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Im Creek ist nicht mehr viel Wasser. Nur im Schatten des großen Felsens hielt sich ein größerer Tümpel.
Als Mike Shannon mit letzter Kraft den fast ausgetrockneten Creek und den etwas tieferen Tümpel erreicht, trinkt er erst einmal neben seinem Pferd, bis nichts mehr in ihn hineingeht. Wie ein trockener Schwamm saugt er sich voll Wasser, und ein Beobachter hätte sich gewiss nicht gewundert, wäre Mike Shannon das Wasser wieder aus den Ohren herausgelaufen.
Dann liegt Mike Shannon eine Weile still. Nur manchmal seufzt er zufrieden. Seinem Red geht es ähnlich. Der Wallach schnaubt freudig und beginnt nach einer Weile, die grünen Gräser zu rupfen.
Doch damit hört die Gemeinsamkeit auch schon auf. Denn Mike Shannon kann sich nicht von Gras ernähren. Und er weiß, dass sein Magen, der zwar jetzt mit Wasser angefüllt ist, bald wieder knurren wird.
Doch dann sieht er die Forellen im Tümpel. Es sind keine besonders imposanten Dinger, kaum handlang. Doch für einen Mann, der aus der Apachenwüste kommt und den die Mescaleros eine Woche lang hetzten, bis er ihnen endlich entkommen zu sein glaubte - für solch einen Mann sind ein paar Forellen ein Festmahl ...
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Verdammt sind sie alle
Vorschau
Impressum
Verdammt sind sie alle
Im Creek ist nicht mehr viel Wasser. Nur im Schatten des großen Felsens hielt sich ein größerer Tümpel.
Als Mike Shannon mit letzter Kraft den fast ausgetrockneten Creek und den etwas tieferen Tümpel erreicht, trinkt er erst einmal neben seinem Pferd, bis nichts mehr in ihn hineingeht. Wie ein trockener Schwamm saugt er sich voll Wasser, und ein Beobachter hätte sich gewiss nicht gewundert, wäre Mike Shannon das Wasser wieder aus den Ohren herausgelaufen.
Dann liegt Mike Shannon eine Weile still. Nur manchmal seufzt er zufrieden. Seinem Red geht es ähnlich. Der Wallach schnaubt freudig und beginnt nach einer Weile, die grünen Gräser zu rupfen.
Doch damit hört die Gemeinsamkeit auch schon auf. Denn Mike Shannon kann sich nicht von Gras ernähren. Und er weiß, dass sein Magen, der zwar jetzt mit Wasser angefüllt ist, bald wieder knurren wird.
Aber dann sieht er die Forellen im Tümpel. Es sind keine besonders imposanten Dinger, kaum handlang. Doch für einen Mann, der aus der Apachenwüste kommt und den die Mescaleros eine Woche lang hetzten, bis er ihnen endlich entkommen zu sein glaubte – für solch einen Mann sind ein paar Forellen ein Festmahl ...
Eine Stunde später hat er sie über der Glut eines rauchlosen Feuers an kleinen Stecken gar und zwingt sich dazu, sie nicht gierig hinunterzuschlingen.
Mike Shannon ist ein großer, sehniger Bursche mit aschblondem Haar und rauchgrauen Augen. Er ist noch jung, kaum älter als fünfundzwanzig.
Er gehörte vor mehr als einer Woche zu einer Mannschaft von Wildpferdjägern, die für die Postlinie eine Herde Mustangs einfangen und zureiten wollten.
Aber die Apachen holten sich die Mustangs und töteten alle Männer bis auf Mike Shannon.
Sein Revolver ist leer.
Und in seinem Spencer-Karabiner befindet sich nur noch eine einzige Kugel.
Als er fertig ist mit dem Essen, erhebt er sich aus der Hocke und tritt zu seinem Pferd. Seine Bewegungen sind nun schon wieder kontrollierter, lockerer. Die kurze Ruhepause hat ihn entspannt.
Nun sieht man es besser: Er ist einer von jenen Typen, welche sich scheinbar ruhig und lässig bewegen – und dennoch so schnell wie ein Wildkater sein können.
