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Damals - oh, es ist mehr als hundert Jahre her! - konnte sich ein Mann wie Thor Flannaghan noch ein Königreich erobern. Er brauchte nichts anderes als Mut, Stärke und die Rücksichtslosigkeit eines Eroberers.
Doch irgendwann müssen alle Eroberer einmal vor der Gemeinschaft kapitulieren. Es nützt ihnen nichts, dass sie Wegbereiter waren. Irgendwann müssen sie sich einfügen - oder sie werden vernichtet.
Dies ist Thor Flannaghans Geschichte! Und es ist die Geschichte eines elternlosen Jungen, den er zum Mann machte und der ihn dann zum Wohle der Gemeinschaft bezwingen musste.
Jim Ballard hieß jener Junge, der zum Mann wurde. Man muss sich den Namen von Anfang an merken: Jim Ballard!
Als er später Thor Flannaghans Erbe antrat, war er kein »König der Weide« so wie Thor Flannaghan. Doch er war ein Mann, den die Gemeinschaft achtete ...
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Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2021
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König der Weide
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Impressum
König der Weide
Damals – oh, es ist mehr als hundert Jahre her! – konnte sich ein Mann wie Thor Flannaghan noch ein Königreich erobern. Er brauchte nichts anderes als Mut, Stärke und die Rücksichtslosigkeit eines Eroberers.
Doch irgendwann müssen alle Eroberer einmal vor der Gemeinschaft kapitulieren. Es nützt ihnen nichts, dass sie Wegbereiter waren. Irgendwann müssen sie sich einfügen – oder sie werden vernichtet.
Dies ist Thor Flannaghans Geschichte! Und es ist die Geschichte eines elternlosen Jungen, den er zum Mann machte und der ihn dann zum Wohle der Gemeinschaft bezwingen musste.
Jim Ballard hieß jener Junge, der zum Mann wurde. Man muss sich den Namen von Anfang an merken: Jim Ballard!
Als er später Thor Flannaghans Erbe antrat, war er kein »König der Weide« so wie Thor Flannaghan. Doch er war ein Mann, den die Gemeinschaft achtete ...
Der Junge hatte wie alle anderen Bewohner der kleinen Stadt schon vor Tagen von der großen Treibherde gehört. Doch er hatte keine Zeit gehabt, vor die Stadt zu laufen und sich dieses gewaltige Schauspiel anzusehen.
Zehntausend Rinder seien es, so sagten die Leute. Sie bedeckten eine Fläche von vielen Quadratmeilen, ein wandernder Wald mit Hörnern, ein Meer knochiger Rücken.
Ja, der Junge hätte es gern gesehen. Doch er musste am frühen Morgen den Saloon ausfegen. Er musste frisches Sägemehl streuen und elf Messingspucknäpfe blank scheuern. Dann musste er Besorgungen machen, im Hof Brennholz hacken und im Keller selbst gebrannten Whisky in Flaschen füllen, deren Etiketten den Inhalt der Flaschen als echten Whisky aus Schottland anpriesen. Er musste noch viele andere Dinge tun, dieser Junge, und er hatte kaum Zeit für einige Bissen. Nein, er konnte nicht vor die Stadt, konnte nicht zusehen, wie die mächtige Herde vorbeigetrieben wurde. Er konnte die stolzen und verwegenen Reiter nicht sehen.
Aber als es dann Nacht ist, kauert der Junge auf dem Heuboden der angrenzenden Scheune und blickt durch eine der Öffnungen, die der besseren Lüftung und dem Abzug der schlechten Luft dienen sollen, in den Saloon nieder.
Ja, dort an der langen Theke drängen sich die Männer. Da trinken grobschlächtige Fuhrleute und Maultiertreiber neben Büffeljägern und Prärieläufern. Und da sind Soldaten der Armee, die auf der Durchreise zu irgendwelchen Forts sind. Da sind Satteltramps, Handelsreisende, die mit der Postkutsche kamen, und da sind auch einige Männer aus dem Auswandererlager vor der Stadt, die aus ihrer Wagenburg in den Saloon kamen, um von Trappern, Büffeljägern und Prärieläufern Neuigkeiten über das Land im Westen und Norden zu erfahren.
Denn dieser Saloon steht in Laramie.
