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Seit fast zwei Jahren ertrug die Stadt die Besuche Juan Juanrillas’ und seiner Bande wie unvermeidliche Schicksalsschläge, gegen die man machtlos ist.
Aber einmal nahm die Bande zwei junge Mädchen des Ortes mit nach Mexiko. Erst nach Tagen wagten sich die Mädchen an den Fluss zurück - nicht, um durch die Furt heimzukommen, sondern um ins Wasser zu gehen.
Da war es genug.
Die Bürger des Ortes brachten tausend Dollar zusammen. Dann schickten sie eine Abordnung zu zwei Revolvermännern.
Eine zu Sinclair, der in El Paso war, und eine andere Abordnung zu Lockhard, der sich in Laredo aufhielt.
Sie kamen beide - aber nicht wegen der fünfhundert Dollar, die jeder von ihnen verdienen konnte ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Duell der Verlorenen
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0097-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Duell der Verlorenen
Seit fast zwei Jahren ertrug die Stadt die Besuche Juan Juanrillas’ und seiner Bande wie unvermeidliche Schicksalsschläge, gegen die man machtlos ist.
Aber einmal nahm die Bande zwei junge Mädchen des Ortes mit nach Mexiko. Erst nach Tagen wagten sich die Mädchen an den Fluss zurück – nicht, um durch die Furt heimzukommen, sondern um ins Wasser zu gehen.
Da war es genug.
Die Bürger des Ortes brachten tausend Dollar zusammen. Dann schickten sie eine Abordnung zu zwei Revolvermännern.
Eine zu Sinclair, der in El Paso war, und eine andere Abordnung zu Lockhard, der sich in Laredo aufhielt.
Sie kamen beide – aber nicht wegen der fünfhundert Dollar, die jeder von ihnen verdienen konnte …
Unter dem schattigen Dach des Schuppens wartet John Lockhard – Black John Lockhard.
Er sitzt dort genauso ruhig und wartend wie Jim Sinclair auf der anderen Seite der Straße, die von der Furt herauf zur Stadt führt.
So warten sie schon den dritten Tag. Lockhard, der große Lockhard!, denkt Sinclair. Ich habe schon viel von ihm gehört. Nun kenne ich ihn seit drei Tagen persönlich, und es ist gut, dass wir nicht auf zwei verschiedenen Seiten stehen.
Lockhard schaut zu der Schmiede herüber. Und auch er denkt: Sinclair – Silverskalp Jim Sinclair, der große Sinclair, jetzt kenne ich ihn, und es wird gut sein, ihn hier als Partner zu haben, wenn Juan Juanrillas kommt.
Lockhard ist so dunkel, wie Sinclair hell ist. Lockhard hat dunkle Augen und blauschwarzes Haar. Selbst nach einer frischen Rasur schimmert seine Haut bläulich. Auch er hat tiefe Linien und einige Narben im Gesicht.
Den dritten Tag warten sie nun schon auf Juan Juanrillas, der immer wieder mit seiner Bande in die Stadt kommt.
Werden sie noch zehn Tage warten müssen oder dreißig? Oder noch länger? Und das für fünfhundert Dollar und freie Verpflegung?
Kein Aufgebot könnte so lange warten.
Doch zwei Revolvermänner haben Zeit. Männer wie Sinclair und Lockhard versäumen nichts. Sie können warten, lange und geduldig.
Und zwei Männer sind wirksamer als ein Aufgebot. Sie fallen nicht auf. Sie werden kaum beachtet und erregen kein Aufsehen.
Es ist heiß.
Die Stadt liegt brütend in der Mittagshitze. Um diese Tageszeit gibt es kaum Leben in den wenigen Straßen.
Aber die Bewohner warten auf Juan Juanrillas. Er war schon lange nicht mehr hier. Und die Rurales – die mexikanischen Landpolizisten – haben ihn noch nicht erwischt.
Er wird bald kommen – morgen, übermorgen, nächste Woche. Quien sabe?
