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Als unser Aufgebot den Creek erreichte, da pfiffen einige von uns gewissermaßen aus dem letzten Loch. Auch unsere Pferde konnten nicht mehr. Nur mein Grauer war noch nicht ganz erledigt. Er war das beste Tier von allen, zäh und ausdauernd ‑ so wie ich.
Der Sheriff erfrischte sich neben seinem Braunen. Als er sich aufrichtete und sich das nasse Gesicht abwischte ‑ denn er hatte den Kopf ins Wasser des Creeks getaucht ‑, knurrte er böse: »Die beiden Hurensöhne sind zäher als wir.«
Das ärgerte mich. Deshalb knurrte ich, indes ich am Creekufer kniete: »Nicht zäher als ich, verdammt, Sheriff, nicht zäher als ich ‑ und auch nicht zäher als mein Grauer.«
Nicht nur der Sheriff, sondern auch die sieben anderen Männer des Aufgebots sahen mich an, und es waren ärgerliche Blicke.
Sie wollten heim, denn sie waren Bürger einer kleinen Stadt und schon drei Tage im Sattel. Daheim war die Arbeit liegen geblieben. Sie waren Handwerker und Geschäftsleute.
Die Banditen hatten den General Store überfallen, in dem sich auch das Post Office befand. Sie hatten einen Toten und zwei Verwundete zurückgelassen, als sie sich den Weg freischossen. Ihre Beute betrug etwa zweitausend Dollar.
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Whiteheads Stadt
Vorschau
Impressum
Whiteheads Stadt
Als unser Aufgebot den Creek erreichte, da pfiffen einige von uns gewissermaßen aus dem letzten Loch. Auch unsere Pferde konnten nicht mehr. Nur mein Grauer war noch nicht ganz erledigt. Er war das beste Tier von allen, zäh und ausdauernd - so wie ich.
Der Sheriff erfrischte sich neben seinem Braunen. Als er sich aufrichtete und sich das nasse Gesicht abwischte - denn er hatte den Kopf ins Wasser des Creeks getaucht -, knurrte er böse: »Die beiden Hurensöhne sind zäher als wir.«
Das ärgerte mich. Deshalb knurrte ich, indes ich am Creekufer kniete: »Nicht zäher als ich, verdammt, Sheriff, nicht zäher als ich - und auch nicht zäher als mein Grauer.«
Nicht nur der Sheriff, sondern auch die sieben anderen Männer des Aufgebots sahen mich an, und es waren ärgerliche Blicke.
Sie wollten heim, denn sie waren Bürger einer kleinen Stadt und schon drei Tage im Sattel. Daheim war die Arbeit liegen geblieben. Sie waren Handwerker und Geschäftsleute.
Die Banditen hatten den General Store überfallen, in dem sich auch das Post Office befand. Sie hatten einen Toten und zwei Verwundete zurückgelassen, als sie sich den Weg freischossen. Ihre Beute betrug etwa zweitausend Dollar.
Plötzlich sagte der Sheriff grob: »He, wie war noch Ihr Name?«
»Whitehead«, erwiderte ich, »Jack Whitehead. Und ich bin nur auf der Durchreise in eurer Stadt. Ich ritt mit euch, weil Sie mir zwei Dollar pro Tag versprachen, Sheriff. Jetzt bekomme ich schon sechs, nicht wahr?«
Er nickte. Und dann sprach er trocken: »Na gut, Whitehead, wenn Sie noch weitermachen wollen, dann nur zu! Wenn Sie die beiden Banditen zurückbringen – tot oder lebendig –, erhalten Sie eine Fangprämie von fünfzig Dollar. Ich sehe, Sie sind ein zäher Bursche. Vielleicht schaffen Sie es wirklich.«
Ich erhob mich aus der Hocke, dehnte und reckte meine Glieder und trat wieder zu meinem Pferd.
Als ich im Sattel saß, nickte ich dem Sheriff zu.
»Fünfzig Dollar, Sheriff«, sagte ich. »Das ist eine jämmerliche Prämie für zwei flüchtige Mörder und Banditen, die zweitausend Dollar raubten und immer noch bei sich haben. Was für eine Versuchung!«
Nach diesen Worten ritt ich an.
