G. F. Unger 2091 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2091 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

In Kansas City waren auch die kleinsten Geschäfte bis Mitternacht geöffnet. Ich betrat den Store. Der große Verkaufsraum war leer. Ich stellte mich am Ladentisch dicht bei der Kasse unter die Karbidlampe und überprüfte noch einmal meine Einkaufsliste.
Plötzlich hörte ich im Hintergrund ein Gepolter ‑ und dann klang es wie ein Keuchen. Ich lauschte gespannt. Ja, es waren Kampfgeräusche. Zwei Menschen rangen offensichtlich miteinander. Ich entschloss mich, nachzusehen. Im Hintergrund des Stores herrschte Halbdunkel. Es gab dort Regale, Kisten, Ballen, Fässer, gefüllte Säcke. Und es gab auch einen Stapel Decken und Matratzen.
Auf den Matratzen wälzten sich zwei Menschen. Und die Frau war es, die keuchte. Der Mann hielt ihr den Mund zu.
Ich sagte: »He, lass sie los, sonst gibt’s was!«
Er ließ sie auch wirklich los, aber nur, um mich anzugreifen ...


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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Für Mary Ann durch die Hölle

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0710-7

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Für Mary Anndurch die Hölle

In Kansas City waren auch die kleinsten Geschäfte bis Mitternacht geöffnet. Ich betrat den Store. Der große Verkaufsraum war leer. Ich stellte mich am Ladentisch dicht bei der Kasse unter die Karbidlampe und überprüfte noch einmal meine Einkaufsliste.

Plötzlich hörte ich im Hintergrund ein Gepolter – und dann klang es wie ein Keuchen. Ich lauschte gespannt. Ja, es waren Kampfgeräusche. Zwei Menschen rangen offensichtlich miteinander. Ich entschloss mich, nachzusehen. Im Hintergrund des Stores herrschte Halbdunkel. Es gab dort Regale, Kisten, Ballen, Fässer, gefüllte Säcke. Und es gab auch einen Stapel Decken und Matratzen.

Auf den Matratzen wälzten sich zwei Menschen. Und die Frau war es, die keuchte. Der Mann hielt ihr den Mund zu.

Ich sagte: »He, lass sie los, sonst gibt's was!«

Er ließ sie auch wirklich los, aber nur, um mich anzugreifen ...

Er war jünger als ich – ein wilder Junge, zornig und böse, weil ich ihn gestört hatte.

Er hatte keine Chance gegen mich, denn er war ein schwächlicher Ladenclerk, der nicht mal mit dem Mädchen zurechtgekommen war. Sie hatte offenbar wie eine Katze gekämpft.

Ich schlug dem Burschen die Faust zur Seite, mit der er mein Gesicht treffen wollte, und gab ihm eine Maulschelle, dass er fast einen Purzelbaum schlug. Er landete dort, wo die Schaufel- und Axtstiele in der Ecke standen. Er packte einen der Axtstiele und wollte damit auf mich losgehen. Nun gab ich es ihm richtig.

Und als er am Boden lag und sich nicht mehr rührte, da sah ich mich nach dem Mädel um, dem er hatte Gewalt antun wollen.

»Es ist ja vorbei«, sagte ich.

Sie lehnte an einem Regal und ordnete ihre Kleidung. Er hatte sie ihr schon halb heruntergerissen. Sie war noch jung, etwas mager – aber sie war ganz bestimmt nicht hässlich.

Ihr Haar war aufgelöst. Sie hielt den Kopf etwas gesenkt, sodass ich sie nicht so genau ansehen konnte. Ihr Haar hing ihr ins Gesicht.

»Danke«, sagte sie, »vielen Dank! Ich komme jetzt schon zurecht mit ihm. Er ist der Sohn des Besitzers. Gehen Sie lieber. Wenn er wieder zu sich kommt, wird er um Hilfe brüllen. Und sein Vater ist einer der führenden Männer der Bürgerwehr. Gehen Sie, Mister!«

Sie sprach die letzten Worte sehr eindringlich, warnend und besorgt. Sie machte sich offenbar mehr Sorgen um mich als um sich.