☆
Juan Juanrillas hat zwölf Mann hinter sich, als er aus dem Arroyo kommt und die Furt erreicht. Der Arroyo schuf die Furt, weil er bei Regenzeiten Sand, Geröll und Gestein in den Rio Grande bringt.
Juan Juanrillas' Reiter bekommen gierige Blicke, als sie die kleine Stadt sehen. Sie erinnern sich an schöne Stunden, die sie dort erlebten.
Sie werden im Store einkaufen – ohne Geld.
Sie werden in den Saloons trinken – ohne Geld.
Und im Hotel-Restaurant werden sie essen – ohne Geld. Sie werden sich nach einigen Mädchen und Frauen umsehen und viel Spaß haben. Ay, was macht es schon aus, wenn sie dann und wann einem dieser Dummköpfe dort drüben das Lebenslicht ausblasen! Ay, caramba!
So denken sie.
An der Furt treffen sie Hernando, den Fischer, der damit beschäftigt ist, einige Reusen in sein Boot zu laden.
»Was gibt es Neues drüben, Hernando?«, fragt Juan Juanrillas und reitet langsam ins Wasser.
»Nur zwei Fremde sind da – zwei Fremde kamen vor einigen Tagen, Juan Juanrillas«, erwidert Hernando, der Fischer, unterwürfig.
Dann sieht er der Bande nach.
Sie jauchzen vor Freude. Jeder von ihnen will zuerst durch den Fluss. Doch sie können Juan Juanrillas nicht überholen. Er reitet das beste Pferd.
Er bleibt an ihrer Spitze, in einem goldbestickten Charro-Kostüm, wie es die Mexikaner gerne tragen, mit rollenden und blitzenden Augen, schnurrbärtig, ein wilder, vitaler Bursche, dessen Mutter eine Yaqui war, die einmal einem spanischen Don gefiel.
Als sie am anderen Ufer aus der Furt reiten, sind sie eine nach allen Freuden lüsterne Bande.
Aber sie bleiben wachsam. Sie sind gefährlich.
Als sie den Stadteingang erreichen, treten rechts und links aus den Schuppen zwei Männer auf die Straße. Ganz ruhig kommen sie aus dem Schatten heraus in das blendende Sonnenlicht.
Sie hätten im Schatten, in Deckung bleiben und schießen können, ohne sich selbst zu gefährden.
Doch sie tun es nicht.
Sie sind keine Heckenschützen und Revolverschwinger, keine hinterhältigen Mörder – obwohl ein Aufgebot der Rurales oder der texanischen Behörden der Bande gewiss einen Hinterhalt gelegt und ohne jede Warnung wie auf wilde Apachen, die auf dem Kriegspfad sind, geschossen hätte.
Die Männer, die von beiden Straßenseiten her auftauchen, als kämen sie aus den Kulissen auf eine Bühne, sind anders.
Sie vertreten hier das Gesetz und schützen eine kleine, schwache Stadt. Sie sind die Großen, Starken, die den Kleinen und Schwachen Schutz geben.
Juan Juanrillas zügelt sofort sein Pferd, denn er weiß, wie ein Wolf aussieht.
Er erinnert sich an die Worte, die der Fischer Hernando an der Furt sagte.
»Zwei Fremde kamen vor einigen Tagen«, sagte Hernando. Aber er verriet nicht, dass es Revolvermänner sind.
Diese Stadt hat uns hereingelegt, denkt Juan Juanrillas und betrachtet die beiden hageren Fremden, die ihm und seinen Reitern so ruhig und selbstbewusst den Weg versperren. Er kennt sie nicht – aber er weiß, dass es zwei Große sind.
Sonst wären die beiden nicht allein.
Juans Leute werden still. Sie hocken auf ihren keuchenden, noch vom Wasser des Flusses triefenden Pferden wachsam und misstrauisch. Doch sie ahnen noch nicht, was Juan Juanrillas bereits weiß. Sie können nicht glauben, dass zwei Männer allein ihnen gefährlich werden können. Sie fühlen sich als Rudel großartig und unüberwindlich.