Sie starrten mir nach. Ich sah mich nicht um, doch ich wusste es, spürte gewissermaßen ihre Blicke. Und ich wusste auch, was sie alle dachten und vielleicht auch aussprachen, nämlich: »Dieser verdammte Satteltramp scheißt auf die Fünfzig-Dollar-Prämie, der reitet weiter, um ihnen die Beute abzunehmen und zu behalten.«
Ja, so etwa mussten ihre Gedanken oder auch Worte sein.
Und vielleicht hatten sie wirklich recht.
Denn wenn ich sie erwischen sollte, die beiden Banditen, dann würde ich für die Einbringung fünfzig Dollar erhalten, nachdem ich die Beute von zweitausend abgeliefert hatte.
War es da nicht verlockend, die zweitausend Dollar zu behalten?
✰
Es wurde eine lange Fährte für mich. Sie führte immer weiter nach Westen und mied alle Siedlungen und Ortschaften, auch alle Wagenwege, folgte kaum erkennbaren Pfaden.
Manchmal grinste ich grimmig, wenn ich daran dachte, wer wohl dieses Langreiten gewinnen würde, sie oder ich.
Manchmal lief ich einige Meilen, trottete wie ein Apache vor meinem Pferd her, um es zu entlasten und zu schonen. Ich wusste, anders konnte ich diese Kerle nicht einholen.
Und dann – in der dritten Nacht, nachdem ich mich vom Aufgebot getrennt hatte und allein weitergeritten war – sah ich das Feuer in der Senke an einem Wasserloch.
Es war still. Nur in der Ferne heulten einige Coyoten. Mond und Sterne verschwanden immer wieder hinter den Wolken.
Im schwachen Schein des glühenden Feuers sah ich die beiden in Decken gewickelten Gestalten, die ihre Sättel als Kopfkissen benutzten und sich die Gesichter mit den Hüten zugedeckt hatten.
Verdammt, das war es also. Ich hatte sie eingeholt. Dort unten waren sie – und auch die zweitausend Dollar aus dem General Store und dem Post Office von Amity City. Denn so hieß die kleine Stadt, die nun schon sechs Tage und Nächte hinter mir lag und wo man mir bei Einbringung der Banditen fünfzig Dollar zahlen würde.
Wie sollte ich es machen?
Das war die Frage in mir, indes ich auf dem Bauch lag und in die Senke starrte, wo das Feuer glühte und die beiden Kerle lagen.
Sie glaubten, entkommen zu sein, fühlten sich sicher und schliefen beide. Bestimmt waren sie nicht weniger erschöpft und ausgebrannt als ich. Auch ich hätte mich am liebsten in eine Decke gerollt und zehn Stunden gepennt.
Eigentlich hätte ich es jetzt sehr einfach gehabt. Denn mit meinem Gewehr konnte ich sie mühelos abschießen. Sie würden nicht mal mehr aus ihren Decken hochkommen können, so einfach war es.
Doch zu der Sorte, die jemanden aus dem Hinterhalt abknallen kann, gehörte ich nicht. Da war eine Hemmschwelle in mir, die ich nicht zu überwinden vermochte.
Ich ging zu meinem Pferd zurück, das ich stehen gelassen hatte, als ich den Rauch des Feuers roch. Ich band den Grauen an und vertilgte den letzten Rest meines Proviants. Dann kehrte ich zum Rand der Senke zurück und verharrte dort eine Weile, bis ich sicher war, dass sie immer noch schliefen.
Ich trug keine Sporen, aber dafür allerbeste Stiefel aus Alabama. Sie waren weich und geschmeidig. Ich konnte mich damit fast so leise bewegen wie ein Apache in seinen Apachenstiefeln.
Ich stieg lautlos wie ein Schatten den Hang zur Senke hinunter und hockte mich ans Feuer. Es lag noch etwas Holz daneben, das ich in die Glut legte. Bald züngelten die Flammen heller.
Meinen Colt hielt ich in der Faust.
