1,99 €
Als er südlich des El Capitan den Pecos durchquert, da hofft er, dass er seine Verfolger abgeschüttelt hat.
Das Land vor ihm steigt allmählich zu den Davis Mountains an, die weiter im Norden in die Guadalupe Mountains übergehen.
Als er hoch genug geritten ist, hält er an und zieht sein Pferd herum. Der Blick reicht weiter als fünfzig Meilen über den Pecos hinweg, der unter ihm wie ein dünnes Rinnsal wirkt.
Und dann sieht er seine Verfolger als winzige Punkte, kaum größer als Hundeflöhe, aber dennoch in der trockenen Luft gut zu erkennen.
»Das ist es also«, murmelt er. »Sie geben nicht auf und werden mich auch noch über den Rio Grande hinweg verfolgen.«
Bewegungslos sitzt er im Sattel, holt sein Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette. Seine Hände sind geschmeidig. Es sind kräftige Hände mit Fingern, denen man eine Menge zutraut. In diesen Fingern ist eine stählerne Kraft.
Als er sich die Zigarette ansteckt, bewegt sich nichts in seinem Gesicht. Es ist ein Gesicht mit dunklen Linien, grauen Augen und einigen Narben. Doch um seinen festen Mund erscheint nun der Hauch eines Lächelns. Es ist ein bitteres Lächeln.
»Nun gut«, murmelt er. »Diese Narren hätten aufgeben sollen. Ich bin weit genug davongelaufen ...«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Rio Grande
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0712-1
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Rio Grande
Als er südlich des El Capitan den Pecos durchquert, da hofft er, dass er seine Verfolger abgeschüttelt hat.
Das Land vor ihm steigt allmählich zu den Davis Mountains an, die weiter im Norden in die Guadalupe Mountains übergehen.
Als er hoch genug geritten ist, hält er an und zieht sein Pferd herum. Der Blick reicht weiter als fünfzig Meilen über den Pecos hinweg, der unter ihm wie ein dünnes Rinnsal wirkt.
Und dann sieht er seine Verfolger als winzige Punkte, kaum größer als Hundeflöhe, aber dennoch in der trockenen Luft gut zu erkennen.
»Das ist es also«, murmelt er. »Sie geben nicht auf und werden mich auch noch über den Rio Grande hinweg verfolgen.«
Bewegungslos sitzt er im Sattel, holt sein Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette. Seine Hände sind geschmeidig. Es sind kräftige Hände mit Fingern, denen man eine Menge zutraut. In diesen Fingern ist eine stählerne Kraft.
Als er sich die Zigarette ansteckt, bewegt sich nichts in seinem Gesicht. Es ist ein Gesicht mit dunklen Linien, grauen Augen und einigen Narben. Doch um seinen festen Mund erscheint nun der Hauch eines Lächelns. Es ist ein bitteres Lächeln.
»Nun gut«, murmelt er. »Diese Narren hätten aufgeben sollen. Ich bin weit genug davongelaufen ...«
Er bleibt ruhig auf seinem hageren, zähen, großen Wallach sitzen, raucht die Zigarette mit Genuss zu Ende, drückt dann die Kippe am Sattelhorn aus und lässt sie zu Boden fallen.
Mit einem bitteren Seufzer sitzt er endlich ab und lockert seinem Pferd den Sattelgurt. Der Wallach zieht sich sofort in den Schatten eines Felsens zurück. Und auch der Mann findet einen guten Platz im Schatten, kaum ein Dutzend Schritte von seinem Wallach entfernt. Er hockt sich nieder, holt aus der Innentasche seiner Weste ein Kartenspiel hervor und beginnt die Karten zu mischen.
Was er dann mit den Karten macht, ist Zauberei. Allerlei Kunststücke vollführt er.
Und so würde einem Beobachter klar werden, dass er entweder ein Zauberkünstler oder einer dieser berufsmäßigen Spieler ist, die sich bei Pechsträhnen mit solchen Zauberkunststücken zu Gewinnern machen.
Die Zeit vergeht.
Einmal erhebt er sich, tritt zu seinem Pferd und holt sich etwas Proviant aus der Satteltasche, nimmt auch einen Schluck aus der Wasserflasche.