Mehr neugierig als besorgt machen sie sich bereit, diese beiden Gringos niederzureiten.
Dann hören sie ihren Anführer Juan Juanrillas sagen: »Wenn es Ihnen recht ist, Señores, kehre ich mit meinen Männern um und reite durch den Fluss zurück auf die andere Seite.«
Juanrillas' Männer glauben, sie wären plötzlich in eine Falle geraten. Sie blicken in alle Richtungen, erwarten, Gewehre im Hinterhalt zu erspähen.
Doch sie sehen nur die beiden Gringos, von denen der eine hellhaarig und der andere dunkel ist. Endlich begreifen auch sie es, was Juan Juanrillas sofort erkannte. Nun verstehen sie, warum ihr Anführer solch ein Angebot machte.
Er wird der erste Tote sein, wenn diese beiden Revolvermänner anfangen. Ihm wird die erste Kugel gelten.
Als ihnen dies klar wird, hören sie den blonden Mann ganz ruhig sagen: »Wenn ihr wieder über den Fluss reiten würdet, könntet ihr zurückkommen, immer wieder. Wir wollen aber nicht nochmals auf euch warten müssen. Ich denke, wir erledigen das jetzt gleich und für immer.«
Juan Juanrillas erkennt, dass ihm keine andere Wahl bleibt. Er stößt einen scharfen Schrei aus, lässt sich aus dem Sattel fallen und zieht dabei seine Revolver.
Noch ehe er am Boden aufschlägt, ist er tot. Sinclairs Kugel traf sein Herz. Und sie schießen weiter, Lockhard und Sinclair.
Sie richten mit ihren Revolvern eine schreckliche Verwirrung an. Die Pferde der Bande steigen. Nur wenige der Reiter schießen zurück. Nicht eine einzige Kugel trifft die Revolvermänner.
Sie schießen schnell und präzise. Es ist schrecklich – unabänderlich.
Eine kleine Stadt warb zwei Revolvermänner an, um sich vor einer Mörder- und Banditenbande zu schützen.
Sechs der Banditen entkommen, zumeist verwundet.
Juan Juanrillas und drei seiner Männer sterben auf der Stelle.
Auf die anderen stürzen sich die Bewohner der Stadt.
Nicht der Pöbel, sondern Bürger, die vom heiligen Zorn der Gequälten ergriffen sind, die Jahr für Jahr in Angst und Sorge lebten. Die gepeinigt wurden von einer üblen Bande – und die sich selbst helfen mussten, weil sie in einem Land leben, in dem es keine andere Möglichkeit gibt.
Denn das Gesetz ist weit.
Sinclair und Lockhard gehen die Straße entlang. Sie blicken nicht zurück.
Sie reiten schweigend – zwei Revolvermänner, die für Geld Gutes taten auf böse Weise. Zwei Männer, die töteten, damit eine menschliche Gemeinschaft von nun an in Frieden und Sicherheit leben kann.
Sie hätten ebenfalls tot sein können auf dieser staubigen Straße …
☆
Sie reiten einige Meilen, und als es Nacht wird, biegen sie in stillschweigendem Einverständnis von der Straße ab, reiten eine halbe Meile an einem Creek entlang und finden dann eine Mulde.
Sie sind gut ausgerüstet. Bald brennt ein Campfeuer, und es riecht nach gebratenem Speck und frischem Kaffee.
Während der ganzen Zeit sprechen sie kein Wort, aber sie handeln so, als ritten sie schon jahrelang gemeinsam und als wären die Eigenheiten und Gewohnheiten des einen dem anderen vertraut.
Nach dem Essen hocken sie auf ihren Sätteln am Feuer, rauchen und stochern manchmal in der Glut.