»Arbeiten Sie hier?« So fragte ich sie.

Sie nickte. »Seit drei Tagen. Aber ich werde mir morgen eine andere Arbeit besorgen. Ich danke Ihnen. Aber bitte gehen Sie jetzt. Bitte!«

»Ihr Name«, murmelte ich, »wie ist Ihr Name, Schwester?«

»Mary Ann, Mary Ann Forsyth. Und Ihrer, Mister?«

»Jamey Jones.«

»Ich danke Ihnen, Mister Jones. Doch jetzt gehen Sie endlich, bevor sein Vater von oben herunterkommt. Bitte!«

Sie bat so eindringlich und war so voll Sorge, dass ich ihr den Wunsch erfüllen musste. Und so nickte ich und sagte: »Aber ich warte draußen, Mary Ann!«

Und dann ging ich wirklich.

Ich überquerte die Fahrbahn und stellte mich schräg gegenüber dem Store in eine Hauslücke.

Dann wartete ich.

Es dauerte nicht lange, da kam ein großer und bulliger Mann auf die Straße gelaufen. Er hielt eine Schrotflinte in den Händen und sah sich nach beiden Richtungen um. Wahrscheinlich suchte er nach mir und war sich nicht schlüssig, wohin ich gelaufen sein konnte. Denn die Straße war ja nicht leer. Es gab viele Fußgänger, Reiter, Fuhrwerke. Es war Betrieb in Kansas City auf der Mainstreet.

Aber er suchte offenbar nach einem großen Burschen, der wie ein Indianer aussah, einem Mann, der es auffällig eilig hatte.

Schließlich rannte er nach links davon. Denn in dieser Richtung ging es zur Stadtmitte hin. Dort war der Trubel noch größer, und ein Mann konnte im Trubel verschwinden wie eine Nadel im Heuhaufen.

Ich ließ ihn laufen. Warum auch sollte ich zu ihm gehen und ihm Aufklärung geben? Wenn er der Vater dieses heißblütigen Schuftes war, dann würde er gewiss nicht mir und dem Mädel glauben. Sonst wäre er nicht mit der Schrotflinte herausgekommen wie eine böse Bulldogge aus ihrer Hütte.

Ich wartete eine Weile.

Drüben im Store rührte sich nichts. Er war erleuchtet. Zweimal gingen Kunden hinein und kamen auch wieder heraus. Aber weder das Mädchen noch der Bursche waren zu sehen.

Aber dann kam der Mann zurück, der mit der Schrotflinte herausgelaufen war. Er war nicht allein. Er hatte noch ein paar Burschen bei sich, und es waren ganz offensichtlich Bürger der Stadt wie er, Kaufleute oder Handwerker. Sie trugen Schrotflinten wie er. Einer trug auch noch einen Colt und hatte einen Marshalstern auf der Weste. Im Lampenlicht konnte ich das gut genug erkennen, obwohl ich tief im Dunkeln der Hauslücke stand.

Ich bewegte mich nicht, denn ich erinnerte mich an die Worte des Mädels. Sie hatte mir gesagt, dass der Storebesitzer einer der führenden Männer der Bürgerwehr sei. Das war mir Warnung genug.

Die Männer gingen in den Store und kamen mit dem Mädchen wieder heraus. Es war klar, dass es verhaftet worden war.

Der bullige Storehalter blickte der Gruppe nach.

Ich tat es auch, und es entging mir nicht, wie stolz sich das Mädel bewegte.

Wie eine Queen schritt sie zwischen den Hammeln, die sich missbrauchen ließen, weil sie so arglos und dumm waren.

Für mich war klar, dass der clevere Bursche dort drinnen seinem Vater eine miese Geschichte erzählt hatte, die das Mädel schlimm belastete. Und da er der Sohn eines ehrenwerten Bürgers dieser Stadt war, konnte sein Wort nur von ehrenwerten Zeugen widerlegt werden.

Und ehrenwert waren hier nur Bürger der Stadt, Fremde gewiss nicht.

