G. F. Unger 2085 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2085 E-Book

G. F. Unger

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Uferhöhle am White Wolf Creek war während des Blizzards ein ganz brauchbarer Unterschlupf. Trotzdem fühlte ich mich nicht besonders wohl in meiner Haut. Denn meine beiden Nachbarn in der Höhle, die sich in letzter Sekunde vor dem orgelnden Blizzard ebenfalls hier verkrochen hatten, waren berüchtigte Goldwölfe in den Black Hills. Und sie wussten, dass ich mit acht Pfund Gold nach River Port unterwegs war. Gold, das mir die Digger in Lucky Ben anvertraut hatten, weil sie nur mir zutrauten, die Goldwölfe aufs Kreuz zu legen, von denen sie sonst ausgenommen wurden wie Weihnachtsgänse.
Well, ich hatte das Vertrauen der Digger schon einige Male gerechtfertigt. Dennoch, diesmal würde es höllisch schwer werden. Meine Erfahrung sagte mir nämlich, dass der Blizzard drei, vier Tage anhalten könnte. Eine verdammt lange Zeit, wenn man sie, wie ich jetzt, mit zwei Hartgesottenen auf engstem Raum verbringen musste - immer auf der Hut vor einem ihrer höllischen Tricks. Ich hatte am Anfang sogar die Nerven, einige Stunden zu schlafen. Ich setzte einfach all meine Chips darauf, dass die beiden Nachbarn auf der anderen Seite des Feuers mir das nicht zutrauten ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Viele Wege – viele Kämpfe

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Salvador Faba / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0510-3

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Viele Wege –viele Kämpfe

Die Uferhöhle am White Wolf Creek war während des Blizzards ein ganz brauchbarer Unterschlupf. Trotzdem fühlte ich mich nicht besonders wohl in meiner Haut. Denn meine beiden Nachbarn in der Höhle, die sich in letzter Sekunde vor dem orgelnden Blizzard ebenfalls hier verkrochen hatten, waren berüchtigte Goldwölfe in den Black Hills. Und sie wussten, dass ich mit acht Pfund Gold nach River Port unterwegs war. Gold, das mir die Digger in Lucky Ben anvertraut hatten, weil sie nur mir zutrauten, die Goldwölfe aufs Kreuz zu legen, von denen sie sonst ausgenommen wurden wie Weihnachtsgänse.

Well, ich hatte das Vertrauen der Digger schon einige Male gerechtfertigt. Dennoch, diesmal würde es höllisch schwer werden. Meine Erfahrung sagte mir nämlich, dass der Blizzard drei, vier Tage anhalten könnte. Eine verdammt lange Zeit, wenn man sie, wie ich jetzt, mit zwei Hartgesottenen auf engstem Raum verbringen musste – immer auf der Hut vor einem ihrer höllischen Tricks. Ich hatte am Anfang sogar die Nerven, einige Stunden zu schlafen. Ich setzte einfach all meine Chips darauf, dass die beiden Nachbarn auf der anderen Seite des Feuers mir das nicht zutrauten ...

Jede Stunde etwa erwachte ich und legte Holz ins Feuer, sodass es relativ hell blieb in unserer Höhle.

Als ich Hunger verspürte, wusste ich, dass die Nacht vorbei sein musste. Doch ich blieb liegen. Irgendwann bewegten sich endlich meine Höhlen-Mitbewohner McMullen und French Pierre. French Pierre ließ sich sogar dazu bewegen, aus ihren Vorräten Kaffee zu kochen und Pfannkuchen mit Speck zu braten.

Während wir schweigsam aßen, starrten wir uns immer wieder an.

McMullen sagte schließlich: »Wir könnten Poker spielen, nicht wahr? Vielleicht könnten wir dir dein Geld und alles Gold abgewinnen, welches du bei dir hast, John Rosebud – und auch die acht Pfund Gold, die man dir anvertraut hat, nicht wahr?«

Ich grinste. »Lasst euch nur nicht auf ein Pokerspiel mit mir ein.«

Und French Pierre schüttelte auch sofort heftig den Kopf. Sein Piratengesicht verzerrte sich zu einem Grinsen.

»Nein, mit dir spielen wir nicht Poker. McMullen, du musst wissen, dass man gegen Rosebud beim Poker nicht gewinnen kann. Der kann riechen, ob du bluffst oder nicht.«

»So«, sagte McMullen nur, sonst nichts.

Aber sein schräger Wolfsblick funkelte böse.

Wir sprachen nicht mehr viel, lagen und hockten nur herum, legten Holz nach und lauschten auf den Blizzard.

