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Das harte Leben im Westen hat Alan Gannon schon als Kind gezeichnet. Und auf rauen Wegen ist er dann zum Mann gereift. Er hat es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, stets den Kleinen und Schwachen gegen die Herrschsucht und Unduldsamkeit der Mächtigen zu helfen: mit schnellem Colt und heißem Blei! Immer wieder führt ihn sein Trail dorthin, wo Siedler Hilfe brauchen. Überall muss Alan kämpfen ‑ und töten! Bis die Toten ihm in seinen Träumen erscheinen, die Schatten der Vergangenheit immer mächtiger werden und Alan selbst zu einem einsamen Wolf wird ...
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Wer einsam reitet
Vorschau
Impressum
Wer einsam reitet
Das harte Leben im Westen hat Alan Gannon schon als Kind gezeichnet. Und auf rauen Wegen ist er dann zum Mann gereift. Er hat es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, stets den Kleinen und Schwachen gegen die Herrschsucht und Unduldsamkeit der Mächtigen zu helfen: mit schnellem Colt und heißem Blei! Immer wieder führt ihn sein Trail dorthin, wo Siedler Hilfe brauchen. Überall muss Alan kämpfen – und töten! Bis die Toten ihm in seinen Träumen erscheinen, die Schatten der Vergangenheit immer mächtiger werden und Alan selbst zu einem einsamen Wolf wird ...
Der Fremde, der aus der Postkutsche steigt, ist blass und schrecklich mager. Seine abgetragene Weidekleidung schlottert um seinen Körper.
Der Fremde hebt langsam die Hand und fährt sich damit übers Gesicht, so als wollte er etwas fortwischen. Dann beginnt er zu schwanken. Er fällt auf die Knie, bevor jemand zu ihm treten und ihn stützen kann. Und dann legt er sich langsam auf die Seite.
Die drei Männer, die die Postkutsche erwarteten, betrachten ihn. Der Marshal kniet nieder und untersucht ihn kurz. Er öffnet auch die Jacke und das Hemd des Mannes und erkennt darunter einen blutdurchtränkten Verband.
»Er ist verwundet, bewusstlos und krank«, sagt der Marshal kniend nach oben. »Wir müssen ihn in ein Bett legen und den Doc holen. Dies ist ein verwundeter, kranker, erschöpfter und halb verhungerter Mann!«
Joe Powder, der Hotelbesitzer und Posthalter des kleinen Städtchens Smoky Day, und Abe Bissel, der Besitzer des Generalstore, stehen bewegungslos da und blicken auf den Bewusstlosen nieder.
Sie betrachten ihn auf eine unpersönliche Art, und es liegt etwas von Mitleidlosigkeit darin. Es etwa so, als würde ihnen jemand zumuten, ein krankes Pferd zu kaufen und durchzufüttern.
Der Hotelmann sagt schließlich widerwillig: »Sehen Sie nach, Bart, ob er Geld oder Wertsachen in den Taschen hat.«
Der Marshal gehorcht, denn schließlich ist Joe Powder der Vorsitzende des Bürgerrates. Der Marshal findet nichts anderes als einen leeren Tabaksbeutel und eine alte Pfeife, ein altes Klappmesser und einen abgebrochenen Kamm.
»Kein Geld«, sagt er. »Der ist krank und abgebrannt! Und er braucht einen Arzt, ein Bett und Nahrung!«
Nach dieser Feststellung wartet er ab.
Joe Powder nickt schließlich. »Nun gut«, sagt er. »Er bekommt von mir ein kräftiges Essen, sobald er wach ist. Und dann muss er unsere Stadt wieder verlassen. Nach unseren Stadtgesetzen ist mittellosen Tramps, die keiner Arbeit nachgehen, der Aufenthalt in der Stadt verboten. Weisen Sie ihn aus, Marshal, wenn er ...«
»Der wird erst in drei Tagen wach, und dann wird er nicht gehen können«, brummt Barton Dale. Er wirkt sehr stur, sehr gleichgültig und gefühllos. »Wir könnten ihn ebenso gut jetzt schon aus der Stadt tragen, ihn in ein Gebüsch legen und dort umkommen lassen«, sagt er nach einer kurzen Pause noch unpersönlicher und gleichgültiger. Und dennoch ist für ein feines Ohr ein Klang von Bitterkeit und Verachtung in seiner Stimme zu hören.
