G. F. Unger 2078 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2078 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Damals in Kansas, als die Kiowas den Wagenzug klein machten, war ich gerade vierzehn. Doch ich galt schon fast als ein Mann. Das lag wahrscheinlich am Einfluss meines Vaters und meiner älteren Brüder und an unserem harten Leben in den Bergen von Tennessee.
Dennoch war auch meine Schulbildung nicht zu kurz gekommen. Dies hatte ich meiner Mom zu verdanken. Sie war Lehrerin gewesen, bevor sie Dad kennenlernte und ihm in die Einsamkeit folgte.
Doch damals in Kansas, da starben sie alle. Denn die Kiowas vernichteten den ganzen Wagenzug.
Warum ich am Leben blieb?
Nun, das war nur ein Zufall. Denn an jenem Morgen war ich schon früh aus dem Wagencamp geschlichen. Ich war an der Reihe gewesen, Frischfleisch zu besorgen.
Und dieser Tatsache verdankte ich mein Leben ...


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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Mein bitterster Kampf

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0093-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Mein bitterster Kampf

Damals in Kansas, als die Kiowas den Wagenzug klein machten, war ich gerade vierzehn. Doch ich galt schon fast als ein Mann. Das lag wahrscheinlich am Einfluss meines Vaters und meiner älteren Brüder und an unserem harten Leben in den Bergen von Tennessee.

Dennoch war auch meine Schulbildung nicht zu kurz gekommen. Dies hatte ich meiner Mom zu verdanken. Sie war Lehrerin gewesen, bevor sie Dad kennenlernte und ihm in die Einsamkeit folgte.

Doch damals in Kansas, da starben sie alle. Denn die Kiowas vernichteten den ganzen Wagenzug.

Warum ich am Leben blieb?

Nun, das war nur ein Zufall. Denn an jenem Morgen war ich schon früh aus dem Wagencamp geschlichen. Ich war an der Reihe gewesen, Frischfleisch zu besorgen.

Und dieser Tatsache verdankte ich mein Leben …

Übrigens, mein Name ist Mahoun, Jesse Mahoun.

Wir Mahouns waren alle erstklassige Jäger. Das lag uns gewissermaßen im Blut.

Ich wusste genau, wo an jenem Creek das Wild zur Tränke kam. Die Stelle lag weiter als eine halbe Meile vom Wagenzug entfernt. Ich machte mich zu Fuß auf den Weg, denn ich musste leise sein. Vielleicht brauchte ich dann auch gar nicht mal so weit zu schleichen. Noch war es im großen Camp ziemlich ruhig. Der Lärm würde jedoch bald meilenweit zu hören sein, sobald es nur ein wenig heller geworden war.

Ich dachte noch: Hoffentlich erwacht das Camp nicht in den nächsten zehn Minuten und verjagt das Wild in der Umgebung.

Da brach auch schon der Lärm los. Es klang, als bräche die Hölle auf und spuckte tausend brüllende Teufel aus.

Oh, ich wusste sofort Bescheid. Wir hatten natürlich schon in Kansas City, das damals noch Westport hieß, von den Kiowas gehört. Denn sie versuchten immer wieder, Wagenzüge auf dem Weg nach Santa Fe, sogar Trecks mit zweihundert Wagen, die Kanonen mitführten, zu vernichten.

Unser Wagenzug hatte siebenundfünfzig Wagen, war also relativ klein. Und auch wir hatten eine Kanone dabei. Würde sie zum Schuss kommen?

Ich war einen Moment erstarrt. In mir war Entsetzen, Furcht, Panik – aber das alles nur im ersten Moment. Das gellende Kriegsgeschrei der Kiowas, so wild und markerschütternd es war, lähmte mich.

Ich bezwang die Furcht jedoch schnell.

Und so machte ich mich auf den Rückweg. Denn natürlich wollte ich zu meiner Familie ins Camp zurück, um an der Seite von Dad und den Brüdern für Mom zu kämpfen.