Und Laramie ist das Ausfalltor zur Grenze. Von Laramie aus führen die Wege nach Kalifornien, nach Oregon, nach Montana ins Goldland und auf die Laramie-Prärie, wo die Büffeljäger Hunderttausende von Büffeln abschlachten.
Die Indianer wurden bis über den Powder River gejagt und liefern der Armee blutige Schlachten.
So stehen die Dinge jetzt im Jahre 1870.
Und wenn man die Indianer hier im Wyoming-Territorium entweder in Reservate eingesperrt oder sie vertrieben oder totgeschlagen haben wird, dann wird ein mächtiges Stück Weide frei geworden sein. Denn dann wird es auch keine Büffel mehr geben. Alles wird leer und frei sein.
Der Junge ist fünfzehn Jahre. Und er weiß das alles schon. Er hat begriffen, dass jene große Rinderherde wahrscheinlich die erste ist, die ins Wyoming-Territorium kommt. Und jener Mann, dem sie gehört, der wird sicherlich bald ein König der Weide sein. Er wird sich so viel freie Weide nehmen können, wie er nur will.
Ein Eroberer, denkt der Junge. So kann man sich ein Königreich schaffen. Man muss viele Rinder haben. Und viele Männer muss man auf der Lohnrolle haben. Dann kann man nach Norden oder Westen trailen und sich ein Königreich schaffen. Warum bin ich nicht groß genug? Warum bin ich noch kein Mann? Oh, ich möchte auch ...
Er unterbricht seine Gedanken, denn nun sieht er, wie sich etwa ein Dutzend texanische Rindertreiber durch die Schwingtür in den Saloon drängt. Ja, es sind auf den ersten Blick erkennbar Texasmänner der großen Rinderherde.
Der Junge steckt seinen Kopf weit durch die Lüftungsöffnung in den Saloon hinein und blinzelt durch den Rauch, um die Texaner genau sehen zu können.
Ja, dies sind Texaner von Kopf bis Fuß, verwegen und fast piratenhaft wirkend. Ihre Hüte haben den Texaskniff, und über ihren Hemden tragen sie zumeist Leder- oder Kalbfellwesten. Sie tragen lederne Überhosen, sogenannte »Chaps«, und manche von ihnen haben zwei Revolver im Kreuzgurt. Ihre hageren, zumeist bärtigen Gesichter sind kühl und fast ausdruckslos, doch in ihren Augen erkennt man die verwegene Lebenskraft und Abenteuerlust, die in ihnen ist. Sie sind zumeist noch junge Burschen. Es ist kaum einer älter als vierundzwanzig. Man sieht ihnen an, dass es ihnen Freude macht, dem Teufel ins Auge zu spucken, wie man so sagt.
Der Junge ist nun sehr neugierig, denn am langen Schanktisch ist kein Platz mehr frei. Die Männer stehen hier zwei oder drei Glieder tief. Was werden die Texaner tun? Sie sind gewiss schon viele Monate mit der Herde unterwegs. Vielleicht ist dies seit vielen Wochen wieder die erste »Whiskytränke«, an die sie dürfen.
Der Junge wird nicht lange auf die Folter gespannt. Er sieht, wie die Texasmänner die Bar erreichen, einigen hier trinkenden Männern auf die Schultern tippen und sie dann ziemlich rau zur Seite drängen. Sie gewinnen Raum am Schanktisch, breiten sich aus, drängen sich ziemlich herausfordernd hinein in die geschaffene Bresche und achten kaum auf die Verwünschungen und Flüche.
Es geht unheimlich schnell, und sie haben es auch schon geschafft. Sie haben eine ziemlich breite Front an der Theke erobert.
Der Junge bewundert sie. Denn die Sache hier erscheint ihm irgendwie symbolisch für diese Sorte von Männern. Der Junge meint, dass sie auch mit jeder anderen Art von Hindernissen, Schwierigkeiten und Nöten zurechtkommen können. Sie gebrauchen dann eben ihre Ellbogen oder ihre Fäuste oder gar die Revolver. Und weil das so ist, sind sie dazu befähigt, eine halbwilde Longhornherde zweitausend Meilen weit von Texas heraufzutreiben.
Indes der Junge dies überdenkt, geht es unten schon los. Ein riesiger Frachtfahrer, der zur Seite gedrängt wird, nimmt ohne jede Warnung eine Flasche und schlägt sie einem Texaner auf den Hut.
