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Es war Herbst geworden bei uns in den Bergen von Tennessee. Wenn der dunstige Wall der Great Smoky Mountains mal aufklarte, konnte man die bunten Farben des Herbstes leuchten sehen. Aber wir Beams hatten in diesem Jahr keinen Blick für solche Dinge.
Wir waren nicht das, was man eine friedfertige oder gar seriöse Sippe nannte. Nein, wir waren so ziemlich genau das Gegenteil. Und solange unser Dad noch lebte, konnte sich unsere Mom nicht durchsetzen.
Doch nun war Old Man Jim Beam tot. Der letzte O’Hattaway hatte ihn - selbst schon sterbend - mit seiner letzten Kugel umgelegt. Jetzt gab es zwar keine lebenden männlichen O’Hattaways mehr, doch auch unseren Dad hatte es noch erwischt.
Jetzt war unsere Mom am Zuge.
Wir hockten an diesem Tag zum ersten Mal wieder alle zusammen an unserem großen Tisch in der alten Hütte, in der wir kaum Platz hatten, obwohl diese Hütte im Lauf der Jahre einige Anbauten bekommen hatte ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Das Tor zur Hölle
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Impressum
Das Tor zur Hölle
Es war Herbst geworden bei uns in den Bergen von Tennessee. Wenn der dunstige Wall der Great Smoky Mountains mal aufklarte, konnte man die bunten Farben des Herbstes leuchten sehen. Aber wir Beams hatten in diesem Jahr keinen Blick für solche Dinge.
Wir waren nicht das, was man eine friedfertige oder gar seriöse Sippe nannte. Nein, wir waren so ziemlich genau das Gegenteil. Und solange unser Dad noch lebte, konnte sich unsere Mom nicht durchsetzen.
Doch nun war Old Man Jim Beam tot. Der letzte O'Hattaway hatte ihn – selbst schon sterbend – mit seiner letzten Kugel umgelegt. Jetzt gab es zwar keine lebenden männlichen O'Hattaways mehr, doch auch unseren Dad hatte es noch erwischt.
Jetzt war unsere Mom am Zuge.
Wir hockten an diesem Tag zum ersten Mal wieder alle zusammen an unserem großen Tisch in der alten Hütte, in der wir kaum Platz hatten, obwohl diese Hütte im Lauf der Jahre einige Anbauten bekommen hatte ...
Aber es war immer noch ein recht schäbiges Anwesen.
Denn wenn man bedachte, dass wir eine große Sippe mit fast einem Dutzend Männern waren, gab es hier bei uns nichts zu sehen, auf das wir hätten stolz sein können.
Jawohl, wir waren eine miese Sippe. Da gab es gar keine Entschuldigungen. Oder konnte man unsere Feindschaft und die Fehde mit der O'Hattaway-Sippe als Entschuldigung gelten lassen?
Wir hockten also um den Tisch, während Mom das Essen austeilte. Es war nicht viel, nur ein Brei, der aus all den Resten bestand, die sie finden konnte an Fleisch, Kartoffeln und Gemüse. Aber sie hatte alles gut gepfeffert. Dazu tranken wir selbst gebrannten Whisky. Denn Whisky brennen, nun, das taten wir alle hier in den Bergen von Tennessee. Da hätte nur mal jemand kommen sollen, der uns das verbieten wollte.
Niemand sagte etwas.
Es ging uns Männern und Jungen auch nicht besonders gut. Wir alle waren verwundet. Es war ein Wunder, dass wir überhaupt noch lebten. Aber wahrscheinlich hatten wir besser gekämpft als die O'Hattaways.
Am meisten tat mir meine Schwester Sally leid. Denn sie würde ein Kind bekommen von unserem Schwager, der wie unser Vater gefallen war beim letzten Kampf.
Aber Sally weinte nicht. Das hatten sich unsere Frauen längst abgewöhnt.
