G. F. Unger 2179 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2179 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Es war im Oktober 1869, als wir mit unserer Herde endlich Dodge City erreichten und am Ziel unseres Treibens waren.
Wir waren vor fast einem halben Jahr aus der Gegend von San Antonio aufgebrochen und hatten unsere Longhorns fünfzehnhundert Meilen durch alle sieben Höllen getrieben. Und wir waren die Letzten in diesem Jahr. Es war eine große Herde. Achttausend Rinder hatten wir getrieben. Und als wir sie endlich in die Verladecorrals hineinjagten, taten wir es mit Jubelrufen.
Denn nun würde sich für uns gewissermaßen das Paradies öffnen. Davon hatten wir die letzten Wochen immerzu geredet, und Brazos hatte geschworen, dass er drei Tage und drei Nächte mit einem Mädchen im Bett verbringen würde.
Wir waren raue Herdentreiber, richtig harte Burschen. Denn eine andere Sorte hätte die Longhorns nicht durch alle sieben Höllen treiben können. Darauf waren wir stolz, und so fühlten wir uns wie die letzten Ritter dieser Erde, die einen Kampf gegen die Elemente und gegen tausend andere Schwierigkeiten gewonnen hatten ...


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Seitenzahl: 157

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Blizzard-Fehde

Vorschau

Impressum

Blizzard-Fehde

Es war im Oktober 1869, als wir mit unserer Herde endlich Dodge City erreichten und am Ziel unseres Treibens waren.

Wir waren vor fast einem halben Jahr aus der Gegend von San Antonio aufgebrochen und hatten unsere Longhorns fünfzehnhundert Meilen durch alle sieben Höllen getrieben. Und wir waren die Letzten in diesem Jahr. Es war eine große Herde. Achttausend Rinder hatten wir getrieben. Und als wir sie endlich in die Verladecorrals hineinjagten, taten wir es mit Jubelrufen.

Denn nun würde sich für uns gewissermaßen das Paradies öffnen. Davon hatten wir die letzten Wochen immerzu geredet, und Brazos hatte geschworen, dass er drei Tage und drei Nächte mit einem Mädchen im Bett verbringen würde.

Wir waren raue Herdentreiber, richtig harte Burschen. Denn eine andere Sorte hätte die Longhorns nicht durch alle sieben Höllen treiben können. Darauf waren wir stolz, und so fühlten wir uns wie die letzten Ritter dieser Erde, die einen Kampf gegen die Elemente und gegen tausend andere Schwierigkeiten gewonnen hatten ...

Der Herdenboss war John Brennan. Von meinem Bruder Luke und mir war er der Onkel, und er war der Bruder unseres Vaters.

Als er uns wenig später mit den anderen Treibern in die Stadt entließ, sagte er zu mir: »Jeff, achte auf deinen Bruder Luke. Treibt es nicht zu toll in Dodge City. Sonst sperren sie euch ein! Vorsicht! Die warten nur auf wilde Dummköpfe, denen sie verdammt hohe Strafen aufbrummen können. Und diese Warnung gilt für euch alle!«

Mit den letzten Worten wandte er sich an die lange Schlange der warteten Reiter, denen er einen Vorschuss auszahlte.

Unseren vollen Lohn würden wir erst erhalten, wenn er die Herde verkauft hatte. Dazu musste er erst noch mit den Aufkäufern der Fleisch- und Konservenfabriken im Osten verhandeln. Vor einer Woche – wir hörten es unterwegs – hatte man für ein Longhornrind noch dreizehneinhalb Dollar gezahlt.

Auch musste er noch mit den Pferdeaufkäufern verhandeln. Denn unsere Pferderemuda war mehr als hundert Tiere stark. Es waren gute Rinderpferde. Sie mussten wenigstens dreißig Dollar das Stück bringen. Doch das war die Sache unseres Onkels. Wir wurden also einstweilen mit einem Vorschuss in die Stadt entlassen.

Die Rinder gehörten jetzt der Verlademannschaft der Eisenbahn. Und auch die Pferde wurden in einem Corral von Leuten des Verladebahnhofs bewacht.

