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Als Chet Shannon das Feuer zu wittern beginnt, hält er sofort mit seinen beiden Packpferden an. Er sitzt ab und bindet alle drei Pferde fest. Er hat zwei Gewehre, eine schwere Sharps und einen Spencer‑Karabiner. Er nimmt den siebenschüssigen Spencer mit, als er sich auf den Weg macht. Denn in diesem Land reitet man nicht achtlos seines Weges, wenn man ein Feuer wittert. Es kann lebenswichtig sein, sich dafür zu interessieren.
Und genau das tut Chet Shannon jetzt mit der ganzen Erfahrung eines Jägers, der seinen Skalp behalten möchte. Seit die Armee die Verträge brach und längs des Bozeman Trails einige Forts errichtet, seit man den Schienenstrang der Union Pacific über Cheyenne und Fort Laramie hinaus nach Westen treibt, machen die Indianer wieder Krieg. Und so sehr Chet Shannon die Indianer auch versteht ‑ seinen Skalp möchte er dennoch behalten.
Das Feuer brennt in einer von Felsen und Bäumen umgebenen Senke. Das gelb gewordene Büffelgras, das darin wächst, ist hoch genug, um einen kriechenden Mann zu verbergen. Es ist also wenig später ziemlich leicht für ihn, in guter Deckung am Rand der Senke zu verharren und sich alles anzusehen ...
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Wolfsjagd
Vorschau
Impressum
Wolfsjagd
Als Chet Shannon das Feuer zu wittern beginnt, hält er sofort mit seinen beiden Packpferden an. Er sitzt ab und bindet alle drei Pferde fest. Er hat zwei Gewehre, eine schwere Sharps und einen Spencer-Karabiner. Er nimmt den siebenschüssigen Spencer mit, als er sich auf den Weg macht. Denn in diesem Land reitet man nicht achtlos seines Weges, wenn man ein Feuer wittert. Es kann lebenswichtig sein, sich dafür zu interessieren.
Und genau das tut Chet Shannon jetzt mit der ganzen Erfahrung eines Jägers, der seinen Skalp behalten möchte. Seit die Armee die Verträge brach und längs des Bozeman Trails einige Forts errichtet, seit man den Schienenstrang der Union Pacific über Cheyenne und Fort Laramie hinaus nach Westen treibt, machen die Indianer wieder Krieg. Und so sehr Chet Shannon die Indianer auch versteht – seinen Skalp möchte er dennoch behalten.
Das Feuer brennt in einer von Felsen und Bäumen umgebenen Senke. Das gelb gewordene Büffelgras, das darin wächst, ist hoch genug, um einen kriechenden Mann zu verbergen. Es ist also wenig später ziemlich leicht für ihn, in guter Deckung am Rand der Senke zu verharren und sich alles anzusehen ...
An den Büschen ist kaum noch Laub, und es ist schon recht kalt. Die Luft riecht manchmal nach Schnee. Alle stehenden Gewässer haben am Morgen zumindest an ihren Rändern schon eine dünne Eisschicht.
Am Feuer hocken vier Personen – und eine davon ist eine Frau, vielleicht sogar noch ein Mädchen. Aber das kann man nicht so genau erkennen. Denn sie trägt die ihr zu große Kleidung eines Mannes. Ihr Haar ist zerzaust, und ihr Gesicht ist sehr schmutzig, wahrscheinlich vom Rauch des Feuers, an dem sie wie eine Squaw hockt und Fleisch brät, Kaffee kocht und in der zweiten Pfanne Pfannkuchen herstellt, die ihr die drei Männer gierig abnehmen, zusammenrollen und wie Würste abbeißen.
Besonders einer der drei Männer findet Chet Shannons allergrößtes Interesse.
Es ist ein indianerhafter Bursche, der unter seinem Hut ein rotes Kopftuch trägt und im linken Ohr einen Ring blinken hat.
Er kennt ihn gut, ja, sogar zu gut.