Als wir gegessen hatten, sagte unsere Mom: »Seht mich an und hört mir zu!« Es war ein Klang in ihrer Stimme, den wir zum ersten Mal hörten. Wir spürten schon an ihrer Stimme, dass sich in ihr etwas verändert hatte. Ihre Stimme klirrte nämlich spröde.
Wir sahen sie an. Sie war ein kleines, gebeugtes Weiblein, krumm und schief, geplagt von Rheuma und anderen nicht auskurierten Krankheiten. Denn sie hatte sich nie ins Bett legen können, wenn sie sich mal nicht gesund fühlte. Es gab immer irgendeine Arbeit oder Notwendigkeit, die sie dazu zwang, auf den Beinen zu bleiben und sich um die Familie zu kümmern.
Nur ihr Gesicht war noch so schön, wie das Gesicht einer alten und abgearbeiteten Frau nur schön sein konnte. Es war ein gutes, rundes Gesicht mit blauen Augen, umgeben von weißen Haaren.
Sie blickte jedem von uns in die Augen.
Dann sagte sie hart: »Euer Vater – ich habe ihn geliebt, ja, ja, ja. Ich wurde damals aus Liebe seine Frau und schenkte ihm fast jedes Jahr ein Kind. Ich glaubte an ihn – Jahr für Jahr. Denn eine liebende Frau glaubt an ihren Mann. Ich erkannte zu spät, dass er ein verrückter Narr war, ein eitler, stolzer Kampfhahn, der sonst nicht viel taugte. Jetzt ist er tot. Und das ist gut. Habt ihr gehört? Ich sagte, dass es gut wäre.«
Ihre Stimme klirrte vor Bitterkeit.
Und wir starrten sie an und glaubten in diesem Moment, dass sie verrückt geworden wäre. Doch in ihren Augen erkannten wir die Bitterkeit, den Schmerz – aber auch die Härte. Nein, sie war nicht verrückt. Sie konnte nur jetzt endlich die Dinge so sehen, wie sie waren, und auch darüber reden. Sie war frei geworden. Ihr Mann war tot. Sie brauchte ihm nicht länger die Treue zu halten.
Wir begriffen, dass sie nun gewissermaßen das Kommando übernehmen wollte.
»He, Mom«, murrte mein ältester Bruder Jones, »so solltest du aber nicht von Dad reden. Was du da sagtest, hörte sich so an, als freutest du dich, dass Pa tot wäre. Oder?«
Sie sah ihn an, und ihre Augen funkelten.
»Freuen?« So fragte sie. »Was ist das, wenn man sich freut? Ich weiß es nicht mehr. Ich vergaß längst, wie das ist, obwohl ich glaube, dass ich mich noch über die Geburt eines jedes Kindes freute, das mir euer Vater machte. Aber damals hoffte ich noch. Aaah, ich freue mich nicht über Johns Tod! Doch mir wurde klar, dass sein Tod wahrscheinlich euer Leben verändern oder vielleicht sogar retten wird. Das ist es! Mit John Beam wären wir die Beams geblieben, die wir immer waren. Ohne ihn gibt es vielleicht noch eine Chance für euch.«
Nun begriffen wir, was sie meinte. Was unseren Vater betraf, da hatte sie längst alle Hoffnungen begraben. Bei uns aber glaubte sie noch an eine Chance. Wir staunten ungläubig. Oha, wie hart war doch diese Sue Beam, die unsere Mom war!
Sie sagte es uns dann knapp und kurz: »Jones, du bist der älteste männliche Beam. Und du bist auch am wenigsten verwundet, kannst also morgen schon aufbrechen. Wir müssen fort von hier. In Tennessee sind wir für alle Zeiten erledigt. Hier in den Bergen kommen wir auch nicht so vorwärts, wie ich es mir wünsche. Hier geht ihr nur auf die Jagd oder ihr brennt Whisky. Hier seid ihr als Pferde- und Rinderdiebe und Raufbolde zu sehr verrufen. Und das Gesetz kommt bald auch in unsere Berge. Dann ist es aus mit uns.«
Sie machte eine Pause. Dann sah sie Jones fest an.
