G. F. Unger 2164 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2164 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Am Bahnsteig der einst so wilden Treibherdenstadt hält Jim Overland an und blickt noch einmal zurück. Ein ernster und etwas bitterer Stolz erfüllt ihn.
Ja, da liegt die Stadt Rainbow in der Mittagssonne. Es ist jetzt eine gute Stadt. Von all den tausend Lastern, Sünden und Gewalttätigkeiten ist nichts mehr vorhanden.
Jim Overland hat sie gezähmt und gebändigt.
Einige Männer haben sich um ihn versammelt. Der Vorsitzende des Stadtrats räuspert sich und sagt dann fast bittend: »Jim, Sie sollten nicht fortgehen von uns. Gewiss, wir haben Sie damals als Revolver-Marshal angeworben und wir hielten Sie für eine Art Tiger, den wir auf die vielen anderen Tiger losließen, die unsere Stadt in eine Hölle verwandelten. Aber Sie waren von Anfang an ein sehr verantwortungsbewusster Mann, dessen Bestreben auf Schonung und Duldung gerichtet war, wo immer es ging. Und wir begriffen sehr bald, welche Überwindung es Sie kostete, immer wieder zur Waffe greifen zu müssen, um uns Schutz zu geben und die wilde Stadt zu befrieden ...«


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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Entscheidung in Gulch City

Vorschau

Impressum

Entscheidung in Gulch City

Am Bahnsteig der einst so wilden Treibherdenstadt hält Jim Overland an und blickt noch einmal zurück. Ein ernster und etwas bitterer Stolz erfüllt ihn.

Ja, da liegt die Stadt Rainbow in der Mittagssonne. Es ist jetzt eine gute Stadt. Von all den tausend Lastern, Sünden und Gewalttätigkeiten ist nichts mehr vorhanden.

Jim Overland hat sie gezähmt und gebändigt.

Einige Männer haben sich um ihn versammelt. Der Vorsitzende des Stadtrats räuspert sich und sagt dann fast bittend: »Jim, Sie sollten nicht fortgehen von uns. Gewiss, wir haben Sie damals als Revolver-Marshal angeworben und wir hielten Sie für eine Art Tiger, den wir auf die vielen anderen Tiger losließen, die unsere Stadt in eine Hölle verwandelten. Aber Sie waren von Anfang an ein sehr verantwortungsbewusster Mann, dessen Bestreben auf Schonung und Duldung gerichtet war, wo immer es ging. Und wir begriffen sehr bald, welche Überwindung es Sie kostete, immer wieder zur Waffe greifen zu müssen, um uns Schutz zu geben und die wilde Stadt zu befrieden ...«

Der Bürgermeister schluckt ein paar Mal, dann fährt er fort: »Jim, wir haben Sie oft kämpfen gesehen. Und einmal krochen Sie blutend und schon halb tot durch den Staub. Sie kämpften fast allein gegen die wilde Meute, die diese Stadt beherrschte und sie zu einem Sodom machen wollte. Und wir haben uns in unseren Häusern verkrochen, waren feige und furchtsam. Wir ließen Sie einen einsamen und bitteren Kampf kämpfen. Aaah, wir dachten, dass dies Ihre Pflicht wäre, weil wir Ihnen einen hohen Revolverlohn zahlten. Und dann haben Sie die ganze Stadt beschämt, Jim Overland. Ja, wir wissen jetzt, dass Sie aus Rechtlichkeit und innerer Überzeugung unsere Stadt bändigten. Und gestern erfuhren wir, dass Sie der Mann sind, der für unsere Gemeinde die Kirchenglocke und die Turmuhr spendete, das bedeutet, dass Sie keinen Cent Lohn angenommen haben, sondern dieser Stadt auch noch ein nobles Geschenk machten – dieser Stadt, die so feige war und in der Sie so einsam waren. Sie haben uns nun zum zweiten Mal beschämt. Jim Overland, ich spreche im Namen aller Bürger von Rainbow! Bleiben Sie hier! Bleiben Sie unser Marshal! Denn diese Stadt ist schon seit einiger Zeit sehr stolz auf Sie. Bleiben Sie auch in friedlichen Zeiten bei uns. Jim, diese Stadt will Ihnen ein Haus bauen. Wir achten Sie, wir haben Sie gern. Wir möchten nicht, dass Sie uns verlassen. Bleiben Sie, Jim Overland!«

Er verstummt beschwörend, und er ist erregt von seiner Rede. Alle anderen Männer des Stadtrates sind erregt. Das sieht man ihnen an.