Ich hielt mich dicht am Creek, wo Büsche, hohes Büffelgras und einige Bäume Schutz boten.

Und dann sah ich es.

Etwa vierhundert Kiowas hatten das Camp überfallen. Sie umkreisten nicht etwa wie Blödmänner das Wagencamp, um sich als bewegliche Zielscheiben zu präsentieren. Nein, sie griffen von allen Seiten frontal an. Und wahrscheinlich waren sie schon im Morgengrauen dicht genug herangepirscht, bevor man bei den Wagen Alarm geben konnten.

Als ich das Camp in Sicht bekam, fand dort schon ein schreckliches Gemetzel statt. Ich hörte das gellende Geschrei der Indianer, das schrille Gewimmer der Frauen und Kinder, das Brüllen der Männer. Und es krachten fortwährend Schüsse aus Gewehren, Revolvern, Flinten.

Und ich?

Nun, ich war kein Narr.

Ich hätte etwa zweihundert Yards weit über deckungslose Prärie laufen müssen. Und überall schwärmten Indianer herum. Sie waren ja nicht nur innerhalb der Wagenburg.

Die Kiowas hätten mich erledigt.

Natürlich hätte auch ich einige von ihnen auf den Trail ohne Wiederkehr geschickt, trug ich doch einen guten siebenschüssigen Spencer-Karabiner bei mir. Es war das neueste Modell und gehörte meinem Vater.

Ich war sicher, dass er ihn jetzt nicht brauchte. Denn im Nahkampf war ein Colt besser, und damit konnte mein Vater die Hölle loslassen. Meine Brüder übrigens auch. Oha, sie kämpften dort gewiss gewaltig.

Einige Male wollte ich brüllend loslaufen. Denn wenn meine Familie dort drüben starb – wie konnte ich da noch weiterleben wollen? War es nicht meine Pflicht, mit Eltern und Brüdern in den Tod zu gehen?

Oh, es waren damals für einen Jungen wie mich schreckliche Minuten. Ich brüllte, weinte, schluchzte.

Und dennoch hielt mich ein letzter Rest von Verstand und Selbsterhaltungstrieb davon ab, mich aus der Deckung hervorzuwagen.

Wahrscheinlich hätten sie mich als letzten Weißen getötet. Denn bis ich drüben sein konnte, wäre alles vorbei gewesen. Nur ein paar Frauen, die vergewaltigt wurden, wimmerten noch.

Ich blieb also in Deckung.

Nein, es war keine Feigheit. Gewiss nicht. Denn wem hätte mein Opfer genützt?

Endlich hörte ich auf zu weinen, bekam wieder klare Augen. Ich brüllte auch nicht mehr.

Auch drüben wurde es stiller.

Als ich mich einmal umsah, erblickte ich einen Krieger, der zu Fuß hinter mir angeschlichen kam und schon sein Messer in der Faust hielt.

Ich rollte mich auf den Rücken, brachte den schon durchgeladenen Spencer-Karabiner mit der Mündung ins Ziel und drückte ab.

Die Kugel hielt den Indianer auf. Er brach in die Knie, zeigte mir sein verzerrtes Gesicht und ließ das Messer fallen. Er presste beide Hände gegen die Wunde in der Brust und starb.

Ich aber beeilte mich, glitt auf Händen und Knien durch die Büsche, erreichte den oberen Rand des hier noch tief eingefressenen Creekbettes und rutschte hinunter zum Wasser. Es waren etwa drei Yards. Unten waren wieder dichte Büsche. Ich glitt weiter und fand eine vom Hochwasser ausgewaschene Höhlung.

Und hier wartete ich erst einmal keuchend.

Ich hatte einen Indianer getötet.

Doch wieso war er plötzlich hinter mir gewesen?

Ich fand schnell die Erklärung. Bestimmt hatte er meine Spur im taufeuchten Büffelgras entdeckt und war ihr gefolgt. Dann hatte er mich an sich vorbeigelassen, als ich umkehrte und wieder zum Camp lief. Er wollte mich einkeilen zwischen sich und seinen roten Vettern.

