G. F. Unger 2098 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2098 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Sid Latimer reißt seinen Grauschimmel vor dem Big Horse Saloon auf die Hinterhand und gleitet geschmeidig aus dem Sattel. Er bückt sich unter dem Haltegeländer hindurch und stößt mit seinen breiten Schultern die Pendeltür auf. Die beiden Flügel krachen laut gegen die Haltepfosten - und die Gäste im Schankraum heben oder wenden ungehalten die Köpfe.
Sid Latimer durchquert den Raum und verhält dann vor dem langen Schanktisch, der die ganze Schmalseite des Hauses einnimmt. Er beugt sich leicht vor und fragt: »Wo ist er?« Seine Stimme klingt dabei katzenhaft schnurrend.
Der Keeper wischt sich mit seinem Putzlappen über die Glatze.
»Sidney«, murmelt er sanft, »er ist zwar ein Fremder - aber dein Bruder zog zuerst! Und er wäre gestorben, wenn der Fremde nicht zufällig ein richtiger Doc wäre. Er hat ...«
»Wo ist er?« Latimers Stimme klingt gefährlich weich.
Der Keeper zuckt zusammen. Seine Rattenaugen fliegen über die lauschenden Gäste. Aber er entdeckt nur unbeteiligte Gesichter. Mit den Latimers, vor allen Dingen mit Sidney Latimer, möchten die meisten Leute von Star Valley nur auf Abstand verkehren.
Der Keeper bewegt den Kopf zur Treppe. »Zimmer fünf«, sagt er heiser ...


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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Impressum

Karo Ass

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Salvador Faba / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0857-9

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Karo Ass

Sid Latimer reißt seinen Grauschimmel vor dem Big Horse Saloon auf die Hinterhand und gleitet geschmeidig aus dem Sattel. Er bückt sich unter dem Haltegeländer hindurch und stößt mit seinen breiten Schultern die Pendeltür auf. Die beiden Flügel krachen laut gegen die Haltepfosten – und die Gäste im Schankraum heben oder wenden ungehalten die Köpfe.

Sid Latimer durchquert den Raum und verhält dann vor dem langen Schanktisch, der die ganze Schmalseite des Hauses einnimmt. Er beugt sich leicht vor und fragt: »Wo ist er?« Seine Stimme klingt dabei katzenhaft schnurrend.

Der Keeper wischt sich mit seinem Putzlappen über die Glatze.

»Sidney«, murmelt er sanft, »er ist zwar ein Fremder – aber dein Bruder zog zuerst! Und er wäre gestorben, wenn der Fremde nicht zufällig ein richtiger Doc wäre. Er hat ...«

»Wo ist er?« Latimers Stimme klingt gefährlich weich.

Der Keeper zuckt zusammen. Seine Rattenaugen fliegen über die lauschenden Gäste. Aber er entdeckt nur unbeteiligte Gesichter. Mit den Latimers, vor allen Dingen mit Sidney Latimer, möchten die meisten Leute von Star Valley nur auf Abstand verkehren.

Der Keeper bewegt den Kopf zur Treppe. »Zimmer fünf«, sagt er heiser ...

Sid Latimer gleitet auf die Treppe zu und verschwindet um die Biegung. Es ist geradezu wunderbar, wie dieser große und bestimmt hundertachtzig Pfund schwere Mann sich bewegt.

Die Gäste versammeln sich schweigsam vor dem Schanktisch und starren die Treppe hinauf.

»Dieser Oliver Franklin ist so gut wie tot«, murmelt eine Stimme heiser.

Indes steht Sid Latimer vor der Zimmertür und klopft ganz normal, nicht sehr heftig, aber auch nicht zaghaft.

»Was ist los?«, fragt eine tiefe Stimme.

»Ich möchte Sie sprechen!«

»Wer ist denn draußen?«

»Latimer, Sid Latimer! Der Bruder des Jungen, den Sie gestern fast erschossen hätten!«

Sid legt seine lange und geschmeidige Hand auf den Türdrücker. Doch die Tür ist von innen verriegelt und lässt sich nicht öffnen.