Und als ob dies das Kommando gewesen wäre, entsteht an der Theke eine gewaltige Schlägerei. Das Dutzend Texasmänner hat fast drei Dutzend Gegner gegen sich.
Und der zuschauende Junge findet diesen Kampf prächtig, denn er ist ja nur ein ziemlich verwahrloster und ohne jeden Halt herumstreunender Bengel, der hier im Saloon fürs Essen und zehn Dollar pro Monat arbeitet. Er ist schon seit drei Jahren auf sich selbst gestellt und ständig unterwegs. Seine Wege waren rau, und er hat gelernt, die Gewalt des Stärkeren zu respektieren.
Deshalb findet er diesen Kampf prächtig, denn er weiß es nicht anders. Er hat immer unter rauen Männern gelebt und bei ihnen irgendwelche Dienste verrichtet. Und er hat überall Kämpfe gesehen.
Diese Schlägerei wird eine richtige Schlacht. Und weil die Texaner in der Minderzahl sind, bekommen sie allmählich immer mehr Prügel. Obwohl die Niedergeschlagenen immer wieder aufstehen und weitermachen, ist es klar, dass man sie am Ende zusammenschlagen und aus dem Saloon werfen wird.
Der Junge würde am liebsten durch die Lüftungsöffnung hinunter zu den Männern springen und auf der Seite der Texaner mitkämpfen. Es gibt für ihn jetzt nichts Wichtigeres auf dieser Welt, als dass die Texaner gewinnen mögen. Doch die Lüftungsöffnung ist zu klein. Er könnte gar nicht durch. Und so starrt er stöhnend hinunter und beißt sich auf die Lippen.
Doch dann wird plötzlich alles anders.
Ein großer, rothaariger Mann kommt von draußen herein. Ihm folgt ein kaum mittelgroßer, doch ungeheuer breiter und klotziger Bursche, der eine schwarze Melone und einen richtigen Stehkragen trägt. Diese beiden Männer halten kurz an und sehen auf das Durcheinander.
Der Junge weiß ziemlich sicher, wer da gekommen ist. Denn er hat schon aus den Reden der Leute gehört, dass der Boss der riesigen Treibherde ein gewisser Thor Flannaghan sein soll, riesig mit feuerroten Haaren und noch jung. Und genau so sieht der Mann dort drüben bei der Schwingtür aus.
Der Junge ist nun neugieriger denn je. Was wird der Boss dieser Texaner tun? Wird er zusehen, wie seine Männer verprügelt werden? Wird er dem Kampf Einhalt gebieten?
Oh, das Herz des Jungen schlägt schneller vor Freude, als er hört, wie der rothaarige Riese und der kleinere, klotzige Mann mit der Melone einen schrillen Schrei ausstoßen.
Es ist der Rebellenschrei des Südens, es ist der Schrei der alten Texas-Brigade, wenn sie wild und verwegen die Yankees angriff oder wenn sie wie damals unter General Jackson wie ein Steinwall dem Angriff der Massachusetts-Regimenter standhielt.
Dieser schrille und gellende Schrei wird von der fast schon zusammengeschlagenen Texasmannschaft an der Bar und zwischen den zertrümmerten und umgestürzten Tischen und Stühlen aufgenommen. Die hartbeinigen Jungs beginnen noch einmal von vorn. Sie tun ganz so, als wären sie plötzlich wieder bei Kräften und hätten erst vor zehn Sekunden angefangen.
Dem Jungen kommt dies wie ein Wunder vor. Doch er begreift, dass die Mannschaft aus lauter kämpfenden Teufeln besteht, die sich, befindet sich ihr Boss an ihrer Spitze, für unschlagbar halten.
Und der Junge sieht nun, wie der rothaarige Riese und der so klotzig wirkende Mann an seiner Seite wie zwei Büffel in den Haufen fahren und wie die ganze Sache schon nach einer einzigen Minute anders aussieht.
Was für ein Mann, was für ein Boss!, denkt der Junge, denn in seinem Alter imponiert einem besonders, wenn ein Mann sieghaft kämpfen kann.
