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Vor der Stadt bleibt das Pferd stehen. Der Atem des Tieres geht rasselnd. Es senkt den Kopf und zittert vor Erschöpfung am ganzen Körper.
Ed Curtis stößt einen bitteren Fluch aus, aber dieser Fluch gilt nicht dem armen Tier, sondern allein den Dingen, die ihn zu diesem Ritt zwangen. Er führt das Tier zwischen den ersten Häusern hindurch und ist auf der erleuchteten Mainstreet von Laramie. Er schwankt steifbeinig und sattelmüde durch den knöcheltiefen Staub der Fahrbahn. Das Pferd zieht er hinter sich her, und auch das Tier schwankt.
Sie sind beide mit einer Staub- und Dreckschicht überzogen, und zwischen ihrem Start und ihrem Ziel hier liegen hundert harte Meilen durch raues Land.
Vielleicht gibt es unter tausend guten Männern noch einen zweiten Mann, und vielleicht gibt es unter tausend erstklassigen Pferden noch ein zweites Pferd, die diesen Ritt in dieser kurzen Zeit hätten bewältigen können - vielleicht aber nur!
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der Kartenhai
Vorschau
Impressum
Der Kartenhai
Vor der Stadt bleibt das Pferd stehen. Der Atem des Tieres geht rasselnd. Es senkt den Kopf und zittert vor Erschöpfung am ganzen Körper.
Ed Curtis stößt einen bitteren Fluch aus, aber dieser Fluch gilt nicht dem armen Tier, sondern allein den Dingen, die ihn zu diesem Ritt zwangen. Er führt das Tier zwischen den ersten Häusern hindurch und ist auf der erleuchteten Mainstreet von Laramie. Er schwankt steifbeinig und sattelmüde durch den knöcheltiefen Staub der Fahrbahn. Das Pferd zieht er hinter sich her, und auch das Tier schwankt.
Sie sind beide mit einer Staub- und Dreckschicht überzogen, und zwischen ihrem Start und ihrem Ziel hier liegen hundert harte Meilen durch raues Land.
Vielleicht gibt es unter tausend guten Männern noch einen zweiten Mann, und vielleicht gibt es unter tausend erstklassigen Pferden noch ein zweites Pferd, die diesen Ritt in dieser kurzen Zeit hätten bewältigen können – vielleicht aber nur!
Die Gehsteige der Stadt sind sehr belebt. Überall stehen Sattelpferde an den Haltegeländern.
Vom Bahnhof her ertönt der schrille Pfiff einer Lok.
Ed Curtis ist vor einem Jahr zum letzten Mal in Laramie gewesen. Nun sieht er die Stadt bei Nacht wieder, und er erkennt ganz klar, dass sich nichts verändert hat. Laramie ist immer noch wild und rau. Und die Eisenbahn hat noch mehr wilde Burschen herbeigelockt – und Rinderherden.
Obwohl Ed Curtis von seinem Hundert-Meilen-Ritt erschöpft ist, treibt ihn eine wilde Ungeduld vorwärts. Als rechts von ihm die breite Einfahrt des Mietstalls auftaucht, führt er den Rappwallach sofort hinein.
Ein großer Mann kommt aus dem Stall.
Ed Curtis bleibt stehen, und sein Rappe stößt gegen ihn.
»Sind Sie der Stallmann?«, fragt Ed Curtis heiser und spuckt dann zum wiederholten Mal den Staub aus der Kehle.
»Ich bin der Stallmann, aber ich gehe jetzt zum Abendbrot, und hier im Stall sind alle Boxen belegt«, erwidert der große Bursche mürrisch. »Sie können Ihren Gaul hinter dem Haus in den Corral bringen. In der offenen Scheune liegt noch genügend Futter. Für den Platz im Corral und das Futter bekomme ich einen halben Dollar pro Nacht.«
Er tritt dicht an Ed Curtis heran und hält ihm die offene Hand hin.
Ed greift in die Tasche und holt zwei Dollar heraus.
»Hier«, krächzt er. »Dafür bekommt mein Pferd eine gute Box, anständiges Futter, wird noch eine Weile im Hof herumgeführt und dann sorgfältig abgerieben. Ist das klar?«
»Klar ist nur, dass alle Boxen belegt sind und ich zum Abendbrot gehe«, knurrt der Stallmann unfreundlich und mürrisch.
