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Das Pferd, auf dem der Mann den Windungen eines schmalen Fahr- und Reitweges folgt, ist mit gelblichen Staub bedeckt. Und auch der Mann ist es.
Es ist ein großer, sehniger Mann mit schiefergrauen Augen und rötlichem Haar. Der harte Ausdruck seines Gesichts wirkt jedoch nicht böse - es ist nur der Ausdruck von Selbstvertrauen und einer unerschütterlichen Kraft. Ja, die tiefen, dunklen Linien in seinem Gesicht verraten eine Menge Unerschütterlichkeit, wie nur ein harter Mann sie besitzen kann.
Der Mann nennt sich Jim Allard, und er kommt gegen Mittag des 15. Juni 1872 von Laramie aus den Hügeln der Medicine-Bow-Berge geritten und sieht nun das weite Hügelland vor sich, das sich im Nordwesten zum Green-River-Becken abwärts senkt und nach Norden zu in weiter Ferne wieder zu den Sweetwater Mountains emporbuckelt.
Dies ist das Million Hills County.
Und der Mann Jim Allard reitet jetzt in dieses County hinein ...
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Seitenzahl: 167
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Der Texasmann
Vorschau
Impressum
Der Texasmann
Das Pferd, auf dem der Mann den Windungen eines schmalen Fahr- und Reitweges folgt, ist mit gelblichen Staub bedeckt. Und auch der Mann ist es.
Es ist ein großer, sehniger Mann mit schiefergrauen Augen und rötlichem Haar. Der harte Ausdruck seines Gesichts wirkt jedoch nicht böse – es ist nur der Ausdruck von Selbstvertrauen und einer unerschütterlichen Kraft. Ja, die tiefen, dunklen Linien in seinem Gesicht verraten eine Menge Unerschütterlichkeit, wie nur ein harter Mann sie besitzen kann.
Der Mann nennt sich Jim Allard, und er kommt gegen Mittag des 15. Juni 1872 von Laramie aus den Hügeln der Medicine-Bow-Berge geritten und sieht nun das weite Hügelland vor sich, das sich im Nordwesten zum Green-River-Becken abwärts senkt und nach Norden zu in weiter Ferne wieder zu den Sweetwater Mountains emporbuckelt.
Dies ist das Million Hills County.
Und der Mann Jim Allard reitet jetzt in dieses County hinein ...
Nach zwei eintönigen Meilen führt der Weg am Rand eines tiefen Bodenrisses entlang. Jim Allard hält an und späht zum Grund der Schlucht hinunter. Der jenseitige Hang ist noch steiler und fällt fast senkrecht in die Tiefe. Die verschiedenfarbigen Erdschichten und felsigen Flöze sind deutlich erkennbar. Aber auf dem Grund der Schlucht ist noch etwas anderes zu sehen.
Bleiche Knochen liegen dort unten. Tausend bleiche, abgenagte Gerippe! Es sind die Knochen von tausend Schafen.
Jim Allard starrt zum Rand des jenseitigen Hanges hinüber, und er weiß, dass die Schafe dort drüben über diesen Rand getrieben und in die Schlucht gestürzt worden sind.
Sein Mund schließt sich fester. Dann reitet er weiter.
Nach zwei weiteren Meilen sieht er in einer tiefen und breiten Hügelfalte das erste Haus in diesem Land. Es ist ein dreiräumiges Blockhaus mit einem Stall, einer Scheune und zwei kleineren Schuppen. In den zwei Corrals bewegen sich nur wenige Tiere, drei Pferde und einige Kühe. Ein dünner Bach kommt aus einer tiefen Kerbe des Hügelhanges und fließt bei der kleinen Ranch in einen Teich. Bewässerungsgräben führen zu einem Obst- und Gemüsegarten hinter dem Haus und zu einigen Feldern in der Nähe.
Jim Allard biegt vom Weg ab und reitet zu dem Haus hinüber.
Bevor er in den kleinen Hof einreitet, öffnet sich die Tür des Hauses. Eine Frau tritt auf die Veranda, und ein etwa zwölfjähriger Knabe erscheint an ihrer Seite. Sie bleiben regungslos stehen und beobachten den Reiter.
