann Cleveland Anderson, sondern auch den drei Cowboys steigt das Blut in den Kopf. Und sie werden dunkel unter ihrer gebräunten Haut. Aber sonst bleiben sie sehr beherrscht.
Nur einer sagt leise und gepresst: »Jetzt wird dieser Tex vom Brazos auch noch frech. Jetzt verhöhnt er uns auch noch!«
Sie starren Wiley böse an, bitter und mit einem Gefühl, als wären sie soeben furchtbar geschmäht worden.
Es ist schlimm für eine stolze Cowboy-Mannschaft, wenn sie einen Hengst im Corral hat, den niemand reiten kann. Es ist also verständlich, dass die vier Männer jenseits der Schranke einigen Ärger verspüren.
Aus diesem Grund ist es wohl erklärlich, wenn der Vormann Cleve Anderson nun grimmig sagt: »Freund, wenn Sie eine Minute auf diesem Biest bleiben können, ohne herunterzufliegen, dann können Sie über unsere Weide reiten und bekommen von mir einen Monatslohn – und zwar meinen Monatslohn als Vormann!«
»Das ist nobel«, erwidert Wiley Cummings und späht eine volle Minute scharf auf den schwarzen Hengst, der jetzt wieder ziemlich nervös und erregt im Corral herumtänzelt und einige Male laut und schmetternd ein trompetenähnliches Wiehern hören lässt.
»Na?«, fragt Cleve Anderson scharf und mit deutlichem Spott.
Und da entschließt sich Wiley.
»Es ist ein nobles Angebot«, sagt er. »Ich schäme mich fast, es anzunehmen. Da ich etwas dagegen setzen möchte, damit die ganze Sache einen Reiz bekommt, verspreche ich hiermit, dass ihr meine Hose bekommt, wenn ich keine Minute auf diesem Pferdchen bleiben kann. Und die Hose ist mein viertbestes Stück!«
Es bedarf keiner Frage, was die drei anderen »besten Stücke« dieses Texaners sind. Denn es ist für jeden Cowboy klar, dass es sich nur um Pferd, Sattel und Revolver handeln kann.
Wiley zieht seinen gescheckten Bottle einige Schritte zurück. Der Wallach gehorcht widerwillig. Er stand überhaupt die ganze Zeit da, als wäre er eingeschlafen und würde im nächsten Moment umfallen.
Die vier Männer jenseits der Schranke aber treten zur Seite. Einer will auf das überhängende Stück drücken, an dem ein Stein festgebunden ist.
Doch bevor er das tun kann und die Schranke sich hebt, erwacht der verschlafene und ziemlich jämmerlich aussehende Bottle. Er saust los. Er hat nur drei Sprünge Anlauf. Doch er schnellt wie eine Katze ab und springt leicht und geschmeidig hinüber.
Dann trabt er zu dem Tränketrog beim Corral, hält an, wartet, bis sein Reiter aus dem Sattel gerutscht ist, taucht sein Maul ins Wasser und prustet.
Dann scheint er einzuschlafen. Sein Kopf hängt fast bis zur Erde nieder.
Die vier Reiter der Strickland Ranch aber betrachten Wiley Cummings.
Sie sehen wortlos zu, wie Wiley seinen Revolver und den Hut ablegt. Nun leuchtet sein feuerrotes Haar so richtig herausfordernd. Der Hengst scheint das ebenfalls zu empfinden, denn er trompetet schmetternd. Es ist ein drohendes Gewieher, schrill und böse.
»Also, fangen wir an«, sagt der Cowboy vom Brazos zu ihnen.
Zwei Männer klettern wortlos auf ihre Pferde. Einer öffnet das Gatter und lässt sie in den Corral reiten. Wiley nimmt sein Lasso. Es ist ein Rohlederlasso.
Ein Rohlederlasso benutzen nur die erstklassigen Lassokünstler, die wirklich alle Tricks beherrschen, denn es hält sehr viel weniger aus als ein Seil. Man kann es nicht mithilfe roher Gewalt, sondern nur mit vielen Tricks anwenden. Es ist wunderbar geschmeidig, und ein richtiger Lassokünstler kann damit unwahrscheinlich genau und sicher arbeiten.
Wiley bückt sich zwischen zwei Corralstangen in den Corral hinein. Die beiden Reiter halten sich noch zurück.
Der Hengst kommt auf Wiley zu, dreht sich vor ihm und feuert mit der Hinterhand nach seinem Kopf. Als er ihn nicht trifft, weil Wiley leicht und geschmeidig ausweicht, will der Hengst einige Sprünge fort, um sich dann sicherlich herumzuwerfen und von vorne anzugreifen.
Doch er kommt nicht weit.