Ich vergaß den Krieger für eine Weile.

Denn ich lauschte auf den abklingenden Lärm des Kampfes. Ich dachte dabei an meine Familie – besonders an Mom.

Plötzlich füllten wieder Tränen meine Augen.

Und ich schwor, jeden Indianer umzubringen, der mir künftig über den Weg lief – jeden!

Ja, nur der Hass half mir über diese Stunde hinweg.

Es wurde still. Nur manchmal hörte ich die Indianer über mir.

Sie plünderten den erbeuteten Wagenzug. Dann brannten sie alles nieder. Manchmal schwärmten sie aus. Dort, wo gegenüber dem nun brennenden Camp die Furt lag, wurde der Creek immer wieder verunreinigt. Allerlei Zeug trieb an, kam an mir vorbeigeschwommen. Nein, Tote trieben nicht im Creek. Er war um diese Jahreszeit nach der langen Trockenperiode nicht tief genug.

Ich wartete verbissen. Die Stunden erschienen mir endlos. Und die ganze Zeit dachte ich an meine Familie. Mom, Dad, die Brüder …

Doch sie waren alle tot. Das war sicher.

Der Schock packte mich erst jetzt, während ich in meinem Versteck hockte.

Manchmal wollte ich aufspringen, hochklettern und die Indianer angreifen.

Doch ich tat es nicht.

Die Stunden vergingen. Es wurde still.

Und der Wind trieb den Rauch des brennenden Wagenzuges an das Creekbett hinunter nach Süden. Manchmal stank der Rauch süßlich. Denn es verbrannten auch Menschen.

Und die ganze Zeit rührte ich mich nicht, dachte nur an meine Lieben und weinte um sie.

Als es dunkelte, stand ich vor den Überresten meines Wagens. Von meinen Angehörigen fand ich nur noch, was das Feuer übrig gelassen hatte. Denn die Indianer hatten viele Leichname in die brennenden Wagen geworfen.

Wir hatten einen großen Conestoga-Schoner mit Anhänger besessen, der von acht Maultieren gezogen wurde. Im Wagen war viel Hausrat. Und alles hatte wie ein Scheiterhaufen gebrannt.

Ich weinte still.

Dann hörte ich ein Pferd kommen.

Ich wandte mich um. Denn ein Pferd brauchte ich dringend, wollte ich überleben. Ein Pferd! Vielleicht war eines der vielen Tiere des Wagenzugs zum Camp an der Creekfurt zurückgetrabt.

Doch als ich mich umsah und das Pferd im Mond- und Sternenlicht erkennen konnte, sah ich, dass es einen Reiter trug. Ein Mann kam angeritten.

Ich hielt mein Gewehr schussbereit im Hüftanschlag. Oh, ich konnte recht gut in dieser Haltung mit einem Gewehr schießen. Dazu gehörte ein ganz besonderes Gefühl, weil sich ja das Ziel nicht über Kimme und Korn anvisieren ließ. Es war da gefühlsmäßig der Winkel zwischen Augen und Mündung zu berücksichtigen.

Nun, ich beherrschte diesen Anschlag. Und so fürchtete ich mich nicht vor einem Reiter, mochte kommen, wer wollte.

Es war ein weißer Mann.

Er kam näher, hielt an und sagte: »Ich sah den ganzen Tag schon den Rauch. Hast du zu diesem Wagenzug gehört?«

»Yes, Sir«, erwiderte ich knapp.

Meine Stimme war noch die eines Jungen im Stimmbruch. Und der Reiter murmelte: »Oh, du heiliger Rauch – das ist ja noch ein Junge.«

Er kam noch näher, um mich besser betrachten zu können. Und erst jetzt sah ich, dass er nicht allein auf dem Pferd saß. Er hatte noch jemanden hinter sich. Es war eine kleine Person, kaum halb so groß wie er – ein Mädchen. Das helle Haar schimmerte im Mondlicht.

