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Vor der Kirche in Spanish Springs stehen einige Wagen. An den Haltebalken sind Sattelpferde angebunden. Meist Tiere mit dem Brandzeichen der Spanish Bit. Es sind Rinderpferde. Das Brandzeichen - eine symbolisierte spanische Kandare in H-Form - ist verschnörkelt und von Viehdieben nur schwer umzuändern.
Vor dem Eingang stehen drei Männer. Einer von ihnen ist Arch Channighan.
Ben Breahitt erkennt ihn sofort. Denn einen Mann wie Arch Channighan vergisst man nicht. Fünf lange Jahre scheinen an ihm spurlos vorübergegangen zu sein. Er ist immer noch der gelbmähnige, sichelbärtige, mit Muskeln bepackte Klotz, von dem ständig ein gefährlicher Strom ausgeht.
Ja, so war der Erste der Spanish Bit Ranch schon vor fünf Jahren. Jetzt steht er mit den beiden anderen Spanish-Bit-Reitern wie ein Wächter vor dem Eingang der alten Missionskirche. Auch er hat Ben Breahitt sofort erkannt und grinst breit unter seinem sichelförmigen Bart. Mit einem Funkeln in den schrägen Augen sieht er zu, wie Ben Breahitt sein Pferd an die Haltestange lenkt und absitzt ...
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Im Schatten des Bösen
Vorschau
Impressum
Im Schatten des Bösen
Vor der Kirche in Spanish Springs stehen einige Wagen. An den Haltebalken sind Sattelpferde angebunden. Meist Tiere mit dem Brandzeichen der Spanish Bit. Es sind Rinderpferde. Das Brandzeichen – eine symbolisierte spanische Kandare in H-Form – ist verschnörkelt und von Viehdieben nur schwer umzuändern.
Vor dem Eingang stehen drei Männer. Einer von ihnen ist Arch Channighan.
Ben Breahitt erkennt ihn sofort. Denn einen Mann wie Arch Channighan vergisst man nicht. Fünf lange Jahre scheinen an ihm spurlos vorübergegangen zu sein. Er ist immer noch der gelbmähnige, sichelbärtige, mit Muskeln bepackte Klotz, von dem ständig ein gefährlicher Strom ausgeht.
Ja, so war der Erste der Spanish Bit Ranch schon vor fünf Jahren. Jetzt steht er mit den beiden anderen Spanish-Bit-Reitern wie ein Wächter vor dem Eingang der alten Missionskirche. Auch er hat Ben Breahitt sofort erkannt und grinst breit unter seinem sichelförmigen Bart. Mit einem Funkeln in den schrägen Augen sieht er zu, wie Ben Breahitt sein Pferd an die Haltestange lenkt und absitzt ...
Ben Breahitt ist ein großer Mann von etwa hundertneunzig Pfund. Er ist dunkel wie ein Comanche und grauäugig. In seinem etwas hohlwangigen Gesicht sind einige Narben. Aber als er jetzt lächelt, zeigt sich ein Gebiss, das nicht weniger blitzend und gesund ist als jenes des Vormanns der mächtigsten Ranch des Landes.
»Geh mir aus dem Weg, Archie«, sagt Ben ruhig, als er vor der untersten Stufe des Eingangs verhält.
Arch Channighan bewegt sich noch nicht. Er staunt noch. In seinen schrägen gelben Augen glitzert es. Er ist ein Mann, der allein von John Stockbridge Befehle entgegennimmt – und das wahrscheinlich auch nur deshalb, weil es dem Wohl und der Größe der Spanish Bit dient.
Dennoch sagt Channighan nach einer Weile: »Sicher, das solltest du dir ansehen. Geh nur hinein und sieh es dir an. Es ist sogar nobel von dir, dass du gekommen bist, um dem Hochzeitspaar Glück zu wünschen. Geh nur, Hombre! Wo warst du denn die ganze Zeit? Sie hielten dich alle für tot.«
Aber Ben Breahitt gibt keine Antwort. Er steigt die Stufen hinauf und geht an ihm vorbei. Er streift ihn leicht, und wenn Channighan nicht Platz gemacht hätte, würde Ben ihn sogar gerammt haben.