Nur Jim Overland wirkt sehr ruhig. Er ist ein sehr großer und etwas hager wirkender Mann, mit einem dunklen und hageren Gesicht. Seine braunen Augen haben einen stillen und ernsten Ausdruck.

Jetzt kommt sein Blick wie aus weiter Ferne zurück und richtet sich auf die Männer. Der Anflug eines Lächelns verändert seinen hartlippigen Mund und erzeugt in den Augenwinkeln einige Fältchen. Er schiebt den hellgrauen Stetson aus der Stirn, und nun kann man seine fast weiße Haarsträhne erkennen, die zu seinem sonst so dunklen Haar einen deutlichen Kontrast bildet.

Er spricht dann mit ruhiger Stimme:

»Ich gehe nicht gern, denn ich liebe diese Stadt. Vielleicht sollte ich bleiben. Aber meine Heimat ist nicht hier. Ich habe als junger Bursche nicht viel getaugt, gar nichts! Manchmal rief mein Vater in seiner Verzweiflung den Himmel an und fragte, womit er sich einen so missratenen Sohn verdient hätte. Und eines Tages hatte er genug von mir und jagte mich davon. Er sagte mir, dass ich nicht früher heimkommen solle, als bis ich endlich einmal etwas vollbracht hätte, auf das auch er stolz sein könnte. Und nun glaube ich, dass ich heimkehren und meinem Vater ins Auge sehen kann. Das will ich jetzt tun.«

Nach diesen Worten beugt er sich nieder, nimmt die Tasche auf und wendet sich ab. Er geht mit langen und geschmeidigen Schritten zum wartenden Zug hinüber und verschwindet in dem einzigen Personenwagen.

Dann fährt der Zug an und lässt die Treibherdenstadt Rainbow hinter sich zurück.

Die Männer des Stadtrates blicken dem sich entfernenden Zug nach. Dann wenden sie sich um und wollen zur Stadt zurück.

Da sehen sie eine Frau herbeieilen. Sie kommt schnell und mit schwingenden Röcken. Sie trägt ein grünes Kleid, zu dem ihr rotes Haar einen wundervollen Kontrast bildet. Sie ist groß, reif und begehrenswert.

Und sie fragt mit ihrer dunklen Stimme zornig: »Warum habt ihr ihn fortgelassen? Zum Teufel, warum habt ihr den Mann fortgelassen, der für diese Stadt einen so einsamen und bitteren Weg ging?«

»Er wollte heim«, sagt der Schmied. »Und einen Mann, der heim will und der jetzt glaubt, seinem Vater in die Augen sehen zu können, solch einen Mann kann und soll man nicht aufhalten.«

Die Frau senkt den Kopf und denkt einige Sekunden lang nach. Die Männer beobachten sie, und sie erkennen jetzt deutlich, was diese Stadt bisher nur ahnte. Sie erkennen es an den beiden Tränen, die über Jane Bakers Wangen rollen. Sie wischt diese Tränen nicht einmal ab.

»Das ist es also«, sagt sie langsam.

Dann blickt sie einen Mann an und sagt: »Mister Traft. Sie wollten damals, als ich Witwe wurde, meinen Saloon kaufen. Sind Sie immer noch interessiert?«

»Mein Angebot gilt immer noch«, sagt einer der Männer.

»Dann verkaufe ich Ihnen den Saloon und verlasse mit dem nächsten Zug die Stadt«, erwidert sie ruhig und fest.

Jim Overland fährt genau dreiundzwanzig Stunden mit dem Zug nach Westen und verlässt ihn in der kleinen Mormonenstadt in Utah. Dann beginnt eine endlose, lange Reise in Postkutschen, die fünf Tage und vier Nächte dauert.

