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An einem schönen Spätherbstvormittag trat ich durch die Hintertür von Jack Garradines Saloon. Die Zeit war gut gewählt, denn Garradines Revolvermänner und Rausschmeißer schliefen, um am Abend wieder rüstig zu sein für eine wilde und sündhafte Nacht.
Als ich in Garradines Wohnzimmer trat, war er nicht allein. Er saß mit Ester McCrea beim Frühstück. Ester war der große Star in seinem Unternehmen. Wenn sie auf der kleinen Bühne ihre Lieder sang, war der Saloon gerammelt voll. Und wenn einer laut zu husten oder auch nur mit den Füßen zu scharren wagte, bekam er es von allen Seiten.
Der Frühstückstisch war prächtig gedeckt, so richtig nobel und wie es nur eine Frau machen kann. Das Paar hatte Stil ‑ selbst hier in dieser wilden Stadt.
Jack Garradine, der vor einem knappen Jahr noch Zahlmeister der Armee gewesen war, sah auch wirklich wie ein Gentleman aus. Er trug ein blütenweißes Hemd, eine bestickte Samtweste, und er war frisch gebadet, rasiert und manikürt.
»Raus mit Ihnen!«, sagte er, ärgerlich über die Störung. Ich sah ihm an, dass er noch etwas ganz anderes eingefallen wäre, wenn Ester nicht mit am Tisch gesessen hätte.
»Sie sind verhaftet, Garradine«, sagte ich zu ihm. »Ich bin Master Sergeant Noel Kane und habe den Befehl, Sie nach Fort Laramie zu bringen - tot oder lebend. Sie können sich’s aussuchen.«
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der lange Weg
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Salvador Faba / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0508-0
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Der lange Weg
An einem schönen Spätherbstvormittag trat ich durch die Hintertür von Jack Garradines Saloon. Die Zeit war gut gewählt, denn Garradines Revolvermänner und Rausschmeißer schliefen, um am Abend wieder rüstig zu sein für eine wilde und sündhafte Nacht.
Als ich in Garradines Wohnzimmer trat, war er nicht allein. Er saß mit Ester McCrea beim Frühstück. Ester war der große Star in seinem Unternehmen. Wenn sie auf der kleinen Bühne ihre Lieder sang, war der Saloon gerammelt voll. Und wenn einer laut zu husten oder auch nur mit den Füßen zu scharren wagte, bekam er es von allen Seiten.
Der Frühstückstisch war prächtig gedeckt, so richtig nobel und wie es nur eine Frau machen kann. Das Paar hatte Stil – selbst hier in dieser wilden Stadt.
Jack Garradine, der vor einem knappen Jahr noch Zahlmeister der Armee gewesen war, sah auch wirklich wie ein Gentleman aus. Er trug ein blütenweißes Hemd, eine bestickte Samtweste, und er war frisch gebadet, rasiert und manikürt.
»Raus mit Ihnen!«, sagte er, ärgerlich über die Störung. Ich sah ihm an, dass ihm noch etwas ganz anderes eingefallen wäre, wenn Ester nicht mit am Tisch gesessen hätte.
»Sie sind verhaftet, Garradine«, sagte ich zu ihm. »Ich bin Master Sergeant Noel Kane und habe den Befehl, Sie nach Fort Laramie zu bringen – tot oder lebend. Sie können sich’s aussuchen.«
Nach diesen Worten schloss ich die Tür ab, an der ich lehnte, und steckte den Schlüssel in meine Tasche. Ich bewegte mich durch den Raum zur anderen Tür hinüber. Ich stieß sie auf und blickte ins andere Zimmer.
Ich sah, dass Ester McCrea offensichtlich nicht mit ihm zusammenlebte. Sein Schlafzimmer war spartanisch einfach und nur für ihn allein bestimmt.
»Also los, vorwärts. Ziehen Sie sich an!«, sagte ich. »Ich gebe Ihnen fünf Minuten, Garradine. Dann nehme ich Sie so mit, wie Sie sind.«
Ester McCrea saß noch starr am Tisch. Sie war reizend und begehrenswert, auf eine eigenwillige Art lebendig und mehr als nur hübsch. Und nun staunte sie und hatte ihre grünen Augen weit geöffnet.
