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Das Schicksal hat sie zusammengeführt: fünf Männer und eine Frau. Nach der Schiffskatastrophe auf dem Big Muddy, aus dem sie alle nur das nackte Leben retteten, sind sie auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet. Ihre Lage ist verzweifelt, denn sie befinden sich mitten im Indianerland, weitab von jeder Zivilisation und Hunderte Meilen von ihrem Reiseziel entfernt. Aber keiner von ihnen denkt auch nur eine Sekunde lang ans Aufgeben.
Beseelt von einem zähen, unbeugsamen Willen machen sie sich auf den Weg. Ihr gemeinsames Ziel ist das Goldland von Montana. Fünf von ihnen treibt die Gier nach Gold. Den sechsten treibt der Hass. Denn Vance Hacketter ist auf der Suche nach dem Mörder seines Bruders ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Goldjagd
Vorschau
Impressum
Goldjagd
Das Schicksal hat sie zusammengeführt: fünf Männer und eine Frau. Nach der Schiffskatastrophe auf dem Big Muddy, aus dem sie alle nur das nackte Leben retteten, sind sie auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet. Ihre Lage ist verzweifelt, denn sie befinden sich mitten im Indianerland, weitab von jeder Zivilisation und Hunderte Meilen von ihrem Reiseziel entfernt. Aber keiner von ihnen denkt auch nur eine Sekunde lang ans Aufgeben.
Beseelt von einem zähen, unbeugsamen Willen machen sie sich auf den Weg. Ihr gemeinsames Ziel ist das Goldland von Montana. Fünf von ihnen treibt die Gier nach Gold. Den sechsten treibt der Hass. Denn Vance Hacketter ist auf der Suche nach dem Mörder seines Bruders ...
Als der Schaufelraddampfer »Earnigirl« den Citadel Rock in Sicht bekommt, versammeln sich die Passagiere auf dem Vorschiff zu einer dichten Gruppe, und der löffelähnliche Bug des kleinen Dampfbootes taucht durch die Last mehr als zwei Handbreit tiefer ins Wasser.
Das Schaufelrad am Heck des Schiffes aber hebt sich um diese zwei Handbreit und findet kaum noch Widerstand, um das Schiff gegen die starke Strömung vorwärts treiben zu können.
Denn die Strömung hier beim Citadel Rock ist besonders gewaltig. Sie fließt nun gewiss an die fünfzehn Meilen die Stunde. Der Missouri – einfach nur Big Muddy genannt, weil er zumeist so schlammig ist – ist hier bei diesem Felsenberg nur sechsundsiebzig Yards breit. Bis zu den Großen Fällen sind es von hier aus noch etwa einhundertzwanzig Meilen, bis Fort Benton etwa dreiundsiebzig.
Das Schiff wird von der Strömung flussabwärts getragen, kommt also nicht mehr vorwärts. Und deshalb brüllt die Stimme des Kapitäns besonders böse aus dem Ruderhaus auf das Vorschiff nieder:
»Hoiii, ihr verdammten Dummköpfe, verschwindet nach achtern! Los, alle Leute zurück auf das Hinterteil des Schiffes! Wollt ihr, dass wir von der Strömung achteraus gegen die Felsen geworfen werden? Los, beeilt euch! Verdammt noch mal, was für eine Affenherde seid ihr doch, ohne jeden Verstand!«
Nachdem er dies gebrüllt hat, betätigt er die Glocke zum Kesselraum der kleinen »Earnigirl«, fordert durch dieses Signal die beiden Heizer auf, noch mehr Dampf zu machen.
Die Passagiere – es sind mehr als ein halbes Hundert, und sie haben auf der kleinen, mit Fracht fast schon überladenen »Earnigirl« ohnehin alle nur Stehplätze – begreifen endlich die Gefahr. Sie beginnen rechts und links der Aufbauten auf dem Hauptdeck nach achtern zu laufen.
Doch es ist zu spät. Die »Earnigirl« verlor zu viel Fahrt, weil das Schaufelrad keinen Widerstand fand. Der Dampfdruck sinkt nun zu schnell, als das kleine Schiff gegen die gewaltige Strömung ankämpft. Die Strömung packt den kleinen Dampfer mitleidlos. Der Kapitän im Ruderhaus stößt ein wildes Geheul aus, welches mit Flüchen und Verwünschungen endet.
