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Als Ringo Kid vor das Haus der Gatewoods geritten kommt, ist nur Nell zu sehen. Sie sitzt auf der schattigen Veranda und stickt an einem Stück türkisgrüner Seide, die die gleiche Farbe wie ihre Augen hat.
Nell Gatewood ist genau das, was nicht nur ihre drei Brüder als »Honey« bezeichnen. Eigentlich gibt es auf fünfzig Meilen in der Runde keinen Burschen, der noch nicht hinter ihr her war. Beim letzten Ball anlässlich des Unabhängigkeitstages gab es ihretwegen eine gewaltige Prügelei.
Als Ringo Kid neben der Veranda seinen verrückt gefleckten Pinto verhält und seinen alten Hut schwingt, als wäre dieser die kostbare, mit Federn geschmückte Kopfbedeckung eines Hidalgos, kommt in Nells grüne Katzenaugen ein merkwürdiges Funkeln.
»Na, du Strolch«, sagt sie schnurrend. »Was für eine Entschuldigung hast du dafür, dass ich nicht mit dir, sondern mit Billy Moorland zum Ball im Schulhaus gehen musste? Heraus damit, du Pferdedieb!«
Das Funkeln in ihren Augen wird immer stärker und ihre Stimme hat einen honigsüßen Beiklang. Sie ist ein Mädel, das freundlich lächeln und einem im selben Moment mit aller Kraft gegen das Schienbein treten kann ...
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Ringo Kid
Vorschau
Impressum
Ringo Kid
Als Ringo Kid vor das Haus der Gatewoods geritten kommt, ist nur Nell zu sehen. Sie sitzt auf der schattigen Veranda und stickt an einem Stück türkisgrüner Seide, die die gleiche Farbe wie ihre Augen hat.
Nell Gatewood ist genau das, was nicht nur ihre drei Brüder als »Honey« bezeichnen. Eigentlich gibt es auf fünfzig Meilen in der Runde keinen Burschen, der noch nicht hinter ihr her war. Beim letzten Ball anlässlich des Unabhängigkeitstages gab es ihretwegen eine gewaltige Prügelei.
Als Ringo Kid neben der Veranda seinen verrückt gefleckten Pinto verhält und seinen alten Hut schwingt, als wäre dieser die kostbare, mit Federn geschmückte Kopfbedeckung eines Hidalgos, kommt in Nells grüne Katzenaugen ein merkwürdiges Funkeln.
»Na, du Strolch«, sagt sie schnurrend. »Was für eine Entschuldigung hast du dafür, dass ich nicht mit dir, sondern mit Billy Moorland zum Ball im Schulhaus gehen musste? Heraus damit, du Pferdedieb!«
Das Funkeln in ihren Augen wird immer stärker und ihre Stimme hat einen honigsüßen Beiklang. Sie ist ein Mädel, das freundlich lächeln und einem im selben Moment mit aller Kraft gegen das Schienbein treten kann ...
»Du wirst es nicht glauben, Grünauge«, murmelt Ringo Kid, »und deshalb sollte ich gar nicht erst versuchen, es dir zu erklären. Außerdem ist es sehr beschämend für mich. Ich bin nur hergekommen, um dich um Verzeihung zu bitten und dir Lebewohl zu sagen.«
Sie zieht ihre Augenbrauen hoch. Es sind wundervoll geschwungene Augenbrauen. Dann bläst sie sich eine Locke ihres haselnussbraunen Haares aus der Stirn.
Ihre kleine Nase hat einen lustigen Schwung nach oben, und ihre Lippen sind voll und rot.
Aber bei aller Lebendigkeit und Lebensfreude ist sie energisch und zielbewusst.
»Lebewohl? Habe ich richtig gehört, Ringo? Lebewohl willst du mir sagen? Du? Warum? Wohin willst du?«
»Ach, ich habe mir in letzter Zeit in diesem Land nur Feinde gemacht«, antwortet er. »Meine Geschäfte gingen schlecht. Ich habe nicht mal eine richtige Hose. Deshalb konnte ich gestern auch nicht mit dir zum Ball gehen. Oder hätte dir ein grüner Flicken auf meiner braunen Hose nichts ausgemacht?«
Ihre Augen werden schmal.
