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»Das verstehst du ganz bestimmt, Mom - das hast du schon immer verstanden, nicht wahr? Schon bei unserem Vater hast du es verstanden. Wir reiten jeden Monat an diesem Tag nach Warbluff und holen Vorräte. Seit Jahren tun wir Corbins das. Wir fürchten uns vor nichts und reiten unseren Weg. Das ist unser gutes Recht. Heute bin ich an der Reihe. Und ich reite nach Warbluff!« Johnny verstummt mit einem endgültigen Klang in der Stimme. In seinen blauen Augen sprüht der ganze Stolz eines Corbin. Schon sein Vater hatte dieses Sprühen in den Augen - auch damals an jenem Tag, da er davonritt, um in Warbluff mit Thor Carmody zu kämpfen.
Ann Corbin hat blaue Augen wir ihr Jüngster. Sie sind immer noch ausdrucksvoll und schön. Diese Augen beherrschen ihr ruhiges Gesicht. Nun werden sie zwingend.
»Stolz kann gut und notwendig sein«, murmelt sie. »Doch auch dein Bruder Bill war stolz und furchtlos. Jetzt ist er ein Krüppel. Er ist in den Warbluff Saloon gegangen wie dein Vater, weil er wusste, dass dort ein Carmody auf ihn wartete. Dein Vater war damals sofort tot, und er tötete auch seinen Gegner, diesen Thor Carmody. Warum müsst ihr Söhne nun diese unsinnige Fehde wieder aufnehmen?« Ann Corbin seufzt, dann sagt sie mit eindringlicher Stimme: »Geh nicht hinein! Reite vorbei, Johnny!«
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Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Reite vorbei, Johnny!
Vorschau
Impressum
Reite vorbei, Johnny!
»Das verstehst du ganz bestimmt, Mom – das hast du schon immer verstanden, nicht wahr? Schon bei unserem Vater hast du es verstanden. Wir reiten jeden Monat an diesem Tag nach Warbluff und holen Vorräte. Seit Jahren tun wir Corbins das. Wir fürchten uns vor nichts und reiten unseren Weg. Das ist unser gutes Recht. Heute bin ich an der Reihe. Und ich reite nach Warbluff!« Johnny verstummt mit einem endgültigen Klang in der Stimme. In seinen blauen Augen sprüht der ganze Stolz eines Corbin. Schon sein Vater hatte dieses Sprühen in den Augen – auch damals an jenem Tag, da er davonritt, um in Warbluff mit Thor Carmody zu kämpfen.
Ann Corbin hat blaue Augen wir ihr Jüngster. Sie sind immer noch ausdrucksvoll und schön. Diese Augen beherrschen ihr ruhiges Gesicht. Nun werden sie zwingend.
»Stolz kann gut und notwendig sein«, murmelt sie. »Doch auch dein Bruder Bill war stolz und furchtlos. Jetzt ist er ein Krüppel. Er ist in den Warbluff Saloon gegangen wie dein Vater, weil er wusste, dass dort ein Carmody auf ihn wartete. Dein Vater war damals sofort tot, und er tötete auch seinen Gegner, diesen Thor Carmody. Warum müsst ihr Söhne nun diese unsinnige Fehde wieder aufnehmen?« Ann Corbin seufzt, dann sagt sie mit eindringlicher Stimme: »Geh nicht hinein! Reite vorbei, Johnny!«
Johnny Corbin erhebt sich langsam.
»Ja, Vater wurde von Thor Carmody getötet, der seinen Sieg jedoch selbst nur zwei Tage überlebte, denn auch mein Vater hatte ihn getroffen. Und dann war einige Jahre Ruhe. Du hattest es schwer, Mom, uns großzuziehen, zumal unser ältester Bruder einfach fortritt und du allein warst mit Bill und mir. Wir haben die Fehde nicht wieder neu aufleben lassen, Mom. Bill hat im vergangenen Monat keinen Streit gesucht, als er in den Warbluff Saloon ging. Die Carmodys suchten diesen Streit. Und abermals wurden wir geschlagen. Bill wurde schlimmer verletzt als sein Gegner Cal Carmody. Aber ich bin schneller mit dem Revolver als Bill. Mich kann kein Carmody schlagen. Ich bin auch schneller, als mein Vater es war. Ich brauche mich nicht vor den Carmodys zu fürchten. Verzeih mir, Mom, doch ich will lieber tot oder ein Krüppel sein, als mich davor zu fürchten, in den Warbluff Saloon zu gehen.«
»Geh nicht hinein! Reite vorbei, Johnny! Es genügt, wenn du deine Einkäufe im Store machst und im Postbüro ...«
»Wenn ich durstig bin, werde ich hineingehen, Mom!«
Nach diesen Worten geht Johnny Corbin zur Tür. Von dort her blickt er noch einmal über die Schulter auf die Mutter zurück.