Er tritt ein, als der Padre gerade fragt, ob John Stockbridge Miss Hester Lorain zur Frau nehmen will.
Aber man hört die Antwort nicht, denn Ben schlägt hinter sich den Türflügel ziemlich heftig zu.
Es gibt einen derben Knall, der das vermeintliche »Ja« übertönt.
Ein paar Köpfe rucken herum.
Und der Bräutigam wendet ärgerlich den Kopf und sieht sich nach dem Störenfried um. Nur der alte Padre wartet geduldig und ist bereit, seine Frage zu wiederholen, sobald sich die Unruhe gelegt hat. Denn es blieb nicht beim Herumfahren einiger Köpfe. Nun murmeln einige Stimmen. Hochzeitsgäste flüstern sich erregt etwas zu. Einige von ihnen haben Ben Breahitt erkannt.
Aber dann wird es jäh still.
Man hört nur noch John Stockbridges zwar leisen, dennoch bösen Fluch.
Von den Gästen haben die meisten auch großes Verständnis für John Stockbridges Fluch. An seiner Stelle hätten auch sie geflucht.
Und endlich sieht sich auch die Braut um.
In diesem Moment tritt Ben Breahitt noch einen Schritt vor, sodass man ihn besser erkennen kann.
Alle Augen, die nun auf die Braut blicken, erkennen ihr Zusammenzucken, ihren anfänglichen Schrecken, der allmählich von ungläubigem Staunen abgelöst wird.
Und dann stößt sie einen Ruf aus. Sie kann nicht anders. Es ist ein Ruf der Freude und des Glücks.
Ben Breahitt macht noch drei Schritte in den Gang hinein.
Dann sagt er klar und fest: »Hester, ich bin es wirklich. Ich bin nicht tot. Ich konnte nicht früher heimkommen. Es ging nicht. Aber jetzt bin ich hier. Werde nicht seine Frau, Hester!«
Alle Augen richten sich wieder auf Hester Lorain.
Und sie sehen sie steif und starr verharren – mit aufgerissenen Augen.
Sie ist ein schönes Mädchen, gelbhaarig und braunäugig, mittelgroß und mit allen körperlichen Vorzügen einer Frau. Sie ist kein junges Ding, sondern eine Frau, die sich seit dem Tod ihrer Eltern selbst zäh durchbeißt.
Man sieht ihr an, dass in ihr die Gedanken und Gefühle durcheinanderwirbeln und sie sich bemüht, binnen weniger Sekunden alles wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Sie bewegt sich plötzlich, will vom Altar weg den Gang entlang zu Ben Breahitt.
Doch da streckt John Stockbridge seine Hand aus. Er hält sie fest.
»Lass dich von ihm nicht beschwatzen«, sagt er. »Ich hab dein Wort, Hester! Heute ist unsere Hochzeit.«
Und er gibt mit der anderen Hand dem Padre einen Wink. Doch Hester Lorain sagt laut und deutlich, sodass sie es alle hören können: »John, du hattest mein Wort, weil ich glaubte, dass Ben Breahitt tot ist. Doch nun steht er dort vor uns. Ich brauche Zeit. Ich muss nachdenken. Verzeih mir, aber ich kann jetzt nicht Hochzeit halten.«
Sie wendet sich an einen grauhaarigen Mann, der offenbar bei ihr die Stelle des Brautvaters vertrat. Sie sagt: »Doc, bringen Sie mich heim. Bitte, Doc!«
Ben Breahitt hat den alten Doc von Spanish Springs längst wiedererkannt. Frits Burke bietet Hester Lorain auch sofort seinen Arm. Er ist kaum größer als sie, ein grauer, noch drahtiger, kleiner und auf ruhige Art energischer Mann, der manchmal drei Tage und drei Nächte reitet, um all seine Kranken in den entlegensten Gebieten des Landes zu versorgen.
Er führt Hester den Gang entlang. Als sie den wartenden Ben Breahitt erreicht, verhält Hester einen Moment. Sie sieht ihn fest an. Ihr Blick ist sehr forschend, und Ben Breahitt spürt auch deutlich, wie ihr forschender Instinkt in ihn einzudringen versucht.