Im schwachen Lichtschein sieht sich Ed den Mann sorgfältiger an. Und er sieht einen großen, harten und mürrischen Burschen, der sich über irgendwelche Dinge geärgert hat oder von Natur aus ständig so unfreundlich und aufsässig ist.
Der Mann hatte einen kleinen Kopf auf den mächtigen Schultern, und sein Gesicht trägt die Zeichen von vielen Kämpfen. Vielleicht war dieser Mann einst ein gefürchteter Preisboxer und kann nun aus einem bestimmten Grunde diesen Beruf nicht mehr ausüben.
»Freund«, sagt Ed Curtis, »ich will nicht lange mit Ihnen herumtändeln.«
»Ich auch nicht, ich will mein Abendbrot. Und wenn Sie mit mir Streit anfangen, Sie großmäuliger Cowpuncher, dann ...«
Ed Curtis ist müde und steif, aber er hat es sehr eilig. Er kann sich nicht mit seinem Pferd befassen, denn die Zeit drängt. Und er ist dem Rappwallach nach diesem mörderischen Ritt etwas schuldig.
Er lässt den aufsässigen Stallmann gar nicht ausreden. Er explodiert, und er ist trotz seiner Sattelmüdigkeit immer noch schnell genug für diese Sache.
Seine Linke rammt wie ein Dampfhammer in den Magen des schwergewichtigen Stallmannes. Ed Curtis' hundertneunzig Pfund Gewicht sitzen dahinter – und trotz seiner Steifheit und Müdigkeit noch eine mächtige Muskelkraft.
Der Mann stößt einen ächzenden Laut aus, und es sieht aus, als würde er wie ein Taschenmesser einknicken.
Aber dann wirft er sich vor und will sich an Ed Curtis hängen.
Aber der gleitet zur Seite und wuchtet die Rechte auf das dargebotene Genick. Der Stallmann kracht mit dem Gesicht in den Staub. Und so liegt er wohl eine halbe Minute. Dann rollt er sich herum und setzt sich auf.
»Verdammt«, knurrt er, »ich bin doch nicht mehr der furchtbare Andy Sullivan, ich bin eine verdammte Schnecke!« Er hebt die Rechte. »Sehen Sie sich diese Hand an, Mister. Mit dieser Rechten schlug ich noch vor zwei Jahren alles kurz und klein, was mir an starken Tigern im Ring begegnete. Aber dann habe ich mir diese Rechte an Pat O'Brien zerbrochen. Sie kennen doch Pat O'Brien, den man ›Büffel von Kansas‹ nennt? Ich habe ihm den Kinnbacken zertrümmert mit dieser Rechten. Und seit dieser Zeit kann ich damit nicht mehr richtig zuschlagen. Der Mittelhandknochen bricht immer wieder. Und ich tauge auch sonst nichts mehr. Sie haben mich sauber erledigt, Mister.«
Er starrt zu Ed Curtis hoch.
»Wenn ich von einem Mann sauber geschlagen werde, so erkenne ich das an. Ich bin nicht nachtragend.«
»All right«, sagt Ed, der staunend gelauscht hat und der den Mann gut versteht. »All right«, wiederholt er. »Wie ist das nun mit meinem Pferd?«
»Nur eine Minute – eine Minute noch, Mister. Ich muss nur noch den Krampf im Magen verdauen. Gleich! Der Gaul wird von mir gut versorgt werden.«
Ed Curtis nickt und geht davon. Er hat sein Pferd und diesen seltsamen Stallmann bereits vergessen, als er auf die Straße kommt. Er bleibt einen Moment stehen und sieht sich um.
Ein Mann geht an ihm vorbei.
»Hallo, Freund, wo finde ich das Haus des Doc?«, fragt er ungeduldig.
»Gegenüber dem Post Office, Mister.«
Sofort setzt sich Ed Curtis in Bewegung.
Es ist ein kleines und ziemlich altes Holzhaus. Aus den Fenstern fällt Licht auf den hölzernen Gehsteig. Ed legt die Hand an den Türgriff. Die Tür lässt sich öffnen. Er tritt in den kleinen Vorraum.