Er bringt das Schiff nicht mehr aus dem gefährlichen Strudel.
Und im nächsten Moment knirscht es auch schon.
Dann sitzt die »Earnigirl« schwankend fest. Das Schaufelrad zerbricht auf den aus dem Wasser ragenden Klippen, und die Strömung wirft das Schiff herum, erfasst es nun breitseits und wirft es endgültig gegen die Felswand, an welcher sich der wilde Fluss staut.
Und dann geschieht noch etwas.
Einer der beiden Dampfkessel platzt mit einem gewaltigen Knall. Es hört sich wie eine Explosion an, und es ist ein Glück für die meisten Passagiere, dass der ganze Explosionsdruck nach oben geht, weil der Kessel nicht wie eine Seifenblase platzt, sondern nur seine »Glocke« oder »Kuppel« nach oben saust und somit dem Überdruck den Weg frei gibt.
Aber es fliegen dennoch einige Passagiere über Bord. Andere springen freiwillig ins Wasser des tobenden Flusses. Denn heißer Dampf und kochendes Wasser zischen. Brennende Holzscheite fliegen umher. Rauch, Dampf, sprühendes Heißwasser – dies alles verursacht Panik.
Der Weg ins Goldland endet hier für viele Passagiere.
Die wertvolle Ladung, welche im Goldland gewaltigen Gewinn gebracht hätte, deren Wert den des Schiffes mehrfach übertraf, geht verloren.
✰
Gut eine Meile weiter flussabwärts kriechen wenig später einige der Schiffbrüchigen in einer Bucht an Land, in welcher das Wasser einen Rückstau bildet.
Es sind fünf Menschen und einer dieser Menschen ist eine Frau. Und sie kriechen wahrhaftig auf Knien und Händen, so sehr erschöpft sind sie. Die Strudel des schlammigen Stromes wollten sie in die tiefen Löcher ziehen, dort, wo sich diese Saugstrudel schmatzend drehen.
Wahrscheinlich ertranken einige der über Bord gesprungenen Passagiere der »Earnigirl«. Und andere Schiffbrüchige wurden weiter stromab getrieben oder gingen anderswo mit letzter Kraft an Land.
Diese fünf Menschen hier jedenfalls bilden eine vom Schicksal zusammengeworfene Gruppe. Bisher kannten sie sich nur vom Ansehen an Bord, wechselten kaum Worte miteinander während der Reise. Und die Frau hat sich zumeist in einer der sechs Kabinen aufgehalten, welche kaum mehr als jämmerliche Verschläge waren.
Nun hockten sie an diesem späten Nachmittag am Ufer – durchnässt und erschöpft.
Sie betrachten einander, und auch die Frau tut das mit kritischen und erfahrenen Blicken, wobei sofort klar wird, dass sie gewöhnt ist, Männern gerade in die Augen zu sehen, wie es eine Frau tut, die sich schon lange unter Männern behaupten muss.
Obwohl ihr nasses Haar jetzt kein Schmuck für sie ist, gibt es keinen Zweifel daran, dass sie zu den schönen, rassigen und begehrenswerten Frauen gehört, zu jener Sorte, welche nicht nur Schönheit zeigt, sondern dabei auch noch eine Menge ausstrahlt.
Sie ist jung, kaum älter als fünfundzwanzig. Aber sie ist eine Frau, die das Leben kennt. Ja, dies wird ihnen allen klar.
Einer sagt: »Hallo, Schwester, Sie sind ein tüchtiges Mädchen. Respekt, Lady, wirklich, allergrößten Respekt!«
Sie lächelt ein wenig. Ihr Kleid klebt an ihrem Körper. Man sieht, dass sie nicht »gepanzert« ist mit einem Korsett und dergleichen Dingen, welche den Frauen dabei helfen, eine gute Figur zu zeigen. Nein, sie hat das alles nicht nötig. Und ihre Augen sind von einem strahlenden Blau. Ihr Haar muss schwarz sein, auch dann, wenn es trocken ist und gereinigt vom Schlammwasser des Big Muddy.