Die meisten Burschen der Mannschaft galoppierten in Gruppen zur nahen Stadt hinüber. Sie kreischten wie wilde Indianer, johlten und pfiffen und schossen auch mit den Revolvern in die Luft.

Denn vor sich sahen sie die Tore zum Paradies.

Luke und ich ritten langsamer. Es war nicht unsere Art, sozusagen blind auf ein Ziel loszustürmen – und wäre es noch so verlockend. Wir waren im Krieg gewesen und kannten uns einigermaßen aus auf dieser Erde und mit den Menschen. Bisher waren wir noch nicht auf edle Lichtgestalten unter ihnen gestoßen – im Gegenteil.

O ja, in Dodge City erwarteten sie uns mit Freuden. Denn wir brachten Dollars. Von den vor uns schon eingetroffenen Treibherden waren noch eine ganze Menge Jungs da, die ihr Geld noch nicht völlig verjubelt hatten. Und so herrschte in Dodge City ziemlich viel Betrieb. Alle Saloons, Spielhallen und Tingeltangels waren noch geöffnet. Doch bald würden sie schließen. Den Winter über würde die Treibherdenstadt am Ende eines Schienenstranges fast eine tote Stadt sein. Denn vorerst lebte sie nahezu ausnahmslos von den Treibherden.

Es gab immer noch große Büffelherden und noch längst keine Farmer auf der Kansasprärie. Deshalb waren auch eine Menge Büffeljäger in der Stadt, die hier ihre Häute abgeliefert hatten und ebenso hungrig nach allen Sünden waren wie wir Herdentreiber. Auch Soldaten sahen wir beim Hereinreiten da und dort. Es musste in der Nähe eine Garnison sein, ein Fort oder Armeecamp.

Es gab also drei unterschiedliche Gruppen in Dodge City: nämlich Herdentreiber, Büffeljäger und Soldaten. Und zusammen waren sie die große Hammelherde, der man mit allen Tricks die Wolle scherte.

Lukes Augen funkelten. Ich sah ihm an, dass er sozusagen unter Dampf stand. Luke war ein Bursche von der Sorte, die sich stets durch Verwegenheit zu behaupten versucht. Ja, ich würde auf ihn aufpassen müssen, das wusste ich. Denn obwohl ich nur ein einziges Jahr älter war als er, war ich sehr viel besonnener und ließ mich nicht so schnell herausfordern.

Zuerst klappte es mit Luke auch recht gut.

Wir setzten uns eine halbe Stunde später jeder in ein großes Badefass, das von einem riesigen Neger und dessen Gehilfen – einem Jungen – immer wieder mit heißem Wasser aufgefüllt wurde. Denn wir wollten nicht vor einer Stunde aus dem Bad steigen. Auch unsere Haare wurden gestutzt. Und frisches Zeug lag bereit auf einem langen Tisch, an den wir treten und von dem wir uns bedienen konnten, sobald wir aus den Badefässern gestiegen waren und uns abgetrocknet hatten.

So einfach war das hier in Dodge City für uns stinkende Herdentreiber.

Denn wir wollten so schnell wie möglich nach Fliederwasser duften und sauberes Zeug tragen. Die anderen aber, die Stadtleute, wollten unsere Dollars.

Und so weit war das ja auch in Ordnung.

Es gab in der Badeanstalt an die zwei Dutzend Fässer. In jedem Fass hockte ein grinsender Bursche, der es vor lauter Ungeduld und Vorfreude kaum mehr in seinem Zuber aushalten konnte.

Die Badeanstalt war zwar von einem Bretterzaun umgeben, befand sich jedoch sonst unter freiem Himmel.

Die Temperatur betrug noch keine fünf Grad Celsius, war also nur wenig über dem Gefrierpunkt. Doch das machte uns nichts aus.

Es war dann eine gute Stunde später, als das große Drama begann.

Luke und ich gingen in den Long Branch Saloon, in dem man sich tatsächlich verlaufen konnte vor lauter Abteilungen.

