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Abilene war schlecht wie eine billige Hure.
Ich machte mir keine Illusionen, als ich in der Ferne die Lichter der Stadt sah. Ich hatte schon von diesen Viehverladestädten gehört und wusste, dass es dort nichts gab, was edel und gut war. Die gelben Lichter in der Nacht vor mir logen. Sie versprachen Wärme, Freundlichkeit und all die angenehmen Dinge des Lebens - doch sie hielten ihr Versprechen nicht. Aber das war mir egal.
Ich war ein einsamer Wolf, der aus den fernen Hügeln kam und es leid war, allein den Mond anzuheulen. Ich wollte Menschen sehen - mochten sie auch schlecht sein. Hauptsache, es waren Menschen, die meine Sprache redeten.
Ja, ich machte mir keine Illusionen, als ich nach Abilene ritt. Dort konnte man nur für Geld etwas bekommen. Und oft genug wurde man auch noch um den fairen Gegenwert betrogen. Ich aber hatte mir vorgenommen, mich nicht betrügen zu lassen.
Doch es kam alles ganz anders. Denn die Menschen in Abilene waren nicht nur schlecht, sondern auch gefährlich wie ein Rudel halb verhungerter Wölfe ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Schwarze Schatten
Vorschau
Impressum
Schwarze Schatten
Abilene war schlecht wie eine billige Hure.
Ich machte mir keine Illusionen, als ich in der Ferne die Lichter der Stadt sah. Ich hatte schon von diesen Viehverladestädten gehört und wusste, dass es dort nichts gab, was edel und gut war. Die gelben Lichter in der Nacht vor mir logen. Sie versprachen Wärme, Freundlichkeit und all die angenehmen Dinge des Lebens – doch sie hielten ihr Versprechen nicht. Aber das war mir egal.
Ich war ein einsamer Wolf, der aus den fernen Hügeln kam und es leid war, allein den Mond anzuheulen. Ich wollte Menschen sehen – mochten sie auch schlecht sein. Hauptsache, es waren Menschen, die meine Sprache redeten.
Ja, ich machte mir keine Illusionen, als ich nach Abilene ritt. Dort konnte man nur für Geld etwas bekommen. Und oft genug wurde man auch noch um den fairen Gegenwert betrogen. Ich aber hatte mir vorgenommen, mich nicht betrügen zu lassen.
Doch es kam alles ganz anders. Denn die Menschen in Abilene waren nicht nur schlecht, sondern auch gefährlich wie ein Rudel halb verhungerter Wölfe ...
Ich hielt meinen Red vor dem offenen Tor des Mietstalles an. Ein krummbeiniger Bursche kam herausgehinkt. Er sagte: »Die Stallboxen sind alle belegt. Es ist nur noch Platz im Corral. Für Futter müssen Sie einen halben Dollar zahlen. Und den Gaul müssen Sie selber versorgen. Ich schaffe das nicht mehr.«
Ich nickte und saß ab. Und ich ahnte in diesem Moment noch nicht, was alles in den nächsten fünf Minuten auf mich zukommen würde.
Ich konnte es auch gar nicht ahnen.
Ich nahm also meinen Red und führte ihn in den Corral, in dem es ebenfalls einige Einzelboxen gab. Das war mir recht, denn mein Red war zwar ein Wallach, doch er ließ sich nicht von irgendwelchen Biestern unterbuttern. Darin war er mir sehr ähnlich. Ich trete nämlich auch jedem Narren, der mir nicht aus dem Weg geht, sofort auf die Zehen.
Ob das klug ist, sei dahingestellt – ich bin nun einmal so. Warum soll ich das hier verschweigen? Denn schließlich muss der Leser meiner Geschichte das wissen, um mich richtig beurteilen zu können.
Ja, manchmal war auch ich ein Narr.
Nun, ich versorgte bald darauf mein Pferd im ziemlich dunklen Corral und dachte dabei schon an das Vergnügen, das ich gleich in der Stadt haben würde.
Aber da erhielt ich Besuch.
Es war ein einzelner Mann, ein Bursche, dessen Silhouette mir irgendwie bekannt vorkam. Vielleicht lag es daran, wie er seinen Hut trug. Jeder Mann hat ja eine bestimmte Art, seinen Hut zu tragen, die Krone mit Kniffen zu versehen und die Krempe zu verbiegen.
Und so konnte man einen alten Sattelgefährten schon an seiner Silhouette erkennen, wenn man wusste, wie er den Hut trug.