»Es geht nicht nur um unsere Fehde, Mom«, sagte er von dort. »Wir Corbins besitzen das Wasser, von dem draußen auf der Ebene viele Menschen und Tiere leben. Wenn die Carmodys uns schlagen, werden sie bald das Wasser besitzen und das Land beherrschen. Sie sind anders als wir. Sie werden die Macht, die ihnen das Wasser gibt, missbrauchen. Ich kann in Warbluff nicht kneifen, Mom. Ich muss mich dort allen Dingen stellen, die mir in den Weg kommen. Ich reite nicht vorbei, Mom!«
Nach diesen Worten geht er hinaus.
Als die Mutter hinter ihm auf die Veranda tritt, sitzt er schon im Sattel und reitet mit den beiden kräftigen Packtieren davon.
Er sitzt im Sattel wie sein Vater, denkt Ann Corbin. Er ist stolz wie sein Vater und wie es seine beiden Brüder sind. Ja, selbst Bill ist noch stolz. Was mag aus meinem ältesten Sohn geworden sein, aus Cliff, der damals fortritt, weil es ihm hier in unserem Canyon zu eng war und er die Welt sehen wollte?
Sie sieht Johnny schweigend nach, bis dieser nicht mehr zu sehen ist, weil er im Ausgang des Canyons verschwand.
Ann Corbin sieht sich langsam um.
Dies hier ist ihr Besitz, ihr fester Platz, den sie sich damals in jungen Jahren so heiß wünschte, nachdem sie mit ihrem Mann herumgezogen war.
Dieser Canyon ist fast schon ein Tal, grün, mit reichlich Wald auf den Terrassen, fast eine Viertelmeile breit und fünf Meilen lang. Er endet dort an der Felswand, von der ein Wasserfall rauscht, der schon nach einigen Dutzend Schritten in einer Felsspalte verschwindet wie in einem unersättlichen Schlund.
Doch ihr Mann Jim Corbin hatte damals schnell die große Möglichkeit erkannt. Er sorgte dafür, dass dieses so kostbare und reichlich vorhandene Wasser nicht einfach ungenutzt in der Erde verschwinden konnte. Er baute aus dicken Stämmen eine Auffangvorrichtung, die dem Wasserfall die Hälfte des Wassers nimmt und durch den Canyon leitet. Es ist ein starker und rasch strömender Creek, der aus dem Canyon auf die Ebene und weit im Süden zwischen den Hügeln fließt – ein herrlicher, das Land fruchtbar machender Creek ist es, der vielen Menschen die Möglichkeit gibt, Rinderzucht und Farmwirtschaft zu betreiben.
Vom Corbin Creek leben mehr als zwei Dutzend kleine Ranches oder Farmen, Siedlerstätten oder gemischte Betriebe.
Dies alles hatte damals Jim Corbin ermöglicht, als er in monatelanger schwerer Arbeit, bei der sie ihm half, diese massige und schwere Abfangvorrichtung schuf, durch die ein Creek entstand.
Oh, Ann war damals so stolz auf ihren Mann.
Und dann kamen andere Menschen in das Land. Jetzt, wo Wasser vorhanden war, wurde das Land besiedlungsfähig.
Eines Tages kamen auch die Carmodys.
Und Thor Carmodys war Jim Corbins alter Feind.
Ann Corbin geht langsam in die Küche zurück. Als sie mit gesenktem Kopf am Tisch steht, hört sie Bill aus der Schlafkammer rufen. Sie hebt den Kopf und geht hinüber, öffnet die Tür und sieht Bill in seinem Bett sitzen.
Durch das Fenster fällt nun genügend graues Morgenlicht herein.
»Ist Johnny fort, Mom?« Dies fragt Bill heiser. Er ist bleich im Gesicht, hat eingefallene Wangen und wirkt sehr krank und hilflos. Die Kugel von Cal Carmody traf ihn so unglücklich, dass in seinem Rücken irgendwelche Nerven verletzt wurden und er seine Beine nicht mehr spürt.