Die beiden Männer der Stadt betrachten ihn einen Moment misstrauisch.
Dann starren sie auf den Bewusstlosen.
Eine Frau kommt herbei. Sie trägt einen weiten Umhang und einen Einkaufskorb. Sie ist jung, blond und ansehnlich. Ja, sie ist hübsch und begehrenswert, mit braunen Augen und einem roten Mund. Die Männer greifen an ihre Hüte, und jeder von ihnen betrachtet das Mädchen Jessie Kelley auf seine eigene Art.
Sie aber kniet bereits nieder, untersucht den Bewusstlosen, erhebt sich schnell und sagt: »Zum Teufel mit euch Männern! Ich dachte, der arme Bursche hier wäre betrunken. Doch er ist krank! Zum Teufel mit euch! Sicherlich hat der Mann kein Geld und ihr kennt ihn nicht! Und da steht ihr da und überlegt, wie ihr ihn loswerden könnt. Ich will euch die Entscheidung abnehmen! Bringt ihn zu mir! Bart, helfen Sie mir! Wie kann man bei diesem Wetter einen kranken Mann mitten auf der Straße liegen lassen! Vorwärts, Männer!«
Ihre Stimme klingt etwas kehlig, doch energisch und voller Zorn.
Der Marshal bückt sich und nimmt den Fremden wie ein Kind auf die Arme. Er folgt dem Mädchen schweigend.
✰
Auf Jessie Kelleys Geheiß legt der Marshal den Bewusstlosen auf das Bett des Mädchens. Dann blickte er sich um. Er hat sich schon immer gefragt, wie es wohl in Jessie Kelleys Schlafzimmer aussehen mag.
Nun sieht er es, und er schluckt einmal mühsam, so als müsste er etwas herunterwürgen.
Dann sieht er eine volle Minute lang zu, wie sich das Mädchen um den Bewusstlosen müht. Er bewegt sich nicht. Er steht nur da, reglos, sehr breit und stark.
Als Jessie dem Bewusstlosen die Stiefel auszieht, fragt der Marshal schwerfällig: »Kennst du ihn, Jessie? Ist er dir vielleicht gar kein Fremder? Oder warum darf er sonst hier in deinem Zimmer auf deinem Bett liegen?«
Sie blickt ihn über ihre gerade Schulter hinweg einige Sekunden lang an.
»Bart, er ist krank und braucht Hilfe«, sagt sie. »Und ich bin noch nicht so hart wie die meisten Männer in dieser Stadt und in diesem Land. Ich glaube noch daran, dass die Menschen einander helfen müssen, dass auch ein Fremder Anspruch auf Hilfe und ...«
»Vielleicht ist er ein entflohener Verbrecher«, murmelt der Marshal und beugt sich vor. »Das ist eine Kugelwunde, und sie hat sich wieder entzündet, ist aufgebrochen und eitert schlimm. Vielleicht ist dieser Mann auf der Flucht, und er wird dir Unannehmlichkeiten ...«
»Hol den Doc«, unterbricht sie ihn. »Dieser Mann lag krank am Boden, und es ist ein schlimmer Tag für einen Kranken, kalt, nass und unfreundlich. Bart, ich bin eine Frau. Und ich bin zufrieden darüber, dass ich keinen Kranken am Boden liegen sehen kann, sondern ihm helfen muss. Ich freue mich darüber, dass ich in dieser elenden Stadt und in diesem üblen Land noch so fühlen kann. Hol den Doc!«
»Sicher, sicher, Jessie«, murmelt er, und er starrt noch zwei Sekunden auf ihren geraden Rücken.
Er geht zur Tür und murmelt von dort: »Jessie, auf mich kannst du immer zählen – immer!«
Aber sie hört es gar nicht richtig. Sie ist sehr mit dem Kranken beschäftigt.
✰
Es ist drei Tage später, und es ist der 23. März 1875, als Alan Gannon zur Besinnung kommt. Er liegt ganz still, und er spürt den hämmernden und stechend ziehenden Schmerz der entzündeten Wunde.
