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Die Kunde, dass der berüchtigte Revolverheld Fess Morgan Clay nach Opal City gekommen ist und dort ganz offensichtlich auf etwas wartet, eilt durch das ganze Land. Und sie erreicht schon wenige Stunden später den Mann, den sie am meisten angeht. Dieser Mann ist Elliot Avalon.
Und Elliot Avalon zögert zwei volle Tage. Er hört auf seine Schwester, seine Freunde und seine Nachbarn. Er hörte so sehr auf sie, dass er zwei Tage auf der kleinen Hügelranch bleibt und sich nirgendwo blicken lässt.
Am dritten Tag aber kommt Elliot Avalon zu der Überzeugung, dass sich ein Mann nicht bis in alle Ewigkeit in ein Mauseloch verkriechen kann, wenn ein anderer Mann auf ihn wartet ...
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Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Komm zurück, Sloan!
Vorschau
Impressum
Komm zurück,Sloan!
Die Kunde, dass der berüchtigte Revolverheld Fess Morgan Clay nach Opal City gekommen ist und dort ganz offensichtlich auf etwas wartet, eilt durch das ganze Land. Und sie erreicht schon wenige Stunden später den Mann, den sie am meisten angeht. Dieser Mann ist Elliot Avalon.
Und Elliot Avalon zögert zwei volle Tage. Er hört auf seine Schwester, seine Freunde und seine Nachbarn. Er hört so sehr auf sie, dass er zwei Tage auf der kleinen Hügelranch bleibt und sich nirgendwo blicken lässt.
Am dritten Tag aber kommt Elliot Avalon zu der Überzeugung, dass sich ein Mann nicht bis in alle Ewigkeit in ein Mauseloch verkriechen kann, wenn ein anderer Mann auf ihn wartet ...
Es ist gegen Abend des dritten Tages, als Elliot Avalon in die Stadt geritten kommt. Noch bevor er vor dem Store, wo er eine Bestellung abgeben will, absitzt und sein Pferd anbindet, ist seine Ankunft im ganzen Ort bekannt. Denn in der kleinen Rinderstadt gibt es ein vorzügliches Nachrichtensystem.
Die Straße ist auch sofort leer.
Und als Elliot Avalon sein Pferd angebunden hat und in den Store will, tritt ein Mann aus dem gegenüberliegenden Saloon.
Dieser Mann ist Fess Morgan Clay.
Elliot Avalon erkennt ihn sofort nach den Beschreibungen, obwohl ihm Clay nicht ganz so groß und beachtlich erscheint, wie es die Gerüchte und Geschichten zu erzählen wissen.
Elliot Avalon selbst ist kein kleiner Mann, weder körperlich noch geistig. Mehr noch: Elliot Avalon ist sogar sehr beachtlich – aber in einem anderen Sinne als der Revolverheld. Elliot Avalon ist nämlich der Anführer aller Kleinrancher und Hügelleute. Und wäre er nicht, nun, die Horseshoe Ranch hätte die kleinen Nachbarn längst aus dem Land gejagt.
Deshalb kam Fess Morgan Clay in die Stadt.
Der Revolvermann verlässt seelenruhig den gegenüberliegenden Plankensteg und schreitet fast lässig durch den tiefen Staub der Fahrbahn. Etwa acht Schritte vor Elliot Avalon hält er an und betrachtet ihn von oben bis unten. Dann nickt er zufrieden.
»Da sind Sie ja, Elliot! Nach allen Geschichten, die ich von Ihnen hörte, wusste ich, dass Sie mich nicht lange warten lassen würden. Sie sind also der einstige Kriegsheld Elliot Avalon, der berühmte Kämpfer von Bull Run und der Held so vieler Legenden. Nun gut, Mister, ich bin hergekommen, um mich mit Ihnen zu messen.«
Elliot Avalon betrachtet den Revolverhelden bitter. Er sieht einen großen, weißblonden und kühngesichtigen Burschen, hager und zäh, schnell und kaltäugig. Fess Morgan Clay ist noch verhältnismäßig jung – doch was besagt das schon bei einem Killer, der sich einen traurigen Ruhm verschaffte und auf dessen Abschussliste ein halbes Dutzend Träger ebenfalls sehr berüchtigter und auf traurige Art berühmter Namen stehen? Es besagt gar nichts!