Er zieht seinem Pferd den Bauchgurt stramm.
Dabei blickt er über den Sattel hinweg auf seiner Fährte zurück.
Als er den Reiter kommen sieht, werden seine Augen schmal, bis er erkennt, dass der Reiter kein Apache, sondern ein Weißer ist. Er sieht diesen Reiter im Sattel schwanken und begreift schnell, dass sich auch dieser Mann am Ende seiner Kraft befindet und wahrscheinlich halb verdurstet oder krank ist.
Oder ist der Ankömmling verwundet?
Bekam er es ebenfalls mit den Apachen zu tun, die bei Mike Shannons Verfolgung auf seine Fährte stießen?
Einen Moment zögert Mike Shannon, ist versucht weiterzureiten. Es ist, als ahnte er, dass dieser Reiter ihm nur weiteren Verdruss bringen wird.
Doch dann entschließt er sich zum Warten. Er zieht jedoch das Gewehr aus dem Sattelschuh, denn es könnte sein, dass er seine einzige Patrone bald gebrauchen muss, sollten hinter dem Mann Apachen auftauchen.
Der Mann ist ein schon alter Bursche. Mike erkennt dies bald. Er hält sich nur mühsam im Sattel und reitet schlecht. Als er nahe genug ist, kann Mike Shannon ihn besser einschätzen – und nun glaubt er, dass es sich um einen dieser Goldsucher handelt, die mit zwei oder drei Mauleseln umherziehen und überall den Sand durchsuchen, Gesteinsproben abschlagen, in Höhlen und alten Spanierminen herumkriechen.
Ja, dieser Mann trägt keine Reitstiefel mit hohen Absätzen und Sporen.
Er kommt herangeritten. Mike hört ihn stöhnen.
Der Mann wirft ihm im Vorbeireiten einen schrägen Blick zu. Dann hält er beim Tümpel an, lässt sich vom Pferd gleich ins Wasser gleiten.
Das Pferd aber ist bestimmt nicht sein eigenes Tier. Dieses Pferd wurde früher von einem anderen Mann geritten, wahrscheinlich von einem Mexikaner.
Mike Shannon sieht auch die Wunde des Mannes, der nun auf dem Bauch liegt und sich erfrischt. Die Wunde ist im Rücken. Das Blut hat das ausgeblichene Hemd dunkel gefärbt.
Da sich vorn aber kein Ausschussloch befindet, muss der Mann die Kugel noch im Körper haben.
Der ist verloren, denkt Mike Shannon mit der Nüchternheit eines Mannes, der schon zu lange in diesem Land lebt, um noch beim Anblick eines Sterbenden Gefühle zu haben.
Als er sieht, dass der Mann bewusstlos wird und mit dem Gesicht so im Tümpel liegt, dass er trotz des flachen Wassers ertrinken wird, springt er hinzu und zieht ihn heraus.
Als er nach der Wunde sieht, erschrickt er und denkt: Armer Teufel!
Die Wunde ist schon so stark entzündet, dass die Blutvergiftung nicht mehr bekämpft werden kann – es sei denn von einem guten Arzt, der sich nicht scheut, diesen Mann ziemlich tief aufzuschneiden.
Ich kann nichts für ihn tun, denkt Mike Shannon. Selbst wenn ich ihm die Kugel herausholen und die Wunde ausbrennen würde, könnte ich ihn nicht retten. Denn er hielte es nicht mehr aus. Er ist am Ende. Wie hat er es nur bis hierher geschafft?
Er bewundert die Härte und Zähigkeit dieses graubärtigen Goldsuchers.
Das Pferd, welches ebenfalls den Durst stillte, gesellt sich nun zu Mike Shannons Red und beginnt neben ihm zu grasen.
Woher mag er nur den Gaul haben? Dies fragt Mike sich. Dann bewegt sich der Bewusstlose wieder. Mike beugt sich über ihn, hebt ihn hoch und wundert sich, wie wenig dieser alte, zähe Mann wiegt. Er setzt ihn so gegen die Felswand, dass er Halt findet.
Der Mann sieht ihn an. In seinen Augen glänzt Fieber. Doch es ist auch ein misstrauischer Ausdruck darin.