Und ich fragte mich, wie lange ich wohl würde warten müssen, bis die Kerle von ihrem Instinkt gewarnt und geweckt werden würden. Gewiss, sie waren erschöpft und ausgebrannt. Und dennoch – wenn sie wirklich erfahrene zweibeinige Wölfe waren, musste ihr Instinkt für Gefahr sie bald aus den tiefsten Träumen holen.
Ich drehte mir eine Zigarette, zündete diese an, rauchte und nahm den Colt wieder in die Hand.
Als ich die Zigarette halb geraucht hatte, setzte sich der eine Bursche auf und starrte über das Feuer hinweg auf mich.
Dann fragte er heiser: »He, wer bist du?«
Und noch bevor ich antworten konnte, sprach er weiter: »He, Jesse, wach auf! Wir haben Besuch.«
Da setzte sich auch der andere Bursche auf und starrte mich im Feuerschein an.
Aber dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte.
Wahrscheinlich war ich ein verdammter Dummkopf gewesen, der sich zu sehr aufspielen wollte.
Aber das machte der zweite Mann nicht mit.
Kaum, dass er sich in seinen Decken aufgesetzt hatte und mich auf der anderen Seite des Feuers hocken sah, schoss er auch schon durch die Decken, unter denen er seinen Revolver griffbereit neben sich liegen hatte.
Seine Kugel traf mich in die Seite.
Natürlich schoss ich im selben Sekundenbruchteil zurück. Bevor mir schwarz vor Augen wurde und der Schmerz mich die Besinnung verlieren ließ, mir den Atem nahm, schoss ich noch zweimal weiter.
Ich wusste nicht, ob ich auch den anderen gut genug getroffen hatte. Denn ich fiel in bodenlose Tiefen.
✰
Als ich erwachte, war es Tag, und der Schmerz bohrte und hämmerte in meiner Seite. Ich begriff irgendwann in meinem Hirn, dass ich eine Kugel im Leib hatte und daran sterben würde, wenn ich nicht jemanden fand, der sie mir herausholte und die Wunde versorgte.
Aber wo sollte ich hier jemanden finden?
Würde ich überhaupt auf die Beine und in den Sattel kommen?
Eine heiße Furcht stieg in mir hoch.
Verdammt, würde ich hier verrecken?
Ich erinnerte mich wieder an die beiden Kerle. Einer von ihnen hatte es mir mächtig gegeben. Warum hatte ich mich ihnen gegenüber auch so aufspielen müssen? Es wäre doch sehr viel leichter gewesen, sie vom Rand der Senke mit meinem Gewehr zu erledigen.
Aber ich hatte mit ihnen herumspielen wollen wie ein Wolf mit zwei Coyoten.
Ich setzte mich langsam auf, stöhnte und fluchte – aber ich sah sie da drüben auf der anderen Seite des erloschenen Feuers liegen. Ja, ich hatte sie geschafft. Sie waren tot.
Nun war es wohl Zeit, dass ich in Gang kam.
Ich musste zuerst zum Wasserloch, um mich zu erfrischen.
Dann würde ich mir die zweitausend Dollar holen, die sie erbeutet hatten.
Schließlich musste ich zu meinem Pferd, in den Sattel und dann ...
Ja, was würde dann sein?
Konnte ich in diesem Land Menschen finden, die mir die Kugel herausholten und mich pflegten?
Bezahlen konnte ich sie jedenfalls, wenn es sein musste mit zweitausend Dollar.
Denn was waren schon zweitausend Dollar gegen mein Leben?
✰
Ich erwähnte es schon mal, nicht wahr? Ich war ein harter und zäher Bursche. Ich kam auf mein Pferd und in den Sattel.
Und dann ritt ich den ganzen Tag und stieß am Nachmittag auf den Santa Fe Trail, der von Kansas City kam und nach Santa Fe führte.
Ich wandte die Nase meines Pferdes nach Westen, dorthin, wo irgendwo in weiter, weiter Ferne jenseits der Berge die alte Pueblostadt liegen musste.
Aber bis dorthin würde ich es nicht schaffen. Ich musste schneller jemanden finden, am besten in den nächsten Minuten.
Doch es dauerte Stunden, und es wurde Abend. Die Nacht brach an. Manchmal hockte ich halb ohnmächtig im Sattel. Nur ein grausamer Wille hielt mich auf dem guten Grauen.
