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Als die Expresspost in Mesa eintrifft, erkennt der Sheriff schon an den drei Vorreitern, dass in der Kutsche Geld transportiert wird. Und die beiden Männer in der Kutsche sind dann auch keine Fahrgäste, sondern bewaffnete Begleiter. Das ist immer so bei Geldtransporten.
Der Sheriff von Mesa tritt aus dem Schattenbereich des Hauses in den Lichtschein der Laterne. Er betrachtet den Sheriff aus Jubal, der sich von seinem erschöpften Pferd schwingt.
»Du bist an der Reihe, Ben«, sagt der Sheriff aus Jubal zu seinem Kollegen vom Mesa-Distrikt. »Es sind genau hunderttausend Dollar in Hartgeld und Scheinen. Drei Kisten. Das Hartgeld könntest du nicht in einem Sack forttragen, so schwer ist es.«
Er wendet sich an seine Reiter und an die beiden Männer, die mit schussbereiten Gewehren aus der Kutsche klettern.
»Gleich ist es vorbei, Jungs. Gleich gebe ich euch einen aus. Und erst morgen werden wir gemächlich nach Jubal zurückreiten.« Er lacht zufrieden. Man hört ihm an, dass er froh ist, seine Arbeit erledigt zu haben und die Verantwortung endlich abgeben zu können. »In fünf Minuten musst du übernehmen, Ben. Wo hast du deine Jungs?«
»Ah, ich habe in einer Minute welche«, erwidert der Sheriff von Mesa. »Vier zuverlässige Männer, die ich als Deputys vereidigen werde.«
Er überquert die Straße und betritt den Saloon ...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Spiel der Rache
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0095-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Spiel der Rache
Als die Expresspost in Mesa eintrifft, erkennt der Sheriff schon an den drei Vorreitern, dass in der Kutsche Geld transportiert wird. Und die beiden Männer in der Kutsche sind dann auch keine Fahrgäste, sondern bewaffnete Begleiter. Das ist immer so bei Geldtransporten.
Der Sheriff von Mesa tritt aus dem Schattenbereich des Hauses in den Lichtschein der Laterne. Er betrachtet den Sheriff aus Jubal, der sich von seinem erschöpften Pferd schwingt.
»Du bist an der Reihe, Ben«, sagt der Sheriff aus Jubal zu seinem Kollegen vom Mesa-Distrikt. »Es sind genau hunderttausend Dollar in Hartgeld und Scheinen. Drei Kisten. Das Hartgeld könntest du nicht in einem Sack forttragen, so schwer ist es.«
Er wendet sich an seine Reiter und an die beiden Männer, die mit schussbereiten Gewehren aus der Kutsche klettern.
»Gleich ist es vorbei, Jungs. Gleich gebe ich euch einen aus. Und erst morgen werden wir gemächlich nach Jubal zurückreiten.« Er lacht zufrieden. Man hört ihm an, dass er froh ist, seine Arbeit erledigt zu haben und die Verantwortung endlich abgeben zu können. »In fünf Minuten musst du übernehmen, Ben. Wo hast du deine Jungs?«
»Ah, ich habe in einer Minute welche«, erwidert der Sheriff von Mesa. »Vier zuverlässige Männer, die ich als Deputys vereidigen werde.«
Er überquert die Straße und betritt den Saloon …
Zum Wochenende ist der Saloon gut besucht. Es sind Arbeiter aus dem Minenland da, Cowboys aus dem Rinderland, einige Frachtfahrer, Soldaten vom nur ein Dutzend Meilen entfernten Fort und ein paar Mexikaner, die mit ihrer Pferdeherde gekommen sind, um davon möglichst viele Tiere schon hier zu verkaufen. Es sind prächtige Tiere darunter, schon zugeritten und an Lassoarbeit gewöhnt, doch noch ohne Brandzeichen.
Der Sheriff hält gleich hinter der Schwingtür an. Sein Blick schweift an der langen Bar entlang und gleitet dann über die Tische.