Dieser Bursche, der sich mir näherte und dies durch ein höfliches Hüsteln ankündigte, damit ich nicht erschrak oder gar zum Colt griff, weil ich ihn vielleicht für einen Feind hielt, den kannte ich von irgendwo her.
»Hallo, Johnny«, sagte er. »Du bist doch Johnny Burnett, nicht wahr? Ich erkannte dich vorhin im Lichtschein der Stalllaterne, als du mit dem Stallmann geredet hast.«
Ich hatte mich ihm zugewandt, und meine Linke hing beim Colt, berührte den glatten Kolben leicht mit den Fingerspitzen. Denn dieser Colt war schon oft in gewissen Situationen mein einziger Freund gewesen, auf den allein ich mich verlassen konnte.
Aber dann erkannte ich ihn endlich ebenfalls.
»Du bist Tilgman«, sagte ich, »Adam Tilgman, nicht wahr? Wir waren zusammen im Krieg gegen die Yanks. Wir holten uns damals nach unserer Flucht aus Atlanta gegenseitig das Blei aus den Wunden.«
»Richtig«, erwiderte er, »wir waren damals die beiden letzten Sergeants unseres Regimentes. Ich zweifelte nicht daran, dass du mich sofort wiedererkennen würdest. Ja, wir waren gute Kriegskameraden.«
Er sprach den letzten Satz sehr nachdrücklich, und ich wusste, dass er mich gleich um einen Gefallen bitten würde. Aber um welchen? War er abgebrannt? Brauchte er Geld? Oder was sonst?
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte er dann auch schon. »Denn ich stecke mit einigen Freunden und Partnern in der Klemme. Dich hat der Himmel in diesem Moment nach Abilene geschickt.«
»Hilfe? Welche Art von Hilfe brauchst du, Adam Tilgman?«, So fragte ich ruhig.
Er kam erst noch dichter an mich heran. Nun standen wir meinem Pferd ganz nahe, verschmolzen in der Dunkelheit gewiss mit dem Tier zu einem schwarzen Klumpen.
Er sagte: »Wir brachten eine Herde von Texas herauf und verkauften sie gut. Es waren nur fünfhundertfünfundsiebzig Stiere, aber wir waren ja auch nur fünf Mann. Die Herde war groß genug für uns. Nun haben wir vom Einkäufer der Chicagoer Fleischverwertungs-Gesellschaft einen Scheck über sechstausendfünfhundert Dollar bekommen, doch ...« Nun unterbrach er sich.
Aber ich wartete, ich fragte nicht, was hinter diesem »Doch« noch kommen würde. In dieser Hinsicht bin ich ein sturer Bursche, den man nicht zappeln lassen kann.
Vielleicht erinnerte er sich wieder daran, denn er sprach bald weiter. Er sagte bitter: »... doch es war eine Maverickherde. Wir waren Maverickjäger, verstehst du? Und wir hatten uns die Herde von einer Weide geholt, auf die später Oldman Mallagan Anspruch erhob. Der Hundesohn ließ uns die Herde bis nach Abilene treiben. Hier wollte er sie uns durch einen Gerichtsbeschluss wieder abnehmen lassen. Doch er kam etwas zu spät. Die Herde war schon verladen. Wir hatten schon den guten Scheck bekommen – aber wir konnten ihn – weil es schon zu spät war – nicht mehr bei der Bank einlösen. Nun bewachen die Mallagans die Bank. Sie warten nur auf uns. Wir können den Scheck nur hier in Abilene bei der Kansas Bank einlösen – nur hier. Verstehst du nun?«
O ja, das konnte ich alles gut verstehen.
»Ich soll also für euch den Scheck bei der Bank einlösen«, sagte ich. »Ich soll euch das Geld herausholen, weil die Mallagans mich nicht kennen. Euch kennen sie genau. Und ihr habt bisher in ganz Abilene keinen Mann gefunden, dem ihr eine solche Summe Geld anvertrauen könntet oder der es wagen würde, sich mit den Mallagans einzulassen, indem er euch hilft. Auch ich habe schon von dieser Sippe gehört. Denen hätte ich keine Rinder gestohlen, denen nicht!«
Er knirschte mit den Zähnen. Daran erkannte ich, wie sehr er sich beherrschen musste.