»Ich kann nicht viel für dich tun, Oldtimer«, sagt Mike Shannon, und nun ist seine Stimme doch etwas vibrierend. »Es sind fünfzig Meilen bis Tucson«, spricht er weiter. »Ich könnte dich auf deinem Gaul festbinden, doch ...«
Er verstummt, denn er möchte nicht aussprechen, was sie beide wissen.
Doch der alte Goldsucher spricht es aus.
»Mein Junge«, sagt er heiser, »ich werde meinen Löffel bald abgeben – für immer. Mit mir brauchst du dir keine Mühe mehr zu machen. Du gehörst also nicht zu Black Les Vansitters Bande?«
»Nein«, murmelt Mike. »Doch ich kenne Black Les Vansitter. Ich traf ihn manchmal in Tucson, El Paso, Nogales und in all ...«
Er verstummt, denn der alte Goldgräber winkt leicht ab.
»Er ist mit seinen Jungs hinter mir her«, sagt der Goldgräber. »Ich bin Sam Fordman. Man nennt mich auch Nugget Sam. Ich möchte ein Geschäft mit dir machen, mein Junge. Greif mal in meine Taschen.«
Mike Shannon zögert. Doch dann gehorcht er – und holt aus Sam Fordmans Taschen ein paar Brocken heraus, die er selbst als Laie unschwer als Erzproben erkennen kann.
Es sind schwere Brocken. Also muss ihr Goldgehalt hoch sein.
Sam verzerrt sein Gesicht, und das Fieber lässt seine Augen glühen.
»Sie werden dich sowieso hetzen«, sagt er, »um dich auszufragen. Wenn sie erst herausgefunden haben, dass du in meinen letzten Minuten bei mir warst, werden sie dich ausquetschen wie einen Schwamm. Verstehst du? Und wenn ich dir jetzt nichts sagen würde, würden sie dir das nicht glauben. Sie würden dich mit den Füßen in ein Feuer legen. Denn sie sind schlimmer als Apachen, wenn sie irgendwo Gold wittern. Verstehst du?«
Mike Shannon schluckt und nickt. Er braucht nicht lange nachzudenken, um alles zu begreifen.
Der alte Goldsucher hat ein reiches Goldvorkommen entdeckt. Eine Horde Banditen ist hinter ihm her. Irgendwie fanden die Banditen heraus, dass Sam Fordman Glück hatte. Aber noch kennen sie die Fundstelle nicht. Er konnte ihnen entkommen. Wahrscheinlich auf diesem Pferd, welches einem von ihnen gehörte. Dabei bekam er die Kugel in den Rücken. Und wenn sie erst herausfinden, dass er mit Mike Shannon zusammen war, dann werden sie den Verdacht haben, dass er diesem letzten Menschen in seinem Leben die Fundstelle verriet.
Mike Shannon schluckt wieder.
Dann fragt er: »Was für ein Geschäft?«
Der Goldsucher hat die Augen geschlossen. Nun öffnet er sie langsam. Und trotz des Fiebers arbeitet sein Verstand noch völlig klar.
»Begrab mich«, sagt er. »Ich will in ein Grab, wo ich zu Erde werden kann, wie es sich gehört. Verstehst du? Wenn du mir dein Wort gibst, sag ich dir, wo ich das Zeug abgeschlagen hab. Na?«
Er wirkt noch einmal listig, dieser alte Bursche – und dabei wird er bald schon tot sein.
Mike Shannon nickt.
»Opa«, sagt er, »ich hätte dich auch ohne Geschenk in ein Grab gelegt und schwere Steine darüber aufgetürmt. Ich bin Mike Shannon, und ich bin nicht gut und auch nicht schlecht. Ich halte gerade noch so die Balance auf der Grenze, verstehst du? Aber wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es. Klar?«
Der Alte nickt leicht.
Dann sagt er: »Kennst du die drei spanischen Minen in der Schlucht des Loon Creek südlich der Red Mesa?«
Mike Shannon nickt. Und wieder grinst der alte Goldsucher.