Das Mädel tat mir leid.

Dadurch, dass ich ihr half und diesen heißen Lümmel so verprügelte, hatte ich ihr großen Schaden zugefügt.

Was sollte ich tun?

Hinübergehen?

Nein, mein Instinkt hielt mich davon ab. In solch einer wilden Stadt gab es kein Recht für einen hergelaufenen Büffeljäger.

Ich zog mich durch die Hauslücke zurück, gelangte in eine Gasse und erreichte die Hintertür der Spielhalle, in der ich vor nicht langer Zeit noch siebenundzwanzig Dollar verloren hatte.

Ich tat so, als wäre ich mal im Hof gewesen, wo sich das Örtchen befand, zu dem überall auf dieser Welt auch Kaiser und Könige zu Fuß hingehen mussten.

Ich trat wieder an den Farotisch, bei dem eine kaltäugige Schöne die Karten zog. Sie erkannte mich sofort wieder. Ich grinste sie an, und in ihre Augen kam ein Funkeln anderer Art. Ich hatte solches Funkeln schon dann und wann in den Augen von Frauen gesehen, die sich für mich interessierten.

Ich grinste, zeigte ihr mein blitzendes Gebiss, holte etwas Geld hervor und sagte: »Ich hatte schon mal Pech bei Ihnen – ich meine beim Spiel«, sagte ich. »Ob das ein gutes Zeichen ist, weil es doch heißt, dass man bei Pech im Spiel Glück in der Liebe hat?«

Die anderen Spieler, die mit mir um ihren Farotisch standen, grinsten mit mir um die Wette. Und es wurden auch ein paar anzügliche Scherze gemacht.

Aber bis auf das Glitzern in ihren Augen blieb die schöne Kartenausteilerin kühl. Sie lehnte sich nur etwas vor, sodass ich erkennen konnte, was sie in ihrer tief ausgeschnittenen Bluse hatte.

Dabei sagte sie: »Ich bin keine Wahrsagerin und Kartenleserin, Mister. Ich teile hier nur bis Mitternacht die Karten aus.«

Bis Mitternacht. Das war es also, was sie mir sagen wollte. Irgendwie begriff ich es. Es war etwas in ihren Augen, in ihrer Stimme. Ich wusste es zu deuten, und ich nickte leicht, sodass sie wusste, ich würde nach Mitternacht auf sie warten.

Dann machte ich meinen Einsatz. Und nun gewann ich zweimal hintereinander.

Wenn ich bei meinem Aberglauben blieb, musste das Pech in der Liebe bedeuten.

Aber den dritten Einsatz verlor ich.

Plötzlich waren zwei Mann rechts und links neben mir. Einer trug den Stern eines Deputys. Der andere war wahrscheinlich ein Mann der Bürgerwehr. Er hatte eine von diesen abgesägten Schrotflinten bei sich. Sie war gewissermaßen sein Abzeichen.

Beide Männer sahen mich von den Seiten her an.

»Das könnte er sein«, sagte der von der Bürgerwehr.

Und der Deputy Marshal nickte.

Ich aber sagte: »Gentlemen, was soll's denn sein?«

»Sie waren vor einer halben Stunde noch in Shashiers Store«, sagte der Deputy. »Dort ...«

»Das war ich nicht«, sagte ich. »Ich bin seit zwei Stunden in dieser Spielhalle und ging nur mal ganz kurz auf den Hof. Wen Sie auch suchen, Gentlemen, bei mir sind Sie falsch.«

Alle sahen mich nun an.

Auch die schöne Kartenausteilerin, und sie hatte einen sehr nachdenklichen Ausdruck in ihren Augen.

»Was ist denn passiert, Steve?« So fragte sie den Deputy, den sie offenbar gut kannte.

Er grinste und ließ mich nicht aus den Augen.