Jim Allard hält bei dem großen Holztrog an, zu dem eine Baumröhrenleitung ständig frisches Wasser vom Bach heranbringt. Er greift grüßend an die Hutkrempe und sagt höflich: »Madam, ich bitte nur um etwas Wasser für mich und mein Pferd. Der Weg von Laramie her ist fast so trocken wie die Wüste.«
Bei diesen Worten betrachtet er die Frau, und er wird sich darüber klar, dass sie auf eine herbe Art schön ist. Obwohl sie sicherlich die Mutter des Knaben ist, der neben ihr steht, kann sie noch nicht älter als dreißig Jahre sein.
Ihr weizengelbes Haar ist zu einer goldenen Krone geflochten. Sie trägt ein blaues Leinenkleid, das schon sehr verwaschen und von der Sonne ausgebleicht wirkt. Aber trotz dieses ärmlichen Kleides wirkt ihre Haltung stolz.
Wer mag ihr Mann sein?, fragt sich Jim Allard in Gedanken, denn er verspürt plötzlich eine tiefe Neugierde.
Dann hört er ihre Stimme ruhig sagen: »Sicher, Fremder. Das Wasser ist gut. Steigen Sie ab und versorgen Sie sich damit.«
»Danke, Madam«, murmelt Jim Allard und greift wieder höflich an die Hutkrempe.
Er sieht nun den Jungen an. Der ist seiner Mutter sehr ähnlich. Er ist jedoch mager und aufgeschossen. Ein trotziger Zug ist in seinem Gesicht. Seine Augen blicken sogar auf eine verächtliche Art auf den Mann. Es ist gewiss ein wilder Junge. Jim Allard erinnert sich daran, dass er in diesem Alter genauso war. Er lächelt über den trotzigen Blick des Jungen und er ahnt dessen heiße Wünsche. Damals in diesem Alter wollte er auch schon ein richtiger Mann sein.
Er möchte etwas zu dem Jungen sagen, aber bevor ihm etwas einfällt, fragt dieser bitter und verächtlich: »Fremder, sind Sie auch ein Revolvermann, der für Bill Jefferson seinen Colt schwingen will?«
Jim Allard zögert einen Moment. Dann schüttelt er den Kopf.
»Ich glaube nicht, Junge.«
»Und warum kommen Sie dann in unser Land?«
»Tommy, sei bitte still. Das geht uns nichts an«, sagt die Frau herb und sieht Jim Allard nochmals forschend an. »Ich habe das Mittagessen gerade fertig, Fremder. Es wird auch für Sie noch reichen. Wenn Sie sich erfrischt haben, dann kommen Sie herein. Tommy wird Ihr Pferd versorgen.«
»Sie sind sehr gütig, Madam – und ich muss gestehen, dass ich gestern meinen letzten Proviant verbraucht habe«, murmelt Jim Allard dankend und sitzt ab.
»Tommy, du kannst mein Pferd nicht versorgen«, sagt er dann über die Schulter. »Es ist ziemlich böse und lässt keinen anderen Menschen an sich herankommen.«
»Ich hätte es auch gar nicht versorgt – ich bin nicht der Pferdejunge für Revolvermänner, die Bill Jefferson ins Land holt«, erwidert der Junge trotzig und läuft von der Veranda herunter und um die Hausecke.
Jim Allard lächelt die Frau an. »Das wird sich noch geben mit ihm. Auch ich war in seinem Alter so trotzig und aufsässig. Wie kommt denn Ihr Mann mit ihm zurecht?«
Das schöne, klare Gesicht verhärtet sich. Der Ausdruck eines tiefen Schmerzes geht wie ein Schatten über ihr Gesicht. Aber ihre Stimme ist ruhig und beherrscht.
»Tommy hat keinen Vater mehr, Fremder. Wir sind allein. Mein Mann wurde vor drei Monaten von einem Revolvermann getötet. Sie haben sich gegenseitig getötet, aber das ist kein Trost. Fremder, sind Sie wirklich nicht in unser Land gekommen, um für Bill Jefferson zu reiten? Vielleicht als Ersatz für diesen Mac Allard, den mein Mann wenigstens noch mitnehmen konnte?«
Jim Allard starrt die Frau erschrocken an.
»Mac Allard und Ihr Mann haben gekämpft und sich gegenseitig getötet?«, fragt er.
»So war es«, murmelt sie. »Und wie heißen Sie, Fremder?«
»Jim Ambrose«, erwidert Jim Allard langsam, und er gibt bewusst seinen zweiten Vornamen als Vaternamen an.