»Du reitest morgen«, sagte sie. »Und du hast ein ganzes Jahr Zeit. Dann wirst du uns holen kommen – irgendwohin. Du wirst es geschafft haben, irgendwie. Du wirst eine Chance erkannt und genutzt haben. Du wirst uns in ein neues Land und zu einem neuen Anfang holen. Hast du mich verstanden?«
Jones gab noch keine Antwort. Nur vor Staunen machte er seinen Mund auf. Heraus kam nichts.
Ich saß neben ihm und stieß ihn an. »Antworte Mom«, murmelte ich.
Da nickte er. »Ja, ich habe verstanden, Mom«, sagte er. »Doch wieso bist du so sicher, dass ich es schaffen könnte, für uns alle eine neue Zukunft zu finden?«
Wir alle starrten sie nun an. Denn wir alle wollten ihre Antwort hören.
Ihr Blick war nun mehr nach innen gerichtet. Wir konnten erkennen, dass sie sich etwas in Erinnerung rief.
Als sie uns wieder ansah, war so etwas wie ein hoffendes Lächeln um ihre Mundwinkel und in den Fältchen um ihre Augen.
»Ich hatte einen Traum«, sagte sie dann langsam. »Aber es war gewiss kein richtiger Traum, sondern ein Sehen in die Zukunft. Der Vater im Himmel wollte mir Mut machen und ließ mich in die Zukunft blicken. Ich sah, dass einer meiner Söhne uns allen das Glück bringen wird.«
»Welcher, Mom?« Dies fragte mein zweitältester Bruder Monk.
Nun wurde ihr Blick etwas verloren. Auch ihr Gesichtsausdruck veränderte sich und machte einen ratlosen Eindruck.
Ihr Blick war dann nicht auf uns, sondern ins Leere gerichtet, als sie langsam sagte: »Das konnte ich nicht erkennen in meinem Traum. Ich sah das Gesicht nicht so deutlich. Aber es war einer von euch. Ja, es war einer von meinen vier noch lebenden Jungen. Vielleicht würde es jeder von euch schaffen können. Jones wird den Anfang machen. Ihr seid ja auch noch viel zu sehr angeschossen und krank. Morgen reitest du, Jones. Und ich sage dir, dass ich bis an dein Lebensende aus dem Jenseits auf dich nieder spucken werde, wenn du für deine Sippe nicht dein Bestes geben wirst. Hast du verstanden? Dein Bestes! So wie ich mein ganzes Leben lang für meine elf Kinder Tag und Nacht mein Bestes gegeben habe. Verstanden?«
»Ja, Mom«, Jones nickte – und es war für uns alle ein sehr feierlicher Moment. Denn wir hatten alles begriffen.
Mom wollte einen neuen Anfang für uns alle. Und sie schickte Jones aus, weil er der älteste Sohn und überdies auch nicht so angeschossen und krank war wie wir anderen Söhne.
Ich betrachtete all die anderen. Außer Jones und Monk war auch noch Ollie da. Ich war Jim. Dann gab es Sally, meine Schwester. True war die Frau meines Bruders Bill, der von den O'Hattaways erschossen worden war. Und Mary-Ann war Franks Frau gewesen. Frank war der Erstgeborene meiner ganzen Brüder. Doch auch er war im Kampf gegen die O'Hattaways gefallen.
Es gab noch ein paar Kinder von meinen älteren Brüdern. Sie saßen mit am Tisch und hatten große Augen. Sie begriffen nicht, was geschah, und dennoch spürten sie instinktiv, dass dies besondere Minuten waren.