»Wir sind keine Rinderdiebe«, sprach er nach einer Weile. »Wir waren Maverickjäger, nichts anderes. Oldman Mallagan erhob erst Anspruch auf die Weide, von der wir die Rinder holten, nachdem wir unsere Treibherde gesammelt hatten. Er ließ uns ja auch davonziehen mit den Rindern. Leicht hätte er uns einholen können, sehr leicht. Denn die ersten Tage schafften wir mit den Biestern nur wenig mehr als fünf Meilen am Tag. Aber er ließ uns abziehen. Dieser Hundesohn hat seine sadistische Freude an einem Katz-und-Maus-Spiel. Verstehst du? Hier wollte er uns den Erlös für all die Schinderei wieder abnehmen. Und er wollte uns auslachen können. Hilf uns, Johnny! Weil wir mal Kameraden im Krieg waren, hilf uns.«
Nachdem er so gebettelt hatte, wobei seine Stimme immer bitterer knirschte, schloss er den Mund schnappend. Und ich wusste, er würde ihn nun nicht mehr für eine weitere Bitte aufmachen.
Sein Stolz war ohnehin schon mächtig angekratzt worden.
Und wir waren damals wirklich gute Kameraden in Stonewall Jacksons Armee. Wir waren als junge Soldaten schon am Bull Run dabei gewesen – und später wurden wir am selben Tage Sergeants.
Eigentlich musste ich mich freuen, solch einen alten Sattelgefährten wiedergetroffen zu haben.
Ich wollte mich auch freuen. Doch eine innere Stimme warnte mich ständig. Ich hatte kein gutes Gefühl. Eine Ahnung wollte mir ständig zuflüstern, dass ich mich in eine böse Sache einließ.
Aber da war auch schon das andere Gefühl – jenes, das einen Mann dazu zwingt, Kamerad zu sein, Partner, Gefährte, Freund, jenes Gefühl, das von einem Mann fordert, dass er hilft.
Und so hörte ich mich fast gegen meinen Willen sagen: »Also gut, ich mache das für euch. Ich gehe mit dem Scheck in die Bank, lasse mir das Geld in einen Sack packen und gehe wieder hinaus. Und was dann?«
Er dachte eine Weile nach, aber gewiss nicht darüber, was dann zu tun war. Denn dies hatte er sich mit seinen Partnern längst schon überlegt. Nein, er dachte darüber nach, ob er mir trauen konnte. Es war ein letztes Überprüfen. Sein Instinkt prallte gegen mich. Und er lauschte jetzt auf seinen Instinkt, ja, er lauschte jetzt tief in sich hinein.
Dann gab er mir den Scheck.
»Hier ist er«, sagte er. »Sie werden dich beobachten, weil sie jeden Mann beobachten, der in die Bank geht und dort Geld holt. Du kannst ja sagen, dass du das Geld beim Spiel gewonnen hättest. Es ist ein Barscheck ohne Namen. Er ist wie bares Geld. Wenn du es in Empfang genommen hast, reitest du nach Süden. Das ist ganz natürlich. Wir werden beobachten, ob dir jemand folgt. Den ganzen Tag werden wir dich von den Hügeln beobachten. Irgendwann stoßen wir dann zu dir. Du musst nur immer auf der Wagenstraße bleiben. Wenn wir sicher sein können, dass kein Aufgebot auf uns lauert, kommen wir. Vor den Mallagans fürchten wir uns nicht so sehr, eher vor dem Gesetz, das sie mit Lügen, Meineiden und falschen Urkunden irgendwie auf ihre Seite bringen konnten.«
Ich nahm den Scheck, faltete ihn zusammen und verbarg ihn hinter dem Schweißband meines Hutes. Es war ein alter Hut, in dem gewiss niemand Reichtümer vermuten würde.
Adam Tilgman klopfte mir wortlos auf die Schulter und ging.
Denn es gab nichts mehr zu sagen.
Ich versorgte mein Pferd und wusch mich später am Wassertrog im Hof des Mietstalles. Dann nahm ich mein Reservehemd aus meinem Gepäck und zog es an.
Nun war ich bereit für etwas Spaß in Abilene.
Denn dafür war ich hergekommen.
Den Scheck brauchte ich ja erst morgen zu kassieren, wenn die Bank wieder geöffnet war. Aber bis dahin vergingen gewiss noch etwa zehn Stunden.
Ich wusste, dass ich nach etwa zehn Stunden die Schnauze voll haben würde von solch einer Stadt und den Menschen.
Dann wollte ich gerne nach Süden reiten.
Die Richtung war mir recht.
Und der Leser meiner Geschichte wird sich vielleicht schon gefragt haben, wovon ich lebte – oder womit ich meine Dollars verdiente.
Nun, ich muss es ja früher oder später doch sagen.
Leute, ich war ein Bursche, dessen Colt man sich mieten konnte.