»Shashiers Sohn Bill war mit der neuen Gehilfin allein im Store, als ein Bursche hereinkam, der die Kasse haben wollte. Es stellte sich heraus, dass die neue Gehilfin mit dem Banditen zusammenarbeitete, denn sie half ihm, Bill Shashier niederzuschlagen. Der Bandit flüchtete mit dem Geld, weil Bills Vater von oben herunterkam. Aber das Mädel konnte nicht mehr flüchten. Bill, der sich zuletzt bewusstlos stellte, bekam sie noch am Fuß zu fassen. Sie fiel, und er hielt sie richtig fest, indes sein Vater auf die Straße lief. Jetzt suchen wir nach ihm. Bill gab uns inzwischen eine Beschreibung. Der Kerl soll wie ein zu groß geratener Cheyenne aussehen. Und der hier sieht doch wohl so aus – oder?«

»Eher wie ein Comanche«, sagte ich. »Aber da ich mich hier nicht weggerührt habe, müsst ihr nach einem anderen Cheyenne oder Comanchen suchen. Es gibt von diesem Aussehen gewiss noch einige Dutzend in dieser Stadt. Viel Glück.«

Ich wandte mich wieder dem Farotisch zu und machte meinen Einsatz.

Die schöne Kartenausteilerin sagte zum Deputy: »Er war wirklich die ganze Zeit hier, Steve. Er kann es nicht gewesen sein.«

Da gingen sie.

Und ich bedankte mich mit den Augen bei der Schönen.

Indes ich noch ein paar Dollars verlor, fragte ich sie beiläufig: »Ich wette, Sie heißen Aphrodite – oder?«

Sie lachte nun. »Warum? Weil mal ein Paris einer Aphrodite den Apfel reichte?«

Ich nickte, und ich wusste, dass sie ganz gewiss nicht dumm und ungebildet war.

»Ich heiße Elsa«, sagte sie. »Das weiß hier jeder.«

Ich grinste. »Nicht wegen des Apfels«, sagte ich. »Ich dachte mehr daran, dass Aphrodite zugleich auch Venus war. Und so wie Sie, Elsa, sah sie aus. Ich habe sie oft auf alten Bildern gesehen – allerdings nackt.«

Die anderen Spieler wieherten nun. Sie hielten das, was ich sagte, für Anzüglichkeiten.

Ich aber gewann dann noch mal ein paar Dollars und machte mich auf die Socken. Ich wusste, dass Elsa auf mich warten würde nach Mitternacht.

Nun, sie hatte mir ein Alibi verschafft, und eigentlich war es nicht schön von mir, sie warten zu lassen. Und genau das würde ich tun müssen.

Aber vielleicht wollte sie auch nur einen Anteil an meinem vermeintlichen Raub haben. Solch eine Store-Kasse war hier in Kansas City nach einem langen Tag wohl gefüllt.

Shashiers Sohn war ja ein feines Früchtchen. Er hatte offenbar die Gelegenheit benutzt, dem Vater die Kasse zu leeren und alle Schuld auf Mary Ann Forsyth und mich, den Unbekannten, zu schieben. Und da er wahrhaftig schlimm zusammengeschlagen worden war von mir – was Mary Ann unmöglich vollbracht haben konnte –‍, glaubte man ihm den unbekannten Banditen auch.

Was sollte ich tun?

Ich musste mich schleunigst auf die Socken machen und durfte nicht länger mehr an ein paar schöne Stunden mit Elsa denken.

Aber da war diese Mary Ann, und die hatten sie im Gefängnis.

Sollte ich zum Town Marshal gehen? Oder sollte ich es sogar zu einer Gerichtsverhandlung kommen lassen und als Zeuge auftreten?

Unter vernünftigen Menschen musste meine Aussage gegen Bill Shashiers Aussage stehen und von Mary Anns Aussage noch unterstützt werden. Wir mussten von allen Anschuldigungen freigesprochen werden.

Doch dies hier war ja keine Stadt mit vernünftigen Menschen. Hier hielten Bürger, Geschäftsleute und Handwerker gegen alles zusammen, was von draußen kam. Und oft genug waren das ja auch üble Strolche und der Abschaum der ganzen Grenze.