Und es ist nun auch wirklich so, dass die Texaner die Oberhand gewinnen. Jener rothaarige Riese und der kleinere, klotzige Mann, der immer noch seine Melone trägt, wiegen zusammen fast ein Dutzend Männer auf. Sie werfen ihre Gegner manchmal einige Yards weit durch die Luft, zwischen Tische oder ganz einfach durch die Seitenfenster hinaus auf die Straße.
Die Cowboys, die schon fast geschlagen waren, rafften sich noch einmal auf und sind nun mächtig in Gang.
Mit einem Mal haben all die Frachtfahrer, Büffeljäger und wer sonst noch so mitmischte, genug. Die ersten Männer stolpern durch die Schwingtür hinaus. Dann wird es still. Alles erstarrt plötzlich. Und eine heisere, pfeifende Stimme sagt in diese Stille: »Jetzt bringe ich dich um, du rothaariger Hundesohn!«
All die keuchenden, schnaufenden und wie aus einem wilden Rausch erwachten Männer blicken sich nach dem Sprecher um.
Der Saloon ist ein Trümmerhaufen. Die Spiegel hinter dem Schanktisch sind zertrümmert. Da und dort liegen noch Männer zwischen den Trümmern, ruhen aus oder sind noch ohne Besinnung.
Hinter dem Schanktisch taucht ein Mann auf, ein hagerer Büffeljäger, der zwischen den Flaschen eines umgekippten Regals geworfen worden war. Dieser Büffeljäger hat einen Revolver in der Faust und hält ihn auf den rothaarigen Riesen gerichtet.
»Ich bringe dich um, du Hundesohn«, wiederholt er nochmals, und an seiner schwerfälligen Sprache erkennt man, dass er sehr betrunken ist. Er ist auch ziemlich übel verletzt, denn die Flaschenscherben waren kein weiches Lager. Er ist bösartig und schlimm, dies sieht man ihm an.
Der rothaarige Riese, von dem der Junge glaubt, dass er Thor Flannaghan, der Herden-Boss ist, steht nur drei Yards von der Revolvermündung entfernt. Er blickt den Mann an und erkennt ganz gewiss in dessen blutunterlaufenen Augen die bösartige Mordlust.
»Es ist nicht fair, Mister«, sagt er ruhig zu ihm. »Ihr wart in der Überzahl. Es ist nicht fair, sich ...«
»Es ist mir gleich, was fair ist«, unterbricht der Büffeljäger heiser. »Ich bin von dir über die Bar und in die Flaschenscherben geworfen worden. Und dafür ...«
Der Junge hat inzwischen gehandelt. Er tat es nicht bewusst, rein instinktiv. Er zog sich inzwischen den rechten Stiefel aus. Es ist ein großer Männerstiefel, dem Jungen zwei oder drei Nummern zu groß. Und diesen Stiefel wirft der Junge nun mit aller Kraft auf den Mann unter sich nieder, inbrünstig dabei hoffend, dass er auch treffen möge.
Und er trifft. Der Stiefel wuchtet genau auf Revolverhand und Revolver nieder.
Eine größere Chance braucht der rothaarige Riese nicht. Als die Waffe für einige Sekundenbruchteile nicht auf ihn gerichtet ist, bewegt sich seine Rechte, zaubert einen Colt hervor, und als der aufbrüllende Büffeljäger die Waffe wieder auf ihn richten will, schießt er. Die Kugel reißt dem aufbrüllenden Büffeljäger den Revolver aus der Hand. Und der rothaarige Riese lacht grimmig und sagt dann bitter: »Oh, scher dich zum Teufel, Büffelschlächter! Verschwinde, Mann!«
Der Bursche ist nun ernüchtert. Er presst sich die schmerzende Hand unter die Achselhöhle und schleicht wortlos durch die Seitentür hinaus.
Der Junge aber ist glücklich und stolz. Ja, er hat Thor Flannaghan zu einer echten Chance verholfen. Ihm kann es der rothaarige Riese verdanken, dass er jetzt noch lebt. Er blickt nun auf ihn nieder, und der rothaarige Riese blickt zu ihm empor. Sie betrachten sich und lächeln sich zu.
»Komm herunter, Junge! Komm herunter zu mir!«
Der Junge nickt, schluckt dann mühsam und beeilt sich sehr. Doch es dauert einige Zeit, bis er vom Heuboden in die Scheune hinunter und von dort aus außen herum durch eine Seitentür in den Saloon gekommen ist.