Er aber erhob sich und sagte trocken: »Verhaften? Hier in Montana gibt es kein Gesetz. Hier kann man nicht einfach herkommen und sagen, ich sei verhaftet. Das ist kindisch.«
»Ich diskutiere nicht mit Ihnen«, erwiderte ich. »Ich führe einen Befehl der Armee aus. Und nun haben Sie nur noch vier Minuten Zeit zur Verfügung.«
Er holte tief Atem, sah mich an, und er erkannte wohl in meinen Augen die Unabänderlichkeit der Dinge. Er sah auf meine beiden Revolver, die ich wie ein Zweihandmann im Kreuzgurt trug, und er kannte die Armee und wusste, dass diese keinen zweitklassigen Burschen nach Montana gesandt hatte.
Er war selbst groß und stark, bestimmt nicht ein einziges Pfund leichter als ich. Er konnte gewiss auch kämpfen und sich unter harten Männern behaupten.
Doch ich hatte ihn überrumpelt. Sein Waffengurt hing an der Wand an einem Kleiderhaken. Vielleicht hatte er noch irgendwo einen kleinen Derringer, wie ihn die Spieler oft im Ärmel oder in einer Tasche tragen. Doch ich würde aufpassen. Er wusste, dass er vorerst in meiner Hand war.
Nun sprang Ester McCrea plötzlich auf.
»Weshalb wollen Sie ihn verhaften? Was soll er verbrochen haben?«
Ich wollte mich auf keine Diskussion einlassen. Doch ich glaubte plötzlich, dass diese Frau dort ein Recht darauf hatte, Bescheid zu wissen über Jack Garradine, der sich hier im Goldland von Montana so sicher gefühlt hatte wie in China. Denn zwischen der Armee in Fort Laramie und dem Goldland von Montana lagen fast tausend Meilen Indianerland.
Ich entschloss mich, Ester McCrea eine Aufklärung zu geben. Und so sagte ich ruhig: »Jack Garradine war Zahlmeister bei der Armee. Er und ein Indianer-Agent hatten den Auftrag, einen ganzen Stamm von Agentur-Indianern für den Winter mit Proviant und all den anderen tausend Dingen zu versorgen. Sie erhielten für diesen Auftrag hunderttausend Dollar. Doch sie machten sich mit dem Geld aus dem Staub. Der Indianer-Agent wurde auf der Flucht von Indianern getötet. Garradine entkam. Und jener Stamm von Reservations-Indianern, der darauf vertraut hatte, für den Winter vom Großen Weißen Vater mit Lebensmitteln, Decken, Arzneien und vielen anderen Dingen versorgt zu werden, wurde grausam enttäuscht. Als der bittere Winter kam, verhungerten viele dieser Indianer. Die jüngeren brachen aus und zogen zu ihren wilden Vettern. Dabei überfielen sie viele Siedlungen, Handelsniederlassungen und Wagenzüge. Sie mordeten und plünderten. Unter den zurückbleibenden Roten aber brach auch noch eine Seuche aus. Das alles wäre nicht geschehen, hätten Garradine und jener Indianer-Agent ihren Auftrag redlich erfüllt. Und deshalb will die Armee diesen Mann haben. Sie werden ihn hängen. Oder ich werde ihn beim ersten Fluchtversuch töten. Jetzt wissen Sie Bescheid, Madam, nicht wahr?«
Sie starrte mich nur zwei Sekunden an. Und sie war bis in ihren tiefsten Kern erschrocken.
Doch dann richtete sie ihren Blick auf Jack Garradine und fragte ganz schlicht: »Stimmt das alles, Jack?«
»Nein«, sagte er. »Aber ich kann meine Unschuld nicht beweisen. Es spricht alles gegen mich. Ich schwöre dir, dass ich unschuldig bin.«
Da sagte sie nichts mehr.
Er aber wusste, dass er nur noch zwei Minuten hatte. Und so ging er in sein Schlafzimmer und kleidete sich binnen dreißig Sekunden vollständig an. Er nahm eine Decke und tat einige notwendige Dinge hinein, rollte alles zu einem Bündel zusammen, das man gut hinter einem Sattel festschnallen konnte.