Aber in seinen Augen brennt nun ein Feuer, als wenn er Fieber hätte.
»Ja, Johnny ist fort«, erwidert Ann Corbin. »Mit einem Colt ist er fort, und er wird gewiss auch in den Warbluff Saloon gehen. Ich hoffe mit aller Kraft, dass kein Carmody dort auf ihn wartet.«
»Und wenn einer wartet«, sagte Bill heiser, »so wird er es von Johnny bekommen. Johnny ist schneller als ich. Johnny wird ...«
»Du Narr!«, sagte Ann Corbin hart. »Dieser dumme, verrückte und völlig unsinnige Stolz beherrscht euch wie eine böse Krankheit, und er wird nur Unglück über alle Beteiligten bringen. Was hat es dir eingebracht, Bill? Ich möchte wissen, wozu ich mir die Mühe gemacht habe, euch großzuziehen?«
»Auch die Carmodys sind großgezogen worden«, erwiderte Bill gepresst. »Und unsere Väter haben sich gegenseitig im Duell erschossen. Wenn die Carmodys die alte Fehde wieder aufgenommen haben, dann dürfen wir Corbins nicht kneifen. Mit Johnny werden sie nicht so leicht fertig. Johnny gibt es ihnen.«
Ann Corbin betrachtete ihren Sohn auf eine hilflos wirkende Art. Sie wirkt für einen Moment recht müde und erschöpft, hilflos und wie einem unabänderlichen Schicksal ergeben.
»Auge um Auge und Zahn um Zahn!« Dies aber sagt Bill aus seinem Bett zu ihr herüber.
Sie zuckt zusammen.
»Ich habe mich all die Jahre davor gefürchtet«, murmelt sie. »Als euer ältester Bruder groß genug war, da begrüßte ich es, dass er fortritt, um die Welt zu sehen. Ich hoffte immer, dass einige Jahre mehr den Hass der Carmodys lindern könnten. Doch diese Jahre vergingen. Ihr, meine zwei jüngsten Söhne, wurdet groß. Und der Hass war immer noch da. Sie haben dich erwischt, Bill, und ich fürchte mich so entsetzlich davor, dass sie auch Johnny ...«
✰
Es ist eine kleine Stadt, es gibt keinen Sheriff dort, nicht einmal einen Deputy Sheriff.
Jedoch übt der Storebesitzer ehrenamtlich das Amt eines Town Marshals aus und führt das Einwohner- und Grundbuch.
Das größte Gebäude der Stadt ist der Warbluff Saloon.
Als Johnny daran vorbeireitet, denkt er an die Bitte seiner Mutter. Ihre Worte sind plötzlich in seinem Ohr: »Reite vorbei, Johnny! Geh nicht hinein! Du musst daran vorbeireiten, Johnny! Es genügt, wenn du deine Einkäufe im Store machst und im Postbüro ...«
Wenn man zum Store will, dann muss man am Saloon vorbei.
Vor dem Haltebalken sind einige Pferde angebunden. Sie stehen an den Wassertrögen und halb unter dem vorgebauten Verandadach.
Auf der Veranda sind einige Männer. Sie sitzen dort auf knarrenden Stühlen, rauchen, trinken und scheinen dort ohne rechten Sinn um diese Tageszeit zu sitzen.
Aber als Johnny am Saloon vorbeireitet, da erkennt er sie fast alle und weiß, warum sie dort sitzen.
Denn heute ist der Tag, da einer von den Corbins zur Stadt kommt, um neue Vorräte zu holen. Das weiß man im ganzen Land.
Vor einem Monat wurde Bill Corbin zu einem Revolverkampf gezwungen. Und heute kommt Johnny Corbin – ganz so, wie man es von den Corbins erwartet hat.
Was wird nun geschehen?
Johnny Corbin nickt einigen Männern zu, indes er am Saloon vorbei und zum Store reitet. Er stellt dort seine Pferde unter das Schatten spendende Schutzdach an den Wassertrog und lockert ihre Gurte. Dann geht er hinein in den Store, um dort die Liste der gewünschten Dinge abzugeben.
Bis jetzt geht alles so vonstatten wie immer. So und nicht anders vollzog sich bisher der Ablauf der Dinge, wenn einer von den Corbins in die Stadt kam, um für einen Monat einzukaufen.
