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Als ich aus den Bradshaw Mountains in das große Tal kam, glich ich einem hungrigen Wolf aus den Bergen, der zum ersten Mal eine große Stadt sieht. Aber die Stadt war nur ein jämmerliches Nest, und ich hatte natürlich schon ganz andere Städte gesehen ‑ nur war das schon über ein Jahr her.
Die Männer, die ein Jahr lang auf der Ranch meine Gefährten und Kameraden waren, hatten mich gewarnt. Lester Farrel, der Vormann, hatte zu mir gesagt: »Cash, du machst einen Fehler, wenn du glaubst, dass schon wieder Gras über die Geschichte gewachsen ist. Jener Ringo Mannen, den du im Revolverkampf von den Beinen schießen konntest, war zu bekannt. Sieh, die meisten Burschen unserer Mannschaft haben irgendwo Verdruss gehabt und konnten hier eine Zuflucht finden. Niemand kann es wagen, auch nur einen von ihnen aus unseren Bergen zu holen. Und sie sind auch nicht so dumm, den Schutz der Gemeinschaft zu verlassen. Du solltest ebenfalls bei uns bleiben, Cash.«
Ich schüttelte den Kopf, und da ließ er mich achselzuckend reiten. Er sagte mir nur zum Abschied: »Jeder Mann ist sein eigener Hüter.«
Unser Boss, der sich kaum um den Ranchbetrieb kümmerte, gab mir zu meinem Jahreslohn noch eine gute Prämie, und deshalb waren fünfhundert Dollar in meiner Tasche, als ich über den letzten Hügel ritt und mich der Stadt näherte. Es wurde Abend, und ich grinste, als ich an die vielen Freuden dachte, die dort auf mich warteten.
Ich sollte mich noch wundern!
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Arizona-Banditen
Vorschau
Impressum
Arizona-Banditen
Als ich aus den Bradshaw Mountains in das große Tal kam, glich ich einem hungrigen Wolf aus den Bergen, der zum ersten Mal eine große Stadt sieht. Aber die Stadt war nur ein jämmerliches Nest, und ich hatte natürlich schon ganz andere Städte gesehen - nur war das schon über ein Jahr her.
Die Männer, die ein Jahr lang auf der Ranch meine Gefährten und Kameraden waren, hatten mich gewarnt. Lester Farrel, der Vormann, hatte zu mir gesagt: »Cash, du machst einen Fehler, wenn du glaubst, dass schon wieder Gras über die Geschichte gewachsen ist. Jener Ringo Mannen, den du im Revolverkampf von den Beinen schießen konntest, war zu bekannt. Sieh, die meisten Burschen unserer Mannschaft haben irgendwo Verdruss gehabt und konnten hier eine Zuflucht finden. Niemand kann es wagen, auch nur einen von ihnen aus unseren Bergen zu holen. Und sie sind auch nicht so dumm, den Schutz der Gemeinschaft zu verlassen. Du solltest ebenfalls bei uns bleiben, Cash.«
Ich schüttelte den Kopf, und da ließ er mich achselzuckend reiten. Er sagte mir nur zum Abschied: »Jeder Mann ist sein eigener Hüter.«
Unser Boss, der sich kaum um den Ranchbetrieb kümmerte, gab mir zu meinem Jahreslohn noch eine gute Prämie, und deshalb waren fünfhundert Dollar in meiner Tasche, als ich über den letzten Hügel ritt und mich der Stadt näherte. Es wurde Abend, und ich grinste, als ich an die vielen Freuden dachte, die dort auf mich warteten.
Ich sollte mich noch wundern!
Ich war ganz bestimmt kein hübscher Bursche. Als Junge war ich oft Rusty genannt worden, aber dann wurden meine roten Haare doch dunkelbraun mit einem leichten Kupferschimmer.
Ein paar Sommersprossen gab es auf meiner recht kurz geratenen Nase.
Sonst waren ein paar Narben da und dort. Mein Kinn war etwas zu breit geraten – und auch der Mund. Meine Augen waren von einem Grau wie frisch gegossenes Blei. Ich wog um die hundertsechzig Pfund und war auch sechs Fuß groß. Und ich war schnell wie ein Wildkater.