Die Trinker an der Bar scheinen ihm alle nicht mehr nüchtern genug zu sein. An den beiden Billardtischen sind ernsthafte Partien im Gange. Aber an dem runden Pokertisch in der Ecke sitzen vier Cowboys von vier verschiedenen Ranches, die sich hier zumeist an den Wochenenden beim Poker zusammenfinden.
Eigentlich sind es mehr als nur Cowboys.
Jim Keefer ist Vormann auf der Broken Arrow Ranch.
Al Jefferson besitzt eine kleine Einmannranch in den Hügeln.
Kirby Gillen gilt als der beste Raubwild- und Wildpferdjäger im ganzen Land.
Joe Hatthaway führt die Brennmannschaft der Spanish Bit Ranch, die das ganze Jahr umherzieht und die Jährlinge brändet.
Alle vier Männer haben einen sehr guten Leumund. Sie gelten als hart, erfahren und zuverlässig – und sie sind auch nicht mehr direkt jung, sondern schon um die dreißig Jahre alt, gehören also zu den gestandenen Männern, zu jener Sorte, von der man Besonnenheit und Übersicht erwartet.
Sheriff Ben McCannon aus Mesa nickt zufrieden, als er das Kleeblatt beim Poker sitzen sieht. Er hat es als fast sicher angenommen, und er täuscht sich nicht.
Langsam tritt er näher, ein schon grauköpfiger Bursche, hager und etwa mittelgroß, kaum schwerer als hundertfünfzig Pfund. Dennoch er ist ein Sheriff, der niemals laut spricht, immer ruhig bleibt und dennoch nur selten etwas zweimal zu sagen braucht.
Der Sheriff tritt an den Tisch der vier Pokerspieler.
»Ich möchte euch für dreißig Meilen genau zweiunddreißig – als Deputys vereidigen«, sagt er zu ihnen. »Nach Silver und zurück. Geht das, Jungs?«
Sie werfen sofort ihre Karten hin.
»Wir kennen ohnehin schon alle gegenseitig unsere Tricks«, sagt Hatthaway und grinst. »Gehen wir also.«
Sie erheben sich und wollen zur Tür.
Doch der Sheriff sagt: »Halt! Erst muss ich euch unter Eid nehmen. Hebt die Hand und sprecht mir nach …«
Die Postkutsche fährt fünf Minuten nach ihrer Ankunft wieder von Mesa los, versorgt mit einem frischen Sechsergespann und begleitet vom Sheriff des Distrikts und vier Deputys.
Jim Keefer und Al Jefferson reiten mit dem Sheriff vor der Kutsche her.
Kirby Gillen und Joe Hatthaway sitzen in der Kutsche. Sie haben außer ihren Colts noch Gewehre mit dabei. Ihre Pferde sind hinter der Kutsche angebunden, wie die Tiere ihrer Vorgänger zuvor auch.
Nach etwa zehn Meilen – es ist eine Stunde nach Mitternacht – kommen sie an die alte Brücke über den Loon Creek.
Hier halten sie mit der Kutsche erst einmal an.
Denn die Brücke ist schon zu alt und zu morsch, um drei Reiter, ein Sechsergespann, die Kutsche und hinter dieser noch zwei angebundene Pferde zu tragen.
Sheriff Ben McCannon späht witternd über die Brücke zum anderen Ufer. Dort drüben sind Büsche, ein paar Cottonwoods und auch verwitterte Sandsteinfelsen. Dort drüben gibt es im Mond- und Sternenschein reichlich Deckung und könnte Verdruss lauern.
Er wendet sich an Keefer und Jefferson: »Reiten wir erst mal hinüber und sehen wir nach. Ich habe plötzlich ein ungutes Gefühl. Sehen wir nach. Und nehmt lieber die Colts in die Hand.«
Sie reiten langsam hintereinander über die Brücke. Ihre Pferde sind etwas nervös, so als spürten sie die Altersschwäche der Brücke – oder als witterten sie drüben eine Gefahr und hätten ein ungutes Gefühl wie der Sheriff.
Sie kommen gut hinüber, verschwinden dann in den Schatten.