Er wendet sich dem Wassertrog zu, um der Frau nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. Er trinkt und lässt sein Tier neben sich saufen. Dann wäscht er sich – und während er das alles tut, denkt er ständig daran, dass es sein Bruder Mac war, der den Mann dieser Frau erschoss. Er denkt auch daran, dass es der Mann dieser Frau war, der seinen Bruder tötete.
Als er sich mit seinem Halstuch das Gesicht abtrocknet, hört er die schrille, warnende Stimme des Knaben gellend rufen: »Hinter Ihnen, Fremder!«
Jim Allard ist ein Mann, der bei solchen Warnungen nicht lange überlegt, sondern zuerst einmal handelt.
Er duckt sich also blitzschnell, wirbelt herum und landet der Länge nach auf dem Boden. Und noch bevor er mit dem Körper den Boden berührt, taucht sein großer Colt in seiner Hand auf.
Aber er findet kein Ziel.
Nur der Junge steht links von ihm an der Hausecke und starrt ihn an.
»Sie sind also doch ein Revolvermann«, sagt der Junge. »Das wollte ich nur herausfinden.«
»Tu so etwas nie wieder, Freund«, murmelt Jim Allard. Er erhebt sich und klopft sich den Staub von der Kleidung. Sein Revolver ist wie durch Zauberei wieder im Holster verschwunden.
Die Frau steht wieder in der Tür. Sie sagt: »Tommy, er ist unser Gast. Du hast dich schlecht benommen. Entschuldige dich bei Mister Ambrose.«
»Das braucht er nicht zu tun, Madam. Aber ich reite wohl besser weiter. Wie weit ist es noch bis nach Yellow Hill?«
»Zwölf Meilen, aber Sie essen hier erst zu Mittag. Es ist schon für Sie gedeckt. Und ich möchte auch noch über bestimmte Dinge mit Ihnen reden. Kommen Sie herein, Mister Ambrose. Und du, Tommy, wirst dich entschuldigen!«
Der Junge gehorcht mit trotzigem Gesicht. Er schleicht ins Haus.
Jim Allard zögert. Die Frau kommt über den kleinen Hof zu ihm. Sie tritt nahe an ihn heran, sodass der Stoff ihres Kleides sein Hemd berührt. Sie sieht zu ihm auf. Er ist ein großer Mann, der in Stiefeln über sechs Fuß misst und fast zweihundert Pfund an Gewicht auf die Waage bringt. Aber auch sie ist für eine Frau sehr groß. Ihre Augenbrauen sind in Höhe seines Kinns.
Sie sagt ruhig: »Vielleicht kann ich Ihnen ein günstiges Angebot machen, Revolvermann? Vielleicht kann ich Ihnen etwas geben, was Bill Jefferson beim besten Willen nicht geben könnte?«
Er starrt ihr etwas verblüfft in die Augen, und weil er darin das Angebot noch klarer und deutlicher erkennen kann, begreift er sofort den Sinn ihrer Worte.
»Madam«, sagt er langsam, »es ist nicht nötig. Sie brauchen mir nichts zu versprechen. Steht es so schlimm, dass Sie zu diesem letzten Mittel greifen müssen?«
»Ich kann nur mit diesen Waffen kämpfen«, sagt sie schlicht und senkt den Kopf. Aber dann hebt sie ihr Gesicht schnell wieder und sieht ihn gerade und offen an.
»Als Sie vor mein Haus kamen, Jim Ambrose, erkannte ich sofort, dass Sie ein Kämpfer sind – ein Revolvermann. Sogar mein Junge hat das sofort erkannt. Bill Jefferson wirbt solche Revolverkämpfer, wie Sie einer sind, an. Aber ich möchte nun ebenfalls den Schutz eines Revolvermannes haben. Und ich bin bereit, dafür einen Preis zu bezahlen. Gefalle ich Ihnen nicht? Oder lieben Sie Bill Jeffersons Geld mehr als die Gunst einer hübschen Frau?«
»Sie sind mehr als nur hübsch – Sie sind schön«, murmelt er langsam. »Und Sie müssen sehr in Not sein, Madam, sonst würden Sie sich nicht auf diese Art an einen Satteltramp wie mich wegwerfen wollen. Oh, ich weiß schon! Sie wollen Ihrem Jungen das Erbe erhalten. Sie befürchten sicherlich, dass dieser Bill Jefferson, den ich noch nicht kenne, Sie mitsamt Ihrem Jungen von dieser Ranch vertreibt. Und Sie greifen zum letzten, verzweifelten Mittel, das eine Frau in höchster Not noch anwenden kann, nicht für sich selbst, sondern für ihren Jungen. Aber es ist nicht nötig, Madam.«
Er will sich abwenden, aber sie hält ihn am Arm zurück.