»Ja, ich reite hinaus in die Welt«, sagte Jones. »Am besten werde ich nach Westen reiten und meine Augen weit aufmachen. Wenn ich meine Chance erkenne, werde ich sie wahrnehmen. Ich schaffe das. Aaah, ich brauche kein ganzes Jahr! Bis jetzt hatten wir alle Hände voll zu tun, um uns gegen die O'Hattaways zu behaupten. Wir konnten vor ihnen nicht weglaufen. Nein, wir konnten nicht kneifen! Erst mussten wir sie schlagen. Aber jetzt! Aaah, jetzt werden all unsere Kräfte frei. Und ich bin der Scout, der den neuen Anfang finden wird. Ja, ich schaffe das für uns alle!«
Er war plötzlich begeistert. Und vielleicht wollte er unserer Mom endlich mal eine Freude machen. Ja, wahrscheinlich hätte er auch versprochen, ihr den Mond vom Himmel zu holen.
✰
Als ich am nächsten Vormittag aufwachte, war Jones verschwunden. Er war noch vor Tagesanbruch fortgeritten.
Mir ging es in diesen Wochen nicht besonders. Meine beiden Schusswunden wollten nicht richtig heilen, obwohl die Kugeln entfernt worden waren. Aber es war wohl doch eine Menge Schmutz in die Wunden gekommen. Immer wieder eiterten sie und vergifteten böse mein Blut.
Nur langsam wurde ich in diesen Wochen wieder kräftiger und gesünder. Meinen Brüdern Ollie und Monk ging es ähnlich.
Eines Tages sagte Mom zu uns: »Jetzt könnt ihr endlich mit der Arbeit anfangen. Da wir im nächsten Frühjahr gewiss von hier fortziehen werden, hat es wohl wenig Sinn, hier noch Felder und Äcker zu bearbeiten. Also geht auf die Jagd. Schießt Fleisch für den langen Winter. Denn zu den Früchten unseres Gartens brauchen wir Fleisch. Jagen und Schießen, dies war ja schon immer eure Lieblingsbeschäftigung. Also verschafft uns Fleisch, welches wir einsalzen oder räuchern können. Und wenn ihr damit fertig seid, dann macht euch ans Whiskybrennen. Wir brauchen im nächsten Frühjahr gewiss etwas Bargeld. Wenn wir es nicht stehlen wollen, müssen wir eine Ware haben, die wir für Geld verkaufen können. Und nach dem Jagen und Schießen habt ihr schon immer gerne Whisky gebrannt und euch dabei betrunken wie die Verrückten. Ich sage euch, dass ich euch mit einem Knüppel verprügeln werde, wenn ihr euch diesmal beim Whiskybrennen betrinken solltet. Damit ist es vorbei. Verstanden?«
Wir nickten nur. Und wir gehorchten.
In den nächsten Wochen waren wir auf der Jagd in den Bergen. Hier in den Great Smoky Mountains gab es noch eine Menge Wild, nur war es schwer zu jagen, denn es wurde allmählich scheu und schlau.
Aber wir waren wirklich erstklassige Jäger, Scouts und Schützen.
Deshalb hatten wir auch die Fehde mit den O'Hattaways überstanden. Wir schafften in diesen Wochen eine Menge Fleisch heran.
Dann machten wir uns an das Whiskybrennen. Es war schon später Herbst, fast schon Winter, als wir damit im Gang waren.
✰
Der Winter kam, und wir hörten die ganze Zeit nichts von unserem Bruder Jones. Wo mochte er sein? Hatte er schon eine Chance gefunden für uns alle? Oder ritt er immer noch irgendwo als Satteltramp umher?
Diese Fragen waren immerzu in uns.
Aber wir sprachen nicht darüber.
Wir arbeiteten hart. Mom brauchte sich nicht über uns zu ärgern. Wir reparierten die Hausdächer, sorgten für reichliches Brennholz für den ganzen Winter, brachten überdies noch eine Menge mehr in Ordnung, sodass unsere Siedlung im Wert stieg und wir vielleicht mehr als tausend Dollar dafür bekommen würden, wenn wir mal hier weggingen.