»Steig ab!«, sagt sie. »Das will ich sehen.«
In ihrer Stimme ist wieder das katzenhafte Schnurren. Und weil Ringo Kid sie gestern versetzt hat, ist er ihr auch eine einwandfreie Erklärung schuldig.
Deshalb steigt er ab, kommt auf die Veranda und dreht Nell den Rücken zu. Jetzt kann sie den Flicken sehen.
Ihre Augen sind schmal, als sie fragt: »Hat dich ein Hund in den Hosenboden gebissen? Konntest du nicht versuchen, den Fetzen von dem Köter wiederzubekommen? Du lieber Himmel, warum hast du das Loch mit einem giftgrünen Lappen geflickt?«
»Ich hatte keinen anderen«, sagt er ernst. »Und du siehst doch wohl ein, dass ich so nicht mit dir zum Ball gehen konnte. Alle hätten über uns gelacht. Und weil ich dann zugeschlagen hätte, wäre es wieder eine Keilerei wie im vergangenen Jahr geworden. Du bist mir nicht böse, Honey Nell?«
Nun sind ihre Augen noch schmaler. Aber vielleicht liegt das an ihrem Lächeln. In ihrer Stimme ist das Schnurren kaum noch zu hören, als sie sagt: »Ich mag dich auch mit einem grünen Flicken auf dem Hosenboden. Warum hast du mich eigentlich noch immer nicht geküsst?«
Er grinst, und das lässt ihn noch jünger, jungenhafter aussehen. Auf eine verwegene und etwas leichtsinnig wirkende Art ist er hübsch. Als kleiner Junge wurde er wegen seiner blonden Locken stets für ein Mädchen gehalten. Einmal musste er sogar, als Mädchen verkleidet, in einem Ringelspiel auftreten.
Seitdem heißt er Ringo Kid.
Aber jetzt ist er ein ziemlich harter Bursche.
»Ich würde dich gerne küssen, Honey Nell«, murmelt er. »Doch hier – am hellen Tag auf der Veranda? Wenn deine Brüder das sähen ...«
»Sie sind fort – alle drei«, unterbricht sie ihn. »Sie wollten nach El Paso und sagten, dass ich heute für sie kein Abendbrot zu machen brauche. Gewiss veranstalten sie eine Art Nachfeier, weil es gestern so schön war.«
Nun kommt sie zu Ringo, und sie schafft es tatsächlich, dass er sie auf der Veranda in seine Arme nimmt und lange küsst.
Als sie sich voneinander lösen, atmet sie mühsam und keucht: »Warum lasse ich mich eigentlich von dir küssen, du Strolch? Warum kann ich dir nicht böse sein, du Pferdedieb?«
Sie deutet auf die offene Tür.
»Drinnen habe ich noch den Kuchen, den ich für uns zum Ball mitnehmen wollte. Den musst du jetzt zur Strafe aufessen. Ich koche dir Kaffee. Und dann wirst du mir deine Hose geben. Ich glaube, dass ich noch ein Stück Cordstoff habe, das zu deiner Hose passt. Ich werde ...«
Er protestiert. Doch sie drängt ihn mit beiden Händen ins Haus.
Vielleicht hätte er sich das sonst nicht gefallen lassen, auch nicht von einem so reizvollen und lebensfrohen Mädchen wie Nell.
Doch er fühlt sich sehr schuldbewusst.
In den letzten Tagen hat er das Gefühl für Zeit völlig verloren, denn die vergangenen drei Tage und Nächte hat er gepokert. Bei der Santa-Cruz-Poststation geriet er in ein Pokerspiel. Zeitweilig war er reich, doch zum Schluss war er ärmer als zuvor.
Er war unter einem Tisch aufgewacht und hatte sich daran erinnert, dass er in der Nacht eigentlich mit Nell Gatewood zum Ball wollte.