French-Pierre hat bei ihm eine ganze Menge »im Salz liegen«, wie man so schön im Volksmund sagt. Und auch die Armee und die Zivilbehörden würden French-Pierre gern vom Leben zum Tode befördern, möglichst durch Erhängen.
Leider konnte er bisher immer entkommen. Aber jetzt sieht es gar nicht gut für diesen French-Pierre aus.
Chet Shannon verspürt ein Gefühl des kalten Triumphes, und er denkt daran, dass French-Pierre im letzten Winter seinen Partner umbrachte und mit der ganzen Pelzausbeute eines langen Jagdwinters entkam.
Chet betrachtet nun die beiden anderen Männer am Feuer.
Oha, er sieht zwei üble Burschen. Einer ist ein Halbblut, also einer von dieser Sorte, die es in diesem Lande schon seit der Geburt schwer hat, weil sie so richtig zu keiner Seite gehört. Denn das ist zumeist das Dilemma bei diesen Halbbluts. Sie haben fast nur die Wahl zwischen zwei miesen Möglichkeiten. Bekennen sie sich zu den Roten und leben sie wie die Roten, so sind sie mit diesen zum Untergang verurteilt. Und wollen sie wie Weiße leben, so müssen sie immer wieder erleben, dass sie für die Weißen nichts anderes als Bastarde sind.
Dabei spielt keine Rolle, dass sie besser sein könnten als so mancher Weißer.
Die Weißen – auch die miesen und schlechten – haben nun mal diese Vorurteile. Denn gerade die miesen fühlen sich weniger mies, wenn sie meinen, auf andere Menschen herabblicken zu können.
Und weil dies alles so ist, haben es Halbbluts in diesem Lande schwer und geraten schneller auf die schiefe Bahn als Weiße oder Indianer.
Dieses Halbblut da neben French-Pierre am Feuer ist schlecht. Sonst würde es nicht bei French-Pierre sein. Auch der andere Mann – ein Weißer mit gelben Haaren und einer eingeschlagenen Nase – kann nicht gut sein.
Kein Mensch, der freiwillig mit French-Pierre reitet, kann gut sein.
Und die beiden Männer sind freiwillig bei French-Pierre. Denn sie sind bewaffnet, und sie unterhalten sich lachend mit ihm oder zeigen zumindest wölfisch grinsend ihre Zähne.
Nur die Frau ist sehr ernst.
Offenbar machen sie Witze über sie, wie Chet Shannon aus einigen verständlichen Bruchstücken ihrer Unterhaltung, die bis zu ihm hörbar sind, entnehmen kann. Aber dann wieder fegt der Wind zu sehr durch die Büsche und Bäume, lässt das abfallende Laub rascheln.
Chet Shannon kommt immer mehr zu der Auffassung, dass sich diese Renegaten die Frau irgendwo geraubt haben. Und dies wäre bei French-Pierre nicht das erste Mal.
Chet Shannon tut die Frau leid.
Aber zugleich begreift er das Problem auch für sich selbst.
Wenn er diesem French-Pierre jetzt gleich gibt, was er ihm schuldig ist, nämlich heißes Blei, dann – nun, dann hat er diese zerzauste und recht schmutzige junge Frau am Hals, von der er wegen der zu großen Kleidung nicht mal so richtig erkennen kann, ob sie gut gebaut ist oder nicht. Aber wahrscheinlich ist an ihr alles richtig, und wahrscheinlich würde sie in einem Kleid eine Schönheit sein. Sonst würde French-Pierre sie nicht mit sich in sein Winterversteck nehmen.
Was soll er danach mit der Frau machen? Verdammt, er kann sie nicht mehr nach Fort Laramie zurückbringen. Dann kommt er vor dem Winter nicht mehr in sein Jagdrevier im Yellowstone-Land. Dann erreicht er wahrscheinlich nicht mehr seine Hütte. Und weil ihm French-Pierre schon im vergangenen Jahr fast die gesamte Pelzausbeute stahl, kann er sich nicht nochmals einen Winter ohne Gewinn leisten.