Bei Anbruch der fünften Nacht rollt die Postkutsche in eine kleine Stadt und hält vor einem verwitterten Hotel. Der Fahrer ruft vom hohen Bock nieder: »Hier endet die Linie! Hier ist Sagebee!«

Es ist eine warme Nacht. Vor dem Sagebee Saloon stehen Sattelpferde. Der große General Store und einige andere Geschäfte sind noch erleuchtet und geöffnet.

Aus dem Saloon klingen die Stimme einer Frau und das Klimpern einer Gitarre. Da und dort bewegen sich Fußgänger auf den Plankengehsteigen.

Einer dieser Fußgänger nähert sich Jim Overland und hält bei ihm an.

»Bleiben Sie in der Stadt, Fremder?«, fragt eine ruhige Stimme mit betonter Sanftheit.

Jim Overland wendet den Kopf und blickt den Frager von der Seite her an.

Oh, er kennt Tom Randell gut. Dieser Mann war schon vor zehn Jahren Marshal von Sagebee. Und einmal hat er Jim Overland schrecklich verprügelt und dann fünf Tage in eine Zelle gesperrt. Jim kann sich gut daran erinnern.

»Tom«, sagt er, »ich bin kein Fremder. Wir sind alte Bekannte.«

Der Marshal tritt sofort einen Schritt zur Seite. Jim wendet sich ihm zu, und er sieht, dass Tom Randell noch schwerer und massiger geworden ist. Seinen Colt trägt Tom Randell immer noch auf die alte Art: einfach im Hosenbund.

Im Halbdunkel betrachten sie sich. Das dauert eine volle Minute. Dann sagt Tom Randell noch ruhiger und sanfter: »Jim Overland?«

»Richtig!«

Und dann schweigen sie wieder eine Weile.

»Nun«, murmelt Tom Randell dann, »nun, ich erinnere mich, dass ich dich einmal verprügeln und einsperren musste, Jim. Und als ich dich später aus dem Gefängnis entließ, da sagtest du, dass du mir die Prügel eines Tages heimzahlen würdest.«

»Ich war ein wilder und verrückter Junge«, erwidert Jim langsam. »Die Prügel waren nötig. Ich weiß das jetzt. Ich habe dir damals ziemlich viel Schwierigkeiten und Ärger gemacht.«

»Nicht nur mir«, brummt Tom Randell. »Und warum bist du heimgekommen, Jim? Hat jemand dich gerufen?«

»Niemand«, sagt Jim. »Ich wollte heim, nichts anderes.«

»Dann setz dich schnell auf ein Pferd und reite heim. Vielleicht kommst du noch rechtzeitig, um von einem lebenden Big Jesse Overland Abschied nehmen zu können. Dein Vater ist sehr krank.«

Als er es gesagt hat, beobachtet er, wie Jim es aufnimmt.

Jim steht ruhig da und sagt: »Deshalb zog es mich wohl heim. Das also war die starke Kraft, die mich auf die Heimatweide trieb.«

Er wendet sich schnell ab und geht davon.

Auch der Weg zur Overland Ranch ist noch der gleiche wie vor zehn Jahren.

Jim reitet schnell und erreicht nach etwa sieben Meilen die Zollbrücke am Fluss. Der Little Colorado hat sich eine tiefe Rinne in den Boden gefressen, und diese Rinne kann nur hier überquert werden. Es ist die einzige Brücke weit und breit. Und sie gehört Broderick Webbs, der sie vor etwa fünfzehn Jahren von der Armee gekauft und zu einer Zollbrücke gemacht hat. Von diesem Brückenzoll lebt er und hält die Brücke in Ordnung.

Als Jim vor der Schranke sein Pferd verhält, ruft aus dem Fenster der nahen Hütte eine Stimme: »Wenn Sie hinüber wollen, dann müssen Sie einen halben Dollar in die Büchse werfen! Und ich kann genau hören, ob es ein Halbdollarstück oder ein Hosenknopf ist!«

Jim Overland erwidert nichts. Er reitet dicht an den Pfahl der Brückenschranke heran und wirft ein Geldstück in die Büchse. Dann geht die Schranke hoch. Jim weiß noch, dass sie gut ausgewogen ist und von ihr ein Draht in die Hütte führt. Broderick Webbs kann diesen Draht vom Bett aus anziehen und somit die Schranke öffnen, ohne aufstehen zu müssen. Solche Erfindungen, die der Bequemlichkeit dienen, dachte sich Broderick Webbs schon damals gern aus.