Am Abend dieses Tages veränderte unsere Situation sich langsam. Ich konnte es wittern – irgendwie mit meinem Instinkt erfassen.

Die beiden Goldwölfe wurden ungeduldig. Der Blizzard dauerte ihnen schon zu lange. Sie wollten gerne zurück in die Amüsierlokale von Lucky Ben, zum Whisky, den Mädchen, den Karten.

In dieser Nacht schlief ich nicht mehr.

Wenn ich Holz nachlegte, hielt ich meinen Colt bereit und hatte überdies die zweite Waffe in meinem Ärmel.

Ich musste ständig befürchten, dass sie mich unter ihren Schlafdecken mit ihren Colts anvisierten und auf mich schossen, besonders dann, wenn ich meinen Oberkörper aufrichtete und Holz ins Feuer legte. Dann bot ich für sie ein gutes Ziel.

Aber auch diese Nacht verging. Sie taten es nicht – noch nicht. Sie warteten immer noch. Wahrscheinlich glaubten sie, dass ich nun schon die zweite Nacht ohne Schlaf wäre. Aber es war die erste. Ich war noch nicht ausgebrannt vor Müdigkeit.

An diesem zweiten Tag bereitete McMullen unser Essen.

Am nächsten Tag würde ich an der Reihe sein. Und ich wusste, dann würden sie es mit mir versuchen – wahrscheinlich in dem Moment, wenn ich beide Hände für das Essenmachen brauchte.

Ja, es kam so, wie ich es vermutet hatte.

Als ich mit der linken Hand die Pfanne hielt und mit der rechten Hand und dem Messer den Pfannkuchen umdrehte, da hielt McMullen plötzlich seinen linken Colt in der Hand. Es war wie Zauberei, so schnell zog er ihn.

Aber er schoss nicht.

Sie wollten keinen Toten in der Höhle haben. Vorerst wollten sie nur meine Waffe. Das war verständlich, denn sie hatten sich ausgerechnet, dass ich keine dritte Nacht mehr wach bleiben konnte.

»Ich will nur deinen Colt, Rosebud«, sagte McMullen. »Du brauchst die Pfanne und den schönen Pfannkuchen nicht hinzuwerfen – nein, nein. Der liebe Pierre kommt sich nun deinen Colt holen. Bleib schön friedlich, mein Junge – schön brav.«

Ich hielt eine Weile den Atem an. Denn es stand auf des Messers Schneide, ob er schießen würde oder nicht. Er war zu sehr ein Killer, um Feinde, die er sich machte, am Leben zu lassen.

Aber dann schoss er doch nicht. Und ich tat nichts, um ihn zu reizen.

Dann kam French Pierre im Bogen um mich herum, trat hinter mich und durchsuchte mich nach weiteren Waffen. Doch den kleinen Colt im Ärmel meiner Felljacke fand er nicht.

Mein Messer durfte ich behalten, weil ich ja noch weiter die Pfannkuchen braten sollte.

Ich machte weiter.

McMullen steckte auch bald seinen Colt wieder weg.

Sie glaubten, dass ich ohne Waffe keine Chance gegen sie hatte.

French Pierre sagte nach einer Weile kauend und zwischendurch den heißen Kaffee schlürfend: »Tut mir leid, alter Junge – tut mir wirklich leid. Doch du konntest doch wohl nicht wirklich glauben, dass du uns ewig an der Nase herumführen und für die Goldgräber auf Schleichwegen das schöne Gold aus dem Land schaffen könntest. Einmal musste es für dich nicht gut ausgehen, nicht wahr?«

»Du bist wohl sehr schnell mit dem Colt?«, fragte ich ihn und fügte hinzu: »Ich sah noch nie einen Mann so schnell ziehen. Du hast im Süden gewiss einen berühmten Namen, nicht wahr?«

Er grinste und blieb kühl. Nein, er ließ sich von mir nicht einwickeln. Er war keiner von diesen eitlen Schießern, die sich gerne bewundern ließen. Er war ein Killer. Ich wusste, er würde mich töten, sobald der Blizzard nachgelassen hatte.

Ich fragte nach einer Weile: »Wenn ihr mir das Gold abnehmt – wie viel bekommt ihr denn von der Beute? Ihr bekommt doch bestimmt nicht alles, nicht wahr? Ihr gehört doch nur zu einer organisierten Bande. Ihr müsst eure Beute abliefern und bekommt dann einen Anteil. Wer ist denn euer Boss? Da ihr mich ja wahrscheinlich umlegen werdet, könnt ihr mir das ja noch sagen – oder?«

Pierre lachte leise.

McMullen sah ihn an und blickte dann wieder auf mich.