Dann wartet er wieder. Von seinem Platz aus kann er die drei Reiter gut beobachten.
Erst als diese den Aufstieg beginnen, verliert er sie manchmal für Minuten aus den Augen. Doch sie tauchen immer wieder auf, kommen auf dem engen, sich windenden Passweg immer höher.
Es ist dann gegen Mittag und die Sonne steht hoch am Himmel. Die aufragenden Dinge – mögen es Felsen oder Bäume sein – werfen keinen Schatten mehr.
Als er den Hufschlag der Pferde hört, erhebt er sich auf der Terrasse des Hanges und rückt seinen Revolver zurecht.
Sie erreichen nun die Terrasse, und als sie ihn so plötzlich sehen, da zügeln sie jäh ihre Pferde.
Eine Weile herrscht Schweigen.
Dann hören sie ihn halblaut sagen: »Willkommen auf der Anhöhe. Ich bin jetzt lange und weit genug geritten und habe gehofft, dass ihr umkehren würdet. Wisst ihr, ich möchte nämlich nicht ständig über die Schulter blicken müssen, um zu sehen, ob ich Schatten auf meiner Fährte habe. Jetzt habt ihr die Wahl. Entweder ihr kehrt um oder wir tragen es jetzt und hier aus.«
Als er verstummt, da ist ihnen klar, dass er alles gesagt hat und die Entscheidung nun bei ihnen liegt.
Sie können es nur noch nicht glauben. Für sie war dies bis jetzt eine Jagd. Sie sind zu dritt, er ist allein.
Nun aber stellt er sich ihnen.
Einer von ihnen sagt nach einer Weile: »Es wäre alles so einfach, wenn du das Geld wieder herausgäbst, welches du dem Jungen abgenommen hast. Weißt du, sein mächtiger Vater ist darüber sehr verärgert. Du kannst einem Lonnegan nicht einfach so das Fell über die Ohren ziehen. Gewiss, Little John Lonnegan ist ein Kotzbrocken, ein arrogantes Arschloch. Aber er ist nun mal der Sohn eines Cattle Kings. Und dieser Cattle King ist unser Boss. Wir lassen dich laufen, wenn du das Geld herausgibst.«
Als der Mann verstummt, schüttelt er den Kopf.
»Jungs«, spricht er mit einem kalten Lächeln, »dieser Little John Lonnegan ist alt genug. Dass er mal verlieren musste, ist wahrscheinlich für seine weitere Entwicklung nur von Vorteil. Er musste mal begreifen, dass er nicht deshalb immer gewinnen kann, weil er der Prinz eines Cattle Kings ist. Er hat gespielt und seinen Einsatz gemacht. Bei jedem Spiel gibt es einen Verlierer. Haut ab. Grüßt Big John Lonnegan von mir. Mein Name ist Finn, Oven Finn. Und mein Spiel war fair und ehrlich. Ich habe nur besser gespielt als dieser aufgeblasene Wild John. Haut ab!«
Sie hören es und wollen es nicht glauben.
Denn sie sind ja keine gewöhnlichen Cowboys einer Riesenranch. Nein, sie sind Revolverreiter. Jede große Ranch hat solche Reiter auf ihrer Lohnliste. Und sie sind besonders hart und erfahren. Sie fühlen sich als Coltritter.
Und so sagt ihr Sprecher hart: »Oven Finn, wir gehören zu der harten Sorte, die niemals kneift. Wir werden dich erschießen müssen. Du wirst nicht mehr als einen von uns schaffen können. Zwei von uns werden mit Sicherheit überleben. Eine solche Chance ist groß genug für unsere Sorte.«
Nach diesen Worten schwingen sie sich von den Pferden und treten von ihren Tieren weg. Dabei rücken sie ihre Revolver mit den Holstern zurecht. Alles wirkt irgendwie theatralisch, so als wollten sie ihn damit besonders beeindrucken, ihm das Unabänderliche und Ausweglose seiner Lage klarmachen.