Ihm gegenüber öffnet sich eine Tür. Im hellen Lichtschein erkennt Ed seinen alten Vormann Mule Pex. Mule ist klein, alt, glatzköpfig, krummbeinig, lederhäutig und falkenäugig. Seine Treue zu den Curtis' reicht vom Himmel bis zur Hölle und von der Hölle bis in den Himmel. Und als er Ed erkennt, kaut er etwas heftiger auf seinem angefressenen Schnurrbart. Dann öffnet er die schmalen Lippen und sagt heiser: »Du bist schnell geritten, Edward Curtis – sehr schnell. Ich hätte dich erst morgen erwartet. Jerry lebt noch.«
Die letzten Worte sagt er dumpf. In seinen hellen Falkenaugen ist der Ausdruck einer bitteren Verzweiflung.
Ed Curtis sieht ihn eine Weile an und geht dann an ihm vorbei in den Raum hinein.
Eins der drei Krankenbetten ist belegt. Ein Mann sitzt daneben und fühlt dem Kranken den Puls.
»Ich bin sein Bruder – ich bin Edward Curtis«, murmelt Ed langsam, tritt dabei ans Fußende und sieht in das bleiche Gesicht seines jüngeren Bruders zwischen den Kissen. Und er erschrickt, denn der Bruder sieht so aus, als wäre kein Leben mehr in ihm. Seine Augen richten sich schnell auf den alten Doc.
Der Arzt hebt die schmalen Schultern.
»Er wird sterben«, sagt er sanft. »Und halten Sie mich nicht für einen verdammten Stümper, Curtis, wenn ich hier versagt habe. Er wird sanft einschlafen. Nur wenn Sie darauf bestehen, Mister, werde ich ihm eine Spritze geben. Dann wacht er vielleicht für eine kurze Minute noch einmal auf. Aber es ist eine Quälerei. Dann weiß er nämlich sofort, dass er stirbt.«
Er verstummt und sieht Ed Curtis seltsam an. Der tritt nun an die andere Seite des Bettes und beugt sich tief nieder. Er atmet hörbar und sieht seinen Bruder an, sieht ein bleiches Gesicht unter wirrem Lockenhaar von weizengelber Farbe.
Er bewegt die lange und geschmeidige Hand und tastet nach der Hand des Bruders. Sie fühlt sich kalt, kraftlos und wie ohne Leben an.
Ed Curtis schüttelt verwundert den Kopf. Er kann es noch gar nicht fassen, dass Jerry sterben soll, ausgerechnet Jerry, dieser Glücksjunge, der stets wie ein lachender Sonnengott über die Weide ritt und dem alle Dinge gelangen, die er anpackte.
In diesem Moment denkt Ed Curtis auch an seine Vergangenheit. Und er hat noch nie so klar gewusst wie in diesem Moment, dass nur dieser jüngere Bruder, für den er verantwortlich ist, ihm die Kraft gegeben hat, mit dem wilden Leben Schluss zu machen und einen neuen Weg einzuschlagen.
Er erinnert sich ganz deutlich daran, als er Jerry bei dessen Vormund abholte. Sie ritten dann weit. Ed hatte genügend Geld für eine kleine Ranch. Und während der nächsten Jahre, in denen Jerry zum Mann heranwuchs, wurde Ed zum Vorbild des jüngeren Bruders.
Ja, durch Jerry hatte er sich vollkommen verwandelt. Und dennoch überkam ihn von Zeit zu Zeit die Versuchung. Manchmal wurde es schlimm, und er wäre gerne geritten, ohne Ziel, nur geritten, von einem Camp zum anderen, von einer wilden Stadt zur nächsten, von einem Spieltisch zum anderen – wieder in das wilde Leben von früher.
Und als sie vor rund zwanzig Tagen eine Herde zur Verladung bringen mussten, spürte er wieder diesen Drang nach einem ziellosen Leben ohne Pflichten, nach einem scharfen Pokerspiel und nach vielen anderen Dingen.
