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Es sah nicht gut für mich aus. Die Spur der letzten vier Mitglieder der Fowley-Bande verlor sich immer mehr. Doch ich hatte mir geschworen, die Mörder meiner Familie zur Rechenschaft zu ziehen, und so gab ich nicht auf. Es war mein Glück, denn plötzlich war die Spur wieder deutlich erkennbar. Sie führte nach Saint John, einer ehemaligen Geisterstadt, die gerade wieder zu neuem Leben erwachte.
Meine Enttäuschung war groß gewesen, als ich unterwegs erfuhr, die vier Gesuchten hätten in der Stadt den Tod gefunden. Vier Kopfgeldjäger seien aufgetaucht und hätten sie allesamt erledigt.
Verdammt, sollten andere mir mein Wild tatsächlich kurz vor dem Ziel vor der Nase weggeschnappt haben?
Ich konnte und wollte es nicht glauben!
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Stadt der Toten
Vorschau
Impressum
Stadtder Toten
Es sah nicht gut für mich aus. Die Spur der letzten vier Mitglieder der Fowley-Bande verlor sich immer mehr. Doch ich hatte mir geschworen, die Mörder meiner Familie zur Rechenschaft zu ziehen, und so gab ich nicht auf. Es war mein Glück, denn plötzlich war die Spur wieder deutlich erkennbar. Sie führte nach Saint John, einer ehemaligen Geisterstadt, die gerade wieder zu neuem Leben erwachte.
Meine Enttäuschung war groß gewesen, als ich unterwegs erfuhr, die vier Gesuchten hätten in der Stadt den Tod gefunden. Vier Kopfgeldjäger seien aufgetaucht und hätten sie allesamt erledigt.
Verdammt, sollten andere mir mein Wild tatsächlich kurz vor dem Ziel vor der Nase weggeschnappt haben?
Ich konnte und wollte es nicht glauben!
Als ich am Abend in die Stadt ritt, da vermochte ich nicht zu begreifen, dass man sie lange Jahre eine Stadt der Toten genannt hatte.
Ja, ich sah sofort viele Minenleute, Gold- und Silbersucher, Claimbesitzer, aber auch Frachtfahrer, Cowboys – und all die anderen Gestalten, die überall dort auftauchen, wo reges Leben und Treiben herrscht und vielleicht etwas für sie abfallen könnte – Brosamen oder reiche Beute.
Ich beschloss zu bleiben und stieg vor einem Hotel vom Pferd.
Ein Mexikanerjunge trat zu mir.
»Ich kümmere mich gerne um Ihr Caballo, Señor«, sagte er. »Doch wenn Sie im Hotel kein Zimmer haben, brauchen Sie drinnen erst gar nicht danach zu fragen. Es ist alles voll. Die ganze Stadt ist voll, selbst im Heu des Mietstalles ist kaum noch was frei.«
Ich drückte dem Jungen die Zügelenden in die Hand und knurrte: »Wir werden ja sehen, Chico.«
»Ich heiße Roberto«, erwiderte er ernst.
»Das ist ein schöner Name, Roberto«, entgegnete ich und ging hinein.
Es war ein nobles Hotel, dessen Mauern noch in jener Zeit errichtet wurden, als hier die spanischen Hidalgos auf der Durchreise nach Santa Fe waren, wo es mal eine spanische Garnison gab.
Am Anmeldepult stand eine Frau, und sie gehörte zu jener Sorte, die ich am meisten von allen anderen Sorten mochte. Sie nahm vom Portier soeben ihren Zimmerschlüssel in Empfang und wandte sich zur Treppe, wollte also nach oben in ihr Zimmer gehen.
Nun aber sah sie mich und hielt inne.
Wir betrachteten uns einige Sekunden lang.
O Himmel, sie gefiel mir mächtig.
Sie war etwas mehr als mittelgroß, hatte goldfarbenes Haar und grüne Augen. Obwohl sie bequeme Reitkleidung trug, konnte man erkennen, dass alles richtig war an ihr, sozusagen makellos.
Und ihr Blick war kühl, abschätzend. Ja, sie war eine reife und gewiss erfahrene Frau, der auf dieser Erde nicht viel fremd war.