Ich sah in zwei große Augen.

»Das ist Caroline, Junge«, erklärte der Mann. »Und ich bin Tabhunter Starr.«

»Mein Name ist Jesse, Jesse Mahoun«, erwiderte ich und sah immer noch auf das Mädchen, dessen große Augen schwarz sein mussten.

»Heb sie runter, Jesse«, sagte Tabhunter Starr. »Sie ist müde.«

Ich trat an das Pferd und streckte meine Arme aus, nachdem ich das Gewehr auf den Boden gelegt hatte.

»Na, komm, Großauge«, sagte ich. »Ich heb dich aus dem Sattel.«

In meiner Stimme lag Wärme. Darüber wunderte ich mich. Doch ich spürte instinktiv, dass diese Kleine Zuneigung brauchte.

Ich war ja schon fast ein Mann – und dennoch war ich froh, Menschen getroffen zu haben. Die Stimme des Mannes gefiel mir. Sie klang lässig und ruhig, aber auch ernst und bitter. Das Mädchen beugte sich zur Seite. Ich hob sie vom Pferd und spürte dann ihre Arme, die sie um meinen Nacken schlang, um sich festzuhalten.

Als sie dann vor mir stand, sagte sie: »Danke.« Nun erkannte ich, dass sie etwa zehn Jahre alt sein musste.

»Auch sie ist von einem vernichteten Wagenzug – so wie du«, erläuterte Tabhunter Starr und saß ebenfalls ab. »Ich fand sie gestern.«

Er war ein großer, hagerer Bursche. Im Sternenlicht leuchteten seine Augen grünlich. Sie standen leicht schräg. Er trug einen wohl sandfarbenen Sichelbart. Als er sich bewegte, musste ich unwillkürlich an einen Wolf denken, denn seine Bewegungen waren geschmeidig. Bestimmt konnte er unwahrscheinlich schnell reagieren. Ich kannte diese Sorte Männer. Mein Vater, meine Brüder und ich gehörten dazu.

»Warum lebst du noch, Jesse?« Er fragte ganz sachlich.

Ich erklärte es ihm, berichtete auch von dem Indianer, den ich töten musste.

Er nickte und sah mich noch einmal an.

»Wie alt bist du?«

»Vierzehn, Sir.«

Er nickte wieder. »Aus dir wird noch was«, sagte er. »Du hast alles richtig gemacht, um am Leben zu bleiben. Nicht viele hätten so gehandelt. Bist du gut zu Fuß, mein Junge?«

Ich nickte nur.

»Ihr könnt euch eine Stunde ausruhen«, sagte er. »Dann geht es weiter. War das hier euer Wagen, Junge?«

Ich nickte erneut.

»Vielleicht hattet ihr in eurem Wagen ein Geheimversteck«, murmelte er.

»Ja«, bestätigte ich. »Und ich will meine Angehörigen beerdigen – auch wenn das noch zehn Stunden dauern sollte.«

Er sah mich an. Dann nickte er.

»Such erst nach den Wertsachen. Vielleicht hat das Feuer manches verschont. Du wirst es brauchen, Junge.«

Es war schon zwei Stunden nach Mitternacht, als wir uns endlich auf den Weg machten. Vier Stunden hatten wir damit verbracht, meine Angehörigen zu bestatten.

In den Ascheresten des Wagens – dort ungefähr, wo im Wagenboden das Geheimfach für Wertsachen war – fand ich die kleine Metallbüchse.

Es waren zweihundert Dollar darin, also zehn goldene Zwanzigdollarstücke, dazu die beiden Ringe und die Ohrringe meiner Mom, die goldene Uhr meines Vaters und eine Spange mit einem roten Rubin, die unsere Großmutter noch aus Europa mitgebracht hatte.