»Ich bin Hester Lane. Nennen Sie mich Hester, Jim. Und kommen Sie zum Essen ins Haus, wenn Sie das Pferd an den Futtertrog gebracht haben.«
Sie wendet sich um und geht ins Haus zurück. Er sieht ihr nachdenklich nach. Oh, wie sehr musst du in Not sein, denkt er bitter, dass du dich an einen Mann verschenken willst, um dadurch dessen Hilfe zu erhalten.
Er nimmt sein Pferd und bringt es zum Stall. Das Doppeltor ist offen. Er führt den Schecken hinein und versorgt ihn. Dabei denkt er ständig über Hester Lane und über ihren Jungen nach. Er denkt auch an seinen Bruder Mac, der den Mann dieser Frau getötet haben soll und selbst von dessen Hand fiel.
Jim Allard ist immer noch sehr verwirrt.
Er geht langsam zum Haus hinüber. Dort warten sie schon am Tisch auf ihn. Er nimmt Platz. Die Frau füllt die Teller. Dann essen sie schweigsam. Jim Allard fühlt immer wieder die misstrauischen und trotzigen Blicke des Jungen auf sich haften.
Der Junge leert unwahrscheinlich schnell seinen Teller und sieht dann die Mutter an.
»Darf ich gehen?«
»Yeah, ich will ohnehin noch mit Jim Ambrose sprechen«, sagt sie herb.
Da schleicht der Junge wie ein junger Hund aus der Tür und verschwindet.
Hester Lane holt den Kaffee vom Herd herüber an den Tisch und schenkt ein. Jim Allard hat sich zurückgelehnt und dreht sich eine Zigarette. Die Frau nimmt wieder Platz und sieht ihn an.
»Werden Sie bei uns bleiben?«, fragt Hester Lane ruhig.
Er sieht sie an. »War Ihr Mann auch ein – Kämpfer?«, fragt er langsam.
Sie nickt. »Ja, Tom war ein Kämpfer. In seinen Augen war der gleiche Ausdruck wie in Ihren, Jim. Aber als er mit diesem Mac Allard kämpfen musste, zog dieser genauso schnell wie er. Toms Geschicklichkeit hatte durch die harte Arbeit der letzten Jahre wohl etwas gelitten. Ich stand in der Tür und musste zusehen, wie sie sich gegenseitig töteten. Es war hier auf dem Hof. Bill Jefferson hatte diesen Mac Allard zu uns geschickt, damit wir hier aufgeben und verschwinden. Mein Mann war der Anführer aller kleinen Siedler und Drei-Kühe-Rancher, die sich geschlossen gegen Bill Jeffersons Macht stellen wollten. Tom hatte sie vereinigt. Er wollte mit ihnen den Kampf gegen den Raubrancher Bill Jefferson aufnehmen. Aber der schickte seinen gefährlichsten Revolvermann. So war es! Jim Ambrose, dieses Land hier braucht dringend einen zweiten Kämpfer, wie mein Gatte einer war. Es braucht einen Mann, der die kleinen Leute anführt. Und ich habe in Ihren Augen gesehen, dass Sie vielleicht dieser Mann sein könnten. Sie sind kein durchschnittlicher ...«
Sie bricht ab, denn der Junge erscheint in der offenen Tür und ruft: »Sie kommen!« Dann eilt er zu dem Gewehrständer in der Ecke und reißt eine Schrotflinte heraus.
Hester Lane läuft schnell durch den Raum und entreißt ihm die Flinte. Sie stellt sie ruhig in den Ständer zurück und sagt scharf: »Du bist noch kein Mann, Tommy. Und es ist schon genug, dass sie deinen Vater getötet haben!«
Der Junge stößt einen seltsamen Knurrlaut aus.
Hester Lane wendet sich Jim Allard zu.
»Mein Angebot ist Ihnen also nicht gut genug?«
»Es ist zu gut. Nur ein Hundesohn würde es annehmen«, murmelt Jim Allard und steckt sich die fertige Zigarette an.