Weil er aber seines Bruders Vorbild war und er zugleich erkannte, dass er der Versuchung nicht würde widerstehen könne, sobald er in eine wilde Stadt wie Laramie kommen würde, blieb er daheim. Er wollte nicht in Versuchung kommen, wieder ein kalter Kartenhai zu werden, ein Revolvermann und Glücksritter ohne Ziel. Es hätte etwas passieren können, vielleicht eine Kleinigkeit nur, und er wäre davongeritten, dem wilden Leben nach und hätte Jerry allein gelassen. Doch Jerry wäre ihm gefolgt. In guten und in schlechten Dingen hätte er sich den großen Bruder zum Vorbild genommen.
Er blieb also bei ihren Kühen auf der kleinen Ranch und schickte Jerry mit Mule Pex und den beiden Cowboys nach Laramie. Tausend Rinder trieben die vier Reiter.
Und als er eines Tages abends auf der Veranda saß, war einer ihrer Cowboys in den Hof geritten. Das Pferd war zusammengebrochen und der Boy konnte gerade noch krächzen: »Reite nach Laramie, wenn du Jerry noch einmal lebend sehen willst.«
Dann war auch der Cowboy bewusstlos geworden. Und Ed Curtis war geritten.
Jetzt sieht er also auf den Bruder nieder. Seine Gedanken beenden ihren Kreis, und ihm fallen die Worte des alten Doc wieder ein.
»Doc, ich will, dass er noch einmal aufwacht«, sagte er bitter. »Und wenn Sie meinen Bruder besser kennen würden, so wüssten Sie, dass auch er ...« Er bricht ab und wendet sich Mule Pex zu, der müde an der Tür lehnt. »Mule, was ist passiert?«
»Wir hatten die Herde verkauft«, murmelt Mule. »Ich und die anderen tranken noch einige Whiskys und gingen dann schlafen. Wir waren vom Treiben ziemlich fertig. Nur Jerry war noch unternehmungslustig. Du weißt ja selbst, dass er durch nichts totzukriegen war.« Mule Pex verstummt heftig. Ihm kommt der Widersinn seiner Worte jetzt erst zum Bewusstsein.
»Schon gut«, murmelt Ed.
»Ich weiß nur von Augenzeugen über die ganze Sache«, fährt Mule grimmig fort. »Herrgott, wäre ich doch nur nicht ins Bett gekrochen, sondern bei Jerry geblieben! Aber wie konnte ich ahnen, dass der Junge, der doch sonst ...«
»Schon gut«, murmelt Ed wieder und bewegt ungeduldig seine Hand.
»Jerry geriet in ein scharfes Pokerspiel – und er muss nicht mehr nüchtern gewesen sein. Einer seiner Spielpartner muss ein gerissener Kartenhai gewesen sein. Aber Jerry erwischte ihn bei einem schmutzigen Trick. Er hat die Hand des Spielers mit dem Messer auf den Tisch genagelt. Aber der Kartenhai hatte schon einen Derringer in der Hand. Jerry bekam beide Kugeln in die Brust. Der Spieler hatte Freunde. Sie brachten ihn weg. Ich habe den Kerl überall gesucht. Er ist nach Norden geflüchtet. Das ist alles, was ich weiß, Ed.«
Der nickt. Und er erinnert sich jetzt wieder an die langen Winterabende auf der Ranch, wo er Jerry alle Kartentricks der Falschspieler beibrachte.
»Damit dich eines Tages nicht solch ein verdammter Kartenhai hereinlegt«, hatte er zu Jerry gesagt.
Ed wendet sich dem Doc zu. »Vielleicht kann er mir den Namen sagen – oder etwas Besonderes über den Mann.«
»Sicher, ich will ihm eine Spritze geben«, murmelt der alte Arzt und geht ins Nebenzimmer.
Mule Pex kommt zu Ed herüber.
»Es war ein großer, blonder und nicht zweitklassiger Kartenhai«, murmelt er. »Ich konnte seinen Namen nicht erfahren. Auch seine Freunde sind verschwunden. Ich denke, dass sie nur auf der Durchreise waren. Ed, du nimmst mich doch mit, wenn du die Fährte aufnimmst?«
»Ich nehme dich nicht mit, Mule. Du musst auf die Ranch aufpassen. Was ist mit dem Geld für die Herde?«
»Jerry hat das Bargeld verloren. Der Scheck war noch in der Tasche.«
Diese Nachricht trifft Ed Curtis wie ein Schlag. Jerry sollte sich zweitausend Dollar in bar und für das übrige Geld einen Scheck geben lassen. Und nun erfährt er, dass Jerry zweitausend Dollar beim Poker verspielt hatte.