Es vergehen einige Sekunden – und jede dieser Sekunden ist so lang wie eine Ewigkeit. Sie wissen, dass sie einen gefährlichen Mann verfolgten, der einen von ihnen töten wird, wenn nicht sogar zwei. Und dennoch können sie nicht mehr kneifen.
Sie sprechen kein Wort mehr.
Dann aber stößt ihr bisheriger Sprecher einen Fluch aus. Es ist ein scharfes Fauchen.
Und dann ziehen sie.
Ja, sie sind schnell. Doch noch bevor sie ihre Läufe frei bekommen und hochschwingen können, da sehen sie das Mündungsfeuer ihres Gegenübers aufleuchten. Und seine Kugeln treffen sie, stoßen sie zurück.
Doch sie schießen noch. Sie sind böse getroffen, aber sie schießen zurück in diesen schwarzen und bösen Sekunden.
Dann fallen sie – einer auf die Knie, die anderen rückwärts.
Das Krachen der Waffen verhallt in den Davis Mountains.
Plötzlich ist es unwirklich still.
Nach einer Weile ertönt auch das Stöhnen der Getroffenen. Nun wird klar, dass sie nicht tot sind.
Oven Finn aber verharrt noch breitbeinig. Aus seinem Revolverlauf kommt nun kein Pulverrauch mehr. Er wartet unbeweglich. Dreimal schoss er, und so hat er noch drei Kugeln in der Trommel.
Doch der Kampf ist vorbei. Keiner der drei Revolverschwinger erhebt sich, um es noch mal zu versuchen.
Oven Finn greift sich an die Seite. Dort spürt er den Schmerz der Wunde. Er drückt sein Hemd dagegen, hofft, dass er so die Blutung stoppen kann.
Dann steckt er den Revolver weg und nähert sich den Besiegten.
Jener, der zuerst auf die Knie fiel, liegt nun bäuchlings auf dem Gesicht. Mit dem Fuß dreht Oven Finn ihn auf den Rücken. Der Mann stöhnt und blickt zu ihm hoch.
»Oh, du warst besser als wir drei zusammen«, knirscht er.
»Ihr hattet die Wahl«, murmelt Oven Finn. »Wenigstens beklagst du dich nicht, dass ihr verloren habt.«
Er tritt nun zu den anderen. Einer setzt sich aus eigener Kraft auf und verzerrt sein Gesicht. »Hat dich wirklich keiner von uns erwischen können?«, stöhnt er.
Oven Finn nimmt seine Hand von seiner Seite. Und da sieht der Revolverschwinger, dass sich dort das Hemd dunkel färbte.
»Hoffentlich entzündet sich die Wunde«, spricht er. »Hier gibt es weit und breit keinen Doc. Dann hätten wir dich letztlich doch geschafft.«
»Ihr seid drei Narren«, sagt Oven Finn und schüttelt den Kopf. Dann tritt er den zu dem dritten Mann und blickt auf diesen nieder.
Der Mann ist bewusstlos. Aber die Kopfwunde ist nur ein Streifschuss. Finn kann es gut erkennen. Die Kugel traf diesen Mann wie eine Keule. Irgendwann wird er mit Kopfschmerzen erwachen.
»Ihr habt Glück gehabt«, spricht Finn. »Ich hätte euch auch ...«
»Schon gut, schon gut«, unterbricht ihn der Mann heiser. »Aber selbst wenn wir irgendwie noch in die Sättel kommen und unten am Pecos jemanden finden könnten, der unsere Wunden versorgt, unseren Job sind wir los. Wir können Big John Lonnegan nicht mehr unter die Augen treten. Der verachtet Versager. Zur Hölle mit dir, Spieler!« Die letzten Worte stößt der Mann geradezu mit böser Inbrunst aus.
Oven Finn sagt nichts mehr. Er geht zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet weiter. Seine Wunde schmerzt. Er wird sie irgendwie versorgen müssen, und zwar bald.
✰
Er verliert in den nächsten Stunden einiges Blut, aber er bleibt trotz der zunehmenden Schmerzen im Sattel.