Er verschließt sich diesem Gefühl nicht. Er lässt sie tief in seine Augen sehen, hält nichts verborgen. Und sie kann alles erkennen.
Doch sie nickt nur leicht und sagt deutlich genug, sodass man es überall in der stillen Kirche hören kann: »Du wirst mir eine Menge erklären müssen, Ben Breahitt! Ich bin in einer Stunde dazu bereit. Lass mir diese eine Stunde Zeit, Ben. Aber dann komm!«
Nach diesen Worten geht der Doc mit ihr weiter. Doch er nickt Ben Breahitt leicht zu und hat einen Ausdruck in seinen Augen, der deutlich macht, dass er gewiss kein gegen Ben Breahitt eingenommener Mann ist.
Ben Breahitt verhält noch auf seinem Platz im Gang.
Er sieht sich um. Viele der Leute kennt er von früher. Und sie kennen ihn. Sie staunen ihn immer noch an, denn er ist ein totgesagter Mann, der nun plötzlich nach langen Jahren doch wieder heimgekehrt ist.
Plötzlich begreifen sie, dass sie stören, dass der große John Stockbridge, in dessen Schatten sie alle leben, wahrscheinlich gern mit Ben Breahitt allein sein will.
Und so geraten sie in Bewegung.
Sie drängen aus den Bankreihen und dem Ausgang zu. Auch der alte Padre ist schon verschwunden.
John Stockbridge kommt nun langsam den Gang herunter und bleibt einen Schritt vor Ben Breahitt stehen.
Sie betrachten sich lange. Sie waren niemals Freunde. Schon als Knaben prügelten sie sich oft.
»Das war keine gute Idee von dir, Ben«, murmelt Stockbridge nach einer Weile. »Dafür, dass du mir vor allen Leuten meine Braut wegnehmen konntest, werde ...«
»Vorsicht, großer Mann«, unterbricht ihn Ben Breahitt.
John Stockbridge spricht auch wirklich nicht weiter. Er schluckt mehrmals hart.
Er ist nicht ganz so groß wie Ben Breahitt, doch breiter und massiger. Er ist rothaarig und grünäugig. Er ist ein kraftstrotzender Löwe, ganz und gar ein Mann, der sich seiner Größe und Macht bewusst ist.
»Sie erwartet dich in einer Stunde«, sagt er. »Aber in zwei Stunden schon könntest du ihr Lebewohl gesagt haben und weiterreiten. Denn hier ist kein Platz für dich! Es geht nicht so sehr darum, dass ich ohne Hester nicht leben könnte. Doch sie sollte meine Frau werden. Und du hast das vor allen Leuten mit wenigen Worten verhindern können. Du wirst bald tot sein, solltest du hier bleiben und Hester haben wollen.«
Nach diesen Worten will er hinaus.
Aber nachdem er drei Schritte an Ben Breahitt vorbei ist, sagt dieser: »Wird es diesmal wieder eine Kugel aus dem Hinterhalt sein, großer Mann?«
Da hält John Stockbridge an. Doch er dreht sich nicht um.
Seine Stimme klingt kalt und hart, als er sagt: »Ich weiß nicht, wovon du redest, alter Freund. Als ich dich damals am Boden liegen sah, von einer Kugel aus dem Sattel geholt, da mag diese Kugel vielleicht von hinten aus meiner Richtung gekommen sein. Doch ich würde dich nur von vorn erledigen! Ich sah mir vom Pferd aus deine Kopfwunde an und hielt dich für tot. Und genau das erzählte ich Hester und all den anderen Leuten. Geh zur Hölle!«
Nach diesen Worten geht er endgültig weiter. Draußen hat sich der Schwarm der Leute schon verlaufen. Nur Channighan steht noch da. Die beiden Reiter hat er weggeschickt zu den Pferden.
John Stockbridge sieht seinen Vormann an, der schon als junger Cowboy für seinen Vater geritten und von ihm langsam für diesen Job aufgebaut worden war.