Es war reiner Zufall, dass wir den Eingang wählten, der in die große Spielhalle führte. Um in die große Amüsierhalle zu gelangen, wo die Musik spielte und wir auch kreischende Frauenstimmen hörten, mussten wir die Spielhalle durchqueren.

Aber so einfach war das nicht.

Denn Luke ritt der Teufel. Als wir an einem Roulettetisch vorbeikamen, hielt er inne und setzte zehn Dollar auf Zero.

Dann grinste er mich an und sagte: »Will mal sehen, ob ich heute Glück im Spiel und Pech in der Liebe habe.«

Er sagte es herausfordernd, und ich wusste, so war es auch gemeint. Er forderte jetzt auf seine verwegene Art das Schicksal heraus. Er konnte gewinnen oder verlieren.

Wenig später klickte die Roulettekugel. Es wurde still. Dann sagte eine Frauenstimme: »Zero!«

»Hier«, sagte Luke grinsend.

Ich sah, dass die Frau, die das Rouletterad bediente, sehr reizvoll war. Wenn mir jemand gesagt hätte, sie wäre eine Gräfin, so hätte ich es geglaubt.

Auch Luke war hin. Ich sah es ihm an. Es war wohl so, als hätte ihn plötzlich der Blitz getroffen.

Sie schob ihm den Gewinn hinüber mit ihrem Rechen und strahlte ihn mit ihren grünen Katzenaugen an. Ich sah, dass es der sechsunddreißigfache Einsatz sein musste, und erinnerte mich daran, dass Zero – was ja französisch Null heißt – den höchsten Gewinn brachte, der beim Roulette möglich war.

Aber Luke nahm das Geld nicht an sich. Es waren dreihundertundfünfzig Dollar, und es war mehr, als wir an Lohn für das Treiben bekommen würden. Also war es für Luke eine gewaltige Summe Geld. Doch er nahm es nicht und schob es wieder auf Zero, so als wären es nur zehn Dollar wie vorhin.

»Ich will es noch mal wissen, Lady«, sagte er und starrte wieder in die grünen Katzenaugen hinein.

Rings um uns erhob sich Gemurmel.

Jemand sagte hinter mir: »Den reitet der Teufel.«

Und so war es wohl auch. Aber ich wusste, selbst ich konnte Luke jetzt nicht zurückhalten. Den ritt tatsächlich der Teufel. Nun wollte er es wissen. Und ich wusste, wenn er verlor, würde er nicht klagen, sondern nur lachen.

So war er.

Und wieder klirrte die Kugel in diesem sich drehenden Roulettetopf, verklang dann mit dem letzten Klicken.

Ich sah gar nicht hin, und ich stand ja auch nicht ganz vorne. Ich sah nur das Gesicht der schönen Frau. Ihr schulterfreies Kleid hatte die Farbe ihrer Augen. Und ihr Haar war rot. Sie verzauberte alle Männer. Doch nicht jeder würde sich an sie heranwagen.

Luke ja. Der würde sich auch an eine richtige Königin wagen, wenn sie ihm nur gut genug gefiel.

Ich hörte die kehlige und sehr melodische Frauenstimme durch das nun jäh hörbar werdende Gemurmel sagen: »Zero!«

Das war es also. Luke hatte zweimal auf Zero gesetzt und zweimal gewonnen.

Das musste Schicksal sein, nichts anderes.

Ich versuchte auszurechnen, wie hoch sein Gewinn wohl sein mochte, und als ich es ausgerechnet hatte, wollte ich es nicht glauben.

Mit zehn Dollar fing er an. Es wurden dreihundertsechzig.

Nun waren es zwölftausendneunhundertsechzig.

Heiliger Rauch, konnte das gut gehen?

Denn wenn Luke jetzt der Teufel ritt, dann würde er nochmals alles auf Zero setzen.

Ja, so war Luke. Ich kann es nur immer wiederholen.

Es war ja ohnehin der totale Irrsinn, dass zweimal Zero hintereinander kam. Das war fast so, als hätte man zweimal hintereinander beim Poker einen Royal Flush oder als ließe ein Vogel aus der Luft etwas fallen, und es fiel mitten in einen Kaffeebecher.