»Wie viel Mann haben Sie denn bei sich?« Dies fragte er dann kühl. »Denn wenn es nicht genug sind, bekommen Sie mich überhaupt nicht aus dem Goldland heraus.«
Ich hatte plötzlich einen meiner Revolver in der Hand. Er zuckte leicht mit den Wimpern, als er mich ziehen sah. Es überrumpelte ihn, denn es sah gewiss so aus, als wäre der Revolver plötzlich in meine Hand gezaubert worden.
Ich hielt ihm die Mündung gegen den Bauch und durchsuchte die Taschen seiner pelzgefütterten Jacke.
Und richtig, ich fand einen Colt Derringer.
»Jetzt können wir gehen«, sagte ich. »Hinten hinaus, Mister – und immer schön ruhig und langsam. Wenn uns jemand fragt, wohin Sie wollen, dann sagen Sie einfach nur, dass Sie sich meinen Claim ansehen wollen, um ihn vielleicht zu kaufen. Und wenn Sie etwas anderes sagen oder etwas versuchen, was mich in die Klemme bringen könnte, so bekommen Sie die erste Kugel. Mein Befehl lautet: tot oder lebend. Und wenn Sie tot sind, brauche ich Sie nicht tausend Meilen weit durch das Indianerland zu schleppen. Also kommen Sie, Mister!«
Ich wandte mich kurz an Ester McCrea. »Sie können ihm nicht helfen«, sagte ich. »Versuchen Sie nur nicht, seine Revolverhelden zu alarmieren. Niemand kann ihm das Leben retten, sollte ich in Bedrängnis kommen. Er hat viele Menschenleben auf dem Gewissen. Er hat die Regierung, die Armee und einen ganzen Indianerstamm betrogen. Es macht mir nichts aus, ihn zu töten.«
Sie saß starr da. Gewiss brauchte sie noch eine Weile, um das alles zu verarbeiten. Sie liebte Jack Garradine, das war klar. Vielleicht würde sie auch eine Menge unternehmen, um ihn zu retten. Doch bis dahin würde ich mit Garradine einen Vorsprung haben.
Wir gingen hinaus. Nicht weit entfernt standen die Pferde. Denn ich hatte mir im Mietstall Garradines Pferd geben lassen. Er schnallte wortlos sein Bündel hinter dem Sattel fest und saß dann auf.
»Kane«, sagte er, »Sie kommen mit mir keine hundert Meilen weit. Dann sind Sie erledigt. Für mich ist das nur ein Spazierritt. Sie sind ein Narr, Sergeant!«
Ich gab ihm keine Antwort. Wir ritten los, und ich rief ihm manchmal zu, wie er zu reiten hatte. Sein Pferd war erstklassig, doch es konnte sich mit meinem Red Bill nicht messen. Mein Wallach war noch eine Klasse besser. Garradine konnte mir also nicht entkommen. Ich ließ ihn stets zwei Längen vorausreiten.
So ritten wir aus Last Chance City. Es war ein stiller Vormittag, denn die wilde Stadt ruhte noch aus von ihren Sünden der Nacht.
Aber Garradine wurde von fast allen Menschen gegrüßt, denen wir begegneten. Und später dann, als wir durch die Last Chance Gulch ritten, riefen von vielen Claims und Arbeitsplätzen Männer Grüße herüber.
Wir bogen dann in eine Querschlucht ein und ritten noch etwa fünfzehn Meilen.
Dann erreichten wir jenen Canyon, in dem ich meine Hütte hatte. Sie gehörte zu einem Claim, den ich für wenig Geld gekauft hatte, weil er wertlos war. Überhaupt war in diesem Canyon alles schon nach Gold abgesucht worden. Es war einer der verlassenen Plätze, weil kein Digger hier fündig geworden war.
Als ich mit Garradine vor die Hütte ritt, trat der Armee-Scout Les Henderson aus der Tür. Er grinste blitzend, und sein dunkelbraunes Piratengesicht bekam tausend Falten.