Man konnte diese Leute hier zum Teil verstehen. Kansas City war eine Insel in einer von Piraten und Haien verseuchten See. Deshalb hatte es keinen Sinn für mich, auf Gerechtigkeit hoffen zu können.

Dem Sohn eines ehrenwerten und geachteten Storehalters würde man Glauben schenken. Das war nun mal so.

Aber ich konnte das Mädel doch nicht im Loch sitzen lassen!

Also gab es nur eine einzige Möglichkeit.

Ich holte sie eine Stunde vor Morgengrauen heraus.

Und das war ganz einfach.

Sie hatten sie in einem abgelegenen Flügel des Gefängnisses in eine ebenerdige Zelle gesperrt. Durch die Gitterstäbe konnte ich sie im Licht einer Öllampe betrachten. Sie saß auf der harten Holzpritsche und weinte.

Ich hatte mir aus dem Wagenhof eine Brechstange mitgebracht und bog damit die Gitterstäbe weit genug auseinander.

Sie hatte mich natürlich bald schon bemerkt, war zum Fenster getreten und sah mir zu.

»Na, dann komm«, sagte ich. »Du brauchst nur auf den Hocker zu treten und dich zwischen den Stäben durchzuquetschen. Aber schnell! Bald könnte jemand kommen.«

Sie zögerte noch. Und dann sagte sie: »Ich habe ein gutes Gewissen. Ich sage dem Richter die Wahrheit – und dann ...«

»Er wird dir nicht glauben«, unterbrach ich sie. »Und das weißt du genau! Oder bist du ein angesehenes Bürgermädchen dieser Stadt? Hast du eine Familie und deren Freunde mit Einfluss hinter dir?«

»Nein«, sagte sie.

»Dann komm endlich«, drängte ich. »Und wenn es dich beruhigt, so sage ich dir, dass meine Mom mich einst so erzog, dass ich keine Tiere quäle und Frauen achte. Also?«

Mary Ann entschloss sich nun. Sie stieg auf den Schemel und von dort auf die Fensterbank. Als sie sich durch die auseinandergebogenen Gitterstäbe quetschte, half ich ihr.

Dann nahm ich sie bei der Hand.

Es war eine kleine, feste und geschmeidige Hand. Und sie war warm. Es lag etwas Vertrauensseliges in der Art, wie sie ihre Hand in der meinen ließ.

Ich hatte schon alles vorbereitet. Mein Wagen stand im Hof der Wells-Fargo-Gesellschaft, bespannt mit meinen vier Pferden. Ich half Mary Ann hinauf. Da ich sie dabei um die Taille fasste und anhob, konnte ich fühlen, wie weiblich doch dieses Mädel bei aller Schlankheit war. Und leicht war sie, sehr leicht. Sie wog gewiss kaum mehr als hundertzehn Pfund.

Ich setzte mich neben sie, nahm die Zügel, löste die Bremse – und dann fuhren wir durch die Nebel des grauen Morgens, welcher jetzt dabei war, endlich die Nacht zu besiegen. Ich fuhr zum Fluss hinunter und nahm dann den Flussweg nach Westen.

Sie saß stumm neben mir, hielt den Rücken gerade und das Kinn erhoben. Sie sah nach Westen – aber vorerst konnte sie nicht viel erkennen. Denn der Nebel war am Fluss noch dichter als in der Stadt. Man konnte kaum mehr als zwanzig Schritte weit sehen. Aber ich kannte den Weg. Ich wusste genau, welche Furt wir zu nehmen hatten, wenn wir über den Kansas River auf dessen Nordseite wollten.

Und das wollte ich. Ja, das hatte ich vor.

Bis zur Mündung des Big Blue waren es drei lange Tage. Dann kam man nach einem weiteren Tag zur Mündung des Republican.

Und von dort aus – nach Nordwesten zu, also Richtung Cheyenne und Fort Laramie, welches jetzt der Armee gehörte und nicht mehr weißen Händlern –‍, da war mein Revier.

Aber was machte ich mit dem Mädel?