Ich stand ihr etwas im Weg. Sie hätte halb um mich herumgehen müssen.
Deshalb beeilte ich mich endlich und trat zur Seite. Dabei griff ich an meinen Hut, berührte die Krempe, verneigte mich leicht.
»Danke, Cowboy«, sagte sie lächelnd, ging an mir vorbei zur Treppe und verschwand nach oben. Und jeder Schritt und jede ihrer Bewegungen gefielen mir.
Ihre Sporen klingelten melodisch. Sie trug einen Revolver im Gurt.
Was war sie? Eine Rancherin vielleicht, die mit ihrer Mannschaft eine Fleischherde zu den Minencamps brachte? Oder war sie nur ausgeritten und alles andere als eine Rancherin?
Ich wandte mich dem hageren Portier zu, der mich über die Ränder seiner Nickelbrille, die er wahrscheinlich nur zum Lesen gebrauchte, mit listigen Augen betrachtete.
»Wir haben kein einziges Zimmer mehr frei«, sagte er, bevor ich danach fragen konnte. »Die Stadt platzt aus allen Nähten. Es wird von Woche zu Woche immer verrückter. Die Besucher kommen im Umkreis von hundert Meilen zu den Whisky- und Tequilatränken und vor allem zu den Mädchen. Diese Stadt wird ein Babylon der Neuzeit.«
Er hatte mir nun alles gesagt.
Ich aber fragte: »Diese Frau soeben – wer ist sie? Erzählen Sie mir etwas von ihr, mein Freund.«
Ich schob ihm fünf Dollar hin, und er nahm sie so schnell weg, wie eine Henne nach einem Korn pickt.
Dann erwiderte er: »Sie sind wohl doch kein Cowboy, Mister, sondern ein sehr erfahrener und verständiger Mann, der das Leben kennt. Und Sie sind verdammt lange und weit geritten. Na gut, ich will es Ihnen verraten. Diese Lady heißt Lena Harris. Sie reitet an jedem Nachmittag aus. Die Nächte aber verbringt sie an den Spieltischen im nobelsten Spielpalast von Saint John. Da sieht sie sehr viel anders aus als in ihrer Reitkleidung. Da würden Sie staunen. Eine Frau kann sich ja auf wunderbare Weise mehrmals verändern. Sie ist eine Glücksjägerin, aber eine von besonderem Format. Sonst noch was, Mister?«
»Sicher – ein Zimmer«, erwiderte ich. »Mit dieser Lady würde ich gerne unter einem Dach wohnen. Können Sie nicht jemanden rauswerfen? Zahlen sie hier alle pünktlich? Benimmt sich hier jeder Gast ordentlich? Gibt es bei keinem einen Grund, ihm das Zimmer zu kündigen? Ich bin ein sehr spendabler Gast, mein Freund.«
Ich holte eine Geldscheinrolle aus der Tasche. Sie war so dick, dass meine Faust sie nicht zu umschließen vermochte.
Der Portier überlegte.
Ich legte ihm zwanzig Dollar hin.
Und wieder pickte er sie weg wie eine Henne ein Korn am Boden. Nur machte er das nicht mit einem pickenden Schnabel, sondern mit den fünf Fingern seiner Hand.
»Warten Sie ein paar Minuten, Mister«, sprach er dann. »Um diese Zeit kommt stets ein Mister Miller herunter, um sich in das Nachtleben dieser Stadt zu stürzen. Mal sehen, was ich für Sie tun kann. Denn von ihm bekam ich noch keinen einzigen Dollar nebenbei. Und ich habe eine dicke Frau und fünf verfressene Kinder, die ganz und gar nach ihrer Mutter kommen. Warten Sie ein paar Minuten, Mister.«
Ich trat zurück, ging hinaus und rief dem Mexikanerjungen, der noch bei meinem Pferd stand, zu: »Bring mein Gepäck herein, Roberto. Dann kannst du mein Pferd versorgen. Wo wirst du es hinbringen?«
»In den Corral hinter diesem Hotel«, erwiderte er.