»Das hast du falsch gemacht, Arch«, murmelt er. »Du hättest ihn nicht hereinlassen sollen. Ein paar Worte von ihm reichten aus, Hester umzustimmen. Er kam eine Minute zu früh herein. Spanish Bit musste eine Niederlage einstecken. Die Leute werden lachen über den Boss von Spanish Bit. Und du bist schuld daran.«
»Ich weiß, Boss«, murmelt Arch Channighan. »Aber ich mache es wieder gut: Ich schwöre, dass ich diesen Fehler wieder gutmache. Weißt du, Boss, ich konnte ihn noch nie leiden. Er war stets dein schärfster Konkurrent – schon damals, als ihr noch Knaben wart. Ich konnte es nie ertragen, dass er dich in manchen Dingen schlug. Ich hätte gern gesehen, dass er jetzt einmal von dir geschlagen würde – dort drinnen.«
»Schon gut, Arch, schon gut«, murmelt John Stockbridge. Er geht zu dem Wagen hinüber, in dem er eigentlich seine junge Frau heimfahren wollte. Es ist ein erstklassig gefederter Wagen mit einem Schimmelgespann.
Nun muss er allein auf dem schwarzen Ledersitz Platz nehmen.
Er überlegt, ob er in der Stadt bleiben oder auf die Ranch fahren soll.
Doch nun vermag er die wilde, böse, gefährliche Wut nicht länger unter Kontrolle zu halten. Er nimmt die Peitsche und treibt damit das herrliche Schimmelgespann aus dem Stand zum wilden Galopp. Der leichte Wagen kippt fast um, als John das Gespann nach links lenkt. Die Pferde wiehern schrill.
Und ein paar Leute, die das aus einiger Entfernung und aus sicherer Deckung beobachten, sehen den Ausbruch seiner wilden Wut.
Und nun wissen sie, dass es gewiss noch schlimm werden wird für diese Stadt, schlimmer noch, als es bisher war.
John Stockbridge prügelt das kostbare Gespann die Hauptstraße entlang bis zum westlichen Stadtausgang. Er kommt auch an Hester Lorains kleinem Hotel und Restaurant vorbei. Der Doc hilft ihr gerade vom Wagen auf den zur Veranda ausgebauten Plankengehsteig.
Sie sehen zu John Stockbridge hin, doch dieser schenkt ihnen keinen Blick, sondern starrt über die Köpfe seines Gespanns hinweg zum Stadtausgang hinaus nach Westen. Dort, weit draußen, steigen die roten Mesas als mächtige Klötze gen Himmel, und dazwischen ist wildes, unübersichtliches Land, sind Canyons, Täler, Schluchten, Hügelketten und Creeks.
Es ist ein Land mit tausend verborgenen Winkeln und guter, geschützter Weide mit reichlich Wasser. Dies ist das Spanish-Springs-Land.
Und schon John Stockbridges Vater – der alte Big Jim – war hier der ungekrönte König.
John Stockbridge treibt es hinaus aus dieser Stadt, weg von dem Ort seiner größten Niederlage.
Der Doc sagt zu Hester Lorain: »John hasst dich jetzt, Hester. Denn du hast ihn gedemütigt. Ich weiß nicht, was wird, wenn Ben Breahitt in einer Stunde bei dir gewesen ist. Aber er kann danach keine Stunde länger in diesem Land bleiben. Und sollte zwischen euch wieder alles so werden, wie es damals war, bevor er in den Krieg ritt, dann musst du mit ihm gehen – weit, weit fort. Denn sonst wirst du erleben, wie er erledigt wird. Verstehst du?«
»Ich weiß, Doc«, murmelt Hester. »Aber was soll ich denn tun? Ich kann doch nicht John Stockbridges Frau werden, wenn Ben Breahitt lebt!«
✰
Ben Breahitt verlässt als Letzter die alte Missionskirche.
Doch davor wartet Arch Channighan. Sonst ist niemand mehr zu sehen. Auch die beiden anderen Spanish-Bit-Reiter sind weg.