Ich trabte vor dem Pferd her, auf dem Tabhunter Starr und Caroline ritten. Sie hieß Caroline Bancroft, wie ich nun wusste.

Ich lief leicht und locker wie ein Bergwolf.

Nach einigen Meilen durfte ich auf das Pferd, und dann lief Tabhunter Starr vor uns her. Oha, er lief nicht anders als ich, obwohl er bei aller Hagerkeit wenigstens hundertsechzig Pfund wiegen musste, gut zwanzig mehr als ich.

Ich kannte mich aus. Und ich staunte über diesen Mann. Den Waffengurt mit dem schweren Colt hatte er um den Hals hängen, die Waffe griffbereit vor der Brust.

Und so lief er bis Tagesanbruch.

Dann suchten wir uns ein Versteck.

Wir waren zwar jetzt abseits des Wagenwegs nach Santa Fe. Dennoch mussten wir mit streifenden Kiowas rechnen. Die Berge in der Ferne würden wir erst in zwei oder drei Tagen erreichen.

Caroline saß diese Meilen, die Tabhunter Starr vor uns hertrottete, hinter mir. Sie hielt sich an meinem Rücken fest. Manchmal legte sie ihren Kopf gegen meinen Rücken.

»Wein dich ruhig aus«, sagte ich einmal über die Schulter. »Weinen tut gut in der Not. Auch ich habe geweint. Es lindert den Schmerz.«

Und sie weinte.

Erst nach langer Zeit sagte sie: »Ja, es tut gut. Jetzt geht es mir besser. Du bist wohl sehr erfahren, Jesse?«

»Es geht«, erwiderte ich. Doch ich kam mir wirklich uralt vor.

Ihre Nähe tat mir irgendwie gut. Sie war ein Mensch, der Hilfe brauchte. Und so war ich nicht allein mit mir und meinen Gedanken. Sie hatte ein ähnliches Schicksal wie ich, und sie war ein kleines Mädchen. Oh, wie viel besser war ich dran.

Wenn ich daran dachte, dass ich den Indianer getötet hatte, erschauderte ich innerlich.

Gestern noch hatte ich mir vorgenommen, tausend Indianer zu töten. Doch dieser eine hatte mir eigentlich genügt.

Das Töten war im Augenblick der Gefahr ein Reflex, getragen vom Willen zu überleben. Doch hinterher wurde es schlimm, wenn die Gedanken einen einholten und peinigten. Nein, ich würde nicht aus Rache töten – nie!

Als ich am frühen Nachmittag von Tabhunter Starr geweckt wurde, weil er ja auch ein paar Stunden schlafen musste, da sagte er: »In der Ferne ist wieder Rauch. Halte die Augen offen, Jesse. Ich weiß, dass wir uns auf dich verlassen können.«

Da saß ich nun und versuchte mir darüber klar zu werden, was für ein Mann dieser Tabhunter Starr war.

Später kam dann Caroline zu mir.

Wir saßen auf einigen Kreidefelsen, die mit etwas Gras, kleinen Büschen und Gestrüpp bewachsen waren. Man konnte von einem zum anderen springen.

»Hast du irgendwo Verwandte, Großauge?«

Sie blickte mich ernst an.

»Warum nennst du mich so? Ich heiße Caroline.«

»Das ist ein schöner Name«, gab ich zurück. »Aber Großauge passt zu dir. Du scheinst immer zu staunen. Ich will dich nicht kränken. Ich hätte auch meine Schwester so genannt, wenn sie mich so anschaute, verstehst du? Du bist ein tapferes Mädchen.«

Sie sagte eine Weile nichts, saß nur mit gesenktem Kopf neben mir.

»Nein, ich habe keine Verwandten. Ich bin allein.«

Nun tat sie mir doppelt leid.

»Tabhunter Starr wird uns bestimmt nicht bei sich behalten«, fuhr sie fort. »Der gibt uns in der nächsten Stadt einfach ab. Und wenn es eine schlechte Stadt ist …«

Sie sprach nicht weiter. Ihre Vorstellungskraft reichte wohl nicht aus, sie schildern zu lassen, was dann mit uns geschehen musste.