Draußen ertönen Hufschläge. Es müssen drei oder vier Reiter sein, die schnell herangaloppiert kommen. Jim Allard bleibt ruhig auf dem Stuhl sitzen und späht zum Fenster hinaus.
Er sieht drei Reiter. Sie kommen auf dem Weg herangejagt und lassen eine Staubfahne hinter sich. Dicht vor der kleinen Ranch biegen sie vom Weg ab und reiten in den kleinen Garten. Sie lassen ihre Pferde auf den Gemüsebeeten tanzen. Sie zerstampfen die Tomatenpflanzen und die Rüben, die Bohnen, den Salat und alles, was dort gesetzt und angepflanzt wurde. Die Hufe ihrer Pferde richten einen Schaden an, den die Frau mit ihrem Jungen erst in wochenlanger Arbeit wieder ersetzen könnte.
Dann verschwinden sie aus Jim Allards Blickfeld. Er hört ihre Pferde nun auf dem Hof. Die Reiter sitzen dort ab. Er hört ihr Sporenklingeln und ihre Schritte.
Jim Allard spürt deutlich, wie eine kalte Wut in ihm aufsteigt. Er kennt diese kalte Wut. Sie überkam ihn schon oft. Immer wieder gab es auf seiner langen, verschlungenen Fährte gewisse Momente, da diese Wut von ihm Besitz nahm.
Dabei ist er doch gar nicht in dieses Land gekommen, um zu kämpfen. Er hat vom Tod seines wilden Bruders gehört und wollte hier nur erfahren, warum und weshalb Mac gestorben ist. Zwischen ihm und Mac war schon viele Jahre keine Bruderliebe mehr. Sie waren zu verschieden, und Macs Schuld war zu groß.
Jim Allard ist nur in dieses Land gekommen, um wenigstens zu wissen, warum sein Bruder getötet wurde.
Und nun sitzt er hier und muss erkennen, dass sich sein Bruder nicht geändert hatte, sondern für Geld die schmutzige Arbeit für einen Raubrancher verrichtete. Dass Mac dabei getötet wurde, ist eine Sache, mit der jeder angeworbene Revolvermann rechnen muss.
Jim Allard spürt nicht den geringsten Groll gegen Tom Lane, den einstigen Gatten dieser Frau, in sich. Seine kalte Wut richtet sich vielmehr gegen die Art und Weise, wie ein Raubrancher seine kleinen Nachbarn erledigt.
Indes haben die abgesessenen Reiter das Haus erreicht. Nacheinander treten sie ein. Der erste Mann hält sogar einen schussbereiten Colt in der Hand.
Und er sieht sofort Jim Allard hinter dem Tisch sitzen.
Einen Fremden hat er nicht erwartet.
Er hält jäh inne und richtet die Mündung der Waffe auf Jim.
»He, wer bist du, Mister?«
Jim Allard nimmt sich Zeit mit der Antwort. Er betrachtet den Mann genau – und dann die beiden anderen.
Ja, es sind Revolverschwinger, die davon leben, dass sie ihre Colts vermieten.
Jim Allard sieht drei scharfgesichtige, hagere Burschen, die ihn an wachsame Wüstenwölfe erinnern. Er braucht nur drei Sekunden, um die drei Männer besser abschätzen zu können, als ein anderer Mann es in drei langen Minuten vermocht hätte.
Sie sind gewiss schlimm, aber sie sind nicht so schlimm, dass er nicht mit ihnen zurechtkommen könnte. Es ist kein Klassemann von seiner Sorte dabei.
»Ich habe dich etwas gefragt, Mister!«, sagt der Mann mit dem schussbereiten Colt zu ihm. »Antworte verdammt schnell!«
»Ich komme von Laramie – und der Weg war trocken. Ich wurde hier zum Essen eingeladen.«
»Das ist ein Texasmann«, sagt einer der beiden anderen Burschen.
»Sicher«, brummt der Mann mit dem Colt und hält die Mündung immer noch genau auf Jim Allard gerichtet. »Das ist ein Texasmann. Was willst du in diesem Land, mein Freund?«
»Ich reite nur«, murmelt Jim Allard und wirft den Rest seiner Zigarette über die Schulter hinweg aus dem Fenster.