Nur als er eine Wasserstelle erreicht, hält er sich dort eine Weile auf. Er findet einige Heilkräuter, deren Namen er nicht weiß, die er aber trotzdem kennt. Er macht aus diesen Kräutern eine dicke Pampe und legt sie auf die tiefe Streifwunde, reißt sein Reservehemd in Streifen und wickelt sie darüber.
Dann reitet er weiter.
Er will die Davis Mountains hinter sich bringen und hinunter zum Rio Grande. Irgendwo dort soll mächtig viel Silber gefunden werden. Camps und Campstädte entstanden.
Die Silberfunde lockten alle an, die auf ihr Glück setzten, Gute und Böse, Reine und Sündige. Alle Sorten sind dort im Silberland am Rio Grande beisammen.
Das ist auch ein lohnendes Revier für einen Spieler, der sich als Cowboy tarnt. Und dorthin will der Spieler Oven Finn. Er war ja wirklich mal ein Cowboy.
Er reitet also weiter nach Süden und hofft, dass sich die Wunde nicht entzünden wird.
Es ist dann gegen Abend, als er die Stadt in der zunehmenden Dunkelheit an ihren Lichtern erkennen kann.
Und noch etwas kann er erkennen: Er hat den Rio Grande erreicht. Die Stadt vor ihm – oder ist es nur ein Camp? – liegt am Rio Grande.
Wahrscheinlich gibt es dort auch eine Fähre, denn er hat den Wagenweg erreicht, welcher von Mexiko herüberkommt.
Im stärker werdenden Licht der Gestirne glänzt der Rio Grande fast wie Silber. Doch er kennt diesen Strom und weiß, dass er bei Tageslicht nicht silbern ist, eher rötlich braun. Und fast nach jedem größeren Unwetter verändert sich das Flussbett. Dann kann es durchaus sein, dass Ortschaften, die vorher zu Mexiko gehörten, plötzlich auf der texanischen Seite sind – oder umgekehrt.
Er hält an, bewegt sich nicht mehr im Sattel, versucht sich zu entspannen. Denn da er verharrt, lassen die Schmerzen der inzwischen entzündeten Wunde etwas nach.
Als er wieder anreitet, kann er ein Stöhnen nicht unterdrücken. Im Schritt reitet er auf die Lichter zu.
Als er die ersten Hütten erreicht, wird ihm klar, dass dies einmal ein altes mexikanisches Dorf war, welches aus Adobehütten rings um eine Mission und deren Kirche entstand, als hier noch die spanischen Dons und später die Mexikaner herrschten.
Weiter in der Ortsmitte stehen Häuser mit Arkaden. Überall sind Geschäfte, Lokale, Tingeltangel. Es gibt Saloons, wie Anglo-Amerikaner sie bevorzugen, aber auch Fondas, Bodegas, Cantinas.
Und überall herrscht reges Leben. Überall stehen Sattelpferde und Fahrzeuge jeder Art. Aus vielen Lokalen klingt Musik. Er hört Gitarren, Kastagnetten – und auch Gesang.
Als er die alte Plaza erreicht, die von Häusern mit Arkaden umgeben wird, hält er inne. Jetzt gehen Fieberschauer durch seinen hageren und zähen Körper und er hält mit beiden Händen das Sattelhorn umklammert.
Als ein Erzwagen, der mit durstigen Arbeitern von einer Mine gefüllt ist, herangerast kommt, da springt sein Wallach mit ihm zur Seite. Er fällt fast aus dem Sattel.
Dann aber ist ein Junge neben ihm und fragt zu ihm empor: »Señor, es geht Ihnen wohl nicht gut? Betrunken sind Sie nicht. Brauchen Sie Hilfe, weil Sie krank sind?«
Er blickt auf den Jungen nieder. Dieser ist mexikanischer Abstammung und mag etwa dreizehn oder vierzehn Jahre zählen.
»Gibt es hier einen Doc, Chico?«, fragt Finn heiser auf den Jungen nieder.
Dieser grinst blinkend und erwidert: »Ich heiße nicht Chico, sondern Manuel. Einen Medico haben wir tatsächlich hier bei uns in Paraiso. Aber der ist entweder um diese Zeit schon betrunken oder er sitzt in der Puta Casa von Doña Elvira und versucht ihr das Haus abzugewinnen mit all den wunderschönen Señoritas darin.«
»Bring mich hin, Manuel«, verlangt Oven Finn heiser.