Aber er lebt, und das kommt ihm etwas unwirklich vor. Auch als sein Blick klar genug ist und sein Verstand wieder richtig zu arbeiten beginnt, als die Erinnerung wieder ganz und gar vorhanden ist, kommt ihm noch eine ganze Menge unwirklich vor.
Er begreift, dass er im Schlafzimmer einer Frau liegt. Er erkennt das an vielen Dingen.
Und er wundert sich. Er wird sich darüber klar, dass dies kein Hotelzimmer ist, in dem ihn die Stadtbehörden untergebracht haben, weil auch ein mittelloser Tramp ein Anrecht auf Hilfe und Barmherzigkeit hat, wenn er krank und hilflos am Boden liegt.
Alan Gannon verspürt eine leise Neugierde. Und dann spürt er außer dieser Neugierde und dem Schmerz seiner Wunde noch etwas: Hunger!
Er will sich aufsetzen, doch er schafft es nicht. Er fühlt sich zu schwach, und seine Wunde beginnt schlimmer zu schmerzen.
Dann aber hört er im Nebenzimmer die Stimmen einiger Frauen.
Worte wie: »Meinen Sie denn, Jessie, dass der Ausschnitt auch nicht zu gewagt ist?« oder: »Diese Spitze muss aber richtig zur Geltung kommen, denn sie ist teurer als der ganze Stoff.«
Alan Gannon hört das alles. Und er hört dann auch eine andere Frauenstimme, etwas zu dunkel für eine Frauenstimme, doch irgendwie wunderbar melodisch und angenehm anzuhören.
Alan Gannon schließt die Augen. Er denkt an seinen letzten Kampf. Er denkt daran, wie er blutend aus jener wilden Stadt ritt, einsam und ohne Hoffnung, voll Bitterkeit und freudlos.
Er denkt an seinen Weg, diesen harten, schlimmen und einsamen Weg, ohne Hilfe, ohne Freunde – ganz allein!
Er hatte zuvor den letzten Glauben an diese Welt verloren.
Dann denkt er an die Fahrt in der Kutsche.
Wo bin ich hier?, fragt er sich.
Er hört im anderen Zimmer ein Glöckchen bimmeln, und er begreift, dass es ein Ladenglöckchen ist. Schritte nähern sich der Tür. Sie wird geöffnet. Und aus schmalen Augen betrachtet Alan Gannon das eintretende Mädchen. Er weiß sofort, dass sie es ist, die jene dunkle, kehlige und so melodische Stimme hat.
Sie tritt an sein Bett und lächelt auf ihn nieder. Es ist ein warmes, frauliches Lächeln. Nein, sie ist kein junges Mädchen mehr. Sie ist bestimmt nicht jünger als fünfundzwanzig.
»Nun, geht es jetzt etwas besser?«, fragt sie. Dann beugt sie sich nieder und legt leicht ihre Fingerspitzen auf seine aufgesprungenen Lippen.
»Nein! Noch nicht sprechen! Erst bekommen Sie eine kräftige Hühnersuppe!«
Sie blickt noch einmal auf ihn nieder, und sie wirkt sehr warmherzig und mitleidig. Alan Gannon erwidert diesen Blick mit ausdrucksloser Ruhe, und er murmelt nur flach und tonlos: »Sie machen sich viel Mühe mit mir, Madam. Das kann ich Ihnen nicht ...«
Sie ist bereits hinaus, und nun wird er sich darüber klar, dass seine Stimme viel zu leise und undeutlich erklang. Ihr leiser Schritt und das Rascheln ihrer Röcke waren laut genug, um diese leise und flache Stimme zu übertönen.
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Dann ist die junge Frau wieder bei ihm am Bett. Er spürt plötzlich ihre Nähe und erwacht aus einem Halbschlaf.
Sie setzt ihn etwas auf und schiebt ihm ein zweites Kissen hinter den Rücken. Er erkennt, dass er selbst essen könnte, doch da hält sie ihm auch schon den gefüllten Löffel an die Lippen.
Die Suppe tut ihm gut. Er schläft danach sofort ein.