Ich ging wieder hinein und setzte mich in einen der Sessel in der Hoteldiele.
Von oben kam nun ein Mann herunter, wahrscheinlich dieser Mr Miller. Er war mit ziemlicher Sicherheit ein Kartenhai. Denn da kannte ich mich aus.
Als er seinen Schlüssel abgab, hörte ich den Portier zu ihm sagen: »Jemand hat nach Ihnen gefragt, Mister Miller.«
»Nach mir? Wer könnte schon nach mir fragen?«
»Was weiß ich«, erwiderte der Portier. »Es kamen zwei Männer, die mich fragten, ob hier ein Gast wohnen wurde, der nur einen halben rechten Zeigefinger und ein halbes rechtes Ohr hätte.«
»Und? Was haben Sie gesagt?« Die Stimme jenes Mr Miller klang heiser und nervös, ließ Bitterkeit erkennen, vielleicht auch Schrecken und Sorge.
Der Portier lachte leise.
Miller fragte drängend: »Sahen sie wie Brüder aus?«
»Ja, Brüder könnten sie sein«, erwiderte der Portier und hatte ein Glucksen in der Kehle. Ihm machte dieses Spiel einen höllischen Spaß.
»Was haben Sie den beiden gesagt?« Nun klang die Frage noch nervöser und drängender.
Abermals hatte der Portier ein Glucksen in der Kehle, als er erwiderte: »Ich sagte ihnen, dass sie am nächsten Morgen wiederkommen und meinen Kollegen, den Tagesportier, fragen sollen. Ich selbst könne ihnen nichts sagen.«
Mr Miller verharrte einige Sekunden lang.
Dann stürmte er die Treppe hinauf nach oben.
Der Portier sah grinsend zu mir herüber. »Der kommt gleich wie ein gesengter Kater wieder herunter«, sagte er.
Und so war es auch, denn es dauerte keine drei Minuten, da kam Mr Miller mit seinem wenigen Gepäck. Er knallte einen Geldschein auf das Anmeldepult und verschwand um den Treppenfuß herum im Gang zur Hintertür.
Dabei sagte er kein einziges Wort.
Ich trat wieder zum Portier. Wir grinsten uns an.
»Der hat Schatten auf seiner Fährte«, sprach der Portier. »Ich wusste es von Anfang an. Burschen wie der haben immer Schatten auf der Fährte. Den haben sie schon mal irgendwo und irgendwann beim Falschspiel erwischt und ihm den halben Zeigefinger und das halbe Ohr abgeschnitten. Eigentlich ist er ein armer Hund, und jetzt flüchtet er Hals über Kopf aus dieser Stadt. Wahrscheinlich wird er sich ein Pferd stehlen, um möglichst schnell wegzukommen. Hoffentlich erwischen sie ihn nicht dabei. Denn dann wäre ich schuld, wenn sie ihn hängen, weil ich ihn in Panik versetzte. Und das für zwanzig Dollar.«
Ich nickte und erwiderte: »Ja, das wäre wirklich zu wenig.«
Dabei legte ich ihm nochmals zwanzig Dollar hin.
Wieder »pickte« er sie weg und sprach dann: »Zimmer Nummer acht. Es liegt neben dem Zimmer der Lady. Sie haben mächtig Glück, Mister.«
»Sacketter«, erwiderte ich. »Ben Sacketter ist mein Name.«
Der Junge brachte nun mein Gepäck herein. Als ich es aufnahm, sagte der Portier: »Aber das Bett kann erst morgen früh frisch bezogen werden, Mister Sacketter. Unsere Zimmerfrau kommt erst morgen wieder. Doch dieser Mister Miller war offensichtlich ein reinlicher Mensch.«
Ich schnaufte nur und ging mit meinem Gepäck nach oben.
✰
Vielleicht war alles nur ein Spiel des Schicksals, welches mit uns Menschen immer wieder gute, aber auch böse Scherze macht, die man gern für Zufälle hält.