»Für einen Dollar«, erwidert Manuel ernst. »Hier bei uns in Paraiso bekommt man nichts umsonst. Hier gibt es keine Christenliebe, Señor. Und ich muss auch leben.«
Finn greift in seine Hemdbrusttasche und holt dort einen Dollar heraus. Der Junge fängt ihn auf, so wie er eine Fliege aus der Luft fangen würde. Dann setzt er sich in Bewegung.
Der Weg führt von der Plaza durch eine Gasse zu einem schönen Haus an deren Ende.
Musik, Gelächter, Lampenschein, das alles lässt erkennen, dass drinnen im Innenhof und auch in den Räumen alles in Betrieb ist. Dort in dieser Casa amüsiert man sich.
»Das ist es, Señor«, sagt Manuel. »Der Medico wird mit Doña Elvira gewiss neben der nach oben führenden Treppe sitzen. Es ist eine herrliche Marmortreppe, die hinauf zum Paradies führt, wo die wunderschönen Señoritas warten. Eines Tages werde auch ich dort hinaufgehen.«
Er wendet sich ab und eilt davon. Gewiss sucht er bald wieder nach anderen Verdienstmöglichkeiten auf der Plaza im Durcheinander der Menschen.
Oven Finn rutscht langsam aus dem Sattel. Dann verharrt er neben seinem Wallach und hält sich die Seite. Es dauert eine Weile, bis er keinen Schwindel mehr in seinem Kopf spürt. Nun setzt er sich in Bewegung. Sein Wallach folgt ihm wie ein Hund.
Als er zum Innenhof durchgehen will, tritt ihm ein Mann entgegen.
»Señor, Sie müssen eine Weile warten«, sagt der Mann. »All unsere Señoritas haben schon Gäste. Keine könnte sich um Sie kümmern. Vielleicht möchten oder wollen Sie nicht so lange warten, weil es Ihnen pressiert?«
»Ja, mein Freund«, murmelt Finn, »ich bin mächtig in Eile. Mir pressiert es wirklich sehr. Doch ich will nicht zu einer von euren Schönen, sondern zum Doc. Er soll bei euch dort drinnen sein. Also lassen Sie mich zu ihm, mein Bester.«
»Es geht nicht.« Der riesige Zerberus grinst. Er hat zwar keine drei Köpfe wie jener Höllenhund aus der Sage, doch er hebt nun seine mächtigen Fäuste und zeigt diese Finn.
»An mir kommt niemand vorbei«, brummt er. »Und der Doc will jetzt wirklich nicht gestört werden, weil er mit der Patrona Poker spielt. Basta.«
Er wirkt nach diesen Worten sehr selbstgefällig und wippt auf seinen Fußsohlen.
»Oh, mein lieber Freund ...«, beginnt Oven Finn. Dann aber schlägt er zu. Jetzt zeigt er, wie gefährlich er sogar noch als kranker Mann ist. Seine Linke trifft die Leberpartie des Mannes, und weil dessen Leber offenbar nicht mehr die Beste ist, knickt er mit seinem rechten Bein ein und fällt auf sein Knie. Als er Finn den Nacken darbietet, schlägt dieser mit den verschränkten Fäusten wie mit einem großen Hammer zu.
Er steigt dann über den Körper des Mannes hinweg und stöhnt dabei vor Schmerzen.
Einige Schritte schwankt er wie ein Betrunkener, doch dann wird sein Gang wieder sicherer. Sein Wallach folgt ihm immer noch.
Er betritt den Innenhof. Unter den Arkaden erkennt er den weit offenen Eingang. Auch im Innenhofgarten sind Tische und sitzen Paare. Drinnen spielt Musik. Die Tische unter den Arkaden sind ebenfalls besetzt. Es ist eine laue Nacht.
Er tritt ein, sieht sofort die prächtige Treppe, die geschwungen nach oben führt. Wahrscheinlich baute sich mal ein spanischer Don dieses Haus und ließ den Marmor von weither heranschaffen.