Arch Channighan strömt wieder jene gnadenlose Unduldsamkeit aus, zu der er fähig ist. Er sagt eine Weile nichts, starrt Ben Breahitt nur an.
Und dieser wartet.
»Pass auf, denn ich will es dir erklären«, murmelt Arch Channighan dann kehlig. »Und ich will dabei ein paar Dinge wiederholen, die du schon kennst. Ich fing damals als blutjunger Bursche bei Big Jim Stockbridge an. Ich war knapp fünfzehn Jahre alt und musste mich schon innerhalb einer harten Mannschaft behaupten.
Eines Tages war ich mit seinem Sohn John unterwegs, der damals noch ein Knabe von zwölf Jahren war. Ich war siebzehn. Und als eine Apachenbande uns zu jagen begann, hatte der Junge bald Pech mit seinem Pferd. Es verletzte sich und konnte das Tempo nicht mehr halten. Ich setzte John auf mein Pferd, schickte ihn heim und verschanzte mich zwischen einigen Felsen. Es war purer Zufall, dass der Junge kurz darauf auf einige von unseren Reitern stieß, die mir dann zu Hilfe kamen, bevor die Apachen mich erledigen konnten.
Nun, warum erzähle ich dir das, Ben Breahitt? Big Jim Stockbridge erkannte schon damals meine Treue. Verstehst du: Treue zu den Stockbridges, zur Spanish Bit! Ich war bereit, mich zu opfern. Und das bin ich noch immer. Denn Big Jim sagte mir damals schon, dass ich eines Tages auf Spanish Bit der Vormann sein würde, weil sein Sohn John nach seinem – Big Jims – Tod einen treuen Freund nötig hätte. Ich gab ihm mein Wort. Hast du verstanden, Ben Breahitt, du Hundesohn?«
Ben Breahitt sieht Arch Channighan an. Und dann nickt er.
Channighan stößt ein zufriedenes Grollen aus.
»Gut«, sagt er. »Als du plötzlich wieder da warst, wollte Hester meinen Boss nicht mehr haben. Aber sie wird auch dich nicht bekommen. Sie wird in diesem Land überhaupt keinen Mann mehr bekommen. Dafür sorge ich. Denn ich jage jeden Mann zum Teufel, der sie auch nur grüßt. Dir gebe ich Zeit bis zum Anbruch der Nacht. Hast du verstanden?«
»Du redest verdammt viel, fast zu viel«, sagt Ben Breahitt und geht an ihm vorbei zu seinem Pferd.
Arch Channighan macht den Ansatz zu einer Bewegung, so, als wollte er ihn an der Schulter herumreißen und ihm die Faust in den Körper jagen.
Doch er lässt es bleiben.
Und er sagt nichts mehr. Er steht nur still und bewegungslos, ein massiger Mann von größter Gefährlichkeit und unwahrscheinlicher Härte, ein Mann, der angefüllt ist mit engstirniger Treue.
✰
Curly Short hat immer noch den Mietstall. Und er hinkt stärker als vor fünf Jahren. Seine Glatze aber hat sich nicht verändert, sie ist noch immer spiegelblank.
Curly Short grinst Ben Breahitt an.
»Bis jetzt«, sagt Curly, »hat mir noch niemand verboten, dein Pferd zu versorgen, Ben. Das Tier hat es nötig. Du bist heute gewiss schon mehr als vierzig Meilen geritten. Und du warst auch die ganze vorangegangene Woche ständig im Sattel, nicht wahr?«
»Versorge es gut, Curly«, nickt Ben Breahitt. »Ich hole es in einer Stunde wieder.«
Er nimmt den Hut ab und klopft damit den Staub aus der Kleidung. Und nun kann man die weiße Strähne in seinem sonst dunklen Haarschopf erkennen. Es ist eine Strähne längs einer Kugelnarbe.
Curly starrt auf diese von weißen Haaren begrenzte Narbe. »Haben sie dich deshalb für tot gehalten?«, fragt er und deutet auf Bens Kopf.
Ben Breahitt nickt nur. Dann tritt er an den großen Wassertrog. Er entledigt sich seines Reithemdes und wäscht sich.