Aber ich glaubte nicht an Zufälle, sondern an ein unwandelbares Schema, nach dem der Weg eines jeden Menschen verläuft. Auf diesem Weg muss sich der Einzelne behaupten – oder er wird untergehen, wenn das Schicksal es so will. Denn dann helfen kein Widerstand und kein Aufbegehren.
Ich sah noch in dieser Nacht die schöne Lena Harris, meine Zimmernachbarin, an den Spieltischen des nobelsten Spielsaloons von Saint John.
Es war keine normale Spielhalle, sondern ein wirklich nobles Etablissement.
Mich ließ man erst eintreten, nachdem ich den beiden Türwächtern mein Geld gezeigt hatte. Ihr Misstrauen war berechtigt, denn meine Kleidung war arg abgenutzt vom langen Reiten und den vielen Nächten unter freiem Himmel. Man konnte mich auf den ersten Blick wahrhaftig für einen Cowboy oder Satteltramp halten.
Doch meine dicke Geldscheinrolle öffnete mir auch die Tür zu diesem noblen Spielparadies.
Es war schon nach Mitternacht. Lena Harris saß mitten in einer Pokerrunde. Ihr grünes Kleid war von der Farbe ihrer Augen. Sie sah wunderschön aus.
Ich beobachtete sie, ging nur manchmal durch den großen Raum und setzte da und dort einige Dollars beim Black Jack, Faro oder Roulette.
Und ich gewann.
War das ein böses Zeichen?
Glück im Spiel – Pech in der Liebe?
Ja, war ich denn jetzt schon so verknallt in die schöne Lena Harris, dass ich den Grund meines Herkommens vergaß?
Es war dann etwa drei Stunden nach Mitternacht, als die schöne Lena Harris aus dem noblen Spielpalast trat und sich auf den Weg zu ihrem Hotel machte.
Ich stand draußen und hatte gewartet, denn ich war vorausgegangen, als sie am Spieltisch ihren Gewinn in die Handtasche zu packen begann.
Nun trat ich zu ihr und griff wieder an meine Hutkrempe.
»Ich bin der Cowboy, der Sie schon in der Hotelhalle bewunderte, Lady«, sagte ich. »Nun bin ich Ihr Zimmernachbar. Deshalb haben wir den gleichen Weg. Darf ich Sie begleiten? Mein Name ist Sacketter, Ben Sacketter. Ihren Namen kenne ich schon.«
Sie sah mich im Laternenschein an. Wir standen noch vor dem Eingang der Spielhalle. »O ja.« Sie lächelte. »Ich erkenne Sie wieder. Wie sind Sie denn an das Zimmer neben mir gekommen?«
»Schicksal«, erwiderte ich und ging neben ihr her.
»Wahrscheinlich sind Sie gar kein Cowboy«, sprach sie.
»Nein«, erwiderte ich, »das bin ich wirklich nicht.«
Inzwischen kamen wir zu einer Gassenmündung.
Aus der Dunkelheit dieser Gasse traten zwei Männer mit schussbereiten Colts. Es war still geworden auf der Hauptstraße von Saint John. Man sah da und dort nur noch einen Betrunkenen. Viele Reiter und auch Fahrzeuge – zumeist Minenwagen – hatten die Stadt verlassen.
Die beiden Männer waren maskiert. Sie hatten sich ihre Halstücher bis über die Nasen gebunden und die Hüte tief ins Gesicht gezogen. Sie trugen Stiefel mit klirrenden Sporen.
Einer sagte: »Gebt euer Geld raus, dann bleibt ihr am Leben. Die Lady hat mächtig viel gewonnen – zu viel, meinen wir. Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Also her damit!«
Er meinte das Geld, welches Lena Harris in ihrer Handtasche und ich in meiner Hosentasche trug. Überdies trug ich auf dem bloßen Leib noch einen Geldgürtel, in welchem sich dreitausend Dollar befanden.
Denn ich war wirklich kein armer Bursche. Ich hatte die Baumwollplantage meiner Eltern verkauft. Unser nobles Herrenhaus war zwar abgebrannt, doch die Plantage, auf der einst an die dreihundert Sklaven arbeiteten, war eine Menge wert.