Jawohl, ich war nach dem Krieg ein Revolvermann geworden.
Bis vor einigen Wochen hatte ich einen Frachtwagenbesitzer beschützt, der mit seinem fahrenden Store immerzu unterwegs war und Handel trieb. In einem Büffeljägercamp hatte ihm dann ein Halbblut seine Squaw verkauft, die sehr hübsch war und jung. Mein Boss ging nun mit seinem »Eigentum« ins Zelt, um sich ein paar Freuden zu machen. Schließlich hatte er doch eine Menge dafür bezahlt. Aber das rote Mädel machte nicht mit. Sie stach ihm das Messer in den Bauch und verschwand in der Nacht, wo vielleicht ihr Halbblutmann schon auf sie wartete. Ich verfolgte sie nicht. Denn ich hätte meinen Boss ja nicht auch noch im Bett bewachen müssen, nicht wahr? Das war wohl seine Privatsache.
Seine beiden Söhne machten mir dann auch noch Vorwürfe. Da ritt ich lieber fort, um mal eine Weile keine Menschen zu sehen.
Und nun steckte ich wahrscheinlich bald in einer bösen Sache drinnen. Mein Instinkt sagte mir das.
Doch ich hatte diesen Adam Tilgman nicht abweisen können.
Nein, das konnte ich nicht, nachdem wir doch gemeinsam durch den ganzen Krieg geritten waren und fast Freunde wurden – fast.
✰
Nun, ich will hier nicht schildern, wie es in den Nächten einer solchen wilden Treibherdenstadt wie Abilene zuging. Denn dies hat der Leser gewiss schon Dutzende Male gelesen.
Abilene war ein Babylon der Kansas-Prärie.
Aber welcher Westernleser weiß das nicht?
Ich verbrachte die Nacht recht kurzweilig. Die paar Stunden vergingen wie im Flug.
Und dann sah ich Nancy.
Das war in Lilys Etablissement, und das war wirklich ein nobles Haus mit Niveau und wirklich und wahrhaftig kein Bordell. Die Mädels hier waren keine billigen Flittchen, sondern Honeys von Format, und sie wurden hier »Gesellschafterinnen« genannt. Sie konnten sich gebildet unterhalten, aber auch nett und natürlich sein. Sie waren etwas Besonderes, und man konnte sich auch bei ihnen Rat holen oder seine Sünden beichten. Sie konnten pokern, Schach spielen und Zitate der Weltliteratur aufsagen. Und eine spielte wunderbar Klavier.
Das war Nancy.
Sie wirkte am Klavier wie eine reine, edle, grünäugige und rothaarige Göttin, die herabgestiegen war zu uns Menschen, um sich bewundern zu lassen.
In diesem Haus gab es nur ein paar männliche Gäste. Es waren Bosse, die eine Menge Geld hatten – texanische Rancher, die ihre Herden gut verkauft hatten, Viehhändler, die jeden Tag einige Güterzüge voller brüllender Rinder kauften und nach Osten schickten – und ein paar andere Typen, die man nicht so leicht einschätzen konnte, so wie mich zum Beispiel.
Aber Geld hatten wir alle – auch ich. Denn ich gewann in den vergangenen Stunden mehr als tausend Dollar an einem Würfeltisch im Black Bull Saloon.
Nancy spielte eine wunderschöne Melodie.
Ich stellte mich mit zwei frisch gefüllten Gläsern zu ihr und hörte zu.
Als sie einmal Pause machte, bot ich ihr ein Glas an. Sie betrachtete mich erst prüfend. Dann nahm sie an. Wir tranken uns zu – und wir sahen uns dabei unentwegt an. Ich leerte das Glas, sie jedoch nur halb. Dann sagte sie: »Ja, es ist schwül draußen und heiß hier drinnen. Man könnte immerzu trinken, nicht wahr?«
Ich nickte nur und sagte nichts. Ich sah sie nur an und staunte, denn sie gefiel mir so sehr, dass ich glaubte, sie wäre einzigartig auf der ganzen Welt.