Er war am späten Mittag losgeritten und hier am späten Nachmittag eingetroffen. Unterwegs hielt er eine Weile an, um sich den Flicken auf die Hose zu nähen. Irgendeiner von den Spaßvögeln in der Kneipe der Poststation hatte ihm – nachdem er als letzter Mann der Pokerrunde unter den Tisch gefallen war – ein Stück aus dem Hosenboden geschnitten.
Er bekam vom Posthalter zwar heraus, wer es war, doch das nützte ihm wenig.
Nun lässt er sich von Nell also schuldbewusst ins Haus und in die Küche drängen. Er findet, dass er einen starken Kaffee gut gebrauchen könnte, denn er ist immer noch sehr müde. Die paar Stunden, die er nach der länger als siebzig Stunden dauernden Pokerpartie unter dem Tisch geschlafen hat, waren gar nichts. Der Zwanzigmeilenritt von der Santa-Cruz-Station nach hier hat ihn zwar nüchtern, doch auch wieder müde gemacht.
Er hockt sich an den Küchentisch, wartet auf den Kaffee und lauscht auf den Wasserfall von Worten, mit dem Nell ihn fortwährend überschüttet.
Sie will mich betrunken reden, denkt er. Und mir wäre ein anständiges Steak lieber als ihr Kuchen. Doch ich will sie nicht wütend machen. Sie kratzt mir sonst die Augen aus.
Der Kaffee, den Nell dann bringt, ist stark und gut.
Sie ist schon eine prächtige Frau, denkt er. Aber sie würde einen Mann wohl nur selten zu Wort kommen lassen. Sie würde ihn beherrschen und ihn jeden Tag mit Haut und Haaren fressen wollen wie eine Katze die Maus.
Er seufzt bitter, und plötzlich schmeckt ihm der Kuchen nicht mehr.
Er erhebt sich langsam und murmelt: »Vielen Dank für Speise und Trank! Aber jetzt verschwinde ich lieber. Nell, es hat keinen Sinn mit uns. Ich bin ein Satteltramp, der es im Leben wahrscheinlich nie zu etwas bringen wird und ...«
»... weil dich immer wieder der Teufel reitet«, sagt sie. »Weil du keinem Kartenspiel, keiner Wette und keinem wilden Spaß aus dem Weg gehen kannst, weil du gerne faul in der Sonne sitzt und die Daumen drehst. Und jetzt zieh endlich deine Hose aus, damit ich sie in Ordnung bringen kann. Geh ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa liegt eine Decke. Die kannst du dir umwickeln. Vorwärts, du gelbhaariger Indianer!«
Er weiß nicht, ob sie wirklich zornig ist oder nur so tut.
Aber in ihren Augen erkennt er ein Funkeln, wie er es noch niemals sah. Sie hat Haare auf den Zähnen und wird in dreißig Jahren ein Feuer speiender Drache sein, denkt er und nimmt sich vor, sie nie wieder zu küssen. Oha, er wittert plötzlich Gefahr.
Sie könnte hundert Burschen haben – unter hundert Männern in diesem Land könnte sie wählen, denkt er. Aber ausgerechnet mich will sie. Meinen Skalp will sie! Wenn es nicht so reizvoll wäre, sie anzusehen und auch anzufassen ...
Er beschließt, noch einmal zu gehorchen, denn er ist völlig blank und besitzt keine andere Hose mehr. Es wäre wirklich gut, wenn er nicht länger mit dem grünen Flicken herumlaufen müsste.
Er geht ins Wohnzimmer hinüber und entledigt sich der Hose. Dabei muss er seine Stiefel ausziehen, weil er die Hose sonst nicht von den Beinen bekäme. Schnell wickelt er sich in die Decke.
Und da kommt auch schon Nell.
Sie nimmt die Hose mit zwei spitzen Fingern.
»Leg dich ruhig hin«, sagt sie und hat einen ganz unschuldigen, harmlosen Ausdruck in den Augen. »Ruh dich aus, Ringo! Ich habe schon gehört, dass du in Santa Cruz drei Tage und drei Nächte gepokert hast und so sehr bei der Sache warst, dass du mich vergessen konntest. Ich habe es heute Vormittag schon gehört. Charly kam mit der Mexiko-Post hier vorbei. Du musst trotz des starken Kaffees sehr müde sein.«
Nach diesen Worten verschwindet sie. Ringo Kid sitzt einige Minuten lang still auf dem Sofa und denkt nach.