Da kracht es dumpf im Zimmer. Die Kugeln splittern und fetzen durch das Holz. Sid Latimer gleitet wie der Schatten eines fliegenden Vogels zur Seite.

Leicht geduckt wartet er und zählt die Schüsse.

Dann schnellt er vor, nimmt Anlauf und wirft sich mit seinem ganzen Körper gegen die Tür. Es bricht und splittert, und mit den Überresten der Holzplatte stolpert Sid ins Zimmer hinein, prallt gegen einen Klotz von Mann, der eine starke Ähnlichkeit mit einer aufrecht gehenden Bulldogge hat.

Sid stößt dem Mann die Linke in den Magen und entreißt ihm mit der Rechten einen kleinen Colt-Derringer, den der andere aus der Innentasche seiner Jacke zauberte. Der leer geschossene Colt des Mannes liegt auf dem mottenzerfressenen Teppich.

Der bullige Gast macht eine unfreiwillige Verbeugung, legt seine Hände über die Magengegend und marschiert drei Schritte rückwärts, um mit einem Stöhnen auf dem unordentlichen Bett Platz zu nehmen.

Sid Latimer lehnt sich an den Türpfosten und hängt seine Daumen über die Gürtelschnalle.

»Ihr kleiner – Bruder – hat zuerst – gezogen! Und er wäre gestorben, wenn ich ihm nicht die Kugel herausgezogen und die Wunde zugemacht hätte. He, sollte ich mich denn von Ihrem Bruder zur Hölle schicken lassen?«

Oliver Franklins gelbe Augen öffnen sich weit. Er hat Angst.

Sid Latimers braun gebranntes Gesicht bleibt einige Sekunden unbewegt. Er lächelt etwas verächtlich, als er die Angst des anderen erkennt. Dann huscht ein Schatten über sein Gesicht, und es wird finster und geradezu traurig.

»Mann«, sagt er, »ich bin gekommen, um Sie um Hilfe zu bitten. Die Schießerei mit meinem Bruder ist eine andere Angelegenheit. Außerdem gab Jeff selbst zu, dass er angefangen hat – er ist ein dummer Junge, der gern ein Mann sein will und deshalb Streit sucht. Sie sind Arzt, Oliver Franklin? So nennen Sie sich doch hier? Sie müssen Arzt sein, sonst hätten Sie meinem Bruder nicht so geschickt die Kugel ...«

Mit dem bulligen Oliver Franklin geht eine jähe Wandlung vor sich. Es ist, als veränderte sich ein fetter Mops in einen klugen Fuchs.

Sid Latimer kneift erstaunt die Augen zusammen. Er weiß mit einem Mal, dass dieser Oliver Franklin zwar ziemlich feige, aber klug, gerissen und in vielen Dingen erfahren ist. Außerdem besitzt dieser Mann bestimmt keinen guten Charakter.

Er massiert immer noch seinen Magen und richtet sich auf. Seine gelben Augen bekommen einen gemeinen Ausdruck. Er saugt die Luft durch seine großen Nasenlöcher und verzieht den wulstigen Mund.

»Hilfe brauchen Sie? Ah, wieso benötigt ein solch tüchtiger Mann wie Sie Hilfe?«

»Sie sind Arzt – und ich habe eine Mutter, die sicherlich keine zehn Stunden mehr lebt, wenn ihr Blinddarm nicht sofort ...«

»Ah, Operation! Das war früher meine Spezialität. Aber ich bin kein Arzt mehr. Ich war einmal Arzt. Hahaha, ich komme direkt aus dem Zuchthaus, weil ich – aber das geht Sie nichts an! Holen Sie sich einen richtigen Arzt. Wenn Ihre Mutter sterben sollte, werde ich wieder vom Gesetz verfolgt. Ich bin doch nicht verrückt! Das Gesetz hat mir aus verschiedenen Gründen verboten, dass ich ...«

»Hier gibt es kein Gesetz, Franklin. Sie mögen im Zuchthaus gesessen haben, Sie mögen vielleicht ein schlechter Mensch sein. Aber es gibt keinen Doc auf dreihundert Meilen im Umkreis. Sie werden meine Mutter operieren!«

»Und wenn sie stirbt?«

»Sie hat wohl nur noch die Chance, die Sie ihr geben, Franklin – sonst stirbt sie! Also, wie hoch ist Ihr Preis?«

»Wie viel gilt Ihr Wort, Latimer?«, fragt Franklin plötzlich ernst. Seine gelben Augen leuchten und glitzern, als wäre ihm soeben eine prächtige Idee gekommen.