Einer der anderen drei Männer – er ist ein löwenhaft wirkender, schon etwas älterer Bursche – sagt kehlig: »Ja, Respekt, Lady. Sie wären die rechte Frau für einen meiner beiden Jungs. Das gäbe dann eine prächtige Brut, hahaha! Da könnte ich gewiss eines Tages stolz auf meine Enkel sein. Frauen Ihrer Sorte, die sich behaupten können, die braucht man in diesem Land. Sehen Sie, dies sind meine Söhne. Der da ist Jimmy. Und der da ist Harvey. Ich bin Lewis Slaughter. Wie dürfen wir Sie anreden?«
»Ich bin Stella Mallone«, erwidert sie schlicht und blickt auf den Mann, der zuerst zu ihr sprach und sie Schwester nannte, was aber nicht verwandtschaftlich gemeint war.
Dieser Mann lächelt blitzend und verwegen. Auf den ersten Blick wirkt er jünger, als er in Wirklichkeit ist. Er gehört zu jenen jungenhaft wirkenden, verwegenen Typen, für die das Leben ein reizvolles Glücksspiel voller Wagnisse ist. Und selbst in einer Pechsträhne erwecken diese Typen den Eindruck von Siegern.
»Ich bin der prächtige John Ferguson.« Er lächelt. »In mich verlieben sich alle Frauen zwischen sechzehn und sechzig. Slaughter, Ihre beiden Söhne haben keine Chance mehr. Diese Lady wird sich in mich verlieben, innerhalb der nächsten Stunden unseres Beisammenseins.«
Sie lacht leise, denn seine Mimik lässt seine Worte nicht ernst, sondern als scherzhaftes Kompliment zum Ausdruck kommen.
Aber die drei Slaughters verstehen keinen Spaß. Obwohl sie sehr verschieden aussehen und man sie auf den ersten Blick nicht als einen Vater mit zwei Söhnen einschätzen würde, sehen sie sich jetzt sehr ähnlich, denn es ist ihr Zähnezeigen, ihr Grinsen, welches bei jedem gleich ist.
Aber bevor einer von ihnen etwas sagen kann, sehen sie noch einen Mann kommen. Auch er ist nass und kam aus dem Fluss gekrochen. Sie erinnern sich auch daran, ihn an Bord gesehen zu haben.
Er ist hager und groß, geschmeidig wie ein Indianer, und er trägt Cowboystiefel. Obwohl er bei aller Hagerkeit gewiss schwergewichtig ist, kommt er leichtfüßig daher.
Dieser Mann gibt ihnen vom ersten Moment an Rätsel auf. Sie wissen ihn nicht einzuordnen. Nur eines wissen sie genau: Da kommt ein harter Bursche.
Als er bei ihnen ist, hält er an und nickt. »Nun«, sagt er, »bis Fort Benton sind es auch über Land mehr als hundert Meilen. Man könnte aber auch von hier aus direkt nach Süden. Irgendwann trifft man dann auf den Wagenweg von Fort Benton nach Last Chance City. Na?«
Sie starren ihn an, und den Slaughters passt er offenbar nicht, denn sie machen missmutige Gesichter. Lewis Slaughter knurrt auch schon bald: »Na gut, Mister. Und was sonst noch?«
Der indianerhafte Fremde grinst. Seine Zahnreihen blinken scharf. Er deutet landeinwärts. »Dort, wo ich aus dem Wasser kam«, sagt er, »fand ich eine frische Fährte von Pferden. Reiter waren dort. Mehr als ein Dutzend. Ich fand die Fährten von Mokassins und auch Stiefeln. Die Mannschaft besteht also aus Indianern und Weißen. Was, glaubt ihr, sind das für Leute?«
Sie denken nach.