Ein Verdacht will in ihm aufsteigen. Doch er wischt ihn zur Seite, wie er es oft mit unliebsamen Gedanken tut. Er legt sich tatsächlich hin und schläft schon bald ein.
Als er erwacht, ist es draußen dunkel. Die Lampe brennt. Nell rüttelt ihn an der Schulter und ruft ihm ins Ohr: »Aufwachen, Ringo! Aufwachen! Meine Brüder sind da. Sie stellen ihre Pferde in den Corral. Gleich sind sie hier! Lauf hinauf auf mein Zimmer! Hinauf mit dir, Ringo!«
In ihrer Stimme ist das bittende Drängen eines verzweifelten Mädchens.
Ringo Kid gehorcht. Während draußen vor der Tür die Stimmen der Gatewood-Brüder nach Nell rufen, geht er in seiner Unterhose und in Socken die schmale Treppe hinauf.
Als er in Nells dunkles Zimmer gleitet, ist er plötzlich hellwach und begreift, dass er in der Falle sitzt.
Er erstarrt vor Schreck.
Das Biest, denkt er. Jetzt hat sie mich.
Wenn ihre Brüder erst herausbekommen, dass ich in Unterhosen in ihrem Zimmer versteckt bin, dann werden sie mich entweder zu Brei klopfen oder als Schwager in diesem Haus willkommen heißen. Sie hat mich reingelegt, dieses grünäugige Biest.
Seine bitteren Gedanken werden von den Ereignissen unterbrochen. Er hört unten einen der Gatewood-Brüder hereinkommen und mit tiefer Bassstimme fragen: »Nell, ist das Ringo Kids Pferd dort draußen hinter dem Haus?«
Sie gibt nicht sogleich eine Antwort. Ringo Kid kann sich gut vorstellen, wie sie jetzt die Verlegene und Überraschte spielt. Und er denkt: Warum hat sie mein Pferd hinter das Haus gebracht? Das muss doch so aussehen, als hätte ich mich zu ihr geschlichen und ...
»Ja, es ist Ringo Kid«, hört er Nell sagen. »Ich liebe ihn, Bill, ich habe ihn sehr gern. Ihr werdet ihm doch nichts tun, nicht wahr? Er hat versprochen mich zu heiraten. Was ist denn falsch daran, dass er in meinem Zimmer ist und ich jetzt seine Hose flicke? Was ist falsch daran, Bruder Bill?«
Sie fragt es ganz unschuldig. Aber in ihrer Stimme ist wieder das Schnurren einer Katze.
Ringo Kid, der die Gatewood-Brüder gründlich kennt, kann sich vorstellen, wie Bill dort unten am Fuß der Treppe verharrt. Er hat die drei Gatewood-Brüder einmal mit einem Grizzly, einem Kampfstier und einem Wildhengst verglichen. Und Bill ist der Grizzly.
Er brummt böse und grollt: »Was höre ich da? Dieser windige Satteltramp ist oben in deiner Kammer? Und die Ehe hat er dir versprochen? Oho, Schwester, konntest du dein Herz nicht an einen Burschen verlieren, der zu uns gepasst hätte? Ringo Kid ist ein Rinderdieb, ein Revolverheld, ein Spieler – überall verdreht er den Frauen die Köpfe, und nicht nur den unverheirateten. Ausgerechnet diesen Strolch lachst du dir an, Honey Nell? Na, da will ich mal zu ihm gehen und mich mit ihm unterhalten, während du seine Hose flickst. Ich werde ihm klarmachen, dass er von nun an so zu leben hat, als wäre er der vierte männliche Gatewood. Oho, wir werden ihn schon so hinbekommen, diesen Windhund, dass er uns Freude macht! Nell, wie gut, dass du drei große Brüder hast! Wie gut!«
Die Treppe beginnt unter seinen zweihundertzwanzig Pfund zu ächzen, und es sind zweihundertzwanzig Pfund Knochen und Muskeln, nicht eine einzige Unze überflüssiges Fett. Dieser Bär Bill Gatewood ist knochentrocken wie ein erstklassiger Preiskämpfer.