Die Rohlederschlinge folgt ihm, und sie ist klein und schnell. Sie folgt dem Hengst wie ein lebendiges Wesen, und als die galoppierende Hinterhand hoch genug ist, legt sich die Rohlederschlinge über einen Hinterhuf, und an der Leine fährt nun blitzschnell ein hufeisenförmiger Bogen entlang. Dicht vor dem zweiten Hinterhuf dreht sich diese Bogenschlinge, streift sich über den Huf, und dann erst zieht der Hengst die Hinterhand nach vorn, um sie neben den Vorderhufen zu einem neuen Sprung aufzusetzen.
Er fällt auf die Nase, da er die Hinterbeine nicht auseinander bekommt, um das Gleichgewicht zu halten.
Die vier zuschauenden Männer aber haben etwas gesehen, was bisher nur Legende war: einen Wurf aus dem Handgelenk nach einer galoppierenden Hinterhand. Als die erste Schlinge saß, folgte sofort eine zweite, drehte sich und setzte sich ebenfalls fest. Die kurze Zeitspanne, die zwischen dem Aufsetzen der Hinterhufe lag, genügte für den Lassowerfer.
Und der Hengst liegt ganz still und ruhig. Es ist, als läge er da und dächte nach. Dann hebt er den Kopf, wendet ihn und betrachtet Wiley Cummings.
»Alter Junge«, sagt dieser. »So etwas darfst du mit mir nicht machen. Komm schon! Steh auf! Lass es uns auf die gute alte Art versuchen!«
Seine Stimme ist ganz ruhig, fast freundlich und melodisch.
Der Hengst springt auf.
Die beiden Lassoschlingen fallen von seinen Hinterhufen, wie durch Zauberhand gelöst.
Doch als er herumwirbelt, hebt sich eine Schlinge vom Boden und legt sich hinter seinem Kopf um den Hals.
Da steht er still wie ein Denkmal. Er vibriert und zittert am ganzen Körper, doch er bewegt sich nicht.
Er ist ein Kämpfer. Er hat schon mit tausend Reitern gekämpft, und seine Flanken sind von Sporen zernarbt. Er kennt sich aus mit dem Lasso, besonders, wenn er die Schlinge so dicht unter dem Kopf am Hals spürt. Er weiß längst, dass er den Kürzeren ziehen würde, wollte er gegen das Lasso ankämpfen.
So wartet er auf seine Chance.
Er bekommt sie. Die beiden Reiter reiten rechts und links neben ihn und keilen ihn ein.
Cleveland Anderson kommt selbst in den Corral und nimmt das Lassoende. Der Hengst beobachtet das tückisch, und man sieht ihm an, dass er dies alles gut begreift.
»Die Steigbügel sind lang genug, denke ich«, sagt der Vormann, während er von Wiley das Lassoende übernimmt.
Wiley Cummings nickt. Er geht auf den Hengst zu, sitzt hinter einem der beiden Reiter auf und gleitet von diesem Platz aus auf Colemans Rücken. Coleman, so heißt dieser Hengst.
Als Wiley im Sattel sitzt und die Füße in den Steigbügeln hat, reiten die beiden Cowboys schnell weg.
Cleve Anderson schüttelt die Lassoleine, sodass sich die Schlinge lockert und der Hengst sie mit einer raschen Kopfbewegung abstreift. Der Vormann springt zurück und zieht das Lasso mit. Dabei brüllt er heiser und scharf: »Jetzt beginnt die Minute, Brazosmann!«
Der vierte Mann, der draußen steht, blickt auf eine große Nickeluhr und brüllt: »Die Zeit läuft! Die Zeit läuft!«
Wiley Cummings hört es noch, denn der Hengst steht noch zwei Atemzüge lang regungslos da und zittert nur wie unter einem Fieberschauer.
Aber dann – oh, alle vier zuschauenden Männer stoßen unwillkürlich Schreie aus und werden von einer starken Erregung erfasst. Und dann geht der Hengst aus dem Stand in die Höhe, als wollte er die Sonne herunterholen.
Als er wieder auf den Hufen landet, geschieht dies steifbeinig.
Es staucht den Reiter zusammen. Wileys Kinn knallt auf die Brust. Als sich der Hengst mit ihm auf der Hinterhand im Kreis dreht wie ein Zirkuspferd, das einen Walzer tanzt, da spürt Wiley das Blut auf seinen Lippen. Es läuft ihm aus der Nase, so schlimm wurde er zusammengestaucht.
Der Hengst wechselt nun auf die Vorderhand, und es sieht so aus, als wollte er sich nach vorn überschlagen. Wiley Cummings klammert sich wie eine Klette fest.
Dann fliegt Wiley Cummings im hohen Bogen durch die Luft, landet dicht bei der Corralumzäunung und rollt sich hinaus. Auch er entkommt ziemlich knapp den Hufen des Hengstes.