Viele Beobachter – nicht nur die Männer auf der Saloon-Veranda – registrieren alles, was Johnny Corbin tut.
Und sie alle wissen, was nun kommen muss.
Denn wenn Johnny Corbin die Liste im Store abgegeben hat, ging er bisher stets zum Saloon hinüber. Der Storehalter braucht manchmal länger als eine Stunde, bis er alles, was die Corbins bestellten, zusammengesucht, abgewogen oder abgezählt, verpackt und bereitgestellt hat.
Diese Zeit nutzte auch Johnny Corbin stets zu einem Besuch des Saloons.
Wird er es auch heute tun?
Diese Frage stellt sich fast jeder Mensch in dieser kleinen Stadt.
Dann sehen all die Beobachter Johnny Corbin aus dem Store treten. Er raucht eine Zigarette, die der Storehalter ihm anbot, und er hat den Hut zurückgeschoben und bewegt sich heute etwas unnatürlich steif und gespreizt, fast so wie ein Laienschauspieler auf der Bühne. Aber dies ist vielleicht sehr natürlich, wenn man bedenkt, dass die Corbins sehr einsam leben, nur selten mit anderen Menschen zusammenkommen.
Johnny spürt, wie sie ihn alle beobachten und studieren.
Man glaubt für einen Moment, Johnny Corbin zögern zu sehen.
Doch dann geht er vom Store zum Saloon. Es sind nur wenig mehr als hundert Schritte auf dem Plankengehsteig, der einmal von einer schmalen Gasse unterbrochen wird.
Als Johnny auf die Hotel-Veranda kommt – sie ist nichts anderes als eine Verbreiterung des Plankengehsteiges und wird vom Obergeschoss halb überdacht –, da hält er einige Sekunden an. Er betrachtet die Männer.
»Hallo«, sagt er und grinst. »Ihr habt wohl mitten in der Woche einen Feiertag eingelegt?«
Noel Sherman, ein kleiner Rancher aus den Hügeln, sagt bedächtig und ernst: »Johnny, drinnen sind Cal Carmody und Bat Halleran. Ich denke, das solltest du wissen, bevor du da hineingehst. Sie haben ihre Pferde hinter dem Saloon.«
Johnny nickt zu diesen Worten.
»Es macht mir nichts aus, ob die da drinnen sind oder nicht«, erklärt er, und seine Stimme klingt etwas heiser und gepresst. »Es macht mir gar nichts aus«, wiederholt er, und plötzlich glaubt er, dass sie alle daran zweifeln. Sein Stolz steigt in ihm auf, und er fürchtet sich heiß davor, dass sie glauben könnten, er hätte Furcht.
Und so treibt ihn der heiße Stolz weiter.
Er wendet ihnen den Rücken zu, stößt die Schwingtür des Saloons auf und geht hinein.
Es ist ihm plötzlich, als überschritte er eine Schwelle, über die es kein Zurück mehr gibt.
Und am langen Schanktisch steht Cal Carmody und trinkt ein kühles Bier.
Der Revolvermann Bat Halleran hält sich drüben in der Fensterecke auf. Dort steht ein Billardtisch, und Bat Halleran ist scheinbar ganz darin vertieft, immer wieder äußerst schwierige Stöße auszuführen, die eine fast an Zauberei grenzende Berechnung erforderlich machen.
»Hoi, da kommt ja der liebe, gute Johnny! Wie geht's denn, Johnny? Komm, ich spendiere dir ein Bier! Hallo, alter Junge, du kannst auf meine Rechnung trinken!«
Cal Carmody ruft dies mit einer Stimme, in der ein böser Spott und deutlich hörbarer Hohn mitschwingen. Er prostet Johnny mit dem noch halb gefüllten Bierglas zu.
Cal Carmody ist dunkel und wirkt fast wie ein Mexikaner. Er ist geschmeidig wie ein Berglöwe und hat zwei blitzende Zahnreihen in seinem wilden und dunklen Piratengesicht.
Johnny Corbin geht an das andere Ende des langen Schanktisches.
»Mit dir trinke ich nicht, Cal«, sagt er. Dann wendet er sich an Mike Hathaway, der selbst hinter seinem Schanktisch steht und dessen narbiges Preiskämpfergesicht keinerlei Ausdruck erkennen lässt.