Für Ringo Kid ist klar, was kommen würde, wenn er in dieser Falle bliebe. Die drei Gatewoods lieben ihre Schwester über alles. Sie würden ihn einbrechen, zerfetzen und neu zusammensetzen und wer weiß was tun, bis er ihren Vorstellungen entspräche und ihrer Nell aus der Hand fräße.
Und Nell weiß es.
Ringo Kid zieht eine feige und seinen Stolz empfindlich treffende Flucht vor.
Das Fenster in Nells Kammer ist nicht sehr groß. Ringo Kid hat einige Mühe, seine geschmeidige Gestalt hindurchzuwinden. Er schafft es im allerletzten Moment, Bill Gatewoods Zugriff zu entkommen. Dann landet er unten weich wie ein Wildkater.
Über ihm brüllt Bill Gatewood durch das Fenster in die schwarze Nacht: »Er will fort! Haltet ihn auf, Brüder! Verlegt ihm den Weg zum Pferd. Bei der Ehre unserer Schwester, haltet ihn auf!«
Sein Gebrüll ist so laut, dass man es überall auf der Ranch hören kann.
Aber Ringo Kid hat jetzt ein wenig Glück. Jim Gatewood ist inzwischen ebenfalls schon ins Haus getreten. Nur Buster befindet sich noch draußen im Hof.
Buster schafft es noch, rechtzeitig bei Ringo Kids Pferd anzukommen. Er steht groß und knochig vor dem Pinto und sagt kehlig, wobei seine großen Pferdezähne im Sternenlicht blinken: »Du wirst uns doch wohl nicht so unhöflich verlassen wollen, Amigo? Bleib nur, bis Bill gegen dein Verschwinden nichts mehr einzuwenden hat.«
»Das geht nicht«, erwidert Ringo Kid und tritt dicht an ihn heran. Buster begreift, warum Ringo ihm so nahe auf den Pelz rückt, und er will ihm zuvorkommen.
Doch Ringo duckt sich vor Busters Rechter, die ihm gewiss den Kopf von den Schultern gestoßen hätte, mit einer blitzschnellen Bewegung ab, blockt mit der Rechten Busters linken Arm und trifft mit der Linken auf die Leber.
Ringo Kid wiegt etwa hundertsiebzig Pfund, und er ist unheimlich schnell.
Der große, knochige, harte und zähe Buster seufzt schmerzvoll und fällt auf die Knie. Er kann nicht anders, denn er hat das Gefühl, von einem Maultier unter die Rippen getreten worden zu sein. Den Schlag eines Durchschnittsmannes hätte er ausgehalten.
Ringo Kid mag zwar ein Herumtreiber sein, gegen einen harten Burschen konnte er aber schon immer bestehen.
Er gleitet um Buster herum und wirft sich auf sein Pferd, nachdem er die Zügel mit einem einzigen Griff gelöst hat.
Er entkommt in der Nacht – ein Mann in Socken, Unterhosen, ohne Colt und Hut, ein Mann, in dem das Feuer der Scham frisst und der genau weiß, wie hartnäckig die Gatewood-Brüder nun hinter ihm her sein werden.
Ihrer Meinung nach müssen sie die Ehre der Schwester wiederherstellen.
»Das Biest! Dieses gemeine Biest! Sie ist schön wie ein Engel und so falsch wie eine Schlange! Sie hat mich von Anfang an reinlegen wollen, weil ich sie zum Ball versetzt habe und sie merkte, dass sie mich nicht so einfach kriegen konnte. Sie will alles haben, was sie nicht so leicht bekommen kann!«
Ringo Kid brüllt diese Worte wütend in die Nacht.
Aber während er reitet, verraucht sein Zorn. Plötzlich beginnt er schallend zu lachen. Dieses Gelächter übertönt den trommelnden Hufschlag seines Pferdes, das sich noch mehr streckt, weil es weiß, dass Ringo Kid lachend noch sehr viel wilder ist als sonst.