Plötzlich sagt Lockhard aus seinen Gedanken heraus: »Es ist nicht unsere Art, an den eigenen Tod zu denken. Aber wir wissen, dass kein Mensch gegen den Tod gefeit ist – auch wir nicht.«
»Stimmt, Lockhard«, nickt Sinclair. »Nur wenn man sehr jung ist, glaubt man, dass man immer Glück haben wird. Die anderen Burschen wird es erwischen – nur einen selbst nicht. Aber auf die Dauer kommt keiner davon – keiner!«
»Ja«, sagt Lockhard. »Warum hören wir nicht auf?«
Sie denken beide über diese Frage nach.
Werden sie von einer inneren Verantwortung getrieben, die sie zwingt, den Schwachen und Hilflosen Schutz zu geben – wie heute in dem kleinen Ort am Fluss?
»Wir sind Revolvermänner und werden es immer bleiben«, murmelt Sinclair nach einer Weile und wirft den Rest seiner Zigarette in das Feuer. »Und wir sind Einzelgänger. Einsame. Wir werden uns morgen trennen – jeder reitet irgendwohin. Ich reite nach Norden.«
»Und ich nach Westen«, murmelt Lockhard. »Ich wünsche dir Glück, Sinclair, Silverskalp Jim Sinclair.«
»Das wünsche ich dir auch, Lockhard, Black John Lockhard. Ich hoffe, dass wir uns niemals gegenüberstehen müssen, wenn uns zwei verschiedene Parteien zu Hilfe rufen. Wenn das einmal geschehen sollte, würden wir uns töten. Wir sind gleichwertig. Keiner von uns käme davon.«
»Ja, so würde es sein«, murmelt Lockhard.
Danach reden sie nicht mehr. Sie löschen das Feuer, nehmen sich ihre Decken und ziehen sich unter die Büsche zurück, wo das Mondlicht sie nicht trifft und sie Schutz haben vor dem niederfallenden Tau.
Die Nacht vergeht ohne Zwischenfälle.
Am nächsten Morgen bereiten sie sich ein Frühstück, satteln die Pferde, nicken sich zu und reiten auseinander. Sinclair nach Norden, Lockhard nach Westen.
☆
Ein Jahr später begegnen sie sich wieder. Es ist in Deadwood. Deadwood ist zurzeit noch ein großes Camp, besser: eine Camp-Stadt, in der jede Nacht mehr als dreitausend wilde Burschen alle Sünden begehen, die man mitten im Goldland und fern von Recht und Gesetz begehen kann.
Sinclair betritt an der Seite von James A. Miles den Hof der Postagentur. Mister A. Miles ist Vertreter der Union-Transportversicherungs-Gesellschaft in Saint Louis.
Miles wendet sich an den Postagenten und sagt trocken: »Dies ist unser Mann, Mister Banner. Der Goldtransport zur Schiffslandestelle in Pierre wird nur dann von meiner Gesellschaft versichert, wenn dieser Gentleman den Schutz übernimmt. Es ist Mister Sinclair.«
Der Postagent grinst breit. Er wirkt wie ein riesengroßer Nussknacker. »Das trifft sich gut«, sagt er. »Denn auch meine Postgesellschaft konnte einen guten Mann bekommen, der die Kutsche fahren wird.«
Während er dies sagt, kommt ein Mann um die Kutsche herum.
Es ist John Lockhard. Er sieht Sinclair an und hebt die Hand.
Sinclair nickt.
»Dies ist Mister Lockhard«, erklärt der Postagent.
»Wir kennen uns«, murmelt Sinclair und schwingt sich auf den Sitz des Begleitfahrers.
Wortlos fahren sie aus der Einfahrt. Da es sich um eine Sonderpost handelt, brauchen sie nicht an der Haltestelle vorzufahren, um Fahrgäste mitzunehmen.
Dafür haben sie vierhundert Pfund Gold in der Kutsche!
Seit einigen Wochen rauben Banditen jeden Goldtransport aus.
Wie wird es diesmal sein?