Jim reitet unter der schräg gen Himmel zeigenden Schranke hindurch über die Brücke.

Als der Hufschlag seines Pferdes dumpf auf den Bohlen dröhnt, vernimmt Jim einen anderen Hufschlag. Er hält unwillkürlich an und lauscht.

Nun kann er es besser hören.

Es ist ein Hufschlag einer starken und rau und verwegen reitenden Mannschaft. Dieser Hufschlag eilt den Reitern weit voraus, und er ist irgendwie drohend, warnend.

Nach der Brücke wird der Trail zu einem Hohlweg. Jim reitet weiter. Als dann die wild reitende Mannschaft dicht vor Jim ist, lenkt er sein Pferd scharf nach rechts, hält jedoch nicht an. Ein scharfer Schrei ertönt vor ihm.

»Hiiiiiiyeeeeeee! Platz da!«

Und dann kommt das raue und verwegen reitende Rudel den Weg heruntergedonnert. Ein großer Mann auf einem riesenhaften gelben Pferd reitet an der Spitze. Im Mondschein kann Jim alles gut erkennen.

Hinter diesem Anführer drängt sich das raue Rudel. Es sind mehr als ein Dutzend Reiter.

Dann ist der Riese auf dem löwengelben Pferd dicht vor Jim Overland.

Wieder tönt die scharfe Stimme: »Hiiiieeeh! Platz da!«

In Jim Overland ist plötzlich ein grimmiger Zorn auf diese rücksichtslos reitende Mannschaft.

Er und der Vorreiter begegnen sich nun. Und da erkennt er den Mann. Es ist Terz Beasley.

Jim Overland sieht zu spät, wie der Mann eine heftige Armbewegung macht.

Er kann dem Schlag mit der Reitpeitsche nicht ausweichen. Er bekommt das Leder quer durch das Gesicht, scharf und schmerzvoll.

»Platz da!«, brüllt die Stimme dazu. Dann ist Terz Beasley vorbei. Ihm folgt das raue Rudel.

Und nun bekommt Jim Overland einige Lassoenden und Bullpeitschen zu spüren. Sie treffen ihn und sein Pferd. Einer der Reiter prallt von der Seite gegen sie, und weil er mehr Wucht durch die größere Schnelligkeit hat, werden Jim und sein Tier hart gegen die Böschung des Hohlweges gestoßen.

»Yeah, Platz da, wenn wir reiten!«, gellt eine Stimme scharf aus dem Rudel. Und dann ist die raue Horde vorbei. Der Hufschlag dröhnt auf der Brücke, und die Schranke öffnet sich sofort.

Doch Jim achtet nicht darauf. Er ist von einem wilden Zorn erfüllt. Er möchte sein Pferd herumreißen, dem Rudel folgen und einen Kampf anfangen.

Aber da sieht er noch einen Nachzügler über die Bodenwelle kommen. Auch dieser Mann brüllt scharf: »Platz da!«

Und dann will er an Jim Overland vorbei.

Dessen jäher und wilder Zorn findet nun endlich eine Betätigung. Es ist ein Ausbruch wie eine Explosion. Denn als der Reiter an ihm vorbei will, schlägt er ihn mit einem wilden Hieb aus dem Sattel.

Und dann bringt er sein tanzendes Pferd zur Ruhe, sitzt ab und befühlt schnaufend die blutige Strieme auf seinem Gesicht.

Er spürt auch die Schmerzen all der anderen Schläge, doch die Strieme im Gesicht ist schlimmer. Sie brennt wie Feuer, und er wird dieses Zeichen gewiss viele Wochen im Gesicht haben.

Dann tritt er langsam auf den Mann zu, der noch am Boden liegt. Er lauscht auf den verklingenden Hufschlag, und als sich der Mann am Boden zu regen beginnt und leise stöhnt, bückt er sich nieder und reißt ihn hoch.