Ringo Kids Lachen ist irgendwie eine Anerkennung für Nell Gatewoods Racheversuch. Er begreift, wie sehr sie sich beleidigt und getroffen fühlte, als sie erfuhr, dass er wegen einer Pokerpartie vergaß, sie zum Ball zu führen. Ringo Kid ist wahrscheinlich im Umkreis von fünfzig Meilen der einzige Mann, mit dem ihr so etwas passieren konnte.
In ihrem Zorn wusste sie sich wohl nicht anders zu helfen.
Ihre Brüder hätten ihn klein gemacht, zerbrochen und in einen Zustand versetzt, in dem er sogar um ein Meerschweinchen angehalten hätte.
Aber er konnte entkommen.
Er ist frei!
Deshalb lacht er noch einmal wild und unverkennbar erleichtert. Er hat seit langer Zeit nicht in einer so ausweglosen Falle gesteckt.
Aber dann wird er ernst. Er glaubt, dass die drei Gatewoods so schnell nicht aufgeben. Sie sind – wenn es um die Verfolgung eines Mannes geht – nicht weniger gefährlich als Apachen.
Wie soll er ihnen entkommen? Und wo bekommt er eine Hose, ein Paar Stiefel und einen Colt her?
Ringo Kid beschließt, nach El Paso zu reiten.
Das ist ein weiter Weg, den er jedoch noch vor Anbruch des Tages hinter sich bringen kann. Auf diesem Ritt kann er gewiss auch die Gatewoods abschütteln, denn auf eine lange Distanz sind diese schwergewichtigen Burschen ihm und seinem schnellen, zähen Pinto unterlegen.
✰
Er schafft es bis etwa zwei Stunden nach Mitternacht, und das ist eine prächtige Leistung für einen Mann ohne Hosen und Stiefel.
Als er vor dem Silberpeso-Saloon die lange Reihe der angebundenen Sattelpferde betrachtet, in der Hoffnung, das Pferd eines Freundes oder guten Bekannten zu entdecken, kommt schräg hinter ihm ein Mann über die Fahrbahn, ein geschmeidig durch den Staub schreitender Mann, der in seiner Rechten eine Schrotflinte mit verkürzten Läufen trägt.
Dieser Mann sah Ringo Kid, während er selbst in einer dunklen Hausnische verharrte, durch den Lichtschein des Las Palomas Hotels reiten, und er erkannte scharfäugig, dass Ringo nur spärlich bekleidet war.
Er fragt nun, hinter Ringo verhaltend: »Hast du bei der Pokerpartie in der Santa-Cruz-Station auch die Hose verloren? Oder hat ein gehörnter Ehemann dich aus seinem Bett gejagt?«
Ringo wendet sich um und lehnt sich an sein schweißnasses Pferd.
»In diesem verdammten Land spricht sich alles schnell herum«, knurrt er. »Und so wirst du bestimmt bald erfahren, dass die Gatewoods hinter mir her sind. Aber ich schwöre dir, Marshal, dass ich – ach, was geht es dich an?«
»Nichts«, sagt der Marshal. »Was außerhalb der Stadtgrenze passiert, geht mich nichts an, denn ich bin ja nur ein Town Marshal, kein Sheriff und kein Marshal der Bundesregierung. Trotzdem werde ich nicht dulden, dass du hier in El Paso eine neue Mode einführst.«
»Dann gib mir eine Hose«, sagt Ringo Kid. »Du könntest aber auch für mich in den Saloon gehen und Harry Carmikel herausholen. Sein Pferd steht dort. Er ist mir noch etwas Geld schuldig und ...«
»Carmikel habe ich bei mir in der Zelle«, unterbricht ihn der Marshal. »Als sie ihm ohne Geld im Saloon nichts mehr geben wollten, begann er Streit mit den Rauswerfern. Aber er war schon zu betrunken, um es richtig mit ihnen aufzunehmen. Von ihm bekommst du bestimmt keine Hose.«
Der Marshal grinst so, dass seine Zähne im Lampenlicht blitzen. Er ist ein klotziger Mann, zuverlässig und beharrlich.