Als er wieder erwacht, fühlt er sich sehr viel besser.
Die junge Frau kommt herein, und nun trägt sie Speisen auf einem Tablett. Sie lächelt warm und gut auf den Mann im Bett nieder, setzt ihn auf und stellt ihm das Tablett mit den prächtig duftenden Speisen auf die Oberschenkel.
»Ist es richtig so?«, fragt sie. »Oder soll ich Sie wieder füttern?«
Er blickt sie an.
»Ich frage mich, warum Sie das für mich tun«, murmelt er.
»Sie lagen krank und bewusstlos im Regen«, erwidert sie schlicht, und damit hat sie wohl auch schon alles erklärt und gesagt.
Er beginnt zu essen. Das Steak ist zart, und sie hat es zuvor schon in Stücke geschnitten. Sie muss über sein baldiges Erwachen genau informiert gewesen sein, sodass sie bald danach das Essen bereit hatte.
Zum Steak gibt es Stampfkartoffeln und Apfelmus. Zwischendurch trinkt er Milch. Es ist ein gutes Essen für einen halb verhungerten Mann.
Als Alan Gannon fertig ist, fühlt er sich wieder sehr müde und erschöpft.
Er legt sich zurück und sagt: »Wenn Sie mir jetzt meine Kleidung bringen würden, Madam, dann könnte ich aufstehen. Ich möchte Ihnen wirklich nicht mehr zur Last fallen. Sie haben ohnehin schon mehr für mich getan, als ich jemals wieder ...«
»Mein Name ist Jessie Kelley«, unterbricht sie ihn ruhig. »Und ich weiß genau, dass ein Cowboy manchmal eine Pechsträhne erwischt. Sie sind doch ein Cowboy? Oder sind das keine Lassonarben auf Ihrem Handrücken?«
»Mein Name ist Alan Morgan«, erwiderte Alan Gannon, und sonst sagt er nichts. Er beantwortet die Frage nicht, ob er ein Cowboy sei. »Ich möchte aufstehen«, sagt er nochmals.
»Sie brauchen noch einige Stunden«, erwidert sie ruhig. »Schlafen Sie, Mister Alan Morgan. Wenn Sie aufwachen, werden Ihre Kleidungsstücke dort auf diesem Stuhl liegen.«
Nach diesen Worten nimmt sie das Tablett und geht zur Tür. Dort hält sie inne, wendet sich halb ins Zimmer zurück und sagt ruhig: »Jetzt weiß ich es, Mister, Sie sind ein einsamer Wolf, und Sie lassen sich nichts schenken. Es bedrückt Sie, hier Hilfe annehmen zu müssen. Sie gehören zu der Sorte, die niemals um etwas bittet und lieber stirbt. Sie gehören zu jenen Enttäuschten, die den Glauben an die Welt verloren haben. Ich weiß das seit gestern, denn Sie redeten im Fiebertraum. Mister, ich kenne Sie schon besser, als Sie glauben. Und ich sage Ihnen: Seien Sie nicht so verteufelt stolz, Mann! Hören Sie endlich auf damit, sich zu schämen, dass Sie hilflos sind. Und hören Sie auch endlich damit auf, sich zu wundern, dass Ihnen jemand hilft, ohne dass er sich einen Vorteil davon verspricht. Mister, wenn es Sie beruhigt, dann können Sie meine Hilfe damit bezahlen, dass Sie, wenn es Ihnen besser geht, einem anderen armen Teufel helfen. Und nun schlafen Sie! Und hören Sie damit auf, sich zu schämen, hilflos zu sein. Das kann jedem Menschen mal passieren, auch dem Stolzesten, dem Stärksten, dem Größten! Und das sind Sie sicherlich nun auch nicht.«
»Nein«, sagt er müde und schläft vor Erschöpfung ein.
Sie betrachtet ihn von der Tür her nachdenklich. Dann geht sie hinaus.
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Diesmal schläft er sechs Stunden. Es ist Abend, als er erwacht, doch im Zimmer ist es noch hell genug, sodass er seine gewaschenen Kleidungsstücke auf dem Stuhl erblicken kann. Alles ist gesäubert und geflickt. Seine Socken sind gestopft, und die Stiefel sind geputzt.