Für eine Siedler- oder Farmerfamilie war hier eine gute Existenz. Nur für eine solch große Sippe wie unsere war das Tal zu klein.
Wir brachten unsere Wagen und Schlitten in Ordnung, beschlugen alle Tiere und machten uns dann im schon kniehohen Schnee mit einem Schlitten auf den Weg, um einen Teil unseres Whiskys zu verkaufen.
Denn wir wollten ein schönes Christfest erleben.
Die Witwen unserer Brüder und deren Kinder, Sally und vor allen Dingen unsere Mom sollten ein schönes Christfest haben.
Wir brachen also nach Cherokee auf, welches mehr als fünfzig Meilen entfernt am Tennessee River lag. Denn in dem kleinen Dorf, wo wir uns sonst versorgten, konnte man uns eine solche Menge Whisky gar nicht abnehmen. Damit mussten wir schon mehr unter die Menschen.
Nun, es wurde eine glatte Fahrt bis nach Cherokee. Es fiel kein Schnee mehr. Wir kamen mit dem schwer beladenen Schlitten gut aus den Bergen und zum Fluss hinunter. Aber wir brauchten immerhin gut zwei Tage.
Da die Tage kurz waren, sahen wir schon die Lichter von Cherokee neben dem Fluss leuchten, obwohl es noch zwei oder drei Meilen waren bis zu dieser Stadt.
Als wir noch eine Viertelmeile entfernt waren, hielt Monk, der den Schlitten fuhr, plötzlich an.
Er sagte: »Als wir voriges Jahr hier waren, gab es eine Menge Verdruss, nicht wahr, Brüder? Deshalb geben wir uns jetzt das feierliche Versprechen, dass wir uns von keinem beknackten Affen herausfordern lassen. Wir benehmen uns wie Gentlemen. Verstanden?«
Wir nickten und fuhren also damals mit unserem Schlitten nach diesem kurzen Aufenthalt weiter auf die Lichter von Cherokee zu. Und wir waren wirklich friedlich gestimmt und hatten die besten und seriösesten Absichten. Wir wollten nichts anderes als unseren Whisky verkaufen, einige Einkäufe machen, ein wenig schlafen und dann wieder verschwinden.
Unser Ziel war die Tennessee-Handels-Company.
Das war zwar kein imposantes Unternehmen, aber doch gut genug für uns als Whiskyverkäufer.
Als wir den Schlitten in den Hof fuhren und zwischen dem Office und zwei Magazinen hielten, kam Bannerman heraus, der hiesige Agent.
Im Laternenschein betrachtete er uns.
»Ach, ihr seid das«, sagte er ohne Begeisterung und mit einem deutlichen Tonfall von Abweisung in der Stimme.
Wir erkannten daran, wie wenig man uns im ganzen Land mochte. Selbst hier in Cherokee, welches gewiss nicht durch unsere Fehde mit den O'Hattaways Nachteile hatte, waren wir unbeliebt.
Aber bei unserem letzten Besuch hatten wir ja auch ziemlich schlimm gehaust.
»Bannerman, wir haben unseren Schlitten voller Whisky«, sagte Monk. »Und Sie wissen ja, Bannerman, dass wir den besten Whisky brennen, weil unser Wasser am besten ist – oder?«
Er nickte nur, und selbst das fiel ihm schwer. Aber abstreiten konnte er das nicht. Denn unser Creek in unserem kleinen Hochtal hatte wirklich das beste Wasser zum Herstellen von Whisky.
Er ließ einen murrenden Laut hören.
»Die Regierung schickt immer mehr Inspektoren und Steuereintreiber durch das Land. Sie schnüffeln nach Whiskybrennereien und verhängen hohe Strafen. Es ist verdammt gefährlich geworden, Whisky von unkonzessionierten Brennern zu nehmen.«
»Na schön«, sagte Monk. »Und was nun? Sollen wir weiterfahren mit unserer Ladung oder wollen Sie kaufen?«
Bannerman seufzte.