»Ist der tatsächlich so kaltschnäuzig, Pierre?«, fragte er.

Und Pierre nickte. »Ich hätte nie geglaubt«, sprach er kauend, »dass wir ihn so leicht würden abrasieren können. Oder hast du noch ein Ass im Ärmel, Freund John Rosebud?«

Ich konnte im Feuerschein seine Augen gut erkennen. Ich sah darin auch das jähe Funkeln, und ich glaubte, dass ihm jetzt bestimmt einfiel, dass er mich zwar nach Waffen absuchte, jedoch nicht meine Ärmel befühlte.

Ich konnte richtig seine Gedanken lesen. Sein Mund formte sich auch schon zu einem Fluch. Vielleicht sah er nämlich mir jetzt an, dass ich wirklich noch ein Ass im Ärmel hatte. Seine Instinkte waren nicht weniger schlecht als meine.

Nun, ich konnte nicht länger warten. Denn gleich würde auch McMullen etwas wittern und seinen Colt ziehen.

Deshalb warf ich meinen Arm vor und schleuderte gewissermaßen meine Hand gegen die beiden Banditen.

Es klappte gut.

Der kleine Colt rutschte aus dem Ärmel, und er hatte genug Schwung, um bis in meine Hand zu gleiten.

Ich sah sie beide ziehen. Pierre fluchte, und dieser Fluch war für McMullen das Signal.

Sie zogen blitzschnell.

Aber ich kam ihnen zuvor. Ich schoss früher, und ich musste auf McMullen schießen, weil dieser schneller war als Pierre. Ich traf ihn voll. Die zweite Kugel bekam Pierre. Aber es war noch nicht genug. Es ging noch immer weiter. Diese beiden Goldwölfe gaben noch nicht auf.

Sie schossen, und nur weil sie schon von mir so schwer angeschossen waren, trafen sie mich nicht richtig. Wieder schoss ich nacheinander auf McMullen und French Pierre.

Und dann endlich war es vorbei.

Die Höhle war voller Pulverrauch. Er biss in die Augen.

Ich spürte an zwei Stellen heftige Schmerzen, wo die Kugeln mich zumindest gestreift haben mussten. Doch es konnten keine schlimmen Wunden sein, denn ich blieb auf den Beinen. Ich ging um das Feuer herum und kniete bei Pierre nieder, der seine Augen öffnete.

Er verzerrte sein stoppelbärtiges Gesicht zu einem Grinsen und sagte: »Gut gemacht, Rosebud – gut gemacht, du verdammter Indianer. In der Hölle sehen wir uns wieder.«

»Sicher, Pierre«, sagte ich.

Dann war er tot. Ich drückte ihm die Augen zu.

Verdammt noch mal, wegen ein paar Pfund Gold brachten sich hier die Menschen um.

Ich sah nach diesem McMullen. Auch er war tot.

Draußen war es plötzlich still.

Der Blizzard war gestorben.

Es war zehn Tage später, als ich von River Port am Cheyenne River zurück nach Lucky Ben reiten wollte. Ja, ich hatte eine Menge Zeit verloren, denn ich konnte nach dem Blizzard die Uferhöhle am White Wolf Creek erst drei Tage später verlassen.

Ich saß noch beim Frühstück in Hank Overbridges Gaststube, als eine junge Frau eintrat. Ich hatte sie zuvor die Treppe herunterkommen hören.

Ihr Blick richtete sich sofort auf mich, und ich wusste gleich, dass sie etwas von mir wollte. Denn sie war darauf vorbereitet, mich zu sehen. Jemand hatte ihr gesagt, dass ich beim Frühstück saß.

Ich staunte über ihren Anblick, denn er war so unerwartet. Er war wie ein Geschenk. Dabei war sie nicht ausgesprochen schön, aber sie war mehr als reizvoll. Sie war rassig, eigenwillig hübsch. Und sie bewegte sich wie eine ausgebildete Tänzerin. Dabei strömte sie eine Lebendigkeit aus, die nicht geziert, sondern natürlich war.

Verdammt noch mal, solch ein Mädel hatte ich noch niemals in meinem ganzen Leben gesehen.

Ihre grünen Augen waren etwas schräg. Sie hatte rotblonde Haare und etwas zu volle Lippen.

Ich merkte endlich, dass ich immer noch staunte und dabei sogar das Kauen vergaß. Wahrscheinlich sah ich ziemlich blöd aus in diesem Moment. Und deshalb bemühte ich mich, wieder normal zu wirken.

Ich kaute also weiter. Und als sie mir ein Lächeln schenkte, da nickte ich höflich.