Verdammt, was macht er mit der Frau?
Aber er kann sie in keinem Fall bei diesen Mistkerlen lassen.
Und weil er wegen ihr nicht auf einen Jagdwinter verzichten kann, wird sie mit ihm gehen müssen. Es wird ohnehin schon recht knapp sein, wenn er noch vor dem ersten Schnee seine Hütte erreichen will. Und wenn ein Blizzard kommen sollte, dann ...
Oh, er will gar nicht weiterdenken.
Aber er ist nun fertig mit seinen Gedanken.
Er wartet nur noch einen Moment, bis die Frau einige Schritte vom Feuer weggeht, um Holz aufzunehmen und sich damit aus den voraussichtlichen Schusslinien entfernt.
Dann sagt er laut, sich dabei mit dem Spencer-Karabiner im Hüftanschlag erhebend: »Hey, Pierre, mein Freund, wie geht's denn?«
Die drei Kerle sind zu erfahren, um heftig zu reagieren. Sie wissen zu gut, dass sie nicht mehr aus dieser kleinen Senke herauskämen, wenn diese umstellt ist. Denn dann würden sie von allen Seiten heißes Blei bekommen.
French-Pierre sagt: »Oh, welche Überraschung! Das ist ja wirklich mein alter Freund und Lederstrumpf Chet!«
Er lacht. Auch die beiden anderen Kerle lachen.
Doch dabei blicken sie nach allen Seiten, versuchen herauszufinden, wie sehr sie in der Klemme sitzen.
Aber sie sehen nichts – nur diesen Chet Shannon.
Das können und wollen sie nicht glauben.
Und so fragt French-Pierre auch schon bald: »He, mein Bester, bist du vielleicht ganz allein?«
»Und wenn?« So fragt Chet Shannon zurück.
»Dann bist du ein blöder Hund – ein wirklich dämlicher Arsch«, erwidert French-Pierre mit grimmiger Ehrlichkeit.
Chet Shannon gibt ihm darauf keine Antwort. Aber er fragt: »Was haben die Pelze, die ihr mir und meinem Partner gestohlen habt, eigentlich an Geld gebracht?«
»Dreitausendsechshundert Dollar«, erwidert French-Pierre stolz. »Und davon haben wir ein wirklich großartiges Fest gefeiert. Ich habe gehört, dass du mich noch viele Monate danach überall gesucht hast, um deinen Partner zu rächen. Nun, jetzt hast du mich gefunden. Doch du bist verdammt allein, so allein wie ein alter Hund in einer leeren Scheune. Nimm dich vor Charly neben mir in Acht. Der hat seinen Colt schneller heraus, als du schießen kannst.«
Seine letzten Worte sind eine Gemeinheit seinem Partner gegenüber, denn er kann nun fast sicher damit rechnen, dass Chet Shannon zuerst auf diesen Mann schießen wird. Und dies wieder bedeutet eine größere Chance für French-Pierre, weil dann ja erst Shannons zweiter Schuss ihm gelten würde.
»Na los«, sagt Shannon, »dann fangt mal an!«
Sie zögern nur noch einen Sekundenbruchteil. Dann wissen sie, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Sie müssen mit ihm kämpfen.
Sie ziehen ihre Colts, und sie tun es schnell.
Dabei blicken sie in das Mündungsfeuer des Spencer-Karabiners – und nun erst begreifen sie, dass es kein gewöhnlicher oder normaler Spencer-Karabiner sein kann.
Denn das Ding schießt zu schnell. Gewiss, der Schütze muss mit dem Unterhebel repetieren – aber offenbar kracht dann auch schon der Schuss. Chet muss nicht erst noch mit dem Zeigefinger abdrücken. Der ganze Schießmechanismus funktioniert anders als bei einer normalen Waffe.
Doch das begreifen die drei nicht mehr richtig.
Sie sehen die Mündungsfeuer und sterben.