Tatsächlich sitzt in dem Winkel unter der geschwungenen Treppe eine Pokerrunde beisammen. Es sind drei Männer und eine Frau.
Die Frau ist wunderschön. Ja, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Doña, also eine besonders bemerkenswerte Frau, gebildet, schön – eben etwas ganz Besonderes mit einer Ausstrahlung, welche auf andere Menschen gewiss suggestiv wirkt.
Die Blicke der Frau und die von Finn treffen sich.
Sie sieht einen großen, hageren, indianerhaft wirkenden Mann, dessen Augen fiebrig glänzen. Das Hemd an seiner Seite ist mit Blut getränkt, welches nun getrocknet ist. Man sieht ihm an, dass er ziemlich am Ende ist.
Dennoch greift er an seinen Hut und spricht: »Ma'am, ich bitte um Vergebung, weil ich Ihre Pokerrunde störe. Doch ich brauche den Doc.«
Sie hat schwarze Augen. Ihr Haar leuchtet wie poliertes Rotgold im Lampenschein. Und sie lächelt. Dann spricht sie mit einer kehligen Stimme ruhig: »Sie haben es gehört, Doc.«
Einer der Spieler, der bisher mit dem Rücken zu Finn saß, wendet sich halb auf seinem Armstuhl um und betrachtet Finn von oben bis unten.
»He, Sie müssen warten«, spricht er mit ziemlich schwerfällig wirkender Zunge. »Ich muss erst noch meine Pechsträhne beenden. Ich behandle Patienten erst wieder morgen Mittag. Sie stören jetzt.«
Er wendet sich wieder zu dem runden Tisch um, wo eine Menge Geld im Pokertopf liegt.
»Wer geht mit?« So fragt er heiser. »Ich habe um hundert Dollar erhöht. Wer geht also mit?«
Aber da tritt Finn näher und legt ihm die Hand auf die Schulter.
»Doc, ich brauche wirklich Ihre Hilfe«, murmelt er. »Wenn Sie ein richtiger Doc sind, dann haben Sie einen Eid geschworen. Und ich bitte Sie nicht nochmals. Also?«
Aber der Doc wendet nicht mal den Kopf, sondern knurrt: »Morgen habe ich wieder Sprechstunde. Und vielleicht – hahaha! – bin ich gar kein richtiger Doc.«
Sie alle am Tisch starren nun auf den hageren, indianerhaft wirkenden Fremden. Und dann sehen sie in dessen Hand plötzlich wie durch Zauberei den Revolver. Er drückt die Mündung in den Nacken des Doc. Sie hören den Fremden heiser sagen: »Doc, wenn Sie mir nicht helfen, werde ich sterben. Aber Sie werden vor mir tot sein, jetzt gleich.«
Da erhebt sich der Doc. Er ist mittelgroß, dick und lässt an einen fetten Kater denken. Sein Gesicht verzerrt sich nun. Ja, er ist betrunken und deshalb störrisch und böse.
»Dann erschieß mich doch, du Hundesohn«, faucht er. »Sie werden dich dann hier dafür hängen, hahaha!«
Während seiner Worte wandte er sich Finn zu. Und er muss zu diesem aufsehen.
Finn drückt ihm nun den Colt in die Magengrube.
Aber diesem Doc imponiert das nicht besonders.
Doch dann spricht die Frau am Tisch klirrend: »Edson Hallderan, jetzt ist es genug. Sie werden ihn sofort behandeln. Ich stelle ihm eins meiner Zimmer zur Verfügung. Und einer meiner Angestellten wird Ihre Tasche holen. Ich werde Ihnen assistieren. Dieser Mann hat starkes Wundfieber. Das kann sogar ich erkennen. Die Pokerrunde ist für heute beendet. Sie werden ihn ...«
Mehr hört Oven Finn nicht mehr. Denn nun fällt er um.
Er hielt durch, bis die ganze Sache geklärt war.
Und das ist sie ja auch.
✰
Es ist eine Woche später, als er alles einigermaßen überstanden hat.
Doña Elvira sitzt an seinem Bett, als er nach einem langen Schlaf erwacht und endlich fieberfrei ist.