Ich hatte dann die Fährte aufgenommen und wollte nie wieder zurück nach Alabama. Jetzt aber wollten mir zwei maskierte Narren mein Geld abnehmen. Schon aus diesem Grund hätte ich mich gewehrt.
Aber da war ja auch noch die schöne Lena.
Einer der beiden Kerle griff nach ihrer Handtasche und wollte ihr diese entreißen. Aber sie schlug sie ihm ins Gesicht und achtete nicht auf seinen schussbereiten Revolver. Er brachte es auch wirklich nicht fertig, die Waffe auf eine schöne Frau abzufeuern.
Nun trat sie ihm auch noch vor die Schienbeine, und obwohl sie zierliche, geknöpfte Schuhe trug unter ihren langen Röcken, jaulte er auf und wollte ihr den Revolverlauf auf den Kopf schlagen.
Sein Kumpan achtete einen Moment nicht auf mich. Als er seine Aufmerksamkeit nach diesem schnellen Seitenblick und nach einem Sekundenbruchteil wieder auf mich richtete, war es zu spät für ihn.
Denn mein Fuß schnellte hoch und traf seine Revolverhand, stieß die Mündung der Waffe nach oben, indes er abdrückte und gen Himmel schoss.
Zugleich aber hatte ich meinen Revolver heraus und schoss ebenfalls. Ich traf ihn voll und schoss weiter, diesmal auf den anderen, bevor er Lena Harris etwas tun konnte.
»Gehen wir weiter, Lena«, sagte ich zu ihr und bot ihr meinen Arm.
Sie nahm ihn.
Und dann gingen wir ruhig weiter zum Hotel. Hinter uns stöhnten die beiden Kerle. Ja, sie lebten noch, aber es ging ihnen gewiss nicht gut.
Wir hatten es nicht mehr weit, keine hundert Schritte mehr.
Die Schüsse hatten niemanden in der Stadt alarmiert. Es wurde in den Nächten hier oft geschossen.
Wir verschwanden im Hotel.
Der Nachtportier saß hinter dem Anmeldepult in einem Sessel und öffnete ein Auge, erkannte uns und schlief weiter. Wir nahmen unsere Schlüssel und gingen hinauf.
Vor der Tür Nummer sieben hielten wir an.
Sie sah zu mir hoch und sagte: »Danke, Ben Sacketter. Aber Sie erwarten doch wohl nicht, dass Sie dafür jetzt die nächsten Stunden bei mir im Bett liegen dürfen?«
»Nein«, sagte ich und grinste. »Das hat noch etwas Zeit. Aber mein Ziel ist es schon, schöne Lena.«
Ich hob den Zeigefinger und strich damit an der Rundung ihrer Wange nieder bis zu ihrem Kinn.
»Ich glaube, wir wären ein prächtiges Paar«, sagte ich. »Morgen gehe ich in die Badeanstalt und kaufe mir auch neues Zeug. Soll ich mir Flieder- oder Rosendufttinktur ins Badewasser gießen lassen? Was riechen Sie lieber, schöne Lena?«
»Paaah«, machte sie nur und schloss ihre Zimmertür auf. Über die Schulter hinweg sprach sie provozierend: »He, vielleicht sind Sie doch nur ein Cowboy, im besten Falle ein Kleinrancher. Sonst würden Sie nicht so primitiv direkt sein.«
»Halt«, sagte ich und trat noch einmal zu ihr.
»Wir sind aus dem gleichen Holz, Lena«, murmelte ich. »Wir sind Abenteurer, Glücksjäger, Spieler. Wir suchen nach großen Chancen. Nichts gegen Cowboys, die wahrscheinlich die einzigen Amerikaner sind, die nicht nach Reichtum, sondern nur nach Freiheit streben. Wir aber wollen beides. Schlaf gut, Grünauge. Träume von mir.«
Ich nahm sie in meine Arme und küsste sie.
Einen Moment lang wollte sie nachgeben, meinen Kuss erwidern. Ich erkannte daran, dass sie verdammt allein und einsam war.
Aber dann stieß sie mich zurück und trat mir dabei vor die Schienbeine.