Sinclair beobachtet eine Zeit lang, wie Lockhard mit dem Sechsergespann umgeht. Er hat erwartet, dass Lockhard mit einem Sechsergespann fertig wird – sonst hätte er sich nicht als Fahrer anwerben lassen –, aber seine Erwartung wird noch übertroffen. Lockhard ist ein Könner. Über die langen Zügel hat er Verbindung zu den sechs trabenden Pferden wie ein feinnerviger Künstler zu seinem Instrument. Er hat nicht nur das Gespann unter Kontrolle, sondern weiß auch mit der Kutsche hervorragend umzugehen, bremst genau dort, wo es notwendig ist, und bringt Gespann und Kutsche elegant um die engsten Kehren, ohne noch einmal zurücksetzen zu müssen.
Er ist Klasse, denkt Sinclair und sagt endlich: »Nun, da wären wir also wieder einmal Partner, Lockhard. Was mich betrifft, so könnte ich mir keinen besseren Partner bei dieser Sache wünschen.«
»Das meine ich auch«, sagt Lockhard nach einer Weile. »Nur sind unsere Chancen heute etwas geringer als damals am Rio Grande. Die Banditen hier haben im Verlauf der vergangenen Wochen schon eine ganze Anzahl Fahrer oder Begleitmänner vom Bock geschossen. Vielleicht erwischen sie uns auch.«
»Vielleicht.«
Und nach einer langen Pause fragt Sinclair beiläufig: »Wo werden wir deiner Meinung nach mit einem Überfall zu rechnen haben?«
Lockhard lächelt bitter. »Jeder Überfall war anders. Niemals machten es die Banditen zweimal auf die gleiche Art. Immer ließen sie sich einen neuen Trick einfallen. Der Weg ist weit. Wir müssen an vielen Stationen halten, um das Gespann zu wechseln. Wir kommen an mehr als einem Dutzend Stellen vorbei, wo man uns leicht von der Kutsche schießen kann. Sinclair, wir müssen es riechen können! Wenn wir es nicht wittern – wenn unser Instinkt uns nicht warnt, dann schaffen wir es nicht.«
Sinclair nickt und erwidert: »Ja, so wird es sein. Wir müssen es wittern wie ein Wolf den Stahl der Falle.«
Dann schweigen sie, fahren wiegend dahin auf ihren hohen Sitzen.
Nach fünfundzwanzig Meilen erreichen sie die Red Rock Station und bekommen ein neues Gespann. Es lungern einige Fremde herum, die aus den Bergen kamen und die Abfahrt der Kutsche beobachten. Zwei dieser Fremden wollen mitfahren, doch Lockhard lehnt es ruhig ab.
Sie fahren weiter und bringen verschiedene gefährliche Stellen hinter sich, enge Schluchten und kleine Pässe. Dort können sie nur langsam im Schritt hinauffahren und müssen vorsichtig durch enge Kehren wieder hinunter.
Noch vor Abend erreichen sie die Warbow Creek Station und bekommen abermals ein neues Gespann. Wenig später fahren sie weiter in den sinkenden Abend hinein nach Osten. Die Sonne ging schon hinter den Schwarzen Bergen unter.
Vor der Kutsche taucht ein Frachtwagen auf. Er liegt schief, und man kann schon aus größerer Entfernung sehen, dass er einen Rad- oder Achsenbruch hat.
Zwei Männer, wahrscheinlich der Frachtfahrer und sein Gehilfe, sind dabei, mithilfe eines Hebebaumes den schweren Wagen, dessen kleineren Anhänger man abgehängt hat, hochzudrücken, sodass man das Reserverad gegen das zerbrochene Rad tauschen kann.
Als sie die Kutsche in der Abenddämmerung herankommen sehen, halten sie inne und lassen den Hebebaum – es ist die Deichsel des Anhängers – fallen. Sie treten mitten auf die Straße und winken erfreut.
Lockhard hält die Kutsche fünfzig Yards vom Wagen entfernt an und macht die Bremse fest.
Nun warten er und Sinclair. Sie wirken ganz ruhig, aber sie sind wachsam. Sie blicken in die Runde, entdecken jedoch nirgends etwas, das ihnen Sorge macht. Das Land hier ist flach. Es gibt weder Felsen noch Büsche, Bäume oder irgendwelche Deckung, hinter denen eine Gefahr lauern könnte.