Ich hielt also den Atem an und wartete.

Vielleicht hätte es Luke tatsächlich noch ein drittes Mal versucht.

Aber er hatte die Bank gesprengt. Sie mussten von den anderen Spieltischen Geld herbeiholen. Es wurde ja hier nicht mit Chips gespielt, die man sich an der Kasse kaufte und auch wieder einlösen konnte. Nein, hier setzte man bares Geld und bekam es auch als Gewinn.

Sie holten also von den anderen Spieltischen das Geld zusammen.

Und dann kam der Manager der Spielhalle. Er starrte Luke böse an, so als hätte dieser mit seiner Frau geschlafen, und sagte: »Dieser Tisch hier ist geschlossen. Mit dem Rouletterad muss etwas nicht in Ordnung sein. Vielleicht sollten wir nicht mal den Gewinn auszahlen.«

Als er den letzten Satz sprach, erhob sich sofort drohendes Gemurmel der vielen Zuschauer und anderen Spieler, die in einem dichten Kreis den Spieltisch umgaben und Luke neidvoll anstarrten. Es waren Herdentreiber, Büffeljäger, Soldaten, Eisenbahnleute – und sie alle freuten sich, dass die Spielhalle, in der sie fast alle ihr Geld gelassen hatten, nun an einen von ihnen mal so richtig verloren hatte.

Der Manager begriff schnell, dass es eine Menge Ärger geben würde, sollte er Luke die Auszahlung des Gewinns verweigern.

Und so kassierte Luke wenig später mit blinkendem Grinsen. Er füllte seinen Hut und stopfte sich die Taschen voll. Und weil er auch darin nicht das ganze Geld unterbringen konnte, wandte er sich an mich und sagte: »Bruderherz, übernimm du den Rest. Wir sind verdammt reich geworden, nicht wahr?«

Ja, so war es wahrhaftig. Zweimal Zero hintereinander hatte uns reich gemacht.

Für fast dreizehntausend Dollar konnte man sich daheim in Texas eine wunderschöne Ranch kaufen. Und ein guter Cowboy musste dafür an die vierzig Jahre arbeiten. Ja, eine solch gewaltige Summe Geld war das damals.

Es war unglaublich, geradezu verrückt. Und ich wusste, nur das Schicksal mit seinen Launen machte so etwas möglich.

Die vielen Zuschauer und Spieler verließen den nun geschlossenen Roulettetisch. Der dichte Kreis löste sich auf. Sie wanderten zu den anderen Spieltischen ab.

Nur der Manager und die schöne Frau blieben noch.

Der Manager sagte: »Alle anderen Spieltische sind für Sie offen, Gentleman. Sie werden sicherlich den Mut haben, Ihre Glückssträhne weiterhin auszunutzen, nicht wahr?«

Es war nur zu verständlich, dass er dies sagte. Denn er musste ja interessiert daran sein, dass Luke seinen Gewinn an den anderen Spieltischen wieder verlor. Denn eines war völlig klar: Letztlich gewann auf die Dauer stets die Spielhalle. Wäre das nicht so, dann würde sie schnell bankrott sein.

Ich hatte abermals Angst um Luke. Würde er sich herausfordern lassen? War er jetzt immer noch verrückt genug, sich vom Teufel reiten zu lassen?

Aber er war es nicht.

Denn er schüttelte den Kopf und sagte: »Danke, mein Freund, aber ich spiele heute nicht mehr.«

Er sah die schöne Frau an, die auf dem Spieltisch noch einige Ordnung machte. Sie erwiderte seinen Blick. Ich wusste nicht, was Luke in ihren Augen erkennen konnte, aber es war etwas, was ihm Mut machte.

Ich hörte ihn sagen: »Lady, da dieser Tisch geschlossen ist, sind Sie nun frei, nicht wahr? Mein Name ist Brennan, Luke Brennan. Ich habe noch nicht zu Abend gegessen. Darf ich Sie einladen?«

Sie tauschte einen schnellen Blick mit dem Manager aus und erhielt offenbar ein stillschweigendes Einverständnis. Denn als sie Luke wieder ansah, nickte sie und lächelte dabei, so als freute sie sich über die Einladung.