Auf dem Kutschbock warten der Fahrer und dessen Begleitmann.
Die beiden bewaffneten Begleiter steigen aus der Kutsche. Der Fahrer spricht zu ihnen nieder: »Ja, das ist gut. Bindet am besten auch eure Pferde los und führt sie hinter der Kutsche hinüber. Dann ist mir wohler. Denn die verdammte Brücke wird wieder ächzen und knirschen wie …« Er kommt nicht weiter.
Denn Gillen und Hatthaway kommen nach vorn, bis sie zu beiden Seiten der Kutsche neben den Vorderrädern verhalten.
Und dann passiert es. Niemand hätte es zuvor geglaubt oder auch nur ahnen können. Nein, niemals!
Gillen und Hatthaway tragen ihre Gewehre in den Armen. Die Mündungen zeigen schräg nach oben.
Und dann drücken sie auch schon ab.
Fahrer und Begleitmann werden beide getroffen. Sie fallen herunter wie Puppen, was ein Zeichen dafür ist, wie schwer sie getroffen wurden.
Drüben am anderen Ufer krachen nun auch zwei Schüsse.
Dann wird es still. Nach einer Weile kommen Keefer und Jefferson mit dem toten Sheriff, den sie quer über dem Sattel des Pferdes transportieren.
Die vier Banditen schweigen. Aber sie handeln dann so schnell und zielstrebig, dass einem Beobachter sofort klar wird, wie genau sie dies abgesprochen haben und das, was zu tun ist, in Gedanken schon viele Male ausführten.
Der Morgen graut schon, als die vier »Deputys«, die ihren Eid brachen und zu Mördern und Banditen wurden, wieder in Mesa eintreffen. Sie klopfen den Agenten der Post- und Frachtlinie heraus und melden ihm den Verlust der Kutsche, der Pferde und der drei anderen Männer. Und natürlich auch den Verlust des Geldtransportes.
Drei Tage später machen sie dann dem County Sheriff folgende Aussagen: »Als wir an die Brücke kamen, schickte uns der Sheriff hinüber. Wir sollten das Gelände drüben durchsuchen. Der Sheriff rechnete vielleicht mit einem Hinterhalt. Es war ihm irgendwie mulmig. Wir ritten hinüber. Aber wir fanden nichts. Es war niemand da. Wir ritten wieder zur Brücke und riefen hinüber, dass die Kutsche kommen könne. Es wäre niemand da außer uns. Dann kam die Kutsche. Sie kam bis zur Mitte. Dann brach die Brücke unter ihr ein. Auch der Sheriff mit seinem Pferd fiel in den Loon Creek. Wir konnten niemanden retten, denn der Treibsand fraß alles auf wie ein Ungeheuer. Es war nicht genug Wasser, um schwimmen zu können. Alle landeten sofort im Treibsand. Sie gingen unter wie in einem Sumpf. Mit unseren Lassos kamen wir nicht bis an sie heran. Überdies behinderten uns die Trümmer der Brücke. Wir konnten nichts machen, gar nichts.«
Das sind also dem Sinne nach die Aussagen der vier Deputys, die sie einzeln machen und unterschreiben.
Der County Sheriff nimmt natürlich auch mit einigen Sachverständigen eine Besichtigung des Unfallortes vor. Es wird geprüft, gesucht – doch nichts ergibt sich, was die Aussage der vier Deputys widerlegen könnte. Man muss ihnen glauben. Natürlich werden die vier Exdeputys noch monatelang unauffällig beobachtet und überwacht. Aber ihre Lebensweise ändert sich nicht. Es gibt nichts, was sich bei ihnen geändert hätte. Sogar ihre Pokerpartie an jedem Samstag behalten sie bei. Es gibt natürlich einige Stimmen, die munkeln, dass die vier diesen großen Coup gelandet hätten und nun einige Jahre warten müssten, bis Gras über die Sache gewachsen wäre.
Aber dann bricht der Sezessionskrieg gegen die Nordstaaten aus.
Viele Männer melden sich zur Konföderiertenarmee des Südens.