Als er sich mit dem Handtuch abtrocknet, das Curly ihm gebracht hat, kommt ein müder und staubiger Reiter hereingeritten, hält vor ihnen an und bleibt noch einen Moment wie ein Mann im Sattel, der sich gar nicht mehr bewegen möchte.
Unter der ärmellosen Lederweste blinkt ein Sheriff-Stern.
Der Mann lässt an einen alten, zerzausten Falken denken, für den die Jagd immer mühsamer wird. Er blickt Ben Breahitt lange an.
»Totgesagte sollen ein besonders langes Leben haben«, murmelt er dann. »Ich freue mich, dich zu sehen, mein Junge. Du bist deinem Vater jetzt noch ähnlicher. Bist du noch zur Hochzeit zurecht gekommen?«
»Es fand keine statt«, erwidert Ben Breahitt.
Da nickt der Sheriff. »Glück für Hester – und Pech für dich«, murmelt er. »Du wirst eine Menge Kummer bekommen, Ben – und ich kann dir nicht viel helfen. Ich bin ein alter Mann. Niemand will hier Sheriff sein – niemand! Ich kann nicht mal die Banditen matt setzen, die immer wieder die Postkutschen überfallen. Und dabei weiß ich, dass sie in Grand Mesa sitzen. Ben, möchtest du nicht Deputy werden und mir ein wenig helfen?«
Die Worte kommen Hilfe suchend aus dem Mund eines müden, resignierten Mannes.
Doch Ben Breahitt lässt sich dennoch nicht täuschen. In den Falkenaugen des alten Sheriffs ist immer noch ein Ausdruck, der verrät, dass er noch lange nicht am Ende ist.
Ben Breahitt begreift schnell, dass der alte Freund seines Vaters ihm sofort Schutz angeboten hat, kaum, dass er von der geplatzten Hochzeit erfuhr. Ja, der Stern auf der Weste bedeutet Schutz. Und vielleicht braucht der alt gewordene Jagdfalke wirklich die Hilfe eines Deputy?
»Ich kann mich noch nicht entscheiden, Sheriff«, sagt er. Und er erinnert sich daran, dass er diesen Mann früher Onkel Buck nannte.
Sheriff Buck Quade nickt nur. Dann endlich sitzt er ab.
»Jetzt hast du zwei müde Pferde zu versorgen, Curly«, sagt er. Er sieht Ben Breahitt an, und er ist einen halben Kopf kleiner. Er war niemals ein körperlich großer und besonders kräftiger Mann. Und dennoch war er früher ein guter Sheriff.
Wie ist es jetzt? Diese Frage stellt Ben Breahitt sich, indes er sein Hemd wieder in die Hose stopft und den Hut aufsetzt. Sie gehen nebeneinander zur Ausfahrt und verhalten hier noch einmal.
»Ich habe Hester im letzten Moment daran gehindert, ihn zu heiraten«, sagt Ben nun.
Der Sheriff nickt. »Nur der Stern könnte dich vielleicht davor schützen, dass er dir die Haut abziehen lässt, mein Junge. Doch dich hinter einem Stern zu verstecken, dazu bist du wohl zu stolz. Ich brauche jedoch wirklich Hilfe. Die Banditen im Land werden immer aufmüpfiger. Grand Mesa ist ihr Hauptquartier. Und sie werden irgendwie gedeckt von John Stockbridge. Er könnte sie mit seiner harten Mannschaft erfolgreich bekämpfen. Doch er duldet sie. Dafür lassen sie ihn ungeschoren. Aber sie arbeiten zugleich auch für ihn. Sie halten die neue Zeit im Land auf. Es kommen keine Siedler und Farmer. Das Land bleibt leer. Die Weide bleibt frei für John Stockbridge. Sogar der Post- und Frachtverkehr wird immer wieder unterbrochen. Die Banditen halten das Land menschenleer. Und Land braucht Stockbridge für seine Herden. Ich bekomme hier kein starkes Aufgebot zusammen. Ich bin allein. Denke mal darüber nach, Ben, mein Junge.«
Nach diesen Worten wendet sich Buck ab und geht davon.