»Warum wollen Sie mit mir einen Revolverkampf anfangen?«, fragt Elliot Avalon bitter, obwohl er sich den Grund denken kann. Aber er fragt es dennoch, denn wie jeder Mensch hat er die Hoffnung, dass es einen Ausweg geben könnte.
Fess Morgan Clay lächelt kalt. Aus seinen hellen Augen leuchtet dabei eine kalte Freude. »Für einen Kampf gibt es immer einen Grund«, sagt er. »Und Sie haben ja auch nur zwei Tage nötig gehabt, Avalon, um zu begreifen, dass Sie der Mann sind, dem zuliebe ich in diese Stadt kam, und dass Sie mir nicht ewig ausweichen können. Sie sind ein mutiger und furchtloser Mann. Sie wollten sich nicht länger vor mir verkriechen. Sie wollen wieder frei und stolz herumgehen können. Nun gut, probieren wir es mal aus, wer es überleben wird! Versuchen wir es mal!«
Elliot Avalon hört es. Er senkt den Kopf und schluckt bitter. Genauso hat er alles vorausgesehen und befürchtet.
»Sie Narr«, sagt er bitter. »Sie verdammter Narr. Sie lassen sich von einem hinterlistigen Auftraggeber anwerben und ...«
»Schon gut!« Fess Morgan Clay unterbricht ihn scharf. »Da haben wir schon einen guten Grund für einen Kampf. Sie nannten mich soeben einen verdammten Narren. Ziehen Sie Ihren Revolver, Avalon! Jetzt!«
Er stößt das Kommando scharf hervor. Zugleich zieht er die Waffe. Und da er selbst das Kommando gibt, ist er um winzige Sekundenbruchteile im Vorteil.
Doch eine Sekunde später ist er tot.
Er schoss seinen Revolver zweimal ab und traf auch zweimal. Doch diesmal war er nicht schnell genug. Bevor er Elliot Avalon töten konnte, schoss auch dieser – nur einmal und sehr genau.
Als die Bürger von Opal City aus ihren Häusern, aus dem Saloon und den Geschäften laufen und die beiden Revolverkämpfer erreichen, da sind diese bereits tot.
Die Bürger der kleinen Stadt blicken scheu und stumm auf die beiden bewegungslosen Gestalten.
Der Arzt untersucht sie, schüttelt zweimal den Kopf und sagt dann: »Sie sind tot! Und wenn diese jämmerliche Stadt nicht so feige wäre, dann ...«
»... dann hätte dieser Revolverheld außerhalb der Stadt auf sein Opfer gelauert«, sagt der Schmied bitter und geht davon.
Auch die anderen Bürger gehen wieder fort – und sie tun es aus Scham, aus Beschämung! Keiner wagt es, den anderen anzusehen. Denn sie schämen sich zu sehr darüber, dass in ihrer Stadt solche Dinge geschehen können.
Der Arzt muss einige Männer beim Namen nennen, damit sie ihm dabei helfen, die beiden Toten von der Straße zu bringen.
Ein Cowboy der Horseshoe Ranch, der sich ebenfalls schon drei Tage in der Stadt aufhielt, verlässt die kümmerliche Ansammlung von Holzhäusern, die sich Opal City nennt. Der Cowboy reitet schnell.
✰
Es vergehen drei Monate – eine kurze Zeitspanne nur, aber die harte und raue Horseshoe Ranch, die in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch ist und der dennoch niemand etwas nachweisen kann, macht während dieser drei Monate lange Schritte.
Es ist niemand mehr vorhanden, den die raue Ranch respektieren oder gar fürchten müsste. Jeder Widerstand im Land ist gebrochen. Viele Siedler und Kleinrancher geben auf, verkaufen für ein Spottgeld und verlassen das Land.
Und selbst der alte Jim Timberland, der auf der anderen Seite der Hügel Schafe züchtet und der ebenfalls als harter Mann und rücksichtsloser Pirat bekannt ist, wagt es nicht, auch nur seine Nasenspitze diesseits der Hügel zu zeigen.
Es vergehen also drei Monate, während derer eine harte Ranch lange Schritte macht und einen immer größer werdenden Schatten wirft.