»Nun, Noel«, sagte er, »dann hätten wir also alle Vögel beisammen und können uns auf den Weg machen?«
Ich nickte und blieb im Sattel. Aber ich drängte mein Pferd neben Garradine und holte ein Paar Armeehandschellen aus der Satteltasche. Damit fesselte ich ihm eine Hand an das Sattelhorn, dessen Knauf so dick war, dass sich die Handschelle nicht über ihn hinweg abstreifen ließ.
Indes trieb Les Henderson unsere drei anderen Gefangenen aus der Hütte. Da kamen zunächst Kirby Scott und John Brackett. Sie hatten nur zwei Meilen von uns einen Claim, und wir hatten sie uns gestern geholt. Dann war da noch Lindsey Donovan, den wir vor einer Woche aus Hobson geholt hatten. Das war leicht gewesen, da er vollkommen betrunken gewesen war. Er gehörte zu jener Sorte von Männern, die sich alle paar Monate nur einmal betrinken, dann aber richtig. Als wir ihn vor einer Woche endlich gefunden hatten, befand er sich zufällig in jenem Zustand der Trunkenheit. Sonst hätten wir es schwer mit ihm gehabt. Ich hielt ihn für den Gefährlichsten unserer vier Gefangenen.
Nun, sie kamen also heraus, und sie alle trugen die zuverlässigen Armeehandschellen.
Hinter der Hütte gab es eine tiefe Spalte in der Canyonwand. Hier standen die Pferde. Indes ich die Gefangenen bewachte, machte Les Henderson die Tiere reitfertig und schnallte die Bündel mit den Habseligkeiten unserer Gefangenen fest. Er brachte dann auch unsere Bündel heraus, und als wir diese hinter dem Sattel festgezurrt hatten, waren wir fertig zum Abritt.
Unsere vier Gefangenen waren vollkommen still, aber sie glichen vier wachsamen Wölfen, die lautlos über uns herfallen würden, bekämen sie auch nur die geringste Chance.
Vor uns lagen fast tausend Meilen, und mehr als ein halbes Dutzend Indianerstämme würde versuchen, uns totzuschlagen.
Eigentlich war es von der Armee eine verrückte Idee gewesen, mich mit Les Henderson ins Goldland zu schicken, um vier Deserteure zu holen. Aber wenn es uns glückte, diese vier Vögel nach Fort Laramie zu bringen, so würde dies gewiss sehr abschreckend auf alle anderen Soldaten wirken, die an eine Flucht ins Goldland dachten und glaubten, dort genauso sicher zu sein wie auf dem Mond.
Wir sollten also beweisen, dass sie nirgends sicher waren vor dem langen Arm der Armee.
Nun, wir waren also an diesem frühen Spätnachmittag fertig zum Abritt. Aber ich musste den vier Gefangenen noch einige Worte sagen, damit es auch wirklich unterwegs keine Missverständnisse gab.
Und so sagte ich: »Der Befehl lautet, euch tot oder lebendig nach Laramie zu bringen. Wir werden recht lange beieinander und unterwegs sein. Vielleicht werdet ihr irgendwann einmal glauben, dass eure Chance gekommen sei. Ganz bestimmt werdet ihr es irgendwann einmal versuchen, denn sie werden euch in Laramie zur Abschreckung aufknüpfen. Aber ihr müsst damit rechnen, dass ihr dann tot seid. So schnell etwa!«
Ich zog einen meiner Revolver und schoss dreimal auf einen faustgroßen Stein, der etwa zehn Schritte entfernt am Boden lag. Ich traf ihn bei jedem Schuss, obwohl er wie von einem unsichtbaren Fuß getreten immerzu sprang.
Dann lud ich die Waffe neu.
»Jetzt wisst ihr Bescheid«, sagte ich. »Und Les Henderson schießt wahrscheinlich noch schneller und besser als ich. Reiten wir!«
Ich übernahm die Spitze. Sie schlossen sich mir an. Den Schluss machte Les Henderson.
Der lange Weg zurück nach Fort Laramie hatte begonnen.
Wir ritten an diesem Tag stetig bis zum Abend.