Auch die vier Exdeputys sind eines Tages fort.
Man hat sie fast schon vergessen. Denn es ist ja Bürgerkrieg. Die Menschen haben andere Sorgen.
Und die Jahre vergehen.
☆
Es ist genau zehn Jahre später, als sich in Elkhorn vier Männer am Samstag zu einer Pokerpartie treffen.
Das Treffen findet wie immer im Spielzimmer des Elkhorn Palace statt, und es ist für einen kalten Imbiss und gute Getränke gesorgt. Auch die Zigarren sind die besten.
Ja, sie sind älter geworden, diese vier Exdeputys, sehr viel älter. Denn zehn Jahre sind zehn Jahre. Aber sie wurden nicht nur älter, sondern wirken auch gesetzter, seriöser und gut situiert, wie es nun mal Männer sind, die es im Leben zu etwas gebracht haben.
Jim Keefer besitzt eine große Ranch und hat mehr als zehntausend Rinder auf der Weide. Er ist bulliger geworden, und in seinen roten Haaren sind graue Strähnen. Seine Sommersprossen wurden größer und zugleich auch brauner.
Al Jefferson gehört die Bank, und seine Geschäfte sind sehr vielfältig. Auch er ist massiger geworden, fast schon etwas schwammig.
Kirby Gillen, der einstige Raubtierjäger und Zureiter, bei dessen Anblick man leicht an einen sandfarbenen Wüstenwolf denken könnte, hat fast eine Glatze. Es sind nur noch wenige Haare auf seinem Kopf. Doch körperlich hält er sich immer noch gut, und dies ist etwas, was man einem Saloonbesitzer und Storehalter nicht zutraut. Der Elkhorn Palace gehört ihm, auch der General Store. Für die Arbeit hat er einige Angestellte. Er geht immer noch lieber auf die Jagd, aber er sieht auch nach dem Rechten in seinem Geschäftsbereich. Man sieht ihn dann und wann im Store – und von Sonnenuntergang bis Mitternacht im Saloon. Er ist bei der allwöchentlichen Pokerpartie der Gastgeber.
Der letzte Mann dieses vierblättrigen Kleeblattes ist Joe Hatthaway. Auch er ist geschäftlich bestens vorangekommen. Ihm gehören das Hotel, der Mietstall und die einzige Fracht- und Postlinie im Land.
Er ist es auch, der die Karten zu mischen beginnt.
Bevor er austeilt, sieht er in die Runde.
»Wisst ihr noch«, murmelt er. »Heute ist es genau zehn Jahre her. Ich merkte mir den Tag, weil ich drei Tage später Geburtstag hatte. Damals warteten wir, dass ein Geldtransport kommen und der Sheriff uns mitnehmen würde. Schon ein ganzes Jahr lang hatten wir darauf gewartet, dass alles mal so gut zusammenpassen würde – unsere Pokerrunde an jedem Samstag, ein Geldtransport und die Notwendigkeit, dass der Sheriff vier Deputys suchen musste. Es war ein langes Geduldsspiel, nicht wahr?«
Er grinst breit, und er ist ein Mann, der so hager, starkknochig und grau wirkt wie seine Maultiere.
Die anderen drei Männer starren ihn unwillig an.
Schließlich sagt Jim Keefer, dem eine dicke, goldene Uhrkette vom Westenknopf bis zur Uhr in die Westentasche baumelt: »Wir wollten doch nie – nie, hört ihr? – über das sprechen, was damals war. Nie!«
Und Al Jefferson und Kirby Gillen nicken zu den unwillig mahnenden Worten mit grimmigen Gesichtern.
Aber Joe Hatthaway schüttelt den Kopf und verzerrt sein langes Maultiergesicht zu einem harten Grinsen: »Aaah, stellt euch nicht so an«, sagt er. »Man wird doch wohl das Jubiläum einer erfolgreichen Nacht feiern können, nicht wahr? Schließlich haben wir damals unser Glück gemacht. Wir haben Elkhorn gegründet. Es ist unsere Stadt. Auch das Land ist unser Land. Und man nennt uns die großen Vier. Was soll uns denn passieren, wenn wir uns mal an den Tag – nein, an die Nacht! – von damals erinnern? Na?«
Aber sie bleiben abweisend. Sie wollen ein solches makabres Jubiläum nicht feiern. Nein, die Nacht damals haben sie die ganze Zeit zu vergessen versucht. Aber es ist ihnen nie ganz gelungen.