Die Stadt, auf die ich zuritt, hieß Three Fork, und das kam von dem Creek, der sich hinter der Stadt in drei gleichmäßig starke Wasserläufe gabelte, die dem Tal eine gute Bewässerung gaben.
Doch das war mir völlig gleichgültig. Ich war froh, endlich wieder in der sogenannten Zivilisation zu sein.
Sechs Stunden später – es war schon kurz nach Mitternacht – hatte ich einige der Sünden, die man in Three Fork begehen konnte, auch schon begangen und war in Hatchs Spielsaloon dabei, einen Berg zu gewinnen – es war ein Berg von Geld, und von meinen fünfhundert Dollar, mit denen ich in die Stadt gekommen war, befanden sich die meisten dabei.
Die Zuschauer umgaben uns wie eine Mauer, und weil es eine harte Stadt mit harten Hombres war, sah ich nicht wenige Burschen, mit denen ich lieber in Frieden ausgekommen wäre.
Ich hatte drei Damen auf der Hand, und es war vielleicht dumm von mir, mit nur drei Damen so hoch einzusteigen. Doch ich war der Meinung, dass mein Gegenüber bluffte. Er war Spieler des Hauses oder hatte zumindest diesen Kartentisch gemietet. Alle anderen Mitspieler waren ausgestiegen. Nur dieser hartgesichtige Kartenhai mit der Schnürsenkelkrawatte war außer mir noch im Spiel.
Und nun sagte er: »Was soll's denn sein, mein junger Freund? Wollen Sie auch noch Ihr Pferd, den Sattel und den Colt setzen?«
»Den Colt nicht«, erwiderte ich. »Den Colt brauche ich vielleicht noch notwendig, wenn die Karten auf dem Tisch liegen. Also, Mister, zeigen Sie, was Sie haben.«
Er grinste kalt. In seinen dunklen Augen war ein wachsames Glitzern. Und er legte wortlos einen Flush hin.
Nun, ich hätte nichts gegen diesen Flush einzuwenden gehabt, zumal ich mit meinen drei Damen nicht dagegen ankommen konnte. Nur hatte dieser Flush einen Schönheitsfehler.
Das war eine lächerliche Pik-Sieben.
Ich hatte sie abgelegt, als ich Karten kaufte. So war ich zu den drei Damen gekommen. Diese Pik-Sieben musste immer noch in dem abgelegten Haufen liegen. Ich glaubte nicht, dass der Kartenhai sie sich herausgeholt hatte. Denn dann wäre er ein perfekter Zauberkünstler gewesen.
Doch er hatte eine andere Pik-Sieben ins Spiel gebracht – weil nur sie ihm den Flush verschaffte, der ja eine Folge von Karten ist nach den Regeln des Pokerspiels.
Nachdem ich die Pik-Sieben angesehen hatte, tippte ich mit dem Zeigefinger der Rechten darauf und sagte: »Die ist falsch. Denn ...«
Der Spieler war schnell. Er handelte sofort. Zum Glück war ich ein besonders schneller Linkshänder. Meine Kugel traf den Burschen genau unter die Schnürsenkelkrawatte, bevor er seinen kleinen Taschencolt, den er herausgezaubert hatte, auf mich abdrücken konnte.
Dann schlug mir jemand von hinten einen Stuhl auf den Kopf – und ich versank in bodenlose Tiefen, wusste nichts mehr.
✰
Ich wurde schon bald wieder wach und begriff, dass mich einige Männer über die Straße schleiften. Als sie merkten, dass ich wieder zu mir kam, stellten sie mich auf die Beine. Denn sie wollten sich natürlich nicht unnötig anstrengen und meine hundertsechzig Pfund schleppen.
Ich fragte: »Was ist ...? Wohin bringt ihr mich? Nehmt nur eure Pfoten von mir! Das vertrage ich nicht, wenn man mich mit unegalen Fingern so anpackt.«
Die Burschen lachten grimmig. Es war nicht die kleinste Spur von Freundlichkeit in ihrem Lachen.
»Du bist erledigt, Wild Bill«, sagte einer von ihnen zu mir. »Du hast einen ehrenwerten und sehr beliebten Bürger unserer Stadt vom Stuhl geschossen. Da kennt unser Richter keine Gnade. Du wirst hängen, Wild Bill. Jemand wird dir mit seinen unegalen Fingern die Schlinge um den Hals liegen, und sie werden dich daran hochziehen, bis du tot bist. Komm, mein Junge, komm schon!«
Nun war ich richtig wach und alarmiert.