»Hoiii, warum helft ihr uns nicht? Wir brauchen Hilfe, weil einer allein den Wagen mit dem Hebebaum nicht halten kann. Ihr kommt gerade richtig! Wenn ihr uns helft, brauchen wir die Ladung nicht ab- und wieder aufzupacken. Beeilt euch, solange es noch einigermaßen hell ist!«
Die Stimme des Mannes klingt ungeduldig und ärgerlich.
Aber Lockhard und Sinclair rühren sich nicht.
Für sie ist alles klar.
Vielleicht können sie es wirklich spüren. Vielleicht werden sie durch geheime Signale und feine Impulse gewarnt.
Lockhard löst plötzlich die Bremse. Als er anfährt, zieht er die beiden Führungspferde des Sechsergespannes nach links, biegt von der staubigen Poststraße ab und beginnt, einen großen Bogen zu schlagen.
Mit jeder Minute wird der blutrote Himmel im Westen violetter, und die Dämmerung wird zur Nacht. Mit jeder Minute wird die Sicht schlechter.
»He, warum kommt ihr nicht, um uns zu helfen?«, ruft einer der Frachtfahrer, und in seiner rauen Stimme schwingt eine böse Wut mit.
Lockhard und Sinclair geben keine Antwort.
Lockhard reißt das Gespann noch weiter nach links, sodass die Rückseite der Kutsche zum Murphy-Doppelfrachtwagen zeigt. Es geschieht genau in dem Moment, als sich die Frachtwagenplane hebt. Gewehre knattern los. Eine wilde Stimme brüllt: »Gebt es ihnen richtig! Gebt es ihnen!«
Die Kugeln fahren von hinten in die Kutsche.
Lockhard und Sinclair sitzen längst nicht mehr auf dem hohen Bock. Als eines der Pferde getroffen wird, weil die Kutsche nicht breit genug ist, um das Gespann zu decken, hält Lockhard. Er zieht die Bremse an, wickelt die Zügelenden darum und ergreift eines der beiden Gewehre, die sie bei sich haben.
»Nun denn, Sinclair«, sagt er knapp und springt zu Boden.
Sinclair lässt sich nach der anderen Seite zu Boden fallen. Er liegt kaum, da beginnt sein Gewehr schon zu krachen. Er schießt unheimlich schnell auf den Doppel-Frachtwagen. Die acht Maultiere in den Geschirren steigen. Da der Frachtwagen gar nicht mit schwerem Gut beladen ist und wegen des zerstörten Vorderrades sehr schief steht, bringen es die erschreckten Maultiere fertig, ihn umzuwerfen.
Sinclair und Lockhard laufen vorwärts – zwei Schatten. Vor ihnen liegt der umgekippte Frachtwagen im letzten blau-violetten Licht des Tages.
Sie kommen nahe genug heran und schleichen tief geduckt. Männer sind dabei, die aufgescheuchten Maultiere loszumachen. Flüche ertönen und eine Stimme ruft schrill: »Die sind nicht darauf reingefallen und geben es uns jetzt. Los, Jungs! Fort von hier!«
Es sind vier Männer, die sich auf die Tiere schwingen und sich aus dem Durcheinander lösen, das Wagen, Anhänger und die übrigen Maultiere bilden.
Vor dem noch immer hellen Himmel heben sich die Silhouetten der flüchtenden Banditen ab.
Lockhard und Sinclair schießen mit ihren Revolvern. Sie wollen nicht, dass die Burschen entkommen, um später wieder Postkutschenfahrer und Begleitmänner vom Bock zu schießen. Diese Bande hat schon genug Unheil angerichtet.
Deshalb hat die Postgesellschaft Lockhard und die Versicherung Sinclair angeworben.
☆
Drei Tage später trennen sie sich in Pierre.
Sie reiten gemeinsam aus der Stadt.
Hier führt eine Straße nach Norden, eine andere nach Westen.