Sie nahm nicht an einem der vier anderen Tische Platz, sondern kam an meinen Tisch. Bevor ich mich erheben und ihr den Stuhl zurechtrücken konnte, hatte sie schon mit einer schnellen und gleitenden Bewegung mir gegenüber Platz genommen.

»Sitze ich etwa an Ihrem Tisch, Ma’am?« So fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich an. Dabei prüften mich ihre Augen. Ich erkannte ein paar feine Linien um ihre Mundwinkel und auch um die Augen. Sie hatte auch ein paar Sommersprossen um die Nasengegend und auf der Nase selbst.

»Nein, dies ist nicht mein gewohnter Tisch«, sagte sie. »Ich möchte mit Ihnen reden, Ihre Bekanntschaft machen. Mister Overbridge sagte mir, dass Sie der einzige Mann wären, dem ich mich in diesem verdammten Land anvertrauen könnte. Ich bin Sue Maryland. Und ich brauche Ihre Hilfe.«

Ich schwieg und dachte nach.

Diese Sue Maryland gefiel mir immer besser. Auch ihre Stimme ging mir gewissermaßen unter die Haut. Sie war dunkel, melodisch und hatte ein besonderes Timbre.

Verdammt noch mal, träumte ich? Hatte sie gesagt, dass sie meine Hilfe brauchte? Plötzlich klingelte es irgendwie in meinen Ohren.

Nun war ich auch schon wieder der misstrauische Wolf.

»Dann muss ich mich wohl nicht vorstellen, wenn Ihnen der Agent hier schon was von mir erzählte«, murmelte ich und wollte mir Kaffee nachgießen, aber sie kam mir zuvor und bediente mich.

Dann sagte sie schlicht und knapp: »Nehmen Sie mich mit nach Lucky Ben. Ich muss unbedingt nach Lucky Ben, bevor es völlig eingeschneit ist. Es ist wichtig für mich, sehr wichtig. Bitte.«

Nun wusste ich es also. Und deshalb betrachtete ich sie noch einmal genau. Was wollte eine schöne Frau wie sie um diese Jahreszeit in einer wilden Goldgräberstadt?

War sie ein Flittchen? Oder eine Glücksjägerin, ein Edelflittchen? Sollte ich sie fragen, warum sie nach Lucky Ben wollte?

Ich sah sie an, und ich hatte die Frage schon auf der Zunge. Doch dann erkannte ich den Ausdruck in ihren Augen und wusste, dass sie nicht darüber reden würde.

Und dies wieder gefiel mir irgendwie.

Aber ich sagte: »Das ist ein harter Ritt bis Lucky Ben. Es ist höllisch kalt geworden. Man muss gewiss dreimal unterwegs im Freien übernachten. Das ist nichts für eine Frau wie Sie – Miss oder Mrs Maryland.«

»Miss«, sagte sie, »einfach nur Miss. Aber da wir ja bald zusammen reiten werden, sollten Sie mich gleich Sue nennen, John.«

Verdammt, woher nahm sie ihre Sicherheit? Wieso glaubte sie, dass ich sie mitnehmen würde?

Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Daraus wird nichts. Ich nehme Sie nicht mit, Sue Maryland. Sie könnten das nicht durchhalten. Warten Sie, bis die Postkutsche wieder fahren kann – auch wenn es bis zum Frühling dauern sollte. Sie sind eine schöne Frau, Sue – und Sie würden mir eingehen unterwegs. Nein!«

Ich sprach das letzte Wort sehr nachdrücklich, weil sie schon Luft holte, um mich mit irgendwelchen Worten umzustimmen.

»Nein!« Ich wiederholte es nochmals.

Sie sah mich aus schmalen Augen an, und sie war zornig, ja richtig böse. Ich war nun darauf gefasst, dass sie schimpfen oder gar loskreischen würde, um mir zu sagen, was sie von mir hielt. Aber sie behielt sich unter Kontrolle. Sie beherrschte sich.

Sie erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung, verharrte einen Moment, so als wollte sie mir Gelegenheit geben, alles noch einmal zu überdenken.

Ich sagte: »Hier ist es schöner als in Lucky Ben.«

Sie nickte nur und ging. Doch am Durchgang zur Diele und der Treppe hielt sie noch einmal inne und sah mich über die Schulter hinweg an.

»Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir etwas von Ihrer Zeit geopfert haben«, sagte sie. »Und wenn wir uns unterwegs nach Lucky Ben sehen sollten, dann kümmern Sie sich einfach nicht um mich.«

Damit ging sie.

Ich fluchte kauend. Das Frühstück schmeckte mir nicht mehr so gut. Denn ich traute dieser Sue Maryland plötzlich zu, dass sie sich allein auf den Weg machte.