Doch am 3. September 1875 kommt dann ein Mann in das Three Fork County geritten – ein einsamer Reiter, staubig, grauäugig und hager. Er kommt aus dem großen Canyon, aus dem auch der Opal Creek fließt, und als der Reiter dann die Stelle erreicht, wo sich der Creek dreimal gabelt, da hält er an und schlägt ein Camp auf.
Unten am Wasser macht er ein Feuer an, bereitet sich sein Abendbrot und hockt dann noch eine Weile am Feuer und raucht. Ganz still und ruhig hockt er so, starrt in die Flammen, lauscht auf die Geräusche des Landes, wittert und prüft manchmal all die Düfte und blickt dann wieder ins Feuer. Sein Gesicht ist sehr ruhig. Es ist ein ernstes Männergesicht mit einigen tiefen Linien und festen Winkeln.
Als die Zigarre aufgeraucht ist, nimmt der Fremde seine Decken und legt sich etwa fünfzehn Schritt vom Feuer entfernt unter einem Busch zur Ruhe und schläft ein. Doch er schläft nicht sehr lange, denn ein ihm sehr bekanntes Geräusch weckt ihn nun.
Es sind Rinder, die da rau und rücksichtslos getrieben werden. Ihre Hufe verursachen ein dumpfes Geräusch, eine Art dumpfer Trommelwirbel. Dazu klingt der Hufschlag von Pferden. Und die schrillen Schreie der Treiber tönen über dem wirbelnden Hufschlag. Dazwischen knallen die Bullpeitschen.
Es ist eine wilde, nächtliche Jagd, ein scharfes und verwegenes Treiben – fast eine Stampede. Und es kommt näher.
Der Fremde gleitet aus seinen Decken. Er hält den Revolver in der Hand und lauscht aufmerksam.
Als er sich wenig später darüber klar ist, dass die Herde genau auf ihn zugerast kommt, greift er nach seinem Sattel und dem Gewehr. Er will zu seinem Pferd laufen, doch dieses reißt sich nun von der langen Leine los, an der es drüben auf eine Wiese angepflockt ist. Es galoppiert davon. Man kann es im Mondlicht deutlich erkennen.
Der Fremde hastet nun auch davon. Er arbeitet sich durch die Büsche und erreicht eine verkrüppelte Sumpfeiche. Sie ist stark, und ihre Äste hängen dicht über dem Erdboden.
Über den Campplatz, über das Feuer und die wenigen Ausrüstungsgegenstände, die der Fremde nicht zusammenraffen konnte, trampeln nun etwa zweihundert Longhorn-Rinder und ein gutes Dutzend Pferde. Sie zertrampeln auch die noch warme Asche des erloschenen Feuers, rasen zum Creek hinunter, durchfurten ihn und verschwinden jenseits irgendwo in der Nacht.
Langsam verstummen die Geräusche der wilden Jagd.
Der Fremde tritt aus dem Schutz der alten Sumpfeiche, sucht nach den vielen Gegenständen seiner Ausrüstung und findet nur Zeug, was nicht mehr brauchbar ist. Alles wurde zerstampft, zerfetzt oder besudelt.
Aber der Mann flucht nicht. Dieser Fremde ist ein sehr beherrschter und schweigsamer Mann. Er pfeift nach dem Pferd. Doch das Tier kommt nicht. Er hat es vor drei Tagen auf einer kleinen Ranch gegen sein vorheriges Tier eingetauscht. Es ist noch nicht so sehr an ihn gewöhnt, dass es seinem Pfiff gehorchen würde.
»Nun gut, so sehr weit kann es bis Opal City nicht mehr sein«, murmelt der Fremde.
Nach zweieinhalb Meilen – schon hinter dem nächsten Hügelkamm – erreicht er die Grassenke, in der die kleine Ranch der Avalons steht. Als er den Ranchhof betritt, geht gerade die Sonne auf. Ein großer Hund zerrt beim Stall an einer Kette.
Der Fremde bleibt beim Brunnen stehen, lässt seinen Sattel zu Boden gleiten und stellt das Gewehr ab. Er wartet ab, bis die Tür geöffnet und eine Frau sichtbar wird.
Der Fremde nimmt den Hut ab und verbeugt sich leicht.