Der blonde und verwegen aussehende John Ferguson sagt: »Mein Freund, wir sind fremd in diesem Land. Aber mein Verstand sagt mir, dass eine Mannschaft, die aus Weißen und Roten besteht, keine gute Mannschaft ist. Wahrscheinlich handelt es sich um Ausgestoßene oder Geächtete beider Rassen. Oder könnte ich mich da sehr irren?«
Der indianerhafte Fremde, dessen Namen sie noch nicht kennen, weil sich auf dem Schiff niemand für die Namen der anderen Mitreisenden interessierte, nickt langsam.
»Es ist ganz einfach«, sagt er. »Wenn wir nicht bis Fort Benton den Strom hinauf oder bis Last Chance City nach Süden laufen wollen, müssen wir Pferde haben. Und wenn wir sie einer Bande von weißen und roten Ausgestoßenen wegnehmen müssen, wird das ohne Kampf nicht gehen. Vielleicht hätte ich mir ein Pferd stehlen können. Aber ich kenne mich nicht genug aus in diesem Lande. Die Kerle hätten mich eingeholt. Wahrscheinlich müssen wir sie niederkämpfen.«
Nach diesen Worten schweigt er, geht zu einem Stein, setzt sich darauf und zieht sich die Stiefel aus. Er gießt das Wasser aus. Auch ein langes Messer fällt aus einem Stiefelschaft.
John Ferguson sagt: »Ein Apachenmesser, nicht wahr?«
»Ja«, sagt der Mann. Dann zieht er die Stiefel wieder an, lässt auch das Messer darin verschwinden und zieht einen Colt aus dem Hosenbund. Er betrachtet die Waffe kritisch. »Die wird gewiss nicht losgehen«, sagt er. »Was ist denn mit euren Schießeisen? Hat jemand trockenes Pulver in einer Büchse und zuverlässige Zündhütchen?«
Nun erinnern sich alle daran, dass sie Waffen haben. Und sie bringen diese hervor. John Ferguson bringt einen Colt-Derringer zum Vorschein, eine doppelläufige Waffe mit doppeltem Abzugshahn. Es ist die typische Taschenwaffe eines Spielers.
Aber auch Stella Mallone holt solch eine Waffe aus irgendeiner verborgenen Faltentasche ihres Kleiderrockes. Vielleicht trug sie die Waffe sogar im Strumpfhalter.
Die Männer starren sie an, als würden sie sich jetzt erst so richtig klar über diese reizvolle Frau.
Die Slaughters aber bringen schwere Colts zum Vorschein, richtige 44er Walker-Revolver, wie die Texas Rangers sie benutzen.
Und sie holen auch Büchsen hervor, in denen sich in verschiedenen Kammern alles befindet, um die Trommeln dieser Colts laden zu können. Es handelt sich ja noch um Perkussionsrevolver. Colts, die mit fertigen Patronen geladen werden können und ausklinkbare Trommeln besitzen, gibt es im Jahre 1866 noch nicht.
Lewis Slaughter sagt trocken: »Richtig, wenn wir nicht laufen und hungern und frieren wollen, dann müssen wir Pferde haben. Ich glaube nicht, dass uns eine Renegaten-Bande freiwillig etwas abgibt.«
Er sieht auf Stella Mallone.
»Sie sehen nicht so aus, als würden Sie Angst haben, Lady. Also, dann sollten wir uns auf den Weg machen, bevor wir zu frieren beginnen. Mann, wie ist denn Ihr Name? Ich meine, wie sollen wir Sie anreden?«
»Ich bin Hacketter, Vance Hacketter«, erwidert der zuletzt Gekommene. »Doch bevor wir losgehen, möchte ich meinen Colt versorgen. Ich verlor meine Munitions- und Pulverbüchse im Fluss. Und meine beiden Reservetrommeln blieben in den Jackentaschen an Bord. Na, wer gibt mir was?«
Er streckt seine Hand aus.
Die drei Slaughters zögern. Aber dann wirft ihm Lewis Slaughter das Gewünschte zu.
»Sein Colt hat keinen Abzug«, murmelt sein schrägäugiger Sohn Harvey.
»Wenn du mich fragst, dann halte ich diesen Mister für einen texanischen Revolverschwinger, der nach Norden muss, weil ihm im Süden der Boden zu heiß wurde. Nicht wahr, Hacketter, ich liege da ziemlich richtig?«
Die letzten Worte gelten dem Texaner. Ja, an seiner Sprechweise erkannten sie längst den Mann aus dem Süden.