Er kleidet sich an, und die langen Ruhetage und das Essen haben ihm Kraft gegeben. Die Wunde ist wieder sauber und geschlossen. Er spürt nur ein feines Ziehen. Sein Verband wurde gegen ein Pflaster vertauscht. Also musste ihn der Arzt wieder behandelt haben, indes er schlief.
Als er angekleidet ist, muss er sich auf den Bettrand setzen und ausruhen.
Dann erhebt er sich wieder und zieht sich noch seine Jacke an. Er verlässt das Zimmer und gelangt in einen Schneiderladen für Frauen- und Kinderkleidung.
»Hallo, Miss Kelley!«, ruft er. Er geht zur Ladentür, doch die erweist sich als verschlossen. Er kehrt zurück und öffnet eine andere Tür neben dem Schlafzimmer. Er tritt in eine kleine Küche, und hier brennt eine Lampe.
Der Küchentisch ist gedeckt. Ein reichliches kaltes Abendbrot ist bereit. Und ein Zettel lehnt an der Kaffeetasse. Er nimmt ihn und liest
»Mister Alan Morgan! Ich liefere ein Hochzeitskleid ab, zehn Meilen südlich der Stadt, und bleibe auch zur Hochzeit dort. Das Abendbrot ist für Sie bestimmt. Bitte, lassen Sie es nicht verderben. Viel Glück, Cowboy! Jessie Kelley.«
Er liest den Brief, und er ist sich nicht sicher, ob sie tatsächlich unterwegs ist, um ein Hochzeitskleid abzuliefern und zur Hochzeit zu bleiben. Er hat den Verdacht, dass sie außer Haus gegangen ist, damit er sich bei ihr nicht zu bedanken braucht.
Er blickt auf das Abendbrot. Es besteht aus einem Salat, verschiedenen Wurstsorten und selbst gebackenem Brot. Butter und Käse sind ebenfalls da.
Wieder begreift er etwas. Dieses Mädchen, welches hier als Schneiderin für sich sorgt, lebt sonst bestimmt nicht so üppig. Sie hat gewiss all diese Dinge für ihn eingekauft. Er soll sich noch einmal an guten Dingen richtig satt essen.
Er stöhnt vor Beschämung.
Aber er begreift, dass er sie beleidigen würde und dass verschiedene Dinge wahrscheinlich verderben würden, wenn sie nicht gegessen werden.
Er tritt an den Herd. Und der Kaffeetopf ist voll und heiß.
Als er fertig ist, erhebt er sich und sucht nach einem Bleistift. Er öffnet eine Schublade, und da erblickt er in einer offenen Schachtel etwas Geld. Es ist nicht viel, vielleicht dreißig Dollar, und vielleicht ist es Wechselgeld oder der Verdienst dieser Woche oder das Wirtschaftsgeld für diesen Monat, vielleicht auch die Miete. Nun, es gibt viele Möglichkeiten.
Und für Alan Gannon bedeutet dieses Geld einige Möglichkeiten.
In diesem Land könnte er für zwanzig Dollar schon ein Pferd bekommen, kein gutes zwar, aber doch eines, welches ihn jeden Tag zwanzig Meilen weit tragen könnte.
Und dann besäße er immer noch zehn Dollar.
Alan Gannon starrt auf das Geld.
Dann schiebt er die Schublade wieder zu. Und er sucht nicht länger nach einem Bleistift. Er verlässt das kleine Haus durch die Hintertür.
Er schließt ab und hängt den Schlüssel an einen Haken neben der Tür, den er nach kurzem Tasten findet.
Dann geht er langsam davon. Wenig später tritt er aus einer schmalen Gasse hervor und steigt auf den Plankengehsteig der Hauptstraße. Es regnet längst nicht mehr. Ein kalter Wind trocknete während der letzten Tage den Schlamm. Und dieser kalte Wind lässt den Mann nun erschauern und frösteln.
Er erreicht den Saloon. Es ist der einzige Saloon der Stadt. Einige Sattelpferde sind an den Haltestangen festgebunden. Die meisten Pferde tragen das gleiche Brandzeichen. Es sind fünf Sterne, die im Halbkreis über einer geraden Linie angeordnet sind.