Sie beginnen zu spielen, und es wird ein Spiel werden wie in all den vielen Jahren, da sie sich treffen – ein Spiel, das fast nur ein Vorwand ist für eine Zusammenkunft, Geschäfte und Politik zu machen, Pläne zu entwickeln, sich abzustimmen und gemeinsame Interessen zu wahren. Ihr Pokerspiel ist in Wirklichkeit ein »Rat der großen Vier«.
Es ist schon im ganzen Land bekannt, und es kommt oft vor, dass jemand, der etwas tun will im Land und genau weiß, dass er dazu erst die Erlaubnis oder die Duldung der großen Vier haben muss, in einer Pause des Spieles vorspricht.
So ist es auch diesmal, kaum dass sie ein paar Runden mit wechselndem Glück gespielt haben und über die kleinen und größeren Neuigkeiten im Land und der Welt plauderten.
Der Barmann draußen im großen Amüsiersaal des Elkhorn Palace tritt ein und nähert sich dem Pokertisch.
»Na, was ist?« So fragt Kirby Gillen zur Seite.
»Mrs Sally Coburne möchte die Gentlemen sprechen«, sagt der Barmann. »Sie kam soeben in den Saloon wie eine Queen.«
»Wer ist Sally Coburne?«, fragt Jim Keefer. »Ein Weib? Eine Frau kommt zu uns hier in den Saloon – in unser Spielzimmer, wie?«
»Du wirst staunen«, sagt Kirby Gillen und grinst. »Sie kam vor drei Tagen mit der Postkutsche und spazierte hier herum. Gestern Nachmittag badete sie ihre nackten Füße im Creek. Lass sie kommen, John!«
Die letzten Worte gelten dem Barmann.
Aber noch bevor dieser sich umdrehen und gehen kann, tritt Sally Coburne auch schon ohne Einladung ein.
Was die vier Männer am Tisch sehen, ist schon wirklich eine Wucht. Sally Coburne ist mittelgroß und wunderbar gewachsen. Ihr Kleid bringt auf eine dezent-raffinierte Weise all ihre körperlichen Vorzüge zur Geltung. Es hat die gleiche Farbe wie ihre grünen Augen – und das Grün bildet einen herrlichen Kontrast zum Kupferrot ihrer Haare.
Die vier Männer erheben sich, denn jeder von ihnen spürt Sally Coburnes Ausstrahlung, jeder spürt ihren Blick und fühlt sich als Mann begutachtet – und jeder wünscht sich, dass er in den Augen dieser Schönheit ein besonders beachtlicher Bursche wäre.
Sie setzt sich – und sie lässt sich auch ein Glas Wein einschenken. Dabei lächelt sie jeden der Männer an, während sie abwechselnd in ihre Augen blickt. Sie wirkt sehr selbstsicher, klug, vital – aber ihr Benehmen ist nicht das einer Frau, die auf Männerbekanntschaften aus ist.
»Ma'am, was können wir für Sie tun?« So fragt Al Jefferson schließlich.
»Dies ist eine hübsche Stadt«, erwidert sie. »Auch der Elkhorn Creek ist wunderschön, besonders in den Hügeln und dort, wo er einen See bildet. Ich habe mich hier umgesehen. Es gefällt mir hier so sehr, dass ich bleiben möchte. Aber ich bin eine Frau ohne Mann …«
»Zum Glück, möchte ich sagen«, sagt da Kirby Gillen. »Denn so haben wir eine Chance – oder? Allerdings, Al Jefferson – das ist dieser Gent hier – ist ja schon verheiratet. Und so …«
Er bricht ab, denn er und die drei anderen Männer sehen, wie Sally Coburnes Gesichtsausdruck sehr ernst und verschlossen wird, sehr starr und fast hart.