»Die letzte Mine – also die südlichste – wurde durch einen Bergrutsch zugeschüttet. Man kommt durch den Stolleneingang nicht mehr hinein. Aber von oben durch eine Felsspalte. Man braucht eine Strickleiter oder ein Seil von doppelter Lassolänge. In dieser Mine stieß ich auf die Goldader. Ich legte sie frei, als ich nur ein wenig herumklopfte. Verstanden? Die Minen haben keine Besitzer mehr. Sie wurden aufgegeben. Jeder kann sich dort einen Claim eintragen lassen. Du musst nach Tucson, bevor Black Les Vansitter dich erwischt.«
»Sicher«, sagt Mike Shannon.
Und er kann sehen, dass die Kraft des alten Goldsuchers zu Ende geht. Er kann das Fieber in seinen Augen erlöschen sehen.
Dann begreift er, dass kein Leben mehr in diesen Augen ist.
Sam Fordman ist tot.
Als Mike Shannon den Goldsucher beerdigt hat, späht er noch einmal in die Runde. Aber er bemerkt nicht das geringste Zeichen von Verfolgern – mögen es nun Apachen oder Banditen sein.
Er scheint allein zu sein in weiter Runde.
Aber was ist in diesem Land schon sicher?
Apachen zum Beispiel sind einem manchmal besonders nahe, wenn man nichts von ihnen sieht.
Und auch Banditen, die unter Les Vansitters Führung reiten, sind erfahren und beherrschen jeden Trick.
Mike Shannon weiß das alles.
Nur eine Beruhigung hat er – nämlich die, dass sein Colt und sein Gewehr wieder geladen sind. An Sam Fordmans Pferd hing ein Revolvergurt mit allem Zubehör. Und im Sattelschuh steckte ein geladenes Gewehr.
Mike reitet mit dreizehn guten Freunden. Sieben stecken jetzt im Spencer-Karabiner und sechs in seinem Colt.
Die Sonne sinkt im Westen, als er sich auf den Weg macht.
Sam Fordmans Grab bleibt zurück – doch nicht sein Geheimnis.
✰
Mike hat noch fünfzig Meilen vor sich.
Niemand folgt seiner Fährte. Der alte Sam Fordman scheint Les Vansitter und dessen Banditen abgeschüttelt zu haben, wie es ihm, Mike Shannon, mit den Apachen gelungen war.
Doch Mike bleibt misstrauisch. Er ändert oft seine mutmaßliche Richtung, sodass man sicherlich nicht so einfach in einem Hinterhalt auf ihn warten könnte.
Gegen Mitternacht rastet er eine Weile. Sein Pferd hat sich bei der Wasserstelle zwar etwas erholt, aber längst nicht so gut, dass er fünfzig Meilen durch raues Land bis Tucson durchhalten könnte.
Nach etwa zwei Stunden reitet er weiter – und immer noch ist er wachsam.
Irgendwann zwischen der dritten und vierten Morgenstunde sieht er dann die Lichter in der Nacht.
Er kennt den kleinen Ort.
Es ist Mesa Station. Im Schatten der großen Mesa funkeln die Lichter der alten Poststation besonders hell, und sie wirken freundlich, einladend. Sie versprechen einem müden und hungrigen Mann eine ganze Menge.
Aber Mesa Station ist ein böses Nest. Er weiß es zu gut.
Und dennoch, er muss hin. Er will kräftig frühstücken und seinem Pferd etwas gönnen. Bis Tucson sind es noch weitere zwanzig Meilen durch raues Land. Alle Postkutschen, die von Tucson kommen, müssen hier schon nach zwanzig Meilen ihre Gespanne wechseln.
Mike Shannon reitet also auf die Lichter zu.
Sein Pferd beginnt zu stolpern. Und dann verliert es auch noch ein Eisen. Er hört es gegen einen Stein klingen, und er hält an, überlegt, ob er absitzen soll.
Doch dann reitet er weiter.
Er wird also beim Schmied im Wagenhof ein neues Eisen anschlagen lassen.
Als er in die Nähe des Ortes kommt, hört er schon, dass sie dort wieder einmal ein Fest feiern.
Gitarren klingen, Trompeten tönen und Kastagnetten klappern den Rhythmus eines mexikanischen Tanzes. Dazu singen viele Stimmen und klatschen viele Hände.