Ich explodierte wie ein Wildkater, der aus Versehen in einen Zwinger mitten unter ein Rudel Jagdhunde geraten ist.
Es gelang mir, zuerst den Sprecher und dann noch einen zweiten Mann von den Beinen zu schlagen.
Doch es waren noch zwei weitere Männer da, die mich so lange festhalten konnten, bis sie wieder zu viert waren.
Ich erhielt mitten auf der Fahrbahn von Three Fork die fürchterlichsten Prügel meines Lebens – und ich war schon oft von einer Übermacht verprügelt worden, weil ich zumeist das Pech hatte, auf der Seite der Verlierer zu sein.
Sie schlugen mich windelweich, und nachher mussten sie mich ins Stadtgefängnis schleifen.
Nach meinem Erwachen blieb ich erst mal eine Weile liegen, ohne mich zu bewegen oder sonst welche Lebenszeichen von mir zu geben.
Ich dachte an den Spieler, den ich getötet hatte. Meine Gedanken wurden nur von einem Stöhnen unterbrochen, aus dem ein gequälter Husten wurde.
Ich wusste sofort, dass der Mann in der Nachbarzelle verwundet war.
Und plötzlich erinnerte ich mich wieder, von diesem Gefangenen im Verlauf der letzten Stunden gehört zu haben. Im Restaurant, beim Barbier, in der Tanzhalle – überall, wo ich gewesen war, hatte man davon gesprochen, dass vier Banditen die Bank ausgeraubt hatten. Sie waren durch die Hintertür in den Tresorraum eingedrungen und hatten sich eine ganze Weile darin mit dem Direktor aufhalten können, bevor der Kassierer und die beiden anderen Angestellten der Bank überhaupt etwas merkten.
Und noch etwas war bemerkenswert. Die Banditen hätten den ganzen Tresor ausräumen können. Doch sie ließen sich vom Direktor nur zwei ganz spezielle Geldbeträge aushändigen.
Es handelte sich um zweiunddreißigtausend Dollar, die der Steuereinnehmer im Auftrag der Territoriumsbehörden im Umkreis von hundert Meilen eingetrieben hatte, vor allen Dingen von einigen Gold- und Silberminen.
Dazu kamen weitere vierzigtausend Dollar Armeegelder, die am nächsten Tag schon von einer Eskorte, die aus Fort Apache kommen würde, abgeholt werden sollten. Das Geld der Bank blieb unangetastet. Sonst hätten die Banditen nicht nur zweiundsiebzigtausend, sondern weit über hunderttausend Dollar Beute gemacht.
Sie konnten sich dann doch nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Einer von ihnen war von einem Bürger der Stadt mit einem Büffelgewehr aus dem Sattel geholt worden. Das war schon beim Ortsausgang. Ein Büffelgewehr schießt ja recht weit.
Die Banditen mussten es aufgeben, ihren Partner zu retten. Überdies hatte dieser wie tot im Staub gelegen.
So war das. Ich hatte es innerhalb der letzten Stunden in den verschiedensten Versionen gehört.
Und nun glaubte ich, dass dieser Verwundete da in der Nebenzelle der Bandit war.
Ich fragte leise: »He, Bruder, wie geht es dir?«
Er wandte den Kopf. »Schlecht«, sagte er gepresst. »Dieser Rossschlächter von einem Doc hat, um die Kugel aus meiner Schulter zu bekommen, ein Riesenloch gemacht, durch welches ein Schwein springen könnte. Ich möchte wetten, dass der Doc nie mehr als Barbier oder Armeesanitäter gewesen ist. Aber du solltest dir nicht um mich Sorgen machen, mein Junge. Ich hörte vorhin die Unterhaltung der Männer, die dich brachten. Du sollst einem gewissen Earl Mills durch die Schnürsenkelkrawatte geschossen haben, als er auf dich anlegte, weil du ihn des Falschspiels bezichtigtest. Dafür werden sie dich hängen. Earl Mills hatte hier nicht nur viele Freunde – es ist in Three Fork so, dass die Saloonwirte, die Barkeeper, die Spieler, die Saloonmädchen und die Flittchen aus dem Rote-Laternen-Viertel mitsamt ihren Beschützern eine Art Gilde bilden. Sie zusammen sind die mächtigste Partei in dieser Stadt. Mit ihren Stimmen geben sie den Ausschlag, wer zum Marshal, zum Richter, in die Ausschüsse der Bürgerschaftsvertretung und in sonstige wichtige Positionen gewählt wird. Und du hast einen wichtigen Bruder dieser Gilde erschossen. Du hast keine Chance auf rechtlichem Weg. Wenn du nicht freikommen kannst, bist du schon so gut wie erledigt. Denn dies hier ist für Fremde keine faire Stadt.«
Er verstummte erschöpft, hustete wieder ein wenig und stieß dann ein Geräusch aus, welches fast wie ein leises Lachen klang.