Als die Dunkelheit mich und meinen Grauen einholte und sich auch vor uns auf das Land senkte, da sah ich die Feuer in der Nacht.
Es waren mehrere Feuer.
Also musste es sich um einen Wagenzug handeln.
Mein Grauer lief von selbst auf die Feuer zu. Er spürte instinktiv, dass ich Hilfe brauchte.
Irgendwann dann fiel ich vom Pferd.
Aber die Arme von Menschen fingen mich auf.
✰
Irgendwann begann ich zu begreifen, dass ich noch lebte.
Als ich die Augen aufschlug, dauerte es eine Weile, bis sich alle Nebelschleier lichteten und ich begriff, dass ich unter einer Segeltuchplane lag, die man mithilfe von Stangen als Schutzdach über mir aufgestellt hatte.
Und dann sah ich die Kinder neben mir.
Sie hockten an meinem Lager, und eines der Kinder rief nun: »Er ist aufgewacht! Er ist wieder lebendig!«
Stimmen erklangen – und dann waren Menschen rings um mich. Sie sahen auf mich nieder, staunend, freundlich, mitfühlend.
Jemand sagte: »Ich habe es euch doch gesagt, Leute, der wird wieder.«
Ich versuchte ein Grinsen, aber es wurde sicherlich in meinem stoppelbärtigen Gesicht nur eine verzerrte Grimasse.
Jemand gab mir Tee zu trinken.
Danach vermochte ich heiser zu sagen: »O ja, ich werde wieder, darauf könnt ihr wetten. Oder habt ihr mir die Kugel noch nicht herausgeholt?«
»Doch«, sagte jemand. »Katy tat es, denn sie hat von uns allen die geschicktesten Hände. Katy Coburne hat Sie gerettet, Mister. Komm her, Katy, sieh ihn dir an. Er kann schon wieder grinsen.«
Jemand kniete neben mir nieder.
Ich starrte empor und sah ein wunderschönes Gesicht über mir. Zwei grünblaue Augen betrachteten mich mit ernster Freundlichkeit.
»Wie schön«, hörte ich sie sagen.
Dann rief sie über die Schultern: »Er muss was essen. Er braucht Säfte. Gebt mir den Topf mit der Fleischsuppe.«
Wenig später setzten sie mich ein wenig auf. Jene Katy begann mich zu füttern.
Ich starrte dabei immer nur in ihre Augen und schluckte brav.
Dabei wurde ich wieder müde und sank wieder in jene gnädige Tiefen, aus denen ich gewiss gestärkt erwachen würde. Denn ich wollte dieses schöne Gesicht unbedingt wiedersehen.
Und irgendwie nach vielen Stunden schaffte ich das auch.
Diesmal war es Nacht. Man hatte mich gut zugedeckt, denn die Nächte auf der Kansasprärie sind kalt.
Ich betastete meine leicht schmerzende Seite. Dort war ein Verband. Weil ich gewaltigen Durst hatte, drehte ich mich etwas auf die gesunde Seite und sah neben mir die Flasche.
Als ich daraus trank, schmeckte ich wieder Tee. Er tat mir gut. Ich verschluckte mich jedoch und musste schmerzvoll husten. Danach konnte ich ein bitteres Stöhnen nicht unterdrücken.
Und da war plötzlich wieder jemand neben mir. In der Nacht und unter dem Zeltdach vermochte ich nur wenig zu erkennen. Und so fragte ich heiser: »Sind Sie das, Katy, mein Engel?«
Ich hörte ihr leises Lachen, und noch bevor sie meine Frage beantwortete, wusste ich, dass sie es war.
Dann sprach sie ruhig.
»Ja, ich bin Katy, Katy Coburne. Aber ich bin kein Engel. Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Whitehead, Jack Whitehead. Und für mich sind Sie ein Engel, Katy. Denn Sie haben mir diese Kugel herausgeholt, nicht wahr? Ich verdanke Ihnen mein Leben.«
Sie erwiderte einige Sekunden lang nichts. Ich konnte sie in der Nacht nur undeutlich sehen, zumal ja auch das Schutzdach über mir die Nacht noch dunkler machte. Jemand kam mit einer Laterne. Nun wurde es heller unter der Zeltplane.