»Gib mir ein Bier, Mike«, sagt er trocken – oder will es trocken und ruhig sagen. Doch er kann nicht vermeiden, dass seine Stimme einen misstönenden Beiklang bekommt.
Mike Hathaway nickt wortlos. Seine kleinen Augen sind noch schmaler geworden als sonst. Er ist offensichtlich neutral.
Cal Carmody aber beginnt nun wie wild zu lachen und klatscht mit einer Hand auf den Schanktisch.
»Mit mir trinkt er nicht! Mit mir trinkt er nicht! Oha, weil ich es seinem großmäuligen und großspurigen Bruder besorgt habe, trinkt er nicht mit mir! Oho!«
Johnny erwidert nichts. Er blickt gar nicht zu Cal Carmody hin, sondern beobachtet, wie der streng neutrale und heute sehr zurückhaltende Mike Hathaway das Bier einfüllt. Es dauert eine Weile, denn der Schaum muss sich erst setzen.
Es ist still.
Nur von der Fensterecke hört man das Klicken der Billardbälle, die der Revolvermann Bat Halleran, der zu den Carmodys gehört, wie durch Zauberei auf Umwegen dorthin rollen lässt, wo er sie von Anfang an haben wollte.
Johnny blickt in den Spiegel hinter der Bar.
Er kann die Schwingtür sehen, deren zwei Flügel selbst einem kleinen Mann nur bis zum Kinn reichen, sodass man mühelos darüber hinweg in den Saloon blicken kann.
Draußen stehen die Männer, die vorhin noch so lässig die Veranda bevölkert hatten, scheinbar nur dem Nichtstun ergeben – doch lauernd und sensationshungrig wartend.
Sie kamen nicht in den Saloon. Doch sie stehen draußen dicht gedrängt vor der Schwingtür und spähen herein.
Sie wollen nicht eine verirrte Kugel auffangen, denkt Johnny Corbin, und mit einem Mal ist ein Gefühl in ihm, welches er nicht deuten kann.
Es ist kein Staunen – und auch keine ungläubige Verwunderung. Auch Furcht kann es wohl nicht sein. Vielleicht ist es mehr ein Gefühl der Enttäuschung.
Und dann weiß er es plötzlich genauer.
In seinem tiefsten Kern hat er gehofft, es würde nicht so schlimm werden. Irgendwie glaubte er, es würde schon genügen, wenn er in den Saloon gehen und völlige Furchtlosigkeit zeigen würde.
Doch nun begreift er, dass dies allein nicht genügt.
Er wird kämpfen müssen, es sei denn, er kniffe. Und wenn er kneifen sollte, so wird sich seine ganze Furchtlosigkeit als ein Bluff erweisen.
Mike Hathaway schiebt ihm wortlos das gefüllte Bierglas hin.
Johnny nimmt es und will trinken.
Doch da kracht der Schuss. Das Glas zerspringt in seiner Hand. Splitter und Bier fliegen ihm gegen das Gesicht und die Brust. Er lässt den Rest in seiner Hand fallen, stößt einen wilden Schrei aus und wirbelt herum.
Cal Carmody hält den Revolver auf ihn gerichtet und lacht.
»Du Hundesohn«, sagt Johnny Corbin etwas schrill. »Du ziehst einen Revolver, wenn ich dir halb den Rücken zudrehe. Versuche es doch einmal, wenn ich dich ansehe!«
»Das kannst du haben«, sagt Cal Carmody und lässt die Waffe auf eine wunderbar schnelle und leichte Art wieder im Holster verschwinden.
»Du kannst jeden Spaß mit mir haben«, spricht er nochmals. »Ich lasse dir sogar die Vorhand. Doch ich gehe jede Wette ein, dass du zu feige bist und kneifen wirst. Alle Corbins sind feige! Auch dein Bruder Bill griff erst nach der Waffe, als ich mich abwandte und glaubte, er würde nicht mehr ziehen. Ich kann euch Corbins nicht leiden. Ich konnte euch noch nie leiden. Doch ich wollte keine Kinder zum Kampf herausfordern. Ich musste warten, bis ihr erwachsen seid. Nun Johnny, du wirst hier in diesem Saloon kein Bier oder sonst was trinken. Geh raus! Hau ab!«
Er verstummt verächtlich. Und er steht wartend da, hat die Waffe, mit der er schoss, wieder im Holster. Sein blitzendes Lächeln ist eine böse Herausforderung.
Und Johnny Corbin weiß, dass er nur zwei Möglichkeiten hat.