»Der Marshal und der Richter sind nicht in der Stadt«, sagte er dann. »Sie sind mit einem Aufgebot hinter meinen Freunden hergesaust. Ich denke, dass sie in zwei oder drei Tagen zurück sind. Dann werden sie sich mit uns beschäftigen. Und meine Chancen werden größer sein als deine.«
Da konnte er recht haben.
So war das.
Ich saß in der Klemme.
Wie konnte ich da herauskommen?
✰
Als ich am nächsten Vormittag erwachte, war der Verwundete in der Nebenzelle ebenfalls wach und – wie es schien – sogar ziemlich fieberfrei. Er beobachtete mich eine Weile schweigend, sah sachverständig zu, wie ich meine verkrampften und zerschlagenen Muskeln wieder zu lockern versuchte.
Schließlich sagte er: »Ja, genauso habe ich mir einen wilden Jungen vorgestellt, der zuerst schießt und dann denkt. Wie heißt du denn?«
»Clayton, Cash Clayton«, sagte ich.
Er dachte nach.
»Ach, du liebe Zeit«, murmelte er dann. »Da war doch vor gut einem Jahr eine Schießerei in Tucson. Ein gewisser Ringo Mannen, der sich für eine ganze große Nummer hielt, war an einen Jungen geraten, der ihn dann von den Beinen schoss. Jeder merkte sich den Namen des vielversprechenden Amigos, Freund Cash.«
»Und wer bist du?« So fragte ich.
Er grinste. »Nenn mich Jim. Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf, nenne dich Henry Smith oder Miller, Brown oder sonst wie.«
»Sicher«, sagte ich. Dann nahm ich den Blechbecher und klapperte damit zwischen den Gitterstäben herum, bis jemand aus dem Office nach hinten kam und mürrisch fragte, ob ich denn von einem wilden Affen gebissen worden wäre.
»Ich will was zu essen«, sagte ich. »Soll ich hier vielleicht verhungern?«
Der Mann war groß und schwer, trug den Stern eines Deputy Marshals und hatte ein zugeschwollenes Auge.
Er betrachtete seine Faust, sah dann von ihr zu mir und sagte staunend, wobei er mir die Faust zeigte: »Damit habe ich dir gestern mehrmals ein Ding in den Magen gehauen – und jetzt hast du Hunger? Hast du vielleicht einen Blechpanzer?«
»Ich habe Hunger«, erwiderte ich und deutete durch die Gitterstäbe auf sein zugeschwollenes Auge. »Ist das von mir?«
Er nickte und grinste gemein.
»Das macht nichts«, sagte er. »Ich kann auch mit einem Auge sehen, wie sie dich aufknüpfen.«
Er trat an die Gittertür der Nachbarzelle und fragte: »Nun – und du? Gleich wird der Doc nach dir sehen. Willst du deinen Namen immer noch nicht nennen? Wohin werden deine drei Partner mit der Beute geritten sein? Ich glaube nicht, dass ich den Doc zu dir lasse, wenn du nicht vorher endlich den Mund aufmachst und mir erzählst, was ich wissen möchte.«
Ich war nun doch einigermaßen neugierig auf das, was der Verwundete erwidern würde. Und er sagte schlicht: »Geh zur Hölle!«
Der Deputy Marshal fluchte und machte wahrhaftig Anstalten, als wollte er zu dem Verwundeten in die Zelle.