Ja, es findet wieder einmal eine Fiesta statt.
Einen Grund finden die immer, denkt er. Vielleicht hat die siebte Tochter von Fernando Hernandez nun endlich auch einen Mann bekommen. Oder vielleicht wurde Fernando nun zum fünfunddreißigsten Mal Opa. Seine sechs anderen Töchter sind sehr fruchtbar, obwohl er sechs Nieten zu Schwiegersöhnen hat. Na, ich rieche, dass sie einen Ochsen am Spieß braten. Das ist richtig für mich! Oha, das ist gut!
Er reitet nun das letzte Stück, und er hält genau auf das glühende Feuer zu, über dem der gewaltige, wagendeichselgroße Spieß mit den Resten des Ochsen in den starken Gabeln hängt.
Er sieht Männer, ein paar Frauen und Mädchen. Aber in Mesa Station gibt es normalerweise einen Überschuss an Frauen und Mädchen und dies ist einmalig in diesem Land. Denn Fernando Hernandez Töchter schenkten wiederum fast nur Töchtern das Leben. Die älteren Töchter sind nun auch schon im heiratsfähigen Alter.
Er hat nun das Feuer mit dem großen Braten erreicht. Er schwingt sich von seinem Pferd, tritt heran und schneidet mit seinem Apachenmesser, welches er aus dem Stiefelschacht holt, ein pfundschweres Stück Fleisch ab.
Als er den dritten Braten isst, bringt ihm ein Mädchen einen Becher Wein.
Sie lächelt ihm zu. Er kennt sie gut, denn es ist die achtzehnjährige Dolores, eine von Fernandos Enkelinnen.
»Ay, Miguel«, lächelt sie Mike an, »du bist wohl weit geritten, si?«
Er nickt kauend. »Sehr weit, mein Täubchen. Und du bist noch schöner geworden, seit ich dich vor Monaten sah. Deine Brüste waren damals noch etwas klein. Jetzt sind sie richtig für eine Männerhand. Wenn ich nicht so weit und zu lange geritten wäre, würde ich gern mit dir tanzen, mein Augenstern. Was feiert ihr heute?«
Sie lächelt ihn an, und er erinnert sich daran, wie er vor Monaten mit ihr eine Nacht lang im Heu lag. Trotz der Kühle der Nacht froren sie nicht. Er erinnert sich an ihr Feuer und alle anderen Dinge. Sie war ein Mädchen, welches Zärtlichkeit schenkte und solche auch haben wollte. Und alles, was er ihr gab, zahlte sie zurück. Sie blieb nichts schuldig.
Aber dann ist er weitergeritten – ein Tramp, der nach einer Chance sucht.
Sie sieht ihn immer noch an.
»Wenn du müde bist«, sagt sie, »werde ich dir in der Fonda eine Schlafkammer richten und ...«
Sie kommt nicht weiter, denn einer der Männer kommt vom Tanzplatz herüber, ergreift ihr Handgelenk und ruft nun, sie mit sich ziehend: »Komm, du kannst mir doch nicht einfach fortlaufen wegen jedem ungewaschenen Strolch! Komm jetzt, Chica!«
Sie wehrt sich. Doch der Bursche ist einer von der bärenstarken Sorte.
Erst als sie ihn mit aller Kraft gegen die Schienbeine tritt, hält er inne und flucht schmerzvoll. Er schleudert sie von sich, sodass sie gegen Mike Shannon prallt und nur deshalb nicht zu Boden fällt.
»Dir werd ich's zeigen, du kleine Hure«, knurrt der Kerl und tanzt auf einem Bein herum, bis die Schmerzen im anderen erträglich werden, sodass er sich wieder zweibeinig zu bewegen traut.
Er will sich Dolores wieder greifen. Aber sie gleitet um Mike herum, sodass sich dieser nun zwischen ihm und ihr befindet.