Ich sah sie manchmal von der Seite her an. Sie war dunkelhaarig und hatte grüne Augen. Ihr Gesicht war hübsch, apart, eigenwillig. Sie war keine strahlende Schönheit, aber sie war mehr als reizvoll.

Sie war auch nicht mehr ganz so jung, wie ich am Anfang glaubte. Sie musste älter als zwanzig sein. Um ihre Mundwinkel gab es ein paar feine Kerben, die mir verrieten, dass ihr ein paar Dinge auf dieser Welt gewiss nicht mehr fremd geblieben waren.

Inzwischen war es Tag geworden.

Sie konnte mich ganz genau betrachten. Und das tat sie auch.

»Eine Schönheit bin ich nicht«, sagte ich.

»Ich auch nicht.« Sie lächelte.

Aber da war ich anderer Meinung. Ich schüttelte auch sofort den Kopf und sagte: »Nun – vielleicht nicht schön. Aber sehr reizvoll, mehr als hübsch. Jedenfalls gefallen Sie mir mächtig, Mary Ann. Und das würde jedem Mann so ergehen, denke ich.«

»Leider«, sagte sie herb. »Denn das war es ja immer. Es gab immer einen Burschen, dem ich gefiel, zwischen siebzehn und siebzig. Es gab immer einen, der mich ins Heu oder über ein Bett werfen wollte, wo ich auch arbeitete. Und manchmal fragte ich mich, warum ich dies eigentlich nicht ausnutzte und in den Tingeltangels arbeitete. War das dumm?«

Sie stellte mir diese Frage sehr ernsthaft. Ich erkannte das in ihren Augen. Aber ich konnte ihr keine Antwort geben und zuckte nur mit den Schultern.

Dann aber fiel mir die Kartenausteilerin gestern in der Spielhalle ein, die ich versetzt hatte und die mir durch Bezeugung eines Alibis half.

»Es kommt darauf an«, murmelte ich durch das Räderrollen und den Hufschlag meiner vier Pferde. »Es kommt darauf an, ob man kalt und hart sein kann – oder ob man zu gut und zu warmherzig ist. Ist man Letzteres, dann zerbricht man in den Tingeltangels schnell. Denn diese Welt und auch viele Männer sind mies, gemein, rücksichtslos, schuftig. Und sie wollen von einem jungen Mädchen nur eines.«

»Und Sie?« Sie fragte es knapp. Aber in ihren Augen war eine ruhige Gefasstheit, die mir sagte, dass sie vielleicht schon mehr als einmal für etwas bezahlen musste, was nicht umsonst sein konnte.

Aber ihre beiden Worte trafen mich ziemlich hart. Sie waren wie ein Schlag in den Magen.

Denn was wollte ich eigentlich? Ihr nur uneigennützig helfen? Den edlen Ritter spielen?

Heiliger Rauch, konnte ich so edel sein? War ich nicht auch nur einer dieser Burschen, die ihre Notlage ausnutzen würden?

In diesem Land gab es so wenige Frauen, dass manche Männer sich Squaws nahmen, mit denen sie kein Wort reden konnten. Und selbst die hässlichsten Frauen fanden hier Männer. Ich aber hatte ein hübsches Mädchen aus einem Gefängnis befreit und befand mich mit ihr auf der Flucht.

Oh, sie wusste ziemlich genau, dass sie würde bezahlen müssen. Sie kannte sich aus. Ich sah es an ihrem abschätzenden Blick. Und dennoch war dieser Blick anders als jener der Spielerin von der vergangenen Nacht.

Ich grinste plötzlich.

»Mary Ann«, sagte ich, »du solltest mir mal ein wenig von dir erzählen. Und dann werde ich dir von mir erzählen. Es könnte wohl nicht schaden, wenn wir uns ein wenig kennenlernten – oder?«

Sie nickte sofort. »Ja, das könnte nicht schaden«, murmelte sie. Doch dann fragte sie ernst: »Wo bringst du mich hin, Jamey Jones? So ist doch dein Name, nicht wahr? Jamey Jones?«

Ich nickte. Und dann deutete ich mit der Peitsche den Fluss entlang.