»Ich verlor in dieser Nacht mein Pferd«, sagt er. »Vielleicht könnte ich ein Tier leihen oder kaufen. Kaufen wäre mir lieber, wenn es ein gutes Tier ist.«
Indes er die Worte spricht, betrachtet er die Frau. Und auch er wird eingehend betrachtet und abgeschätzt.
Diese Frau ist schön, darüber wird sich der Mann sehr schnell klar. Sie ist blond, groß und blauäugig. Die Art, wie sie den Kopf hält und wie sie die Schultern strafft, gefällt ihm. Und er bemerkt auch den Schwung ihrer Lippen und den makellosen Halsansatz. Er bemerkt auch einige andere Dinge, die ihm sehr gefallen und die zu einer Frau gehören. Der Morgenwind presst den braunen Leinenrock gegen ihre Schenkel, und er kann unwillkürlich erkennen, dass sie sehr langbeinig ist.
Hinter ihr erscheint nun ein Junge. Es ist ein großer, blonder Junge von etwa fünfzehn Jahren. Er ist mager und schlaksig, aber man kann schon erkennen, dass er in einigen Jahren ein sehr großer und prächtig gewachsener Mann werden wird. Und hübsch ist er.
Es muss der Bruder sein, denkt der Fremde, denn sie ist zu jung für einen Sohn dieses Alters. Es muss der Bruder sein.
Der Junge kommt näher und betrachtet den Fremden. In diesem Blick liegt keine Freundlichkeit. Und auch die Art, wie der Junge seine Oberlippe hebt und die Zähne zeigt, ist nicht gerade freundlich. Er betrachtet den Revolver an der Seite des Fremden, dann den Sattel und das Gewehr.
»Ein Pferd will er, Jane?«, fragt er dann. »Ich würde was darum geben, wenn mir das Brandzeichen seines davongelaufenen Pferdes bekannt wäre ...« Er bricht ab und fragt spröde: »Für welches Brandzeichen reiten Sie, Fremder?«
Ohne die Antwort abzuwarten, wendet er sich halb zur Schwester um. »Kennst du diese Sorte, Jane? Ja? Sieh ihn dir an! Wetten, dass er zur Horseshoe Ranch unterwegs ist wie all die Männer, die in den letzten Wochen hier vorbeigeritten kamen und dann plötzlich der Horseshoe-Mannschaft angehörten? Das ist ein neuer Revolverschwinger. Und er bekommt von uns kein Pferd!«
»Langsam, mein Junge, langsam«, murmelt der Fremde. Er blickt die Schwester des Jungen an – wortlos, doch deutlich fragend.
»Diese Sorte bekommt von uns keine Pferde«, wiederholt der Junge störrisch und mit einem Anflug von Bösartigkeit, die den Fremden erschreckt.
Die junge Frau sagt immer noch nichts. Sie betrachtet den Fremden nur scharf und aufmerksam.
Da bückt er sich und nimmt Gewehr und Sattel wieder auf. Er wendet sich wortlos ab und geht davon.
Als er den dritten Schritt macht, sagt die Frauenstimme hinter ihm ruhig: »Hallo, bleiben Sie zum Frühstück, Mister. Legen Sie den Sattel wieder ab. Bert wird Ihnen ein Pferd satteln. Geben Sie es in der Stadt im Mietstall ab.«
Sie blickt den Jungen an. »Hast du gehört, Bert?«
»Er ist kein Cowboy«, sagt dieser. »Sieh ihn dir an, Schwester! Das ist einer von der Sorte, zu der Fess Morgan Clay gehörte. Das ist einer von diesen Revolverhelden. Ich kenne diese Sorte. Die Horseshoe Ranch holt sie her! Und sie haben uns schon zweimal besucht. Wenn dieses Rudel zum dritten Mal kommt, wird dieser Mister dabei sein. Schwester, lass ihn nicht in unser Haus! Bewirte ihn nicht! Gib ihm kein Pferd! Er dankt es uns nicht. Er ist einer ...«
»Genug, Bert!«, sagt sie herb, und nun kann der Fremde erkennen, dass sie sehr energisch und gewiss auch entschlossen und mutig ist. »Kommen Sie zum Frühstück, Mister«, sagt sie. »Dies hier ist die Avalon Ranch. Das ist mein Bruder Bert.«
Sie blickt ihn nach diesen Worten fragend an, als erwarte sie nunmehr, dass auch er seinen Namen nennt.