Sid Latimer studiert aufmerksam das Gesicht des Mannes.

»Mein Wort? Es gilt so viel wie ich – das Wort eines Mannes gilt immer so viel wie der Mann selbst. Was soll die Frage?«

Da tritt Oliver Franklin dicht vor Sid Latimer.

»Ich suche schon lange einen Mann«, murmelt er hart, »ein Kämpfer muss es sein, einer, der mir blindlings gehorcht, der für mich kämpft, mich beschützt, der für mich die Kastanien aus dem Feuer holt, der für mich alle – wohlverstanden alle – Dinge erledigt, ohne zu fragen und ohne zu zögern. Ich brauche einen gefährlichen Wolf, der meine Befehle ausführt. Ich konnte ihn bis jetzt nicht finden. Wollen Sie dieser Mann sein? Sie werden mich hassen. Aber ich glaube, Sie werden Ihr Wort halten, wenn Sie es gegeben haben – bis ich Sie wieder entlasse, Ihnen Ihr Wort zurückgebe.«

Sid Latimers Gesicht ist eine starre Maske geworden. Aufmerksam hat er gelauscht. In seinen rauchgrauen Augen leuchtet es seltsam.

»Das ist Ihr Preis?«, fragt Sid Latimer sanft. Seine Stimme klingt wieder wie das Schnurren eines Kätzchens.

»Yeah«, nickt Franklin. »Und ich schwöre, dass ich dann alles tun würde, um Ihre Mutter zu retten.«

»Sie Schuft«, murmelt Latimer. Am liebsten würde er dem Erpresser an den Hals springen. Aber dann zuckt er plötzlich zusammen. Er denkt: Mutter stirbt – und niemand kann helfen, nur dieser Kerl.

Er sieht in die gelben Augen, und diese können dem Blick nicht standhalten.

»Well, Sie haben mein Wort – ich will freiwillig Ihr Sklave sein ...«

»... und mein Leben beschützen, für mich kämpfen und jeden Befehl ausführen?«

»So soll es sein – bis Sie mir eines Tages mein Wort zurückgeben«, sagt Sid Latimer, und seine sonst so sanfte Stimme klingt seltsam.

Oliver Franklin wird plötzlich noch selbstsicherer.

»Dann komm, Sid«, knurrt er und greift nach seiner Tasche.

Als sie herunterkommen, verstummen die aufgeregten Gespräche der wartenden Gäste.

»Ich borge mir für den Doc ein Pferd aus«, sagt Latimer zu den Leuten.

»Nimm meinen Schecken, Sid!«, ruft ein Mann heiser.

»Danke, Bill. Ich schicke ihn zurück.«

Die Pendeltür klappt.

Bald erklingen Hufschläge und entfernen sich.

»O Hölle! Ich möchte gern wissen, was auf Zimmer fünf vorgegangen ist«, murmelt der Wirt und wischt sich wieder mit dem Tuch über die Glatze.

Die Sonne kommt über die Berge, als Oliver Franklin auf die Veranda des kleinen Ranchhauses tritt und sich eine Zigarre ansteckt.

»Feuer«, knurrt er zu Sid, und dieser gibt es ihm stumm.

Der alte John Latimer erhebt sich aus dem knarrenden Stuhl. Mary und der noch jüngere Bruder warten stumm, doch ihre bleichen Gesichter verraten etwas von der verzweifelten Angst.

Oliver Franklin lächelt – es ist ein stolzes und selbstzufriedenes Lächeln.

»Well«, knurrt er, »sie wird gesund werden.«

»Danke«, sagt John Latimer.

»Nichts zu danken.«

Er wendet sich an Sid Latimer.