»Das ist der Starbow-Brand«, sagt eine Stimme hinter Alan Gannon.
Er blickt sich um, und nun sieht er den Marshal von Smoky Day zum ersten Mal bewusst. Damals, am Tag seiner Ankunft, da sah er alle Dinge nur noch sehr undeutlich und verschwommen.
Der Marshal steht an der Ecke des Saloons. Er trägt seinen schwarzen Stetson ohne jeden Kniff, und auch die Krempe ist nicht verbogen. So wirkt schon der Hut des Mannes starr, steif, unnachgiebig, eigenwillig, eben ganz anders als üblich.
Alan Gannon tritt näher heran. »Ich suche Arbeit«, sagt er. »Sitzt dort drinnen im Saloon vielleicht ein Rancher oder ein Vormann, der Arbeitskräfte einstellt, ganz gleich, für welche Arbeit? Ich würde ...«
»Verlassen Sie diese Stadt!«, unterbricht ihn der Marshal hart. »Wir dulden hier keine Tramps! Wenn Sie in zehn Minuten noch in der Stadt sind, dann werde ich ziemlich rau mit Ihnen umgehen, Fremder.«
Er tritt dicht an Alan Gannon heran. Er ist kleiner als dieser, doch sehr viel breiter und darum schwerer. Selbst wenn Alan sein volles und normales Körpergewicht haben würde, der Marshal wäre schwerer.
Und er sagt Alan ins Gesicht hinein, indem er den Kopf in den Nacken legt: »Es ist verteufelt traurig, wenn sich ein Mann von einem Mädel, welches sich in diesem Land ihr Auskommen mühsam und schwer verdienen muss, aushalten lässt. Zum Teufel mit Ihnen!«
Alan Gannon tritt langsam zurück.
Die Schwingtür des Saloons wird aufgestoßen. Einige Männer treten heraus. Es sind sporenklingelnde Burschen, die sehr selbstbewusst und sogar etwas großspurig auftreten.
Der Marshal betrachtet sie wortlos und – wie es scheint – mit einer Art verdrossenem und brütendem Schweigen.
Die Männer werfen ihm und Gannon scharfe Blicke zu. Dann gehen sie zu den Pferden, sitzen auf und reiten davon. Sie nahmen sich die Pferde mit dem Starbow-Brand. Ihr Hufschlag verklingt bald vor der Stadt. Alan Gannon sah selten eine so hartbeinige und raue Mannschaft. Er konnte die Härte und die Mitleidlosigkeit dieser Mannschaft wittern. Sie war wie ein Geruch vorhanden, und sie wurde ausgedrückt durch die schweigsame Arroganz, das Klingeln der Sporen, die Großspurigkeit der Bewegungen, durch eine herausfordernd wirkende Lässigkeit.
Der Marshal neben Alan atmet langsam aus. Und dann sagt er: »In zehn Minuten sind Sie aus der Stadt, Tramp!«
Damit geht er weiter.
Alan aber tritt vor die Schwingtür des Saloons und späht darüber hinweg hinein. Es ist ein großer Saloon mit zwei Billardtischen, einer langen Bar, einem Podium, auf dem ein Klavier steht, Spieltischen und einigen Nebenräumen. Einige Frachtfahrer sitzen beisammen. Einige Fremde sind da und dort einsam an Tischen verteilt. Zwei Männer stehen am langen Schanktisch.
Alan Gannon tritt ein.
Der Mann hinter dem Schanktisch trägt die deutlichen Zeichen eines Preiskämpfers an sich. Sein Gesicht ist zerschlagen und voller Narben, die nicht immer gut verheilten. Denn man boxt ja noch nicht mit Handschuhen. Alle Preiskämpfe, die in den großen Städten im Osten und an der Küste ausgetragen werden, trägt man mit den bloßen Fäusten aus.
Der ehemalige Preiskämpfer hinter der Bar – sicherlich hat er sich von seinen Ersparnissen diesen Saloon gebaut oder gekauft – blickt Alan mit kühlem Interesse entgegen.