Hank Overbridge, der Handelsagent und das Oberhaupt von River Port, trat von draußen ein. Er zog seine dicke Jacke aus und schlug sich die Arme kreuzweise um die Brust bis zu den Schulterspitzen.

»Paaah, ist das kalt«, sagte er. »Dein Pferd steht fertig zum Abritt. Sie hat sich die graue Stufe gekauft – weißt du, die Vance Kelly bei mir ließ, als er im Herbst heimreiste nach Missouri. Sie versteht was von Pferden. Die Stute trägt Wintereisen.«

Ich sagte zuerst nichts. Dann aber fragte ich, indes Hank Overbridge zu mir an den Tisch kam und sich setzte: »Was weißt du über sie, Hank?«

Hank Overbridge war ein starkknochiger, schon grauköpfiger Bursche. Er hatte sich vom Frachtfahrer hochgearbeitet. Auf seine Menschenkenntnis konnte man sich verlassen.

»Sie ist kein Flittchen«, sagte er überzeugt. »Sie hat Format. Aber ich halte sie für eine Abenteurerin, der nichts mehr fremd ist auf dieser Erde. Verstehst du, John? Die hat schon herausgefunden, wie schlecht die Welt ist, und gelernt, sich darin zu behaupten. Die glaubt an nichts mehr, nur noch an sich selbst. Warum sie nach Lucky Ben will, weiß ich auch nicht. Sie kam mit der letzten Postkutsche vor dem Blizzard. Aber sie erkundigte sich nach einem Mann, der hier durchgekommen sein musste. Sie sagte, dass der Bursche etwas über dreißig Jahre alt wäre und wie ein blonder Sieger aussehen würde. Ja, sie sagte blonder Sieger, und dieser Vergleich stimmt wirklich. Denn ich sah diesen Burschen im Herbst und dachte unwillkürlich an einen strahlenden Helden, an einen lachenden Sieger – an einen Königssohn. Verstehst du, John?«

Ich dachte nach. Aber dann verstand ich ihn.

Ein sogenannter schöner Mann war hier durchgekommen und im Goldland verschwunden. Und diese Sue Maryland war hinter ihm her.

Ich dachte nach, versuchte mich an einen außergewöhnlich schönen oder stattlichen blonden Burschen zu erinnern, der jetzt in Lucky Ben leben musste. Ich kannte mich aus in Lucky Ben und in all den anderen Camps und Nestern des Goldlandes.

Aber wenn der Bursche erst vor wenigen Wochen ins Land kam, so war ich ihm vielleicht doch noch nicht begegnet.

Ich nickte Hank Overbridge zu, stand auf, ging zum Wandhaken und nahm dort meine Felljacke herunter. Indes ich sie anzog, sagte ich: »Die reitet allein. Denn ich lehnte es ab, sie nach Lucky Ben zu bringen. Die ist ja verrückt. Verstehst du, Hank, ich bin nicht für sie verantwortlich!«

Nach diesen Worten ging ich hinaus.

Draußen knirschte der Schnee unter meinen Füßen. Es hatte eine Handbreit hoch in der vergangenen Nacht geschneit. Doch dann war es klar und kalt geworden.

Der Stallmann brachte mein Pferd heraus.

Er sagte: »Mein Bruder bedient im Lucky Ben Saloon. Es ist der Dicke mit dem Schnurrbart, an dessen Enden man Klimmzüge machen könnte. Sag ihm, dass man daheim die Steckbriefe gegen ihn eingezogen hätte. Ein Zeuge hat sich gemeldet, der es auf seinen Eid nahm, dass nicht mein Bruder, sondern sein Gegner zuerst zur Waffe griff und mein Bruder nur in Notwehr handelte. Verstehst du, er kann heimkehren. Mom hat den Zeugen aufgetrieben. Mom ließ nicht locker. Sagst du Bill das alles?«

»Sicher«, erwiderte ich. »Und wo ist Miss Maryland?«

»Schon abgeritten«, sagte er. »Sie hatte ihr Bündel schon bei sich, als sie herkam. Sie reitet die graue Stute von Vance Kelly und hat ein Gewehr im Sattelfutteral. Sie feilschte um jeden Dollar. Sie sagte, du würdest sie sicherlich bald einholen.«

Ich würgte einen Fluch hinunter und nickte nur.

Ich ritt nicht schnell, denn ich schonte mein Pferd für die Berge. Erst am späten Mittag holte ich die Meile Vorsprung auf, die Sue Maryland heute am frühen Morgen gehabt hatte.

Sie wandte sich nur einmal um.