Die Sonne war im Westen hinter der langen Kette der Big Belt Mountains versunken. Vor uns lag der Musselshell River. Dahinter erhob sich der Komplex der Crazy Mountains. Da wir östlich um die Crazy Mountains herumreiten wollten, mieden wir die Hauptwege des Goldlandes.
Wir fanden an diesem ersten Abend einen guten Platz für ein Camp. Wir machten kein Feuer. Les Henderson und ich würden nun bis Laramie nur halb so viel Schlaf wie unsere Gefangenen bekommen. Denn wir mussten einander ablösen.
Die erste Nacht verging ohne besondere Schwierigkeiten. Offenbar war uns niemand gefolgt, um uns die Gefangenen wieder abzunehmen. Damit rechneten wir aber immer noch.
Wir brachen noch vor Tag wieder auf und ritten weiter. Erst gegen Mittag hielten wir an, um endlich ein Feuer anzumachen und eine warme Mahlzeit zu kochen. Wir waren nun von Last Chance City mehr als achtzig Meilen entfernt.
Unsere Gefangenen hatten all die Stunden geschwiegen, doch sie glichen immer noch lauernden Wölfen, die immerzu auf eine Chance warteten. Dass sie Handschellen trugen, machte sie nicht völlig ungefährlich. Und überdies wussten sie, dass ich den Schlüssel zu ihren Handschellen bei mir hatte.
Als wir kochten, mussten sie kleine Arbeiten verrichten, zum Beispiel Holz oder Wasser holen, die Pferde abreiben und allerlei andere Dinge tun.
Les Henderson und ich tauschten einmal einen kurzen Blick, als wir erkannten, mit welcher Liebe und Hingabe sich Jack Garradine und Lindsey Donovan mit unseren Pferden beschäftigten. Wir konnten uns denken, was geschehen würde, und wir wollten es geschehen lassen, damit wir den Burschen eine Lektion erteilen konnten.
Lindsey Donovan beschäftigte sich besonders gewissenhaft mit meinem Red Bill. Er rieb ihn sorgfältig trocken, knetete ihn durch und massierte ihn so, als wäre Red Bill sein eigenes Tier und ganz besonderer Liebling.
Jack Garradine tat dies mit seinem Tier, welches er offenbar für besser und schneller hielt als den hageren Grauen, den Les Henderson ritt.
Kirby Scott und John Brackett aber hockten am Feuer.
Als Kirby Scott dann Holz nachlegte, stieß er wie zufällig den Wasserkessel um.
Es zischte mächtig. Scott und Brackett stießen einen Doppelschrei des Erschreckens aus.
Und dann geschah es!
Lindsey Donovan und Jack Garradine schwangen sich auf die Pferde. Donovan saß so plötzlich auf meinem Red Bill, dass es sogar mich etwas überraschte. Er hatte sich meinen Red Bill als bestes Pferd ausgesucht. Mit einem wilden Schrei trieb er den roten Wallach vorwärts. Jack Garradine war etwas langsamer, doch auch er kam recht schnell weg.
Dann aber tönte mein scharfer Pfiff. Es war ein besonderer Pfiff. Mein Red Bill erinnerte sich wieder daran, was er einmal gelernt hatte. Er stand plötzlich fast senkrecht auf der Vorderhand, etwa so wie ein Mensch, der einen Handstand macht.
Lindsey Donovan segelte brüllend durch die Luft und machte eine ziemlich lange Reise, die in einem dornigen Gebüsch endete.
Ich selbst lief meinem zurückkehrenden Red Bill entgegen, sprang wie ein Indianer auf seinen Rücken und jagte Jack Garradine nach, der inzwischen fast hundert Yards Vorsprung hatte.
Hinter mir hörte ich Les Henderson lachend rufen: »Bleibt still sitzen, Jungs!«
Ich brauchte etwa eine halbe Meile, bis ich neben Jack Garradine war. Er wartete nicht, bis ich ihn aus dem Sattel schlagen oder schießen würde, sondern gab auf. Er hielt sein Pferd an und hob die mit Handschellen gebundenen Hände.
»Das hat dir wohl noch Spaß gemacht, uns so reinzulegen?« So fragte er grimmig.