Als er sich aufrichtet, sagt der Mann mit der Uhr: »Genau siebenunddreißig Sekunden waren das! Das hat noch kein Mensch in diesem Land geschafft!«
Wiley ist noch sehr durcheinander. Als er steht, schwankt er und findet sein Gleichgewicht nicht sofort. Er hält sich an einem Corralpfosten fest und blickt in den Corral.
Und da sieht er, warum er nicht länger im Sattel bleiben konnte, sondern im hohen Bogen abgeworfen wurde. Nun sieht er es genau.
Denn dort am Boden liegt der Sattel. Beide Gurte des Zureitesattels rissen aus ihren Nähten. Und wenn ein Sattel nicht auf einem Pferderücken bleibt, muss auch der beste Reiter mit herunter.
So geschah es mit Wiley.
Er sieht, erkennt und begreift es. Dann wendet er sich langsam um und sieht die vier Männer an. Er fragt sich, wie fair sie sein werden. Sie betrachten ihn seltsam.
»Brazos«, sagt der Vormann dann, »Brazos, du kannst deine Hose behalten. Und ich behalte mein Geld. Der Sattel ist schuld daran, dass es keinen Gewinner und keinen Verlierer gibt. Doch wenn ich ehrlich sein will, dann muss ich zugeben, dass ich halb schon davon überzeugt war, dich als Gewinner …«
Er unterbricht sich. Denn von Westen her ertönt der Hufschlag eines sehr schnell gerittenen Pferdes. Bald darauf kommt der Reiter über eine Bodenwelle. Es ist ein junger Cowboy.
Er hält bei den Männern sein schäumendes Pferd an und sagt heiser und atemlos: »Die Britt-Mannschaft hat Linc Ketshum in der vergangenen Nacht beim Rinderstehlen erwischt. Sie haben ihn lebendig in die Stadt gebracht, weil Tage Britt das so wollte. Sie bilden nun eine Jury, und der Richter hält Gericht. Miss Strickland meint, dass du es wissen müsstest, Cleve.«
»Sicher, das muss ich wissen«, spricht der klotzige Vormann langsam und schwer. »Sicher, Kid!«
Er wendet sich an Wiley. »Ich stelle dich ein, Brazos! Als Zureiter! Wenn du diesen Hengst zahm bekommst, erhältst du eine Prämie. Sonst erhältst du den üblichen Zureitelohn, also fünfundzwanzig Prozent zum Cowboylohn. Ist das richtig so?«
»Wenn ich einen Vorschuss bekomme, ja«, sagt Wiley Cummings.
»Komm mit mir in die Stadt«, erwidert Cleve Anderson. »Dort hast du als Reiter der Strickland Ranch überall Kredit.«
Er geht zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet davon. Wiley Cummings folgt ihm, nachdem er seinen Revolver wieder einsteckte und den alten Hut aufsetzte. Er betrachtet den Hut einige Sekunden und murmelt: »Auch einen neuen Hut müsste ich haben. Was bin ich abgerissen!«
Die vier Männer blicken den beiden Reitern nach.
Und der hinzugekommene junge Cowboy fragt: »Wer ist das?«
Sie geben ihm nicht sogleich Antwort. Sie überlegen noch, und sie ziehen alle Erkenntnisse und Eindrücke erst zu einer Summe zusammen.
Dann sagt der kleine, krummbeinige und zähe Tab Kilborne: »Das – nun – oh, Kid, das war ein Gentleman vom Brazos. Ich glaube, er hätte unseren Coleman klein bekommen und zurechtgestutzt, wenn dieser verteufelte Sattelgurt nicht gerissen wäre.«
☆
Inzwischen reiten der Vormann und der neue Cowboy der Strickland Ranch nach Nordwesten über das Land.
»Dies alles ist Strickland-Weide«, sagt Cleve Anderson auf einem Hügelkamm. Er späht ständig scharf in die Runde.
»Es gibt ziemlich viele Viehdiebe hier«, fährt er nach einer Weile fort. »Die Rancher sind fast alle schon ruiniert. Übrigens, ich habe meinen Namen noch nicht genannt, Wiley. Ich bin Cleve Anderson. Und die Strickland Ranch …«
»Ich werde ja nur einen oder zwei Monate bleiben«, sagt Wiley. »Ich werde euren Hengst zähmen und einige andere Wildpferde einbrechen. Ich werde für guten Lohn gute Arbeit leisten. Doch sonst interessiert mich gar nichts. Mir ist es gleich, wie groß die Strickland Ranch ist. Es ist mir auch gleich, was in diesem Land geschieht. Ich reite hier nur durch und mache eine kleine Pause, um etwas Reisegeld zu verdienen.«