Ich sah einen Mann. Er war groß und sehnig, und an ihm war keine überflüssige Unze Fleisch oder gar Fett. Er wirkte auf mich fast wie ein Preiskämpfer oder ein Holzfäller. Denn ein Reiter war er gewiss nicht. Da kannte ich mich aus.
»Wie geht es ihm, Katy?«, fragte der Mann ruhig.
»Besser«, erwiderte sie. »Und ich glaube, er hat gewaltigen Hunger. Er muss ganz einfach einen mächtigen Hunger haben – oder?«
Das letzte Wort galt mir als Frage.
Und da spürte ich meinen Hunger tatsächlich.
»Ich habe einen Wolf im Bauch«, erwiderte ich und sah wieder auf den Mann. Wer mochte er sein?
Als ich mich das fragte, sagte Katy Coburne: »Jack Whitehead, dies ist Bill Coburne, mein Mann. Und wir haben zwei Kinder, einen Buben und ein Mädchen.«
»Hoiii«, brachte ich nur hervor, und meine Überraschung war groß. Aber was hatte ich mir denn eingebildet? Eine Frau, die noch wie ein Mädchen aussah und für mich ein Engel war, gehörte längst einem anderen Mann. Wie hätte es denn auch anders sein können!
Sie verließ uns nun mit den Worten: »Ich mache die Suppe warm. Gleich bekommen Sie was, Jack Whitehead. Fleischsuppe ist gut für einen kranken Mann.«
Bill Coburne und ich waren nun allein unter der Zeltplane, die dicht bei einem Wagen ausgespannt war. Wir betrachteten uns.
Dann sagte ich: »Sie hatten wohl mächtiges Glück mit Ihrer Frau, nicht wahr?«
Er nickte. »Mächtiges Glück«, erwiderte er. »Aber sonst ist wohl für uns alle hier, die wir zu diesem Wagenzug gehören, das Glück wie eine Seifenblase zerplatzt. Wir sitzen hier fest.«
Ich hörte es, aber mein Verstand arbeitete noch zu langsam. Ich musste erst über seine Worte nachdenken.
Dann fragte ich: »Was ist passiert? Ihr seid doch ein Wagenzug auf dem Weg nach Westen – oder? Warum sitzt ihr hier fest? Sind euch alle Räder gebrochen?«
Er beugte sich etwas vor und schob mir meinen Sattel unter den Rücken, sodass ich bequem aufrecht sitzen konnte.
Dann sagte er: »Eine verdammte Bande raubte unsere Zugtiere. Es waren nicht nur Indianer, sondern auch Weiße. Wir hatten zwei Tote und einige Verwundete. Das war vor einer Woche. Seitdem sitzen wir hier fest. Wir besitzen nur noch sieben Maultiere und drei Pferde. Damit könnten wir zwei Wagen bespannen – mehr nicht. Aber der Wagenzug besteht aus achtzehn Wagen. Sie haben uns mehr als hundert Maultiere und zwei Dutzend Pferde geraubt. Es war eine üble Bande von mehr als fünfzig Reitern. Aber wir sind nur fünfunddreißig Männer zwischen vierzehn und siebzig. Wir mussten wohl noch froh sein, dass sie uns nicht auch noch unsere sonstige Habe wegnahmen. Doch vielleicht kommen sie noch einmal wieder.«
Er verstummte mit bitterem Grimm.
Nun wusste ich einigermaßen Bescheid. Diese Menschen hier, denen ich mein Leben verdankte, waren selbst in großer Not.
»Tut mir leid«, sagte ich zu Bill Coburne. »Ihr sitzt also hier fest. Ist dies wenigstens ein guter Platz? Habt ihr hier Wasser und Weide?«
Er nickte. »Eigentlich schon«, murmelte er. »Doch wir wollten uns ein großes Tal suchen in den Bergen von Colorado – ein Tal mit Wäldern, Creeks, Seen und grünen Hängen, ein schönes Tal, abseits von dieser verdammten Welt, die immer böser und schlechter wird, weil die Menschen nicht nach den Zehn Geboten leben. Doch jetzt sitzen wir hier fest. Und ...«
Er verstummte ein wenig hilflos, zuckte mit den Schultern.