Inzwischen kam der Marshal mit den Männern der Bürgerwehr in den Saloon. Der Junge hört den Marshal sagen: »Mister Flannaghan, Sie werden Ihre wilden Burschen sofort aus der Stadt schaffen! Und dieser Schaden hier muss natürlich ...«
»Ich werde für den Spaß zweihundert Dollar zahlen«, unterbricht ihn Thor Flannaghan und wendet sich an einen Mann, der neben dem Marshal steht und ganz wie der Saloonbesitzer wirkt. »Wie ich meine Jungs kenne, haben sie nicht angefangen«, lächelt er blitzend. »Jemand anders hat bestimmt den ersten Schlag getan. Ich schätze den Schaden auf vierhundert Dollar und übernehme die Hälfte. Sind Sie einverstanden?«
Der Saloonbesitzer blickt sich um. Dann nickt er und sagt: »Sie haben einen guten Blick für den Wert einer Salooneinrichtung, Mister Flannaghan. Ich nehme Ihren Vorschlag an. Ich weiß auch, weil ich es gesehen habe, dass Buffalo Joe begonnen hat, indem er eine Flasche auf dem Hut eines Herdentreibers zerschlug. Doch ...« Er verstummt und macht eine Handbewegung, die deutlich besagt: »Was sollen wir lange reden.«
Thor Flannaghan grinst. Er holt einige Zwanzig-Dollar-Stücke aus der Tasche und legt sie auf die Theke.
»Das ist es«, sagt er und wendet sich dann an seine Männer, die ziemlich mitgenommen herumstehen. »Das war ein kurzes Fest, Jungs. Ihr seht doch ein, dass man euch nicht unter die Menschen lassen kann? Ihr seid zu sehr auf rohes Fleisch versessen. Also setzt euch auf die Pferdchen und reitet ins Camp zurück! Der Urlaub ist beendet! Habt ihr mich verstanden?«
Sie nicken mehr oder weniger mürrisch und betrübt. In seine Stimme kam zuletzt der Klang einer zwingenden Härte. Nun ist er der unnachgiebige und eiserne Boss. Er stand seiner Mannschaft bei, dass sie nicht geschlagen und verprügelt wurde, sondern als Sieger einer Schlägerei aus dem Saloon gehen kann. Er übernimmt auch den restlichen Teil des angerichteten Schadens. Doch nun jagt er sie aus der Stadt und zurück ins Camp. Und sie nehmen es hin. Sie wissen, dass er nicht anders handeln kann, wenn er ein richtiger Boss sein will. Sie gehen schweigend.
Und der Junge, der bescheiden wartete, denkt bei sich: Oh, er ist ein richtiger Boss! Er braucht kein Wort zweimal zu sagen. Vor ihm kuschen selbst diese wilden Texaner, die vor nichts Respekt haben.
Er glaubt schon, dass ihn Thor Flannaghan vergessen hätte. Doch der große Mann wendet sich nun zur Seite und betrachtet ihn fest.
Der Junge spürt den prüfenden Blick so sehr, dass er plötzlich trocken schluckt und glaubt, dass dieser Mann bis in seinen tiefsten Kern sehen kann. Er hört ihn fragen: »Wie heißt du, Junge?«
»Jim – Jim Ballard, Sir.« Er sagt es etwas spröde.
»Wohnst du hier? Wer sind deine Eltern?«
Der Junge, der sich Jim Ballard nannte, beißt die Zähne zusammen. Er senkt den Kopf und schüttelt ihn. Es ist ganz klar, dass er nicht vor all den Zuhörern Antwort geben will.
Aber der Saloonbesitzer sagt: »Ein Tramp ist das! Er kam vor drei Wochen mit einem Frachtzug hier an. Er sagt, dass er keine Eltern mehr hätte. Er arbeitet bei mir, und ich wette, er bekommt zum ersten Mal seit langer Zeit wieder satt zu essen.«
Der Junge schluckt wieder. Und seine grauen Augen stehen weit auseinander und sind fest auf Thor Flannaghan gerichtet.
»Du gehörst also zu niemandem, Jim?«, fragt Thor Flannaghan ruhig.