»Amigo«, sagt Mike Shannon kauend, »du bist sehr unhöflich. Dies hier ist ein so liebes und nettes Mädchen, dass es eine schlimme Sünde ist, sich ihr gegenüber so mies zu benehmen. Entschuldige dich bei ihr, Amigo – und dann kannst du gehen.«
Der Bursche ist betrunken, doch nicht so schlimm, dass er nicht wüsste, was er gesagt bekam.
Nun schüttelt er den Kopf wie ein Bulle.
»Mann«, knurrt er, »wir feiern hier ein Fest. Wir haben dieses verdammte Nest gekauft. Verstehst du? Gekauft! Und deshalb gehört mir auch diese kleine Hu...«
Weiter kommt er nicht, denn Mike Shannon gießt ihm den Rotwein ins Gesicht.
Und weil er in der anderen Hand den Klumpen Fleisch hält, den er nicht fallen lassen möchte, die Becherhand aber zugleich das Messer hält, hat er nur seine Beine zur Verfügung.
Er tritt dem zweibeinigen Bullen kräftig auf den Fuß. Und dieser – noch blind vom Rotwein in seinen Augen – macht wahrhaftig aufbrüllend die erwartete Verbeugung. Mike Shannon trifft ihn deshalb recht bequem mit dem Knie unter dem Kinn.
Der schwergewichtige Bursche setzt sich erst seufzend auf seinen Hosenboden, dann legt er sich auf den Rücken und streckt Arme und Beine von sich.
»Jetzt musst du mir wahrhaftig den Becher neu füllen, mein Täubchen«, sagt Mike Shannon zu Dolores.
Diese sieht ihn mit großen Augen an.
»Was für ein Hombre«, sagt sie. »Ay, Miguel, welch ein Hombre bist du!«
»Du sollst mich nicht Miguel, sondern Mike nennen«, sagt er. »Sag mal Mike! Mike! Ja?«
Als sie mit dem Becher fort ist, um ihn auf der Veranda neu zu füllen, sieht Mike die Männer an, die sich vom Fest abwandten und interessiert zusahen.
Einer dieser Männer trägt Kavallerie-Uniform mit den Winkeln und Bögen eines Master Sergeant. Die anderen Männer sind Zivilisten. Aber sie wirken dennoch irgendwie gleichartig, fast so wie Soldaten in Zivil.
Der Sergeant nickt Mike Shannon zu.
»Das war saubere Arbeit, Mister«, sagt er. »Sind Sie auch gekommen, um sich als Freiwilliger bei der Miliz einstellen zu lassen?«
»Nein«, erwidert Mike Shannon. »Bevor ich das täte, müsste ich erst völlig meinen Verstand verlieren. Ich hoffe, Sergeant, Sie nehmen das nicht persönlich.«
Einige der Männer knurren und fluchen. Einer sagt: »Der meint also, dass wir den Verstand verloren haben, weil wir uns anwerben ließen.«
»Halt, Jungs, halt – nur keinen Streit«, ruft der Sergeant. »Wenn ihr euch mit dem da einlasst, können zwei oder drei von euch nicht mitreiten. Und wir brauchen jeden Mann.«
Er hält ein Glas in der Hand, prostet damit Mike Shannon zu.
»Cowboy?«, fragt er. »Oha, ich könnte Sie gebrauchen! Wir sind die Abteilung Catterman. Major John Catterman ist Reserveoffizier. Er erhielt von der Armee die Erlaubnis, eine Miliz aufzustellen. Ich bin der einzige Berufssoldat und ihm zugeteilt. Dieses Kommando steht unter Armee- oder Kriegsrecht. Jeder Freiwillige erhält einen Dollar Sold pro Tag. Für das Pferd wird ein halber Dollar gezahlt. Natürlich sind Verpflegung und Unterhalt frei. Es gibt zehn Dollar Handgeld. Dieses Handgeld verjubeln die Jungs gerade. Wollen Sie wirklich nicht, Cowboy?«
Der Sergeant hat nun fast ein gieriges Funkeln in den Augen.
»Sie brauchen nur zu unterschreiben, Cowboy«, sagt er. »Der Feldzug dauert höchstens zwei oder drei Wochen. Das ist schnell und leicht verdientes Geld.«
Mike Shannon sieht ihn wachsam an. Dabei verputzt er den Rest des Fleisches.