Und plötzlich hielt sie auch einen kleinen Derringer in der Hand, den sie aus einer Tasche in ihrer Rockfalte geholt haben mochte.
»Versuch das nicht noch mal, Cowboy«, fauchte sie.
Die Tür schloss sich, knallte fast gegen meine Nase.
Ich grinste. Doch dann verlor sich mein Grinsen.
Verdammt, was war in mich gefahren?
Hatte der Anblick dieser Schönen mich um den Verstand gebracht?
Ich war nicht hergekommen, um mich in ein Abenteuer mit einer schönen Frau zu stürzen. Ich war noch längst nicht wieder frei für eigene Wege. Denn noch war ich auf dem Pfad der Rache. Noch gab es für mich und meinen Instinkt etwas zu klären.
Was war mit der Fowley-Bande, die angeblich in einer Scheune verbrannt war?
Und wer waren die vier Kopfgeldjäger, die jetzt hier in dieser Stadt das Kommando hatten und Saint John gewissermaßen regierten?
Ich hatte mich, bevor ich in die Spielhalle ging, überall in den Saloons umgehört, hatte Drinks spendiert und eine Menge über Saint John erfahren.
Noch war für mich eine Menge ungeklärt, waren viele Fragen offen. Und von einer schönen Frau durfte ich mich nicht durcheinanderbringen lassen.
✰
Es war am nächsten Vormittag, als ich die Gräber der Fowley-Bande auf dem Friedhof besuchte. Und auf den Grabsteinen konnte ich dann lesen:
HIER LIEGEN DIE LETZTEN VIER DER FOWLEY-BANDE
SIE STELLTEN SICH VOR UNSERER STADT ZUM LETZTEN KAMPF UND
VERLOREN GEGEN RECHT UND GESETZ
Diese Worte waren auf einem großen Grabstein eingemeißelt. Aber es gab noch vier kleinere mit den Namen:
Brett Fowley
Seyn O'Clelly
Vance Clum
Kelso Warwick
Ich stand da und sah mir das alles an.
Es war eine sehr würdige und imposante Grabstätte, so als wären die vier Mordbanditen verdienstvolle Männer gewesen, die man auch nach ihrem Tod noch besonders ehren wollte.
Aber diese Grabstätte sollte der Stadt wohl zum Ruhme dienen. Die Welt sollte wahrscheinlich wissen, dass die kleine Stadt sehr wehrhaft war und es hier Recht und Gesetz gab.
Deshalb hatte man die vier Banditen wohl auch nicht in einem Winkel verscharrt, so wie man es sonst mit Mördern tat, die endlich von ihrem Schicksal ereilt wurden.
Oder gab es noch einen anderen Grund für die vier Gräber und den großen, gemeinsamen Gedenkstein mit der Inschrift?
Lange verharrte ich und dachte nach, lauschte tief in mich hinein. Und mein Instinkt erzeugte in mir ein ungutes Gefühl.
Ich wusste nicht, warum, aber ich war nicht zufrieden. Es gab da etwas, und ich wusste es nicht zu deuten.
Hinter mir erklang der auf dem sandigen Boden knirschende Schritt eines Mannes.
Ich wandte mich um.
Der Mann war fast lautlos gekommen. Erst ganz zuletzt knirschte der sandige Boden unter seinen kleinen Füßen. Er trug keine Sporen, dafür aber den silbernen Stern eines City Marshals an der Weste.
Er war ein nur mittelgroßer, hagerer Mann unbestimmbaren Alters mit sandfarbenen Haaren und hellen Augen.
Und er trug zwei Revolver im Kreuzgurt.
»Interessant, nicht wahr?« So fragte er.
Ich nickte. »Ja«, erwiderte ich. »Diese Grabstätte macht Saint John berühmt. Denn wer kannte die Fowley-Bande nicht? Hat denn die Stadt auch die ausgesetzten Belohnungen kassieren können?«
»Sicher«, nickte er. »Es waren mehr als zwanzigtausend Dollar insgesamt aus verschiedenen Staaten. Sie wurden zum Wiederaufbau der Stadt verwandt. Wer sind Sie, Mister? Ich sah Sie noch nie in unserer Stadt.«