Nur einer von ihnen kommt noch zum Schuss. Aber die Kugel fetzt nur Shannons Felljacke am Ärmel auf.
Und dann rührt sich keiner mehr.
Der Wind jagt den Pulverdampf weg.
Chet Shannon blickt auf die Frau – und er sieht sie zittern – und dies gewiss nicht vor Kälte.
Aber dann sieht er sie auch langsam ausatmen. Ihre Schultern senken sich ein wenig, so als würde eine innerliche Anspannung aus ihr weichen.
»Es ist vorbei, Schwester«, sagt Chet Shannon zu ihr nieder. »Ich komme gleich zurück. Ich hole nur meine Pferde. Warte einen Moment, Schwester.«
Er verschwindet.
Und sie verharrt noch, glaubt aus einem bösen Traum erwacht zu sein. Und dann fragt sie sich, was das für ein Mann ist, von dem sie nun inmitten der Wildnis abhängig sein wird wie zuvor von diesen drei Dreckskerlen, die sie vor drei Tagen von einem Wagenzug am Bozeman Trail raubten.
Wird er sie zu jenem Wagenzug zurückbringen, wo man sie längst vermisst? Aber dieser Wagenzug muss weiter. Er will noch vor dem Winter das Goldland von Montana erreichen.
Nicht eine einzige Stunde wird man nach ihr gesucht haben. Vielleicht werden ein paar Reiter umhergeritten sein für eine Weile und gerufen haben. Aber in diesem Wagenzug, der ins Goldland will, ist sich jeder Mensch der Nächste.
Sie blickt auf die drei Toten und erschauert abermals.
Sie sieht sich um.
Oh, sie fühlt sich so verdammt einsam.
Und was ist das für ein Bursche, der allein und ganz offen gegen drei Gegner antrat und diese tötete mit einem Zaubergewehr? Ja, es muss ein Zaubergewehr sein. Noch niemals sah sie einen Mann mit einem Gewehr so schnell und so sicher schießen.
Aber ist er ein guter Mann, ein redlicher Bursche?
Dass er offen kämpfte und die Kerle nicht aus dem Hinterhalt abknallte, scheint ihr zumindest ein Beweis dafür zu sein, dass er Stolz besitzt. Und ein Mann mit Stolz besitzt zumeist auch Ehre. Oder täuscht sie sich da?
Ist sie vielleicht nur vom Regen in die Traufe gekommen?
Die Fragen jagen sich nun in ihr.
Und sie möchte am liebsten die Flucht ergreifen. Die Pferde stehen ganz in der Nähe. Sie ist keine schlechte Reiterin. Vielleicht könnte sie entkommen?
Aber was dann?
Nein, sie käme allein nicht durch.
Also muss sie warten.
Als der Mann wenig später im Sattel eines grauen Wallachs und mit zwei Packpferden auftaucht, sieht sie ihm fest entgegen.
✰
Er kommt in die Senke geritten und bleibt regungslos im Sattel sitzen. Ihr fällt dabei auf, dass er nicht wie ein Cowboy im Sattel sitzt, sondern mehr wie ein Indianer, mit nach außen gedrehten Füßen und nicht in den Steigbügeln halb stehend.
Er blickt auf sie nieder – und sie sieht ernst zu ihm empor.
Oh, er kann jetzt trotz allem Schmutz auf ihrem Gesicht erkennen, dass sie mehr als hübsch sein muss.