Der Doc kommt wieder herein, setzt sich auf den Bettrand und gibt dem Sterbenden eine Spritze.
Ed setzt sich auf die andere Seite, beugt sich über Jerry und starrt in dessen bleiches Gesicht. Und er sieht nach wenigen Minuten, wie es dort zu arbeiten beginnt, wie sich die Haut leicht rötet und wie etwas Schweiß auf der Stirn sichtbar wird.
Aber als Jerry den Mund öffnet, tritt sofort Blut auf seine Lippen.
»Jerry, ich bin hier«, sagt Ed ruhig. »Jerry, ein Kartenhai hat dich niedergeschossen. Wie ...«
»Shayne – McShayne – blond – aaah, ich – habe – seine – Hand auf den Tisch genagelt. Oh, Ed – Ed, verzeih – mir! Ich wollte gar nicht – so – lange – spielen. Aber – ich musste – erst seine Tricks – herausfinden. Er hat – einen Derringer im Ärmel. Viel – Glück, großer Bruder ...«
Dann stirbt Jerry.
✰
Am anderen Tag – es ist schon später Nachmittag – begraben sie Jerry Curtis. Der Pater spricht von einem jungen Leben, das durch Gewalttat endete und somit zu den vielen jungen Leben gehört, die dieses wilde Land immer wieder fordert.
Ed wird aus seinen Gedanken gerissen, als der Pater vor ihm steht und ihm die Hand schüttelt. Dann geht der Pater davon. Nun tritt der Doc heran.
»Ich war machtlos, Mister Curtis«, sagt der alte Arzt, drückt Eds Hand und geht davon.
Ed schaut den alten Mule Pex an.
»Du hütest mir meine Ranch«, sagte Ed zu ihm.
»Nur dann, wenn du wirklich die Absicht zur Rückkehr hast, Edward Curtis«, knurrt Mule und starrt Ed scharf in die Augen. »Ich sehe in deinen Augen, dass du nun wieder mitten durch alle Höllen reiten willst – zum Teil deshalb, um diesen McShayne zu finden, und zum anderen Teil, um wieder mal dem Teufel ins Auge zu spucken. Das macht dir Spaß, Edward! Vor einigen Jahren nannte man dich Trick-Curtis, und im Krieg warst du als ›Captain Blizzard‹ bekannt. Pass nur auf, dass man dich eines Tages nicht Höllen-Curtis nennen wird! Wirst du auf die Ranch zurückkommen?«
»Vielleicht«, murmelt Ed nachdenklich, klopft dem alten Cowboy auf die schmale Schulter und geht davon.
✰
Eine halbe Stunde später hat sich Ed Curtis neu eingekleidet. Er sieht jetzt nicht mehr wie ein Rindermann, sondern wie ein Spieler aus.
Im Mietstall verkauft er dem Ex-Boxer sein Pferd.
Er muss lange Schritte machen, um den Zug der Nebenlinie nach Norden zu erreichen. In seinem Innern ist die feste Überzeugung, dass auch Jerrys Mörder nach Norden gereist ist.
Denn weit im Norden gibt es viele wilde Camps, Minenstädte, Holzfällerlager und eine im Bau befindliche Eisenbahnlinie. Aus dem reichen Schatz seiner Erfahrungen weiß Ed Curtis, dass dort im Norden für Glücksjäger, Revolverleute und Kartenspieler das Gelobte Land ist.
Er erreicht den Zug im letzten Moment, doch als er sich auf die hintere Plattform des letzten Wagens schwingt, taucht noch ein laufender Mann aus der Dunkelheit auf und schafft es mit einem wilden Endspurt.
»Das war knapp«, sagt Ed zu dem Mann und will die Tür des Wagens öffnen, als sich der nach ihm aufgesprungene Mann an ihn heran drängt.
»Ja, ich habe es gerade noch geschafft, Mister«, keucht er. Und dann verspürt Ed den harten Druck eines Coltlaufs im Rücken.
»Machen Sie die Tür wieder zu«, schnappt der Fremde hinter ihm heiser und noch außer Atem.