»O ja, gern«, sprach sie mit ihrer leicht kehlig und dennoch melodisch klingenden Stimme. »Da mein Spieltisch erst von einem Experten überprüft werden muss, bin ich vorerst ohne Job. Und Hunger hätte ich auch. Wir haben ein gutes Restaurant hier in der Stadt.«

Sie kam hinter dem Spieltisch hervor und nahm Lukes Arm.

Dabei sagte sie: »Ich bin Lilly McGinnes, und wir müssen erst aus meinem Zimmer meinen Mantel holen. Denn es ist gewiss sehr kalt dort draußen in der Nacht. Bald wird es Winter sein.«

Sie gingen davon, ließen mich und den Manager stehen, als wären wir gar nicht vorhanden.

Der Manager sah mich an,

»Sie sind sein Bruder?« So fragte er.

Ich nickte. Dann sprach ich langsam Wort für Wort: »Mein lieber Freund, ich rechne damit, dass die Schöne ihm das meiste Geld auf die eine oder andere Art und Weise wieder abnehmen wird. Solange sich da niemand einmischt, ist das allein sein Problem, denn er ist ein erwachsener Mann und kein dummer Junge mehr. Aber wenn sich jemand einmischen sollte – nun, wir sind eine verdammt harte und raue Texas-Mannschaft. Wir kamen mit der letzten Herde. Luke hat außer mir gewissermaßen noch zwei Dutzend Brüder. Vorsicht also.«

Nach diesen Worten ging ich. Ja, ich hatte ihn gewarnt.

Luke hatte zu viel Geld gewonnen. Ich wusste, das konnte nicht gut gehen in dieser rauen Stadt, zumal die schöne Lilly McGinnes ihn irgendwie verhext hatte.

Zwei Tage später ließ Onkel John Brennan die ganze Mannschaft zusammenholen. Wir alle trafen uns bei den Verladecorrals, wo auch noch unser Küchenwagen stand.

Sie alle waren gekommen, die meisten verkatert. Einige hatte man aus den Betten der Freudenmädchen geholt. Manche waren noch ziemlich betrunken. Doch sie alle waren gekommen. Alle außer Luke. Denn Luke hatte die schöne Lilly in ihren Klauen.

John Brennan saß noch im Sattel, als wir uns um ihn versammelten.

Er deutete zu den Verladecorrals hinüber, in denen sich noch die Hälfte unserer Herde befand, also etwa viertausend Tiere. Sie muhten und brüllten, waren unruhig und wären in ihrem Zustand draußen auf der Prärie längst bei dem geringsten Anlass in Stampede ausgebrochen. Hier konnten sie es nicht. Aber sie waren durstig. Es fehlte ihnen das Büffelgras in den Mägen. Und weil sie seit Monaten an das tägliche Wandern gewöhnt waren, machte das Gedränge in den Corrals sie verrückt.

John Brennan sagte vom Pferd zu uns nieder: »Jungs, wir waren die letzte Herde. Man war nicht mehr auf uns eingerichtet. Die Aufkäufer der Konserven- und Fleischfabriken im Osten hätten mir die Herde noch abgenommen zu einem guten Preis. Aber die Eisenbahn schickt keine Leerzüge mehr nach Dodge City. Sie will vor Winteranbruch einige Streckenabschnitte reparieren und auch Brückenschäden beseitigen. Sie befindet sich jetzt im Wettlauf mit dem ersten Schneefall, der jeden Tag kommen kann. Ich werde diese viertausend Rinder hier nicht mehr los.«

Als er verstummte, klang seine Stimme grimmig und bitter.

Wir starrten zu ihm hoch.