Sie lächelte, so als könnte sie meine Verfassung verstehen. Und dann sagte sie: »Das waren Melodien von Chopin. Das war ein polnischer Komponist und Pianist. Er wurde nur neununddreißig Jahre alt, aber er war ein kühner Modulator und fortschrittlicher Harmoniker von revolutionären Bedeutung für das Klavier. Er entwickelte die zarte Klangpoesie und ...«
»Hören Sie auf, Grünauge«, sagte ich. »Denn ich verstehe kein Wort. Ich weiß nur, dass mir Ihre Stimme gefällt. Was Sie soeben spielten, hat mir auch gefallen. Aber sonst ...« Ich grinste und machte eine Schulterbewegung, die ihr sagte, dass ich ein musikalischer Analphabet war. »Ich würde natürlich noch eine Weile zuhören«, sprach ich weiter. »Doch dann könnte ich mich nicht mit Ihnen unterhalten und würde auch nicht erfahren, wer Sie sind.«
Sie nippte nun am Glas und betrachtete mich nachdenklich.
Ich wusste, dass sie mich jetzt abschätzte, und ich wusste auch, dass sie kein harmloses Rehlein, sondern wahrscheinlich ein Edelflittchen war, das sich nicht mit Hühnerfutter abfand, wenn es Kaviar bekommen konnte. Die spielte hier nicht Chopin, weil dies ein seriöser Kunstsaloon war.
Ich sah sie fest an.
Natürlich hatte sie längst erkannt, dass ich kein Rindermann war, aber doch ein Reiter mit einem Colt. Sie hatte auch an meiner Sprechweise längst den Texaner in mir erkannt.
»Ich bin Johnny Burnett«, sagte ich.
»Nancy Clum ist mein Name«, erwiderte sie. »Und ich mache jetzt Schluss. Es ist nach Mitternacht. Mein Vertrag mit diesem Haus läuft – nein, lief – um Mitternacht aus. Sie haben Pech, Johnny Burnett. Ich saß nur noch hier, um ein wenig Klavier zu spielen. Es ist ein gutes Klavier. Ich werde jetzt wahrscheinlich sehr lange nicht mehr spielen können. Denn ich reise heim nach Texas.«
Ja, auch sie war eine Texanerin. Ich hörte es, obwohl sie sich Mühe gab, ohne jeden Slang zu reden – was ihr auch gut gelang. Nur ganz wenig hörte man den Süden in ihrer Stimme durch.
Sie nickte mir zu und ging.
Ich war etwas durcheinander. Aber sie kam dann doch nur zwei Schritte weit. Dann war ich wieder neben ihr und ergriff ihren Arm.
»Nancy«, sagte ich, »wir müssen uns näher kennenlernen. Denn vielleicht sind wir füreinander bestimmt. Das muss man doch herausfinden, nicht wahr? Stellen Sie sich vor, wie nahe wir unserem Glück wären, würden wir füreinander bestimmt sein.«
Sie sah mich zuerst an wie einen Betrunkenen oder Verrückten.
Dann erkannte sie das Lachen in meinen Augen.
Da lächelte sie – und sie hatte plötzlich Grübchen in den Wangen. Ihre feinen Nasenflügel vibrierten.
Spürte sie etwas? Spürte sie vielleicht gar, was ich zu spüren glaubte bei ihrem Anblick und bei dem, was von ihr ausging?
Ein Mann trat zu uns – ein großer, rothaariger Bursche, einer von der Sorte, die imstande ist, mit drei oder vier Dutzend Reitern eine Riesenherde texanischer Longhorns den langen Trail heraufzubringen.
Dieser Bursche legte mir seine Hand auf die Schulter und sagte: »Gib dir keine Mühe, Bruder. Bei ihr sind wir diese Nacht alle schon abgeblitzt. Oder machen Sie bei ihm eine Ausnahme, Nancy?«
In seine Stimme kam ein Lauern. Es war klar, dass er unangenehm werden würde, sollte ich mehr Glück haben als er.
Nancy ging.
Ich sah ihr nach, und es war ein Bedauern in mir. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas aufgab, wofür ich hätte kämpfen müssen.
Aber die Hand des Rotkopfes lag immer noch auf meiner Schulter.
Er würde mich festzuhalten versuchen, sollte ich Nancy nochmals mit einem langen Schritt folgen wollen.
Ich sah ihn wieder an. Er war hart, etwa in meinem Alter.
Er grinste. »Es gibt hier noch andere Mädels«, sagte er. »Und alle kannst du haben. Die Preise sind nur etwas höher. Weil hier alles mit Niveau gemacht wird, Amigo. Mit Niveau!« Er lachte leise, und er war ziemlich betrunken.
Er nahm endlich seine Hand von meiner Schulter – aber Nancy war ja auch schon weit genug weg. Sie stieg schon die Treppe hinauf, die zu den oberen Räumen führte. Ihre Röcke hatte sie etwas gerafft. So konnte ich sehen, dass ihre Füße und Fesseln makellos waren.