Trotz regte sich in mir.

»Mich kann er nicht bei fremden Leuten abgeben«, sagte ich. »Mich nicht. Denn ich bin alt genug, meinen eigenen Weg zu gehen. Und du wirst gewiss Glück haben, Großauge. Jede Pechsträhne hat mal ein Ende.«

Dann schwiegen wir eine Weile, beobachteten das Land in weiter Runde und bewachten Tabhunter Starrs Schlaf.

Was für ein Mann mochte er sein?

Wir wussten es nicht. Er ritt in einem Cowboysattel und trug einen schweren Colt, der gewiss eine überdurchschnittliche Waffe war. So viel verstand ich von Waffen. Starrs Waffe war von einem Meister gefertigt.

Er war gewiss kein Rindermann.

Was für ein Mann aber war er dann?

Nein, wir wussten es an jenem Tag nicht – noch nicht.

Doch das sollte sich ändern.

Ich hatte plötzlich den Wunsch, Caroline zu trösten. Ich spürte, dass sie etwas brauchte, was ihr Hoffnung machte. Und so sagte ich nach einer Weile: »Wenn er dich zu Leuten gibt – oder wenn es die Stadt tun sollte, in die er uns bringt –‍, die nicht gut zu dir sind, dann hol ich dich dort weg und nehme dich mit. Gut so, Großauge?«

Sie sah mich aufmerksam an.

»Ja«, sagte sie, »das wirst du tun.«

Gegen Abend erwachte Tabhunter Starr. Er war sofort voll da, rieb sich nicht etwa erst noch die Augen oder gähnte. Nein, er war gleich putzmunter und spähte mit einem langen Blick auf unserer Fährte zurück nach Osten.

Plötzlich ahnte ich irgendwie, dass er sich nicht nur wegen der Indianer Sorgen machte. Nein, er war vielleicht ein Mann, der Schatten auf der Fährte hatte, also Verfolger, die hinter ihm her waren aus irgendwelchen Gründen.

Doch er sah niemanden im allerletzten Licht des Tages.

Wir aßen von Tab Starrs kaltem Proviant. Er hatte nicht mehr viel davon. Und Wild zu schießen war gewiss gefährlich. Hier auf der Kansasprärie hallte ein Schuss meilenweit.

Als es dunkel war, brachen wir auf. Wieder trabte ich zuerst Meile um Meile vor dem Pferd. Doch jede Stunde löste Tab mich ab. Und er lief nicht langsamer oder mühsamer als ich. Ich schätzte ihn auf etwa dreißig Jahre.

Ich bemerkte, dass er mich zunehmend beeindruckte.

Nun, es geschah nichts mehr unterwegs, bis wir endlich nach drei Tagen und Nächten eine kleine Stadt am Canadian River erreichten.

Im Norden war Colorado. Irgendwo vor uns – in Luftlinie gewiss noch weiter als hundert Meilen – lagen Santa Fe und Taos. Und irgendwo zu unserer Rechten baute die Armee eine Befestigung, die Fort Union heißen würde.

Der Canadian beschrieb in dieser Stadt einen scharfen Knick.

Sie hieß vielleicht deshalb River Bend.

Es war eine kleine Ansiedlung am Santa Fe Trail, auf den wir schließlich wieder gestoßen waren. Und als wir sie in Sicht bekamen, ging im Westen die Sonne unter.

Tab Starr war das letzte Stück gelaufen. Er schnaufte ein wenig.

Lange sah er auf die Stadt, so als versuchte er, sie abzuschätzen. Ein Wagenzug hatte neben der Stadt sein Camp aufgeschlagen. Am Flussufer lagen Boote und einige Lastkähne. Auf der anderen Seite sahen wir eine kleine Rinderherde und das Camp der Treibmannschaft.

Alles bot einen friedlichen Anblick.