Aber Hacketter grinst nur und erwidert nichts.
Der Nachmittag geht nun in die Dämmerung über. Weil die Sonne weg ist, beginnen sie in ihrer immer noch nassen Kleidung zu frösteln. Und sie wissen, dass die Nächte um diese Jahreszeit schon sehr kalt sind. Denn es ist Indianersommer. Bei Tage wärmt noch die Sonne. Die Nächte sind kalt. Und bald schon könnte das Wetter umschlagen. Dann wird das bunte Laub von den Bäumen fallen und der Winter kommen.
Ja, sie brauchen Pferde, etwas Ausrüstung und Proviant.
Es könnte sein, dass dies in den nächsten Tagen zu einer Überlebensfrage wird. Das Schicksal hat sie zu einer kleinen Gemeinschaft zusammengewürfelt. All die anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder des Schiffes interessieren sie nicht. Sie haben genug mit sich selbst zu tun. In diesem Land ist jeder Mensch sein eigener Hüter.
Der Fluss riecht streng, strenger, als sonst die Flüsse riechen.
Und von landeinwärts kommen die Düfte von den Nadelwäldern wie Balsam. Und irgendwo dort im Süden gibt es Gold, findet auf die verschiedenste Weise die Jagd nach dem Gold statt, an der sie teilhaben wollen.
Deshalb sind sie hier.
Und so leicht lassen sie sich nicht aufhalten.
Sie brechen auf.
Vance Hacketter führt.
✰
Als die Nacht zu dunkel wird am Anfang, müssen sie anhalten. Aber dann beginnen bald schon Mond und Sterne zu leuchten. Es wird hell. Alle aufragenden Dinge werden Schatten.
Der Balsamduft der Nadelwälder ist nun stärker als der Geruch des Stromes.
Vance Hacketter kann nun der Fährte wieder folgen. Sie wandern bis nach Mitternacht durch das unbekannte Land. Manchmal fluchen die Männer bitter. Und einmal fragt Lewis Slaughter grollend: »Was ist, wenn sie die ganze Nacht durchreiten und erst im Morgengrauen anhalten?«
Aber plötzlich, wie als Antwort, hält Hacketter an. Auch sie verharren. Und da sehen sie das Feuer und wittern auch den leichten Rauch in der Luft.
»Das sind sie«, murmelt Hacketter. »Und sie waren kaum eine halbe Stunde vor dem Schiffsunglück am Fluss. Bleibt hier. Ich will mir die Kerle ansehen. Es ist ja immerhin möglich, dass es sich um redliche Menschen handelt.«
Sie sehen ihm nach und lauschen mit zumeist angehaltenem Atem. Doch sie können nichts hören. Erst nach einer Weile vernehmen sie das leise Schnauben von Pferden. Und sie sehen durch die Nadelbäume etwas tiefer in einer Senke den Feuerschein.
Das Camp ist gewiss noch mehr als eine Viertelmeile entfernt. Bis Hacketter dort angelangt ist, vergeht noch eine Weile.
Die Zeit kommt ihnen ewig vor zwischen jedem ihrer Pulsschläge.
Es dauert länger als eine Stunde, und die Nacht wird bald schon sterben und in jene »graue Stunde« übergehen, in der die ganze Welt wie leblos wird und nichts mehr von ihrem Leben darauf zu atmen scheint.
Dann ist Vance Hacketter plötzlich wieder bei ihnen. Wie ein Schatten taucht er bei ihnen auf.
Harvey Slaughter sagt: »Wenn er anders aussehen würde, könnte man denken, dass er selbst ein verdammter Apache wäre.«
Es ist bezeichnend, dass er »Apache« sagt und nicht Sioux oder Cheyenne. Denn diese Indianervölker leben hier auf der Hochprärie und im Norden. Aber er sagte »Apache«. Also kommen auch die Slaughters aus dem Süden und wissen genau, dass Apachen im lautlosen Anschleichen unübertroffen sind.