Der Mann beginnt nun schmerzvoll zu fluchen. Es ist ein großer, hagerer und sehniger Bursche, aber er ist noch sehr benommen.

Jim nimmt ihm den Revolver ab und wirft ihn fort. Dann wartet er. Und er braucht nicht lange zu warten.

Der harte Bursche erholt sich schnell. Er betrachtet Jim Overland und sagt dann: »Aha, sie haben dich auf eine ziemlich raue Art aus dem Weg gestoßen. Und weil ich zu ihnen gehöre, willst du es mir zurückzahlen. Nun gut!«

Nach diesen Worten greift er an, ein harter, unduldsamer und stolzer Bursche, der begriffen hat, was in Jim Overland ist, und der bereit ist, ihm stellvertretend für die Mannschaft Genugtuung zu geben.

So ist das!

Denn dies hier ist eine raue Weide mit eigenen ungeschriebenen Gesetzen, die aber dennoch Gültigkeit haben.

Jim Overland blockt zwei Schwinger ab. Dann trifft er mit dem ersten Aufwärtshaken, folgt dem Mann schlagend, trifft ihn mehrmals hart und mit aller Kraft, nagelt ihn an die Felswand fest und lässt ihm keine Chance mehr.

Als Jim Overland fertig ist, tritt er schnaufend zurück.

Langsam sitzt er auf und wartet im Sattel, bis sich der Mann wieder erhebt.

»Es war nicht persönlich«, sagt er zu ihm. »Ich habe es dir gegeben, damit du es Terz Beasley sagst. Denn du bist sein Mann. Und wenn er so stolz ist, wie es ausgesehen hat, dann wird er es so aufnehmen, als hätte er selbst es von mir bekommen. Sag ihm, dass er nie wieder an der Spitze einer wilden Horde auf mich losreiten und mit der Peitsche nach mir schlagen soll. Sag ihm das!«

»Und wer bist du, Mister? He, wer bist du, der du so stolze Worte redest und keine Furcht haben willst?«

»Jim Overland ist mein Name.«

Nach diesen Worten reitet Jim weiter, und der Zorn in ihm ist nun fast verraucht. Er denkt wieder an seinen Vater und auch an Cliff, seinen jüngeren Bruder.

Und er fragt sich, was in diesem Land und auf dieser Weide geschehen sein mag.

Denn zu Big Jesse Overlands Zeiten hätte es keine andere Mannschaft gewagt, so rau, wild und so unduldsam zu reiten. Big Jesse hatte immer für Ordnung und Frieden gesorgt.

»Er muss wohl schon eine lange Zeit krank sein«, murmelt Jim Overland bitter.

Es ist Mitternacht, als er die große Overland Ranch erreicht.

Unter dem Querbalken des Tores steht ein Mann, der eine Schrotflinte in den Händen hält.

»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«, fragt dieser Mann scharf.

»Ich will zu meinem Vater. Mein Name ist Jim Overland«, erwidert Jim ruhig.

Der Wächter schweigt einige Sekunden. Dann murmelt er: »Also doch! Der Boss hat vor einer Stunde behauptet, dass sein ältester Sohn bald kommen würde. Er hat gesagt, dass wir ihn sofort zu ihm lassen sollen. Und wir haben gedacht, der Boss wäre von Sinnen. Wie kann er nur gewusst haben, dass Sie unterwegs zu ihm sind, Jim?«

Jim Overland gibt keine Antwort. Er reitet in den weiten Hof hinein und auf das große Ranchhaus zu. Dabei denkt er an die starke Kraft, die ihn mit aller Macht heimwärts zog. Und nun weiß er fast sicher, dass diese starke Kraft von seinem Vater ausströmte, über Hunderte von Meilen hinweg bis zu jener Treibherdenstadt Rainbow in Kansas.

Als Jim vor die Veranda des Ranchhauses reitet, erkennt er drei Menschen.

Es sind zwei Männer und eine Frau.

Im Lichtschein, der aus den Fenstern und der offenen Tür fällt, betrachten sie sich. Und Jim weiß, dass der eine der beiden Männer sein Bruder Cliff ist.

Als Jim vor zehn Jahren fortging, war Cliff fünfzehn Jahre alt. Jetzt ist er fünfundzwanzig, und er wirkt sehr beachtlich und wie ein harter Mann.