Er fragt: »Hat Pierre dir etwas angetan, Schwester – oder einer der beiden anderen Schufte?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Noch nicht«, sagt sie langsam. »Ich war nach jedem Tagesritt halb tot. Ich fiel stets vom Pferd. Deshalb rasteten wir auch heute früher für die Nacht. Pierre wollte mich heute unter seine Decke nehmen. Er sagte es mir vorhin. Ich wäre heute dran, sagte er. Heute würde er mich vernaschen. Aber zu welcher Sorte gehören Sie denn, Mister?«
»Zu keiner guten«, erwidert Chet Shannon. »Woher hat Pierre dich denn, Schwester? Sag es mir, ja? Und wie ist dein Name?«
»Ich bin Mary Hatthaway«, sagt sie ruhig. »Und ich gehöre zu einem Wagenzug, der noch vor dem Wintereinbruch das Goldland in Montana erreichen möchte. Als ich mir am Kanaska Creek für ein Bad eine etwas abgelegene Stelle suchte, kam Pierre. Er hielt mir den Mund zu und schleppte mich fort. Das war vor drei Tagen. Wenn Sie mich wieder zurückbringen, Mister, werde ich Sie für Ihre Mühe gut bezahlen. Ich habe einen Wagen beim Treck und ...«
Sie verstummt, weil er den Kopf schüttelt.
»Dieser Treck«, sagt er, »wird niemals vor dem Winter in Montana ankommen. Es riecht schon nach Schnee. Und vielleicht haben wir morgen schon den ersten Blizzard. Vielleicht findet der Wagenzug einen guten Platz, um überwintern zu können. Sie können dann auch ebenso gut mit mir kommen. Da haben Sie es sogar noch bequemer, Mary Hatthaway. Überdies dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Wohin wollten denn die drei Kerle?«
»Zu einer Hütte in den Bergen, die einem gewissen Chet Shannon gehören soll«, erwidert sie. »Dort war Pierre schon mal, wie er sagte. Es wäre ein guter Platz und zugleich auch ein gutes Versteck.«
»Sicher«, erwidert Chet Shannon. »Es ist meine Hütte. Und im vergangenen Winter tötete er dort meinen Partner, als ich unterwegs war, um unsere Fallen zu kontrollieren. Er wollte also wieder hin ...«
Er sitzt nun endlich ab.
»Sie müssen mit mir kommen«, sagt er. »In zwei Tagen können wir bei der Hütte sein. Und wenn wir das nicht schaffen, sieht es gar nicht besonders gut aus für uns. Denn dann ...«
»Ich will zum Wagenzug zurück!« Sie ruft es scharf und stapft mit dem Fuß auf.
Er sieht sie an und schüttelt den Kopf. »Es geht nicht, Schwester«, sagt er. »Es geht wirklich nicht.«
»Pah, Sie wollen wohl auch nur das, was French-Pierre mit mir vorhatte!« Sie ruft es wild und zornig, verächtlich und voller Bitterkeit.
Da tritt er langsam zu ihr und fasst sie unter das Kinn.
»Vielleicht«, sagt er, »vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht, was sein wird. Denn ich habe noch niemals mit einer Frau zusammen einen endlosen Winter lang in einer Hütte gelebt. Vielleicht bin ich ein Schuft, der das ausnutzen wird. Doch eines will ich dir sagen, Schwester. Ich kannte bisher in meinem Leben nur eine einzige gute Frau. Und das war meine Mom. Ob du was taugst, weiß ich nicht. Aber das wird sich noch herausstellen. Ich schaffe jetzt die drei Toten weg. Dann will ich genügend zu essen haben. Und dann reiten wir. Es kommt auf jede Stunde an.«
Sie begreift, dass es keinen Widerspruch gibt. Sie muss tun, was er will, denn sie befindet sich in seiner Hand.
Und sie hat ihn kämpfen und töten gesehen, weiß zu gut, was für ein gefährlicher Mann er ist. Sie hat keine Wahl, muss sich fügen.
Und dennoch spürt sie nicht mehr diese heiße und schreckliche Furcht wie zuvor, als sie noch French-Pierres Gefangene war.
Dieser Chet Shannon scheint anders zu sein. Hoffentlich.
»Ich bin in Ihrer Hand, Mr Shannon«, spricht sie kühl.