»Ich möchte sofort reiten!«

Sid geht stumm weg. Zehn Minuten später kommt er mit zwei gesattelten Pferden vor die Veranda. Dann verschwindet er im Haus und erscheint nach weiteren zehn Minuten mit einem Bündel.

»Sohn?«, ruft John Latimer fragend.

»Ich reite mit diesem Mann«, erwidert Sid sanft.

Die alten rauchgrauen Augen des Oldtimers starren aufmerksam in die des Ältesten. Er fragt nicht.

»All right! Reite eine saubere Fährte, Junge!«

»Sicher, Dad.«

Dann wirft Sid sich in den Sattel und folgt seinem Herrn.

Jawohl – Oliver Franklin ist jetzt Sidney Latimers Herr.

Und es ist genauso, als wäre ein fetter Fuchs der Herr eines Panthers.

Acht Tage später verhalten sie auf einem Pass.

»Was haben wir eigentlich für ein Ziel, Franklin?«, fragt Sid Latimer sanft.

»Nach Westen, auf dem Oregon-Weg nach Westen«, knurrt dieser, und in seinen gelben Augen leuchtet jäher Hass.

Latimer wendet sich plötzlich rasch zu Franklin.

»Sie suchen einen Mann, Franklin?«

»Ja, ich suche einen Mann, Latimer. Dieser Mann ist vor sieben Jahren auf diesem Weg nach Westen gezogen. Vielleicht wirst du den Mann für mich töten müssen, Latimer – aber vielleicht bist du ihm nicht gewachsen, und er tötet dich und mich. Wir werden es herausfinden.«

Er treibt sein Pferd vorwärts. Sid Latimer folgt ihm, und sein Gesicht ist hart und verschlossen.

Ihr Campfeuer brennt diese Nacht im Tal an einem kleinen Creek.

Sid macht Feuer, versorgt die Pferde, bereitet das Abendessen und tut alles, was zu tun ist. Oliver Franklin aber sitzt, gegen seinen Sattel gelehnt, und raucht. Dann essen sie schweigsam. Als Sid das Blechgeschirr gesäubert hat, liegt Oliver Franklin bereits in seinen Decken.

Vor Sonnenaufgang hat Sid schon das Frühstück fertig. Der Duft des starken Kaffees scheint Franklin wach zu machen. Brummend rollt er sich aus den Decken und richtet sich fröstelnd auf.

»Ein Huhn könnte mit einem einzigen Klacks dieses schwindsüchtige Feuer auslöschen«, krächzt er wütend. »Ich will in Zukunft jeden Morgen ein warmes Feuer haben!«

Sid gibt keine Antwort.

Franklin schielt ihn an und grinst plötzlich.

»Du entschuldigst dich gar nicht, Latimer?«

»Sie wissen doch selbst, dass es kaum Holz hier in diesem Tal gibt, Franklin.«

»Mister Franklin!«

»Franklin! Ich will dir jetzt einmal etwas sagen. Ich bin dein Sklave, dein Diener und dein Kämpfer. Ich habe versprochen, jeden deiner Befehle auszuführen. Aber ich werde nie vor dir kriechen, du verdammter Bastard!«

Er wendet sich jäh ab und geht zu den Pferden.

Franklin beobachtet ihn vom Feuer aus und trinkt den heißen Kaffee. In seinen Augen glitzert Hass. Er denkt jedoch genau und sorgfältig nach. Dann murmelt er leise in den Kaffeebecher hinein: »Ich darf ihn nicht demütigen – es war dumm von mir. Wenn ich seinen Stolz breche, bricht er sein Wort und sucht freiwillig den Tod. Gut, dass ich dies noch rechtzeitig erkannt habe.«

Als sie aufsitzen, knurrt Franklin: »Well, Sid Latimer – ich werde nun immer daran denken, dass Sie ein stolzer Mann sind.«

»Das wird gut für mich und für Sie sein, Oliver Franklin«, sagt Sid sanft.

Dann reiten sie in den werdenden Tag hinein, und die Sonne wärmt ihre Rücken.

Am späten Nachmittag erreichen sie eine Wagenburg, die aus einem halben Dutzend schwerer Frachtwagen gebildet wird.