Der Sprecher starrt ihn eine Weile nachdenklich an. Dann zuckt er mit den hageren Schultern und sagt scharf: »Komm her! Gib mir deinen Colt! Dann kannst du verschwinden. Wolltest du vielleicht zur Zwei-Monde-Ranch? Zu Bill Jefferson?«
»Vielleicht – ich weiß es noch nicht genau«, grinst Jim Allard.
Als er sich erhebt, spürt er deutlich den verächtlichen Blick der Frau auf sich ruhen. Und der Junge ruft schrill: »Siehst du, Mutter, er ist einer von diesen Burschen!«
Jim Allard setzt sich auf die Tischecke.
»Was habt ihr denn hier vor?«, fragt er sanft.
»Das geht dich nichts an«, erwidert der Mann mit dem Colt. »Komm schon, Freund! Deinen Colt! Wenn du zu Bill Jefferson reiten solltest, so kannst du ihn dort vielleicht zurückerhalten. Aber jetzt verschwindest du erst einmal. Komm!«
»Ich würde aber dennoch gerne wissen, was ihr hier vorhabt.« Jim Allard grinst. »Es könnte doch sein, dass es auch mir etwas Spaß bereiten würde, nicht wahr?«
»Vielleicht – aber vielleicht auch nicht«, murmelt der andere Mann zweifelnd und studiert ihn aufmerksam. Indes er noch überlegt, tritt einer der beiden anderen Männer an den Küchenschrank und starrt durch die Glasscheiben auf das Geschirr. Es ist gutes Geschirr, und es ist wahrscheinlich der kostbarste Teil der Aussteuer, die die Frau damals mit in die Ehe brachte.
»Warum soll er nicht zusehen?«, fragt der Mann plötzlich, greift an die Ecke des Schrankes und kippt diesen mit einem Ruck um.
Es kracht laut. Die Scheiben und das Geschirr klirren.
Als es still wird, hört man nur das Keuchen des Jungen. Erst nach einigen Sekunden sagt die Frau: »Ihr Bastarde!«
Dann wird es wieder still.
Jim Allard sieht die drei Männer der Reihe nach an. Sie grinsen zynisch, und der Bursche, der den Colt in der Hand hält, fragt gedehnt: »Nun, gefällt es dir wirklich? Oder willst du lieber verschwinden? Wir werden hier nämlich alles kurz und klein schlagen und kein heiles Stück zurücklassen. Die stolze Schöne sollte nämlich schon vor drei Tagen diese Ranch verlassen. Aber sie blieb. Und nun bekommt sie die erste Lektion. Wenn sie morgen noch immer hier ist, wird es noch rauer. Jetzt weißt du es also, Langer. Und jetzt bin ich neugierig, was du tun wirst.«
Jim Allard erhebt sich von der Tischecke.
»Euer Boss muss ein mächtig rauer Mann sein«, murmelt er sanft. »Und er muss sich mächtig stark fühlen, dass er sich solche Dinge erlaubt. Vielleicht gefällt mit das und ich bleibe für eine Weile in dieser Gegend. Ich will mir Bill Jefferson einmal ansehen.«
»Sicher, das kannst du, Langer! Aber erst gibst du deinen Colt her. Dann werden wir dich zu unserem Boss mitnehmen. Los, gib mir die Kanone mit dem Griff nach vorn herüber. Und mach keine schnelle Bewegung dabei. Dann kannst du draußen warten. Wir nehmen dich mit.«
Die Stimme des Mannes klingt scharf.
Jim Allard nickt. Er seufzt sogar leicht. Er tritt bis in Reichweite an den Mann heran und schaut dabei in dessen Coltmündung.
Mit zwei Fingerspitzen holt er die Waffe aus dem Holster, wirft sie leicht in die Luft und fängt sie am Lauf wieder auf. Mit dem Griff zuerst reicht er sie dem Mann hinüber.
Der lässt die drohende Mündung seiner Waffe etwas sinken und greift mit der Linken zu, um Allards Waffe zu übernehmen.
Aber dann passiert etwas.
Es ist ein höllisches Kunststück.
Die Waffe in Jim Allards Hand schlägt einen blitzschnellen Salto. Ganz plötzlich liegt der Griff wieder in seiner Hand. Die Hand des anderen Mannes greift ins Leere.
Bevor er sich dessen überhaupt richtig bewusst wird, kracht der Schuss dumpf und schmetternd im Raum.