Er grinst. »Mädchen«, sagt er, »verlasse dich nur nicht auf meine Ritterlichkeit und meine Großmut. Wir zwei wollen den Frühling erleben, nicht wahr? Und da werden wir wie ein Paar zusammenhalten müssen. Damit solltest du dich schon mal vertraut machen in deinen Gedanken.«
Er wartet nicht auf eine Antwort, sondern wendet sich ab. Bevor er sich den ersten Toten auflädt, um ihn fortzuschaffen, durchsucht er ihn. Es ist der Halbblutmann, dessen Name Blueman Bird ist. In einem Brustbeutel des Toten findet er einige Goldkörner und fünf Zwanzigdollar-Goldstücke.
Mary Hatthaway sieht zu, wie er die »Beute« wegsteckt. Er begegnet ihrem Blick. Aber er sagt nichts. Dafür sagt sie: »Ja, ich weiß, diese Bande schuldet Ihnen dreitausendsechshundert Dollar – Ihnen und Ihrem Partner, den sie umbrachten. Schon gut, Mister. Ich halte Sie nicht für einen Leichenfledderer.«
»Das wäre mir auch verdammt gleichgültig«, erwidert er. »Aber mein Partner und ich, wir hätten bei einem seriösen Händler mehr als nur dreitausendsechshundert Dollar für die Pelze bekommen, sehr viel mehr. Mein Partner wollte Hochzeit machen.«
Er lädt sich nun den Toten auf und schafft ihn fort. Auch mit den beiden anderen Toten verfährt er danach auf gleiche Weise. Mary Hatthaway sieht nicht zu. Sie dreht dem Geschehen den Rücken, hantiert am Feuer, brät neue Pfannkuchen.
Als er dann zu ihr an das Feuer kommt, ist es Abend geworden. Die Sonne verschwand im Westen hinter den Bergen.
Chet Shannon beginnt zu essen. Sie beobachtet ihn. Er ist ein großer, dunkler, indianerhafter Bursche von etwa dreißig Jahren. In seinem verwegen wirkenden Gesicht gibt es einige Linien, die eine außergewöhnliche Härte und Zähigkeit verraten. Ein sichelförmiger Bart hängt über seine Mundwinkel.
Bemerkenswert sind seine Augen. Sie sind graugrün, aber mehr grün als grau.
Kauend betrachtet er Mary.
»Erzählen Sie mir was über sich«, verlangt er.
»Wozu?« Sie fragt es störrisch.
Er schüttelt nachsichtig den Kopf.
»O Schwester«, sagt er kauend, »ich will es dir genau erklären. Wir sind Partner, sozusagen ein Gespann. Und ich muss wissen, wie sehr ich dich belasten kann und wozu du etwas taugst. Deshalb muss ich mehr von dir wissen. Verstehst du? Und hör auf mit deiner Störrigkeit. Das bringt uns beiden nur Verdruss. Iss auch was, ja, iss jetzt so viel, wie du kannst. Denn vielleicht – wenn ein Blizzard kommen sollte – werden wir zwei Tage und zwei Nächte nichts zu beißen bekommen. Also iss!«
Sie schüttelt den Kopf, greift sich an den Hals und sagt: »Hier bin ich wie zugeschnürt. Soeben lagen hier noch drei Tote. Wie kann ich da auch nur einen einzigen Bissen herunterbekommen? Ich bin doch keine Wilde!«
Da schüttelt er heftig den Kopf.
»Ja, glaubst du denn, die Indianer hier hätten nicht die gleichen Empfindungen wie jeder Mensch? Glaubst du, dass Wilde anders sind? Nein, auch sie haben Gefühle, Empfindungen, Gedanken. Aber der Wille zum Überleben gibt letztlich stets den Ausschlag. Deshalb würden Wilde jetzt Nahrung zu sich nehmen, um durchhalten zu können in der Not. Also zwinge dich zum Essen. Und erzähle mir alles über dich, damit ich einigermaßen Bescheid weiß, was für eine Frau du bist. Fang an!«
Sie starrt in seine grünen Augen.
Ihre Augen sind braun. Und wenn ihr Haar nicht unter einem Kopftuch verborgen und so schmutzig wäre, so würde es so gelb wie reifer Weizen leuchten.