Daneben weiden Pferde und prächtige Zugochsen. Ein Dutzend Männer bewegt sich in der Nähe und bildet bald eine lose Gruppe, die den Ankömmlingen entgegensieht.

Auf dem einen Wagen, von der Plane nicht ganz verdeckt und noch gut erkennbar, steht ein Klavier.

»Hallo«, ruft Franklin heiser, »es freut mich, dass Oregon bald um eine Sündenhölle reicher wird! Was gibt es Schöneres in einem neuen, wilden und weiten Land als hier und da eine Bar mit einem Billardzimmer. Und ich habe schon sehr lange kein richtiges Männerspiel mehr gemacht!«

Die Männer grinsen. Ein bleicher, großer und schwarz gekleideter Mann lächelt sparsam, sodass sich die Spitzen seines gezwirbelten Schnurrbartes kaum bewegen. Der Lange sieht wie ein Berufsspieler aus, er trägt auch die typische Kleidung dieser Leute.

»Steigt ab, Gents! Ihr kommt zum Abendessen gerade recht. Und wenn Sie ein Spiel riskieren wollen, wird es mir eine persönliche Freude sein. Ich bin Dod Walker. Man hat mir in Missouri zu viel Schwierigkeiten gemacht. Aber Oregon ist ein neues und vielversprechendes Land!«

Alle Männer grinsen.

Franklin und Latimer gleiten aus den Sätteln.

»Franklin, Doktor Franklin«, stellt dieser sich vor, obwohl er seit einiger Zeit nicht mehr den Doktortitel führen darf. »Und das ist mein Reisebegleiter«, sagt er kurz und zeigt auf Latimer.

Sid fühlt die scharfen und prüfenden Augen einiger Männer auf sich ruhen. Er kennt die Sorte nur zu gut.

Er erwidert die abtastenden Blicke hart, dabei entgeht ihm nicht, dass einige Männer ihre scharfen Augen noch mehr zusammenkneifen und schmale Lippen bekommen.

Sid ist sich über die Situation schon nach wenigen Sekunden klar geworden. Was er sieht, ist ein Amüsierlokal auf Rädern, eine Sünden- und Spielhölle, die sich in Missouri nicht länger halten konnte und die nun weiter nach Westen in ein neues Land zieht.

Und drei oder vier Männer, die Sid Latimer sehr wohl von den anderen unterscheidet, sind kaltblütige Revolverleute, wie sie jeder Spielhöllenbesitzer hinter sich haben muss, um möglichst lange leben und mit Erfolg arbeiten zu können.

Was Sid Latimer für Oliver Franklin tun soll, das machen diese Kerle für Dod Walker – die anderen Männer sind wohl Barkeeper, Kutscher und Handlanger.

Sid versorgt die Pferde und wirft Sättel und Gepäck neben einen Wagen, auf dem zwei Billardtische und ein großes Roulettrad verladen sind.

Als er zum großen Feuer will, an dem sich bereits die Männer zum Essen versammeln, sieht er eine Frau. Sie ist gerade dabei, aus einem Wagen zu klettern.

Er hilft ihr herunter und bewundert dabei zwei zierliche Reitstiefel, die aus einem geteilten Cordrock hervorschauen.

»Danke«, sagt sie, und ihre Stimme klingt tief, voll und melodisch. Ihre schlanke Hand streicht die kupfernen Locken aus der hohen Stirn. Die dunklen Augen halten seinem Blick stand und leuchten plötzlich seltsam. Ihre vollen Lippen schimmern feucht. Sie zeigt herrliche Zähne, als sie etwas lächelt.

»Der lange Ritt hat sich gelohnt«, sagt Sid Latimer.