Denn er wusste, dass er nicht nur guten Whisky bekommen würde, der nach drei bis fünf Jahren Lagerung zum besten im ganzen Lande zählen würde – nein, er wusste auch, dass er ihn sehr viel billiger bekommen würde als von einer behördlich erlaubten Brennerei. Aber diese Brennereien befanden sich zumeist drüben in Kentucky, zum Beispiel in Louisville und Ovensboro.
Der Transport von dort kostete auch Geld, welches er sich sparen würde.
Und so entschloss er sich plötzlich widerwillig. Er sagte: »Aaah, es wird schon kein Schnüffler von der Regierung in der Gegend sein. Also gut, bringt alles dort in das Magazin. Dort habe ich auch den Keller mit den Eichenkrügen. Ich kann euch aber nicht mehr den Preis vom vergangenen Jahr zahlen, sondern muss ihn wegen des Risikos um zehn Prozent kürzen.«
Monk und Ollie wandten sich sofort an mich.
Monk fragte: »Jim, wie viel sind zehn Prozent? Ist das ein Zehntel weniger, so wie ein Finger von meinen beiden Händen ein Zehntel weniger ist?«
Ich nickte.
Monk nickte Bannerman grollend zu.
»Wir wollen uns nicht aufregen, Bannerman«, sagte er. »Wir kommen mit den allerfriedlichsten Absichten her. Also gut. Wir verkaufen zu Ihrem Preis, Bannerman. Aber stiften Sie am Sonntag in Ihrer Kirche eine besonders schöne Kerze für das gute Geschäft, welches der Herr im Himmel Ihnen beschert hat. Ja?«
Bannerman grollte nur.
Auch wir sagten nichts mehr.
Wir machten uns an die Arbeit.
✰
Als wir unsere Einkäufe gemacht hatten, gingen wir zum Abendbrot. Wir konnten ohnehin erst morgen wieder zurückfahren. Denn unser Gespann musste sich ausruhen. Der Rückweg war schwerer für uns. Obwohl der Schlitten leichter sein würde, ging es zumeist bergan. Wir würden viele Meilen neben dem Schlitten laufen und ihn schieben müssen im Schnee.
Wir hatten das Geld für den Whisky gut angelegt. Diesmal würden wir daheim ein schönes Christfest feiern können.
Und überdies besaßen wir noch einhundertsiebenundfünfzig Dollar in bar, die wir unserer Mom zur Aufbewahrung geben würden. Denn im Frühjahr würden wir es wahrscheinlich nötig brauchen können. Im Frühjahr musste eine Nachricht von Jones kommen. Davon waren wir überzeugt.
Man konnte vom Hotel-Restaurant hinüber in den Saloon gehen.
Und dort trat an diesem Abend Lili Lindsay auf, die man auch die Mississippi-Nachtigall nannte.
Wir hatten schon sehr lange keine richtige Frau mehr gesehen außer unserer Mom, Schwester Sally und den beiden Schwägerinnen True und Mary-Ann. Es juckte uns mächtig. Dennoch hielten wir stand – bis – nun, bis wir sie singen hörten.
Dann erhoben wir uns und gingen durch den kurzen Gang hinüber, schlugen die Vorhänge zurück und betraten den Saloon. Es sah alles wieder recht nobel aus.
Im vergangenen Jahr hatten wir hier eine Menge Kleinholz gemacht.
Lili Lindsay stand auf einer kleinen Bühne neben dem Klavier und sang von einem Texas-Cowboy, der seine Herde zum Verkauf treibt, um seinem Mädchen ein paar goldene Schuhe schenken zu können.
Ihre Stimme war warm und kehlig zugleich. Ja, diese Stimme klang gut. Die passte zu ihren Liedern, die von einsamen Männern erzählten, denen die Liebe einer Frau alles bedeutete und die immerzu unterwegs waren, um das Glück zu finden.
Wir klatschten wie alle anderen Gäste Beifall.