Katy kam mit der warm gemachten Suppe. Ich begann zu essen, schluckte Löffel für Löffel von dieser Fleischsuppe. Oha, was tat das gut! Und meine Wunde schmerzte kaum noch.
Meine Gedanken beschäftigten sich nicht mehr mit meinen eigenen Problemen, sondern mit denen des Wagenzuges. Diesen Menschen hier war ich eine Menge schuldig.
Aber noch war ich ja hilflos.
✰
Nun, lieber Leser meiner Geschichte, es vergingen zwei Wochen. Dann endlich war ich wieder so weit, dass ich mich vorsichtig auf meinen Grauen setzen und ein wenig umherreiten konnte.
Inzwischen kannte ich auch die Menschen des Wagenzuges – vom kleinsten Kind bis zum ältesten Opa. Es waren alles in allem siebenundneunzig Menschen.
Der Platz, auf dem die Wagen standen, war nicht schlecht für eine Stadt. Denn der Wagenweg zwischen Kansas City und Santa Fe führte hier vorbei. Es gab in der Runde einige Hügelketten mit Waldstücken, auch einen Creek und unterirdische Quellen. Die Leute hatten nach Wasser gebohrt und Pumpen angeschlossen, auch Brunnen abgeteuft. Den Creek hatten sie zu einem kleinen See angestaut. Ich sah mir das alles an, ritt langsam umher. Und als es dann Abend war und sich die maßgebenden Männer des Wagenzuges wie immer zusammenfanden, um eine Pfeife zu rauchen und dies oder jenes zu besprechen, da ging ich zu ihnen.
Es war schon dunkel.
Bill Coburne sagte zu mir herüber: »Nun, Jack Whitehead, Sie sind heute zum ersten Mal umhergeritten und haben sich einen Eindruck verschaffen können. Was ist Ihre Meinung?«
»Baut eine Stadt«, erwiderte ich. »Ihr seid doch alle keine Farmer. Das wolltet ihr erst werden. Irgendwo wolltet ihr siedeln und aus euren Siedlerstätten Farmen werden lassen. Aber eigentlich seid ihr doch Handwerker. Bill Coburne ist Schmied, Tom Scott ist Sattler, Pat O'Brien ist Zimmermann, Robert Wagoner besaß einen kleinen Store – und andere von euch waren Barbier, Brunnenbauer, Schnapsbrenner, Tagelöhner. Alle zusammen seid ihr ganz und gar die Mischung von Leuten, die man in jeder Stadt als Bürger findet. Gründet hier auf diesem Platz eine Stadt. Das ist mein guter Rat. Und ich sage euch, eines Tages wird die Eisenbahn nach Westen kommen – vielleicht hierher oder in eure Nähe. Und von Texas wird man die Rinder hertreiben, um sie mithilfe der Bahn nach dem Osten zu transportieren. Denn im dicht besiedelten Osten braucht man Fleisch. Man hat inzwischen auch Kühlsysteme erfunden. Vielleicht wird man das Fleisch der Texasrinder mit Kühlschiffen bis nach Europa schaffen. Ich habe davon gelesen. Diese Stadt würde am Wagenweg liegen. He, wie viele Wagenzüge, Reiter und andere Reisende kamen in den vergangenen Wochen hier bei euch schon vorbei?«
Sie schwiegen eine Weile, ließen mich auf eine Antwort warten.
Dann sagte einer nachdenklich: »Viele. Aber wir haben nichts anzubieten. Uns beginnt es selbst an vielen Dingen zu mangeln. Unser Geld ist knapp.«
»Ich besitze zweitausend Dollar«, erwiderte ich. »Vom nächsten Handelswagenzug kaufen wir, was wir nötig brauchen. Und wir bauen eine Stadt. Dann werden wir sehen, wie es weitergeht.«
Als ich verstummte, schwiegen sie noch eine Weile. Schließlich fragte einer: »Und warum wollen Sie zu uns gehören, Jack Whitehead?«