Aber mir war inzwischen eine Idee gekommen, und weil mir der Deputy Marshal nicht besonders schlau vorkam, führte ich diese Idee auch gleich aus. Ich wusste zu genau, dass nur ein verzweifeltes Wagnis mir Hilfe bringen konnte.
Ich durfte auch nicht warten, bis der Marshal und der Richter dieser Stadt mit dem Aufgebot zurück waren. Denn dann würde man mir kaum noch irgendwelche Lügen abnehmen.
Ich sagte schnell: »Marshal, ich könnte dir vielleicht helfen.«
Er wandte sich mir zu. Sein heiles Auge war voll Misstrauen.
»Du?«, dehnte er. »Oha, dir würde ich nicht mehr trauen als einem Apachen. Mich mit dir einzulassen, das würde nicht anders sein, als einen Berglöwen am Schwanz zu packen.«
»Na schön«, sagte ich, »dann lassen wir es bleiben. Ich hätte mir ja auch denken können, dass der Marshal und der Richter dich nicht mitgenommen haben, weil du die größte Niete von all ihren Gehilfen bist. Eigentlich brauchten sie doch nur deine Fäuste ohne den Kopf. Na schön, aber dir geht eine Chance durch die Lappen, sage ich dir.«
Er kam nun vor meine Gittertür, trat ganz nahe heran. Ich näherte mich ihm ebenfalls, und einen Moment spürte ich die Versuchung, meine Hand blitzschnell zwischen zwei Stäben hindurchzustecken und in sein dichtes Kraushaar zu greifen.
Wenn ich seinen Kopf dann heftig genug gegen die Gitterstäbe reißen konnte ...
Doch ich verwarf die Idee schnell wieder. Denn ich konnte ihm ansehen, dass er mit solch einem Versuch von mir rechnete. Er war auch zu stark gebaut. Ich würde ihn nicht heftig genug gegen die Eisenstangen reißen können.
Ich sagte: »Dieser Mann dort in der Zelle ist Jim Moneymaker. Ich kenne ihn und seine Freunde genau. Denn ich stamme aus der gleichen Gegend. Sie haben einen feinen Schlupfwinkel in den Bradshaw Mountains. Es ist eine kleine Siedlung, in der auch andere Geächtete leben. Sogar einen Saloon gibt es dort in Canyon City. Ich könnte dich und ein Aufgebot hinführen.«
»Du Hundesohn!«, rief der andere Gefangene grimmig aus seiner Zelle, und mir hüpfte das Herz vor Freude darüber, wie dieser Jim auf mein Spiel einging. Denn er begann fürchterlich auf mich zu schimpfen und mir damit zu drohen, dass seine und seiner Freunde Freunde mir schon die Haut abziehen würden.
Der Deputy Marshal staunte, und indes wir uns beschimpften, dachte er nach. Wären wir still gewesen, so hätten wir vielleicht sein Hirn knirschen hören bei der mühsamen Arbeit.
Schließlich brüllte er: »Halt dein Maul, Jim Moneymaker! He, heißt du wirklich Moneymaker? Oder lügt mich dieser Wild Bill an?«
»Natürlich lügt dieser Bastard dich an«, erklärte Jim mit Inbrunst. »Doch du bist wahrscheinlich zu dumm, um es zu merken. Dieser windige Hombre wird dich rasieren wie nichts.«
»Das glaube ich nicht«, sagte der Deputy Marshal. Er kam wieder näher an meine Zelle heran. »Was versprichst du dir davon?«, wollte er wissen.
»Dass ihr mich laufen lasst«, erwiderte ich. »Was sonst? Ich reite mit euch nach Canyon City, führe euch hin. Dann lasst ihr mich laufen.«
Er staunte, bohrte nachdenklich mit dem Kleinfinger in seinem Nasenloch und murmelte schließlich: »Ach was, wir müssen auf die Rückkehr des Marshals und des Richters warten. Ich – ich mache ja nur ehrenamtlich die Vertretung. Ich bin sonst Rauswerfer im Royal Saloon.«
»Na schön«, gab ich scheinbar auf, wandte mich ab, um mich der Länge nach auf der harten Pritsche auszustrecken.