»Für Sie bin ich Sergeant Kane oder Mister Kane«, sagte ich ruhig. »Ja, ich will zugeben, es war ein kleiner Spaß, aus dem ihr jedoch lernen solltet. Beim nächsten Fluchtversuch schieße ich. Es ist meine letzte Warnung. Ihr wisst nun Bescheid, dass ihr uns nicht reinlegen könnt, als wären wir Anfänger.«
Er sagte nichts mehr, doch er war sehr bleich unter seiner gebräunten Haut, so richtig fahl vor Schreck.
Als wir zum Camp kamen, war Lindsey Donovan fluchend damit beschäftigt, sich der vielen Dornen zu entledigen. Er sah wirklich ziemlich übel aus.
Als ich zu ihm trat, sah er zu mir empor und sagte heiser und fast zitternd vor heißer Wut: »Das war gemein, Sergeant – das war ein gemeiner Spaß. Dafür werde ich Ihnen den Schädel einschlagen. Irgendwann zwischen hier und Fort Laramie! Darauf können Sie sich verlassen.«
Nach dieser Mordandrohung beschäftigte er sich wieder damit, nach Möglichkeit alle Dornen aus seinem Fleisch zu entfernen.
Ich aber wandte mich an alle. »Es war kein Spaß«, sagte ich. »Es sollte eine Lektion sein – sozusagen die allerletzte Warnung, mit uns keine Tricks zu versuchen. Wer es jetzt immer noch nicht begriffen hat, dem wird kaum noch zu helfen sein.«
Alle vier starrten sie mich an, und dann richteten sie ihre Augen auf Les Henderson, der neben mich trat.
»Na gut«, sagte Kirby Scott, »wir werden die Lektion nicht vergessen. Ihr seid zwei tüchtige Burschen und wir sind traurige Nieten. Ihr werdet uns bestimmt nach Fort Laramie bringen. Dort wird man uns hängen. Warum regen wir uns eigentlich auf? Es geht schon alles in Ordnung.«
In seiner Stimme war bei aller scheinbaren Ruhe ein böser Sarkasmus und schwang kaum erkennbar die wilde heiße Wut mit, die tief in seinem Kern war.
Sein Kumpan John Brackett lachte plötzlich wild und verrückt.
Plötzlich lachten sie alle vier. Sogar Lindsey Donovan, dem die Dornen so viele Schmerzen bereitet hatten, lachte mit.
Aber in ihren schmalen Augen leuchtete es böse.
Eine Stunde später saßen wir wieder im Sattel.
Und wir alle wussten noch nicht und konnten auch nicht ahnen, dass wir am Abend eine ganz besondere Überraschung erleben würden.
☆
Bis zum Abend ritten wir noch mehr als zwanzig Meilen.
Unser Feuer machten wir dann bei Anbruch der Dunkelheit zwischen einigen Felsen in einer Senke, sodass man es gewiss nicht eher sehen konnte, bis man den Rauch in die Nase bekam.
Die Gefangenen benahmen sich recht normal. Sie gehorchten jedem Befehl. Am Anfang hatte es den Anschein, als wollten sie alles sehr langsam tun, doch als wir ihnen sagten, dass wir ihnen leicht eine gewisse Bereitwilligkeit einhämmern könnten, gaben sie auf.
Ich übernahm dann die erste Wache. Les Henderson legte sich irgendwo außerhalb des Feuerscheines zur Ruhe, und ich wusste, dass er wie ein misstrauischer Wolf bei der geringsten Kleinigkeit erwachen und auch schon die Waffe in der Hand halten würde.
Als sich Les Henderson zur Ruhe gelegt hatte, begann Kirby Scott plötzlich, einen Witz zu erzählen, über den die drei anderen Männer gewiss schallend lachen sollten.
Aber ich rief zu ihnen hinüber, dass sie still sein sollten. Sie gehorchten, und es blieb dann etwa zwei Stunden still im Camp. Man hörte nur die Atemzüge der Schläfer oder Schnarchtöne.
Und natürlich vernahm man in weiter Runde all die vielen Geräusche der Nacht und ihrer Tiere.