Der Junge, der halb um ihn herumgegangen ist, ruft plötzlich scharf: »Los, Jim! Gib es ihm!«
Und dann können er und Jane Avalon sehen, wie der Fremde unwahrscheinlich schnell reagiert, wie er sich blitzschnell duckt, herumwirbelt und dabei den Revolver zieht, sodass es wie Zauberei wirkt. Alles ist eine einzige, gleitende, blitzschnelle und sehr gefährlich wirkende Bewegung.
Aber sie ist sinnlos, denn es drohte gar kein Angriff. Jener Jim, von dem Bert Avalon sprach, ist gar nicht vorhanden. Es gibt ihn gar nicht.
Der Junge starrt auf den Fremden.
»Schwester, er ist ein Revolvermann«, sagt er, »einer dieser Killer – ein Mann wie jener Fess Morgan Clay, der unseren großen Bruder tötete. Gehen Sie, Mister! Verschwinden Sie von unserer Ranch! Und wenn Sie bei David Hadley sind, dann bestellen Sie ihm, dass er mich und meine Schwester erst töten lassen muss wie unseren Bruder Elliot, bevor er diese Ranch und dieses Stück Weide bekommt!«
Der Fremde starrt den Jungen eine Weile wortlos an – und es ist nun kein Zorn mehr in seinen Augen. Er blickt den Jungen auf eine Weise an, die nichts anderes als Mitleid bedeuten kann. Dabei lässt er langsam die Waffe ins Holster gleiten.
»Fess Morgan Clay?«, fragt er. »Dieser berüchtigte Revolverheld war hier und hat euren Bruder getötet?« Er wendet bei seiner Frage den Kopf und blickt Jane Avalon an.
Diese betrachtet ihn nachdenklich und nagt dabei mit ihren Zähnen an der Unterlippe. In ihren Augen kann man dann jedoch bald darauf den Ausdruck eines festen Entschlusses erkennen. Sie strafft sich, hebt ihr Kinn und macht eine leichte Handbewegung.
Da sie nun aufgerichtet vor dem Fremden steht, kann dieser alle weiblichen Attribute an ihr gut erkennen, und es fällt ihm wiederum auf, wie gut sie gewachsen ist, wie sehr alles an ihr stimmt. Ihr Anblick muss in jedem Mann Wünsche erwecken. Ja, sie ist eine junge Frau, der jeder Mann gern den Hof machen und um die er mit aller Kraft werben würde.
»Und mein Bruder Elliot tötete diesen Revolvermann«, sagt sie. »Sie töteten sich gegenseitig und ...«
»Er war nicht den Dreck an Elliots Stiefeln wert!«, ruft der Junge schrill. »Gewiss, Elliot brachte ihn ebenfalls um – aber was ist das, wenn ein guter Mann sterben muss, um einen schlechten umbringen zu können? Das ist ein verdammt hoher Preis. Gehen Sie endlich, Fremder! Wir wollen nicht einmal Ihren Namen wissen. Gehen Sie fort!«
»Du gehst zum Corral und sattelst ihm ein Pferd«, sagt Jane Avalon bestimmt. »Oder ich werde es selbst tun, Bert! Er wird sein Frühstück und ein Pferd bekommen.«
Der Junge starrt die Schwester an, und beider Augen blitzen. Dann murmelt Bert bitter: »Na gut! Ich gab dir mein Wort, auf dich zu hören, bis ich achtzehn bin. Ich wünschte, ich hätte dir das nie versprochen.«
Er blickt den Fremden nochmals an – kalt und feindselig. Dann geht er davon und nimmt den Sattel des Fremden mit.
»Wie war doch Ihr Name?«, fragt das Mädchen.
»Ich nannte ihn noch nicht«, erwidert der Fremde. »Mein Name ist Sloan Robert.«
Sie nickt und kehrt ins Haus zurück. Er beobachtet ihren Gang, und er bemerkt nun wieder etwas an ihr, was ihm gefällt.