Hacketters Stimme klingt pulvertrocken und leidenschaftslos, so als hätte er kein Gefühl.
Er sagt: »Es sind Ausgestoßene beider Rassen, also Banditen und Mörder. Sie haben eine weiße Gefangene, und sie haben ihr Schlimmes angetan. Auch sah ich Beute an ihrem Feuer – Koffer zum Beispiel. Ihre überzähligen Pferde tragen den Brand von Wells Fargo. Sie haben wahrscheinlich irgendwo weiter im Norden eine Postkutsche überfallen, kamen dann am Fluss entlang abwärts und bogen wieder ins Landinnere ab, um weitere Beute zu machen. Gewiss wollen sie kleine Goldgräbercamps überfallen, abgelegene Minen oder ...«
»Na gut«, unterbricht ihn Lewis Slaughter, »dann geben wir es ihnen. Wie viele sind es?«
»Elf. Und sie haben getrunken. Sie müssen Schnaps erbeutet haben. Ja, gehen wir und geben wir es ihnen.«
Vance Hacketters Stimme klingt immer noch leidenschaftslos.
Und sie setzen sich in Bewegung. Er führt sie.
Als sie dicht genug beim Camp sind, ist der Himmel im Osten grau. Und die Gestirne über ihnen verblassen. Hinter ihnen über dem Big Muddy steigen die Nebel. Aber sie blicken nicht dorthin zurück. Sie waren ständig leicht bergan gestiegen und könnten jetzt über die Baumspitzen der Waldstücke auf das Big Muddy Valley blicken und die Nebel dort herausquellen sehen.
Es ist kalt geworden.
Das Feuer im Camp ist fast niedergebrannt. Es glüht nur noch ein wenig.
Überall liegen die Gestalten in Decken gerollt. Auch das Gepäck liegt verstreut umher. Man sieht einige Gallonenkanister, in denen sich gewiss Schnaps befand, wahrscheinlich billigster Handelswhisky.
Und sitzend an einen Baumstumpf gelehnt, kauert eine Frauengestalt. Man kann sie im zunehmenden Morgengrauen einigermaßen erkennen. Ihre Kleidung ist zerfetzt, und sie hat ihre Augen weit offen, rührt sich jedoch sonst nicht.
Wer weiß, was solch eine Mörderbande Ausgestoßener beider Rassen mit Frauen anstellt, der macht sich keine Illusionen mehr über das, was diese Gefangene ertragen musste.
Die fünf Männer und die zu ihnen gehörende Frau, Stella Mallone, umstellen das Camp. Sie halten ihre Waffen bereit.
Aber ganz glückt ihnen ihr Vorhaben nicht.
Denn noch bevor sie fertig sind mit ihrer Umzingelung, springt einer der Schläfer heulend auf.
Und von einem Sekundenbruchteil zum anderen verwandelt sich das Camp in einen explodierenden Hexenkessel. Diese Bande erfasst sofort instinktiv, dass es ums Überleben geht. Es gibt für diese Kerle kein Überlegen. Sie alle handeln reflexartig, und ihr Denken wird sie erst später wieder einholen – wenn sie dann noch am Leben sind.
Der Schrei ist wie der Funke, welcher in eine Sprengladung schlägt.
Sie rollen über den Boden, werfen sich herum oder springen geduckt auf. Und sie alle haben auch schon ihre Waffe in der Hand. Indes sie in Bewegung sind und keine festen Ziele mehr bieten, suchen sie nach den Gegnern – und sie sehen in die Mündungsfeuer.
Keiner entkommt. Denn die drei Slaughters sind Revolvermänner. Das zeigt sich jetzt. Sogar der riesenhafte Jimmy, dem man seine Vergangenheit als Preiskämpfer ansieht, schießt wie ein Revolvermann. Und sein Bruder Harvey feuert aus zwei Colts.
Aber noch schneller und sicherer feuert Vance Hacketter.
Nicht viel langsamer schießt der blonde und stets so sieghaft lächelnde John Ferguson. Und sogar Stella schießt ihre kleine doppelläufige Waffe ab, als einer der Banditen mit gezogener Waffe vor ihr auftaucht.