Einer fragte: »Boss, bekommen wir deshalb auch nur den halben Treiberlohn?«

Er schüttelte den Kopf. »Natürlich bekommt ihr den vollen Lohn und noch eine Prämie«, erwiderte er. »Ihr habt mehr als nur eure Pflicht getan, wart eine erstklassige Mannschaft. Doch was mache ich mit viertausend wertlos gewordenen Rindern? Darüber habe ich nachgedacht. Und so werde ich eure Hilfe brauchen.«

Er machte abermals eine Pause.

Dann aber sprach er härter und energischer: »Ich will morgen mit diesen Rindern aufbrechen. Wenn die Eisenbahn glaubt, dass sie noch zwei oder drei Wochen Zeit hat, um vor Winteranbruch ihre Strecke reparieren zu können, so denke ich, dass wir es noch bis ins nördliche Nebraska schaffen können. Zum Niobrara River!«

Er rief den letzten Satz irgendwie triumphierend.

Einer von uns fragte: »Und was ist dort am Niobrara?«

»Es ist ein herrliches Hügelland«, erwiderte John Brennan. »Der Fluss ist eingesäumt von Espen. Es gibt viele Zuflüsse, schöne Hügeltäler. Das ganze nordwestliche Nebraska ist ideal für die Rinderzucht. Die Täler geben den Herden guten Schutz vor den Blizzards. Ich will mit den viertausend Rindern ein großes Stück Weide besetzen und eine Ranch gründen. Und zumindest die halbe Mannschaft brauche ich dafür. Ich werde euch jetzt alle auszahlen und zugleich eine neue Liste auslegen, in die sich jeder eintragen kann, der mit mir nach Nebraska will.«

Nun war also alles klar, und jeder von uns wusste Bescheid – auch ich. Doch ich wusste jetzt schon, dass ich nicht mitreiten würde nach Nebraska. Denn mein Bruder Luke würde nicht mitkommen, sondern bei der schönen Lilly McGinnes bleiben wollen, mochte kommen, was wollte.

Und ich konnte Luke hier in Dodge City nicht allein lassen. Ich wusste, er würde mich noch brauchen.

Als ich mir also von Onkel John für Luke und mich den Lohn geben ließ, dazu noch eine Prämie, da fragte er: »Und auf euch kann ich sicherlich ebenfalls zählen, nicht wahr? Ihr seid schließlich meine Erben, steht mir nahe wie Söhne, die ich niemals hatte. Tragt euch ein.«

Aber ich schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wir kommen sicherlich nach. Aber zurzeit ist es so, dass Luke den Verstand in der Hose hat, weil er verrückt ist nach einer schönen Hexe. Wenn er aufwacht aus seinem Rausch, wird er wieder vernünftig sein. Dann kommen wir nach, Onkel John. Ich muss in Lukes Nähe bleiben. Denn sein Erwachen in die Wirklichkeit wird ziemlich grausam sein. Dann braucht er mich.«

Onkel John nickte.

Er sah unserem Vater so ähnlich, wie Luke und ich uns ähnlich sahen. Ja, obwohl er nur unser Onkel war, konnte man uns für seine Söhne halten. Doch er war niemals verheiratet gewesen. Wir kannten seine Geschichte. Und vielleicht erlebte Luke nun fast die gleiche Geschichte wie Onkel John und würde fortan keiner Frau mehr vertrauen.

»Dann pass gut auf, Jeff«, sprach er.

Das war alles.

Ich ritt wieder zur Stadt hinüber.

Hinter mir brüllte die Herde. Es war recht kalt. Die Bäume und Büsche hatte nur noch wenige Blätter. Aber es konnte sein, dass der Schnee erst in zwei oder drei Wochen kam.

Noch bevor ich die Stadt erreichte, kamen mir zwei Reiter entgegen. Es waren mein Bruder Luke und die schöne Lilly.

Luke winkte mir zu und rief im Vorbeireiten hinüber: »Hoiii, Jeff, hast du dich gut amüsiert? Such dir eine Schöne! Aber eine wie Lilly gibt es nur einmal auf diesem Erdball!«

Lachend ritten sie an mir vorbei, hinaus auf die weite Prärie. Es war ein zwar kalter, doch schöner Tag. Ich sah ihnen nach und fragte mich, wie lange das noch so gehen würde.