Und dennoch ist er seit einigen Minuten tief in seinem innersten Kern betroffen und verstört. Von jener Sekunde an, da er hörte, dass Fess Morgan Clay den Bruder dieses Mädchens getötet haben soll, wobei er selbst getötet wurde, verspürte er einen heftigen Schock und das bittere Gefühl einer Schuld. Es ist eine Schuld, für die er nichts kann – die jedoch irgendwie vorhanden ist. Denn Sloan Robert, das sind nur seine beiden Vornamen. Er heißt Sloan Robert, so wie sein Bruder Fess Morgan hieß.
Aber ihr Vatername ist Clay. Er ist der Bruder von Fess Morgan Clay. Sein voller Name lautet Sloan Robert Clay. Und sein Bruder tötete den Bruder dieses Mädchens und des Jungen Bert.
Sloan wendet sich nachdenklich dem Brunnen zu. Er holt einen Eimer Wasser herauf und beginnt sich zu waschen. Und während er das tut, überdenkt er nochmals alle Dinge.
Er und Fess hatten sich nie gemocht. Sie waren schon als Knaben sehr verschiedene Wege gegangen, aber das lag sicherlich auch an ihrem Altersunterschied. Fess kam auch mehr auf den Vater, der selbst ein Revolverheld und Bandit gewesen war. Nein, es gab keine Liebe und kein Verständnis zwischen den Brüdern.
Als Sloan eines Tages die Nachricht erhielt, Fess wäre in einer kleinen Stadt getötet worden, überraschte es ihn nicht. Er kannte den Weg des Bruders zu gut und hörte immer wieder Geschichten von seinen Kämpfen und Fehden, sodass er sich ausrechnen konnte, wie plötzlich Fess Morgan Clays Tod einmal kommen würde.
Nein, er, Sloan, kam nicht in dieses Land, um den Bruder zu rächen. Er kam nur her, um nachzuforschen, ob es sich wirklich um seinen Bruder Fess gehandelt hat, ob er beerdigt wurde und warum das alles geschehen konnte. Er wollte alles genau wissen – mehr nicht.
Denn Fess Morgan Clay war böse. Das wusste er schon seit Jahren. Und nun traf er gleich am ersten Tag in diesem Land auf zwei Menschen, denen Fess Morgan Clay besonderen Schaden zufügte. Diese Erkenntnis muss er erst verarbeiten. Und er wäscht sich deshalb am Brunnen länger als notwendig.
Langsam geht er dann zum Haus hinüber und tritt ein. Es ist ein vierräumiges Blockhaus. Der vordere Raum ist als Wohnküche eingerichtet. Auf dem Tisch ist für drei Personen gedeckt, doch Sloan glaubt nicht, dass der Junge hereinkommen und sich mit an den Tisch setzen wird. Frische Pfannkuchen und Ahornsirup duften mit gutem Kaffee um die Wette.
Jane Avalon wendet sich ihm zu.
»Ich wollte Sie gerade hereinrufen«, murmelt sie, und nun wirkt sie auf eine sehr weibliche Art herausfordernd und geradezu lockend. »Ich habe schon lange nicht mehr mit einem Mann zusammen an einem Tisch gesessen«, sagt sie und lacht kehlig. An ihr sind plötzlich all die vielen kleinen, lockenden Dinge und Kleinigkeiten, die stets dann von einer Frau ausgehen, wenn sie als Weibchen schillern will.
Sloan spürt es. Und er will es trotzdem nicht glauben. Aber es ist ganz deutlich zu erkennen. Dieses Mädchen will mit all ihren Reizen auf ihn wirken. Und das enttäuscht ihn. Er hat sie vorhin nicht zu jener Sorte gerechnet, die um jeden Preis jedem Manne gefallen möchte.
Er verspürt auch überhaupt keinen Appetit. Er isst nur aus Höflichkeit und denkt schon daran, sich zu verabschieden. Doch da erhebt sie sich und holt die Kaffeekanne vom Herd. Als sie ihm nun nochmals die große Tasse vollschenkt, tritt sie dicht an ihn heran. Er spürt den Duft, der von ihr ausgeht – einen frischen, sauberen und dennoch betörenden Duft. Er spürt auch ihre Hüfte leicht an seinem Oberarm.