»Ich gehe jede Wette ein, dass der Marshal mitsamt dem Richter und auch dem ganzen Aufgebot erfolglos heimkehren wird. Aber dann ist es zu spät. Dann sind die Banditen mit dem vielen Geld auch nicht mehr in Canyon City. Denn sie müssen ja befürchten, dass euer verwundeter Gefangener sie verrät. Mensch, Dicker, wenn du dem Marshal und der ganzen Stadt zeigen willst, wie es gemacht wird, dann müsstest du jetzt sofort ein Aufgebot zusammenstellen und dich mit mir auf die Socken machen. Aber ich sehe schon, dass du einer von der ganz ruhigen Sorte bist. Ich habe Hunger!«
Er stand nach meinen Worten noch einige Atemzüge lang an meiner Gittertür und dachte nach, indes der Verwundete mich aus der Nachbarzelle pausenlos verfluchte.
Dann ging er.
Jim lachte in der Nachbarzelle leise und recht mühsam.
»So dämlich ist er nun doch nicht«, sagte er dann.
»Abwarten«, erwiderte ich.
Lange brauchten wir nicht zu warten. Denn schon bald – ich hätte in der Zeit vielleicht zwei Zigaretten rauchen können – kam der Marshalgehilfe wieder in den Zellenraum.
Und er kam nicht allein. Er brachte zwei Burschen mit, die wahrscheinlich ebenfalls aus dem Saloon waren, in dem er sonst arbeitete.
Sie ließen mich aus der Zelle. Der Bulle sagte: »Also gut, versuchen wir es mal. Ich bin Dick Hurton, und ich nehme all meine Freunde mit. Wenn du uns reinzulegen versuchst, wirst du den Tag bedauern, an dem du geboren wurdest. Gehen wir!«
Wir gingen durch die Hintertür hinaus.
Draußen warteten ein halbes Dutzend hartgesichtige Townwölfe auf guten Pferden. Auch für uns waren Pferde dabei.
»Aber ich habe Hunger«, wandte ich ein.
»In den Satteltaschen ist Proviant. Friss unterwegs, so viel du willst«, sagte einer der Männer, den ich für einen Revolvermann aus dem Saloon hielt. Ich sagte nichts mehr.
Vorsichtig verließen wir auf Seitenwegen die Stadt. Ich ritt an der Spitze. Doch ich ritt das schlechteste Pferd. Hinter mir folgten neun harte Burschen.
Und ich hatte den Verdacht, dass sie an dem geraubten Geld sehr viel mehr interessiert waren als an Recht und Gesetz und der Festnahme der Banditen.
Natürlich musste ich mir wieder etwas einfallen lassen. Aber das hatte noch ein paar Meilen Zeit. Zuerst sah ich nach, was in der Satteltasche war. Ich fand etwas Brot, Rauchfleisch und einige Pfannkuchen. Ich aß im Reiten, und danach fühlte ich mich etwas besser.
Dick Hurton hielt sich fast immer neben mir. Einmal sagte er grollend: »Pass auf, mein Junge! Wenn du uns reinzulegen versuchen solltest, dann wirst du den Tag bedauern, an dem ...«
»Ich habe es schon gehört«, unterbrach ich ihn. »Du musst mir nicht jede halbe Stunde das Herz klopfen lassen.«
Da sagte er nichts mehr. Doch sein einäugiger Blick verriet mir deutlich genug, dass er misstrauisch war.
Wir näherten uns indes einer Holzbrücke, über die ich gestern Nachmittag gekommen war. Ich hatte sogar hier angehalten und war das Steilufer hinuntergeklettert, um mich etwas zu waschen. Ich wollte nicht so staubig und verschwitzt nach Three Fork kommen.
Indes ich mich wusch, hatte ich mir die Strömung des hier noch ungeteilten Three Fork Creek betrachtet. Der Fluss war hier recht tief. Schon die spanischen und später auch mexikanischen Gouverneure hatten all die Jahre dafür gesorgt, dass es hier eine Brücke gab.
Diese Brücke war meine ganze Hoffnung. Auf sie musste ich all meine Chips setzen. Und schon als ich in der Zelle zu sprechen begann, um den Deputy Marshal Dick Hurton für meinen Plan zu gewinnen, hatte ich an die Möglichkeit bei der Brücke gedacht.
Und noch etwas muss ich vorausschicken, weil meine Geschichte sonst zu unwahrscheinlich klingen würde.