Ed zögert sekundenlang und gehorcht dann. »So ist das also?«, fragt er.
Der Mann stößt ihn mit dem Colt bis zur Treppe.
»Ja, so ist das«, knurrt er dann hinter Ed. »Sie wollen hinter McShayne her, der Ihren Bruder getötet hat. Es stimmt schon: McShayne ist nach Norden unterwegs. Er hatte es sehr eilig, um zu einem großen Geschäft zu kommen – und er möchte nicht den berühmten Trick-Curtis auf der Fährte haben. Wenn Sie mit Ihrem alten Cowboy heimgereist wären, Curtis, so wäre Ihnen nichts passiert. Aber ...«
In diesem Moment rasselt der Zug um eine scharfe Biegung zwischen den Hügeln. Ed Curtis kann sich mit der Linken am Geländer festhalten. Sein Hintermann aber taumelt gegen die Wand des Waggons, und der Druck des Coltlaufs ist plötzlich weg.
Eds langer Arm reißt die Reisetasche hoch. Sie beschreibt einen Bogen seitlich nach hinten und trifft die Revolverhand.
Das Mündungsfeuer blendet Ed. Er spürt die brennende Hitze der Flamme im Gesicht. Aber die Kugel trifft ihn nicht. Er wirft sich knurrend gegen den Mann, packt mit beiden Händen dessen Handgelenk, fällt auf ein Knie, zieht den Mann halb herunter und bricht mit einem wilden Ruck dessen Arm wie ein Stück Holz über dem hochgestellten Knie des anderen Beines.
Und der Mann kreischt voller Verzweiflung, lässt die Waffe fallen und legt sich dann stöhnend über Eds breite Schulter. Aber Ed stemmt sich wieder hoch und stößt den Mann gegen die Wand des Waggons.
»So, mein Freund!«, knurrt er rau.
»Mein Arm! Aaah, mein Arm! Du Hundesohn hast mir den Arm gebrochen! Hölle ...«
»Mit diesem Risiko musstest du doch rechnen, Freund! Du kanntest doch meinen alten Namen, also hast du auch gewusst, dass es nicht leicht sein würde. Nun, Freund, wohin ist McShayne gereist?«
»Geh zur Hölle, Curtis!«
Da schlägt Ed zu – immer wieder mit der flachen Hand, mit ihrer Innenfläche und ihrem Rücken. Der Mann versucht sich zu wehren, aber sein rechter Arm ist unbrauchbar und er hat gegen Ed Curtis keine Chance. Bald wimmert er erbärmlich. Seine anfängliche Härte und zielbewusste Kaltblütigkeit sind schnell dahin.
Ed Curtis macht eine Pause und wiederholt dann seine Frage: »Wohin ist er also?«
»Geh nur nach Silverland – geh nur hin, Curtis. Dort wirst du ihn finden – und ich brauche dich nicht zu suchen. Oder willst du mich jetzt töten?« Der Mann hat sich jetzt etwas beruhigt und erträgt seine Not nun kaltblütiger.
Ed hält ihn immer noch vorn an der Jacke fest und drückt ihn gegen die Wand. »Wie ist denn dein Name, Freund?«, fragt er rau.
»Rockmann – Milt Rockmann! Aaah, wenn ich eine Chance bekomme, so schieße ich dir eines Tages was in den Schädel, Curtis! Du hast mich zu rau behandelt, als dass ich es vergessen könnte. Oh, du verdammter ...«
Ed zieht den Mann von der Wand weg und stößt ihn wieder heftig dagegen.
»Nur ruhig, Milt Rockmann – nur ruhig! Du hast dich bisher für einen harten Burschen gehalten, wie? Und du hast sogar keine Angst gehabt, dass ich dir einen Trick zeigen könnte, wie? Nun pass aber auf, Freund: Wenn du mir auf dieser Welt nochmals mit dem Colt in den Weg trittst, so töte ich dich. Und nun spring hinunter!«
Er stößt den Mann zu den Trittbrettern. Hier am Geländer zerrt der Fahrtwind an ihrer Kleidung. Milt Rockmann stöhnt vor Furcht und Sorge.
»Lass mich bis zur nächsten Station mitfahren – ich habe doch meinen Arm ...«