Der Junge erwidert: »Ich gehöre zu niemandem, Sir.« Er schluckt wieder schwer. Dann richtet er sich noch gerader auf, und seine Stimme bekommt einen etwas trotzigen Klang, als er sagt: »Ich arbeite hier in diesem Saloon, bis ich mir ein Pferd, einen Sattel und einen Revolver kaufen kann. Dann will ich Cowboy werden.«
»Das ist gut«, sagt Thor Flannaghan ruhig. »Da kann ich dich brauchen, Jim! Ich werde dir ein Pferd und einen Sattel borgen. Und du kannst ihn abverdienen. Ich stelle dich sofort ein. Willst du?«
»Das geht nicht«, sagt der Saloonbesitzer schwach und blickt Hilfe suchend auf den Marshal und die Männer der Bürgerwehr, die immer noch abwartend herumstehen.
Doch der Marshal schüttelt den Kopf, so als wollte er sagen: »Ich bin froh, dass dieser Tramp fortkommt. Und der Saloon war ohnehin nicht der richtige Arbeitsplatz für einen Jungen.«
Doch Thor Flannaghan und der Junge achten gar nicht auf den schwachen Widerspruch des Saloonbesitzers. Die Augen des Jungen leuchten. Sie werden heller, fast so hell wie Morgennebel oder weißer Rauch.
»Ich habe keinen größeren Wunsch, Sir, als mit Ihnen zu gehen«, sagt Jim Ballard langsam.
Thor Flannaghan wendet sich an den untersetzten, gedrungen und so ungeheuer stark wirkenden Mann.
»Wie gefällt er dir, Pete?«
Jim Ballard blickt nun in die Augen des anderen Mannes. Es sind ruhige, feste und treue Augen. Jim Ballard verspürt plötzlich in seinem tiefsten Kern eine plötzliche Eifersucht. Er weiß sie nicht zu erklären, ja, er wird sich ihrer vielleicht noch gar nicht bewusst. Doch in seinen Augen zeigt sich wohl ein Funkeln besonderer Art.
Denn jener klotzige Mann, der immer noch seine Melone trägt, so als hätte er gar keine wilde Schlägerei hinter sich, grinst plötzlich breit und sagt: »Das ist ein junger Wildkater, Thor! Es ist die höchste Zeit, dass er in die richtigen Hände kommt. Nimm ihn mit und mach einen Mann aus ihm. Wenn du es nicht tust, Thor, wird er vor die Hunde gehen. Der gehört zu jener Sorte.« Er meint eine ganz bestimmte Sorte damit, doch Jim Ballard begreift es nicht ganz. Er wird es erst später begreifen.
Thor Flannaghan nickt ihm zu. »Also gehen wir, Jim!«
Und dann gehen sie. An der Tür hält Thor Flannaghan noch einmal an und blickt zurück auf die staunenden Männer.
»Ich nehme ihn mit, denn er muss in die richtigen Hände kommen. Ich übernehme die Verantwortung für ihn. Wenn jemand nach ihm fragen sollte, so sagt ihm, er wäre mit Thor Flannaghan nach Nordwesten geritten – irgendwohin nach Nordwesten. Ihr werdet irgendwann schon hören, wo ich mich niedergelassen habe. Denn ihr werdet von einem Rinderreich hören, dort irgendwo im Indianerland!«
✰
Es macht Jim Ballard nichts aus, dass er der jüngste und geringste Reiter der Mannschaft und überall in den Camps ist, die sie im Verlaufe der Tage hinter sich lassen. Denn er ist so stolz, endlich ein Reiter sein zu können. Dies erscheint einem Jungen wie ihm wie der Aufstieg von einem Betteljungen zum Ritter. Denn zwischen den Männern, die zu Fuß gehen und jenen, die hoch zu Pferde reiten, klafft ein gewaltiger Unterschied.
Der Junge ist nun das jüngste Mitglied einer reinblütigen Mannschaft der Texasweide. Er bekam ein Pferd, einen Sattel und ein Gewehr. Er bekam derbe Weidekleidung, lederne Chaps, ein Lasso, eine Bullpeitsche und melodisch klingelnde Sporen. Und er bekam einen schwarzen Texas-Stetson mit flacher Krone.
Die Sachen gehörten Thor Flannaghans kleinem Bruder, der vor einem halben Jahr bei einem Flussübergang ertrunken ist. Obwohl Jim Ballard sehr mager ist, ist er schon ziemlich groß. Die Sachen sind ihm nicht zu lang, nur zu weit.