»Das ist es ja«, sagt sie herbe. »Wohin ich auch komme, sind die Männer hinter mir her. Es gab schon eine Menge Verdruss wegen mir, Duelle und die Verfeindung von Freunden. Und …« Sie bricht ab, und ihr Blick wird zweifelnd, etwa so, als müsste sie erst noch prüfen, ob die vier Männer am Tisch Vertrauen verdienten.
»Sprechen Sie ruhig, Ma'am«, murmelt Jim Keefer. »Sie sind unter Gentlemen. Eine schöne Frau wie Sie kann sich bei irgendwelchen Problemen stets an Gentlemen wenden.«
Die drei anderen Männer nicken.
Und so zögert sie nicht länger, sondern legt ihre Rechte mit dem Handrücken nach oben auf den Tisch.
»Sehen Sie sich das an, Gentlemen«, sagt sie.
Sie beugen sich vor und betrachten stumm die Hand. Es ist eine schöne Hand, sehr schmal und dennoch kräftig.
»Wir sehen ein paar kleine Narben«, murmelt Jim Keefer schließlich. »Aber der Schönheit und dem Ausdruck dieser wundervollen Hand tut das wenig Abbruch, denke ich.«
Da nicken sie alle heftig, pflichten ihm bei. Aber dann sehen sie das bittere Lächeln der schönen Frau.
»Ich will es kurz machen«, spricht sie herb. »Ich war eine ziemlich berühmte Pianistin. Ich feierte schon einige große Triumphe, und die ganze Welt stand mir offen. Ich hatte tausend Freunde, man riss sich um mich. Das Leben war schön. Aber dann hatte ich einen Reitunfall. Ich brach mir zwei Handknochen. Seitdem ist meine Hand zwar nicht steif, nur mit der Virtuosität ist es aus. Ich könnte nur noch im Tingeltangel Klavier spielen – oder Anfängern Unterricht erteilen. Noch schlimmer war für mich die Enttäuschung durch meine Freunde und guten Bekannten. Und das Mitleid von manchen Leuten war nicht zu ertragen. Ich war auch nicht mehr das große Wunderding, das man auf Gesellschaften herzeigen konnte, um es dann zu bitten, auf dem neuen Flügel zu spielen. Verstehen Sie, Gentlemen, es war alles ziemlich schlimm für mich.«
Sie nicken. Und sie fühlen sichtlich mit ihr. Denn sie ist eine schöne Frau mit Ausstrahlung. Sie erzählt ihnen ihre Geschichte. Sie wissen zwar noch nicht, worauf dies alles hinaus soll – aber sie sind bei der Sache.
Und zu dieser Sache kommt sie nun.
Ihre Stimme klingt noch ein wenig spröder. Und ihre Sätze sind knapper.
Sie sagt: »Ich hatte die Nase voll von jener Welt, in der ich an der Ostküste lebte. Ich hatte die Nase voll von falschen Freunden, von Mitleid und Männern, die glaubten, leicht meine Liebhaber werden zu können. Ich fuhr los, um einen Ort zu suchen, wo ich ein neues Leben beginnen konnte. Ich kam nach Elkhorn und sah mich um. Jetzt kann ich die kleine Farm von Jake Gibson kaufen. Sie hat zwar nicht viel Land, aber ein relativ großes und stabil gebautes Haus. Ich möchte einen schönen Garten besitzen, ein paar Tiere halten und meine Ruhe haben. Sonst nichts. Verstehen Sie?«
Sie nicken etwas zögernd. Dann aber spricht Joe Hatthaway aus, was sie alle denken. Er fragt: »Und warum kommen Sie zu uns, Ma'am? Halt, wir freuen uns darüber. Wir sind beglückt, Sie hier bei uns am Tisch zu haben. Aber …« Er verstummt und zuckt leicht mit den Schultern.
Sally Coburne lächelt leicht. Es scheint, dass sie alle Bitterkeit und Verachtung gegen diese Welt wieder tief in ihren Kern verbannt hat.