Er kann kämpfen!
Oder er kann kneifen!
Er hat die Wahl.
✰
Nun ist es schon zwei Stunden vor Mitternacht. Johnny ist immer noch nicht zurück. Ann Corbin sitzt auf der Veranda des Hauses im Dunkeln und wartet.
Wie oft in ihrem Leben hat sie schon so warten müssen auf irgendwelche ungewissen Dinge.
Ihre Gedanken werden unterbrochen, denn nun hört sie drei Pferde kommen. Oh, sie vermag gut zu erkennen, dass da ein Reiter mit zwei Packpferden kommt.
Es kann nur Johnny sein.
Wenn er gesund ist – wenn er gesund heimkommt, du lieber Vater im Himmel, dann danke ich dir, so denkt sie heiß.
Als sie sich erheben will, sind ihre Beine seltsam taub und können sie nicht tragen. Sie weiß, dass es die Furcht ist. Und so bleibt sie sitzen und wartet.
Denn wenn es Johnny ist, so muss er mit den beiden Packtieren bis vor das Haus kommen, um die Lasten nicht so weit tragen zu müssen.
Es ist Johnny. Sie erkennt ihn nun an seiner Silhouette, die sich gegen den Arizona-Sternenhimmel abhebt.
Doch sie erkennt auch, dass er schlaff und zusammengesunken im Sattel sitzt, müde und gar nicht so geschmeidig und prächtig wie sonst. Denn selbst nach einem langen Ritt bietet Johnny im Sattel eines Pferdes immer noch einen prächtigen Anblick.
Dann hält er an. Und sie hört sein Seufzen. Als sie aus der Dunkelheit der überdachten Veranda zu ihm spricht, zuckt er zusammen.
Sie fragt: »Bist du in Ordnung, Junge?«
»Ich bin gesund, wenn du das meinst, Mom«, erwidert er heiser. »Äußerlich bin ich unverletzt«, setzt er hinzu.
Er rutscht langsam vom Pferd und lehnt sich dann gegen das Tier, als gäbe ihm dessen Körper einen Halt wie ein Freund, an den man sich anlehnen kann.
Ann Corbin kommt die drei Verandastufen herunter und tritt vor den Sohn. »Johnny, was ist geschehen? Sag es mir! Sag es deiner Mutter, mein Junge.«
Er erwidert nicht sogleich etwas. Doch dann nimmt er ihre Hand und sagt: »Komm, Mom! Komm mit zu Bill! Bill liegt gewiss wach und wartet auf meine Rückkehr. Er soll es von mir erfahren! Er soll es mit dir zugleich erfahren, Mutter!«
Und er zieht sie an der Hand hinter sich her die Stufen zur Veranda hinauf und ins Haus hinein.
In Bills Kammer brennt eine Lampe. Bill sitzt wach im Bett und hat fiebrige Augen.
»Hoi, Johnny, du stehst gesund vor mir! Du hast es geschafft! Du hast ihnen gezeigt, was ein Corbin ist! Oder hat Cal Carmody gar nicht im Saloon auf dich gewartet und gab es keinen Kampf?«
Bei seiner Doppelfrage fliegt es wie ein Schatten über sein Gesicht. Er hat richtige Angst, dass es keinen Kampf gegeben haben könnte.
Johnny lässt die Hand der Mutter los und tritt ans Fußende von Bills Bett. Er schluckt würgend. Dann sagt er spröde: »Cal Carmody und der Revolvermann dieser Sippe, Bat Halleran, waren da. Doch Halleran spielte Billard und war wohl nur da, um Cal den Rücken zu decken, sollte sich dies als notwendig erweisen. Es war nicht notwendig! Cal schoss mir das Bierglas in Stücke, als ich trinken wollte. Und dann sagte ich ihm, dass er hinter meinem Rücken die Waffe gezogen hätte und dies nicht versuchen würde, wenn ich ihn ansehe. Da steckte er die Waffe fort und wartete. Er verhöhnte mich. Er beschimpfte uns Corbins und sagte immer wieder, dass ich endlich ziehen solle.«
Johnny Corbin verstummte nach diesen Worten. Er hat die Kugeln auf Bills Bettpfosten umklammert, und eine der Kugeln bricht nun ab, so sehr knetete und riss Johnny daran.
»Was war dann? Hast du ihn getötet?« Bill fragt es schrill.