»Ach – und warum?«

»Ich sehe Sie, Madam – und das ist wie ein Sonnenaufgang. Oder mir geht es wie dem Mann, der mitten in der Wüste eine blühende und wunderbare Rose fand. Dieser Mann war so erstaunt, dass er fast die Sprache verlor.«

»Und er vergaß ganz, sich vorzustellen – wie? Es war aber ein sehr schönes Kompliment, Mister ...«

»Sidney Latimer. Sid ist mir aber lieber, Madam.«

»Sie reiten schnell, Mister Sid.«

»Wenn ich ein Ziel sehe.«

»Kommen Sie ans Feuer. Ich bin hungrig. Man nennt mich die ›Rote Nell‹. Nell McGreen ist mein Name. Und ich bin geldgierig, berechnend und schlecht. Ich verliebe mich nie und gebe nie einem Mann eine Chance.«

»Sie haben den richtigen Mann noch nicht kennengelernt«, lächelt Sid Latimer.

Ein Blick aus den Augen der Frau warnt ihn.

Da sieht er einen Mann an der hinteren Ecke des Wagens.

Innerhalb einer einzigen Sekunde erkennt Sid Latimer, dass er nun sehr vorsichtig sein muss, solange er hier in diesem Lager weilt. Dies ist der einzige Mann im ganzen Lager, vor dem er einen gewissen Respekt hat – keine Angst, aber doch Respekt.

»Das ist Larry King«, sagt Nell McGreen.

Sid Latimer scheint es kaum zu hören. Er studiert aufmerksam das hagere Gesicht seines Gegenübers, und dieser macht es bei Sid Latimer auch so.

Dann setzt King sich langsam in Bewegung, nähert sich Sid und tritt dicht an ihn heran.

Sie sind von gleicher Größe.

Larry King bewegt sich mit aufreizender Lässigkeit. Er ist blond, hager, sehnig und trotz seiner hellen Haare braun gebrannt.

Sid Latimer sieht auch die beiden tief an den Seiten hängenden Colts. Sid Latimer trägt seine Waffe anders – und nur eine.

Die Augen Larry Kings sind glasklar und hell.

»Fremder«, sagt er zu Latimer, und sein Atem stößt gegen Sids Gesicht. »Fremder, es gibt in diesem Land keinen Mann, der gegen meinen Willen Nell McGreen den Hof macht. Klar?«

Sid Latimer wendet langsam den Kopf und sieht zum Feuer hin. Die Männer bilden dort eine schweigende Gruppe und starren herüber. Oliver Franklin steht neben Dod Walker mitten unter dieser Gruppe. Sogar der Koch hat seine Töpfe und Pfannen vergessen.

Nell McGreen lehnt am Wagenrad. Ihre dunklen Augen leuchten seltsam hart.

»Lady«, murmelt Sid sanft, »hat dieser Gentleman über Sie zu bestimmen?«

»Nein«, sagt die Rote Nell. Ihre Altstimme klirrt etwas. In ihren Augen zeigt sich ein wütendes Blitzen.

Larry King tippt seinen langen Zeigefinger auf Sid Latimers Schulter.

»Wir beide unterhalten uns – und ich will Ihnen jetzt erzählen, was jeder Mann dieses Wagentrecks schon weiß. Sie hat mir gewisse Hoffnungen gemacht und mir dann einen Korb gegeben. Und seit diesem Tag flirtet sie mit keinem Mann mehr – weil ich jeden Kerl aus ihrer Nähe jage. Ich bringe Ihnen die heilige Mannesfurcht bei, wenn Sie ...«

Sid Latimer wendet sich ab und dreht Larry King den Rücken zu.

»Lady«, sagt er zu Nell, »wir wollen zum Feuer gehen. Ich werde Ihnen nach dem Essen eine amüsante Geschichte erzählen – von einem Mann, der ...«

Larry Kings Hand greift nach Sid Latimers Schulter. Bevor Sid herumgerissen wird, sieht er noch einmal in die seltsam lodernden Augen der Frau.

Sid taucht unter der Faust weg, die mitten in sein Gesicht treffen soll. Sie stößt ihm nur den Hut in den Nacken.

Sid beeilt sich mächtig und knallt zwei kurze Punchs auf die Rippen und auf den Magen des Gegners. Dann richtet er sich plötzlich dicht an dem anderen auf. Seine Stirn kracht hart gegen Larry Kings Kinn.

Dann bekommt Sid Latimer einen Schlag auf das linke Ohr und fängt mit knapper Not einen linken Geraden mit der hochgezogenen Schulter auf.