Jim erkennt ihn an den rotblonden Haaren und an seinem runden Gesicht mit der kleinen Nase. Ja, so sah Cliff schon als Junge aus. Doch die blauen Augen wirken unstet und ruhelos. Aber das kann täuschen, weil die Beleuchtung schlecht ist.

Auch Cliff Overland hat den Reiter betrachtet. Jetzt nickt er, hebt die Hand und sagt seltsam gepresst und völlig ohne jede Freude: »Du bist Jim, nicht wahr? Du bist mein großer Bruder Jim, den Vater damals zum Teufel jagte? Nun gut, steig ab und komm herein!«

Jim bleibt noch einige Sekunden im Sattel.

Für einen Moment wirkt er sehr müde.

Doch er strafft sich wieder, sitzt ab und betritt sporenklirrend die Veranda.

Er hält an, betrachtet Cliff aus nächster Nähe, und nun wird er sich darüber klar, dass der Blick seines Bruders sehr unruhig und unsicher ist.

Cliff wendet den Kopf zur Seite und sagt: »Das ist meine Frau Jennifer. Und das ist Jeremy Hammer, unser Vormann.«

Jim betrachtet die Frau. Jennifer ist mittelgroß, schlank und zierlich. Auf ihrem braunen Haar glänzt das Lampenlicht. Ihre Augen leuchten grünlich, sind bei Tageslicht aber sicherlich grau. Es sind zwei klare und feste Augen, aber sie sind auch sehr abschätzend und prüfend. Sie hat ein sehr regelmäßiges Gesicht, volle Lippen und eine kleine Nase. Sie wirkt klug, aber eigenwillig und sehr erfreulich, denn an ihr ist alles vorhanden, was ein Mann gern an einer Frau sieht.

»Willkommen, Jim«, sagt sie ruhig und reicht ihm die Hand. »Ich habe mich immer gefragt, wie Cliffs großer Bruder aussehen mag. Und jetzt sehe ich eine jüngere Ausgabe von Big Jesse.«

Ihre Hand ist klein und geschmeidig, aber sie hat einen festen Druck.

»War das ein Peitschenhieb?«, fragt sie, als er ihre Hand loslässt, und deutet auf sein Gesicht.

»Terz Beasleys Peitsche war das«, murmelt er.

Und er hört Cliffs schnellen Atemzug und dann die Frage des bulligen Vormannes Jeremy Hammer: »Und lebt dieser Beasley noch?«

Jim betrachtet den Vormann. Er sieht ihn zum ersten Mal. Und er sieht einen Mann, in dessen Augen eine starrsinnige Härte zu erkennen ist. Irgendwie steigt eine leise Ahnung in ihm auf, warum es auf dieser Ranch einen Vormann gibt.

»Terz Beasley lebt noch«, sagt er ruhig.

Da betrachtet ihn Jeremy Hammer schweigend von oben bis unten, wendet sich ab und geht davon. Er verschwindet am Ende der Veranda im Büro der Ranch.

Ein kleiner Mann tritt aus dem Ranchhaus, hält an und betrachtet Jim. Auch diesen Mann kennt Jim, denn es handelt sich um Doktor Ben Crawford.

»Hallo, Jim!«, murmelt Ben Crawford. »Dein Vater hat eben zu mir gesagt, dass du gekommen wärest. Du sollst zu ihm gehen.«

»Oh, wie konnte Dad wissen, dass Jim gekommen ist?«, ächzt Cliff heiser. »Das ist doch übernatürlich und unwahrscheinlich! Wie konnte Dad überhaupt wissen, dass Jim heimkommen würde? Erklären Sie mir das doch endlich, Doc!«

Der kleine Arzt nimmt seine Brille ab und greift mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. Er presst diese stark und sagt dann ruhig: »Seit Wochen ruft Big Jesse nach seinem ältesten Sohn. Oh, er ruft nicht mit seiner Stimme. Er ruft ihn mit einer Kraft, die wie etwas Greifbares aus ihm strömt. Und es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir Menschen nicht verstehen und die dennoch vorhanden sind. Jim, warum bist du heimgekommen?«