G. F. Unger 2200 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2200 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Nachdem die Kutsche das Trail-House an der Red‑River-Furt erreicht hat und die Passagiere ausgestiegen sind, um sich die Beine zu vertreten oder einen kleinen Imbiss einzunehmen, wendet sich der Fahrer an das blasse Mädchen.
»Weiter kann ich Sie ohne Fahrgeld nicht mitnehmen, Miss«, sagt er bedauernd. »Ich hätte es gern getan, aber leider steigen hier zwei zahlende Passagiere zu, und einer davon wird sowieso schon auf dem Kutschendach mitfahren müssen. Tut mir leid, Miss, aber für Sie ist hier Endstation.«
Jessica Malorny, der man ansieht, dass sie eine längere Zeit sehr krank gewesen ist, presst die Lippen zusammen und nickt stumm. Seit sie vor zwei Jahren von daheim fortlief, hat sie sich das Betteln längst abgewöhnt. Sie begriff ziemlich schnell, dass man auf dieser Erde für alles seinen Preis zahlen muss.
Tapfer holt sie ihr weniges Gepäck aus dem Gepäckkasten der Kutsche und wendet sich mit den zwei nur halb gefüllten Taschen dem Hauptgebäude der Station - dem sogenannten Trail-House - zu, um den anderen zu folgen.
Ihr ist schwer ums Herz, aber sie kann unmöglich ahnen, dass dieser Ort die Hölle für sie sein wird ...


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Seitenzahl: 162

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Trail House

Vorschau

Impressum

Trail House

Nachdem die Kutsche das Trail-House an der Red-River-Furt erreicht hat und die Passagiere ausgestiegen sind, um sich die Beine zu vertreten oder einen kleinen Imbiss einzunehmen, wendet sich der Fahrer an das blasse Mädchen.

»Weiter kann ich Sie ohne Fahrgeld nicht mitnehmen, Miss«, sagt er bedauernd. »Ich hätte es gern getan, aber leider steigen hier zwei zahlende Passagiere zu, und einer davon wird sowieso schon auf dem Kutschendach mitfahren müssen. Tut mir leid, Miss, aber für Sie ist hier Endstation.«

Jessica Malorny, der man ansieht, dass sie eine längere Zeit sehr krank gewesen ist, presst die Lippen zusammen und nickt stumm. Seit sie vor zwei Jahren von daheim fortlief, hat sie sich das Betteln längst abgewöhnt. Sie begriff ziemlich schnell, dass man auf dieser Erde für alles seinen Preis zahlen muss.

Tapfer holt sie ihr weniges Gepäck aus dem Gepäckkasten der Kutsche und wendet sich mit den zwei nur halb gefüllten Taschen dem Hauptgebäude der Station – dem sogenannten Trail-House – zu, um den anderen zu folgen.

Ihr ist schwer ums Herz, aber sie kann unmöglich ahnen, dass dieser Ort die Hölle für sie sein wird ...

Hinter ihr bei der Kutsche wechselt man inzwischen das Gespann.

Aber sie blickt nicht zurück.

Auf der Veranda des Trail-House stehen zwei Männer. Es sind die neuen Fahrgäste. Sie wirken wie Cowboys, und das sind sie auch.

Einer fragt: »Miss, wollten Sie wirklich hier aussteigen?«

»Nein – natürlich nicht«, erwidert sie. »Aber ich habe kein Geld mehr. Ich werde mir erst wieder etwas Reisegeld verdienen müssen. Gute Reise wünsche ich den Gentlemen.«

»Verdammt«, sagt der Cowboy, »es tut uns leid. Doch wir gehören zu einer Treibherde, die schon dreihundert Meilen weiter ist. Wir gerieten unter eine Stampede und waren länger als zwei Wochen krank. Nun müssen wir die Herde wieder einholen und ...«

»Was geht mich das alles an?«, unterbricht sie den Mann und geht durch die offene Tür hinein.

Der große Gastraum der Station ist wie ein Saloon eingerichtet, und eine Treppe führt nach oben. Es gibt draußen noch einige Nebengebäude, sodass dieses Trail-House schon fast wie eine kleine Siedlung wirkt.

Die Passagiere der Kutsche stehen um einen Tisch herum, essen Brote und trinken Kaffee. Niemand setzt sich. Alle sind froh, dass sie nach der rüttelnden und schüttelnden Fahrt stehen können.

Ihre Blicke richten sich auf das blasse Mädchen.

Jessica Malorny zögert ein wenig. Doch dann sieht man ihr an, dass sie sich innerlich einen Ruck gibt.

Nun tritt sie ebenfalls an den Tisch und bedient sich von der großen Platte mit Brot und kaltem Bratfleisch, gießt sich auch Kaffee aus der Kanne ein.

Ihre Reisetaschen hat sie rechts und links von sich auf den Fußboden gestellt. Der bullige Mann hinter der Theke, der schon einigen männlichen Fahrgästen harte Drinks und auch Tabak verkaufte, fragt herüber: »He, Miss, Sie haben Ihr Gepäck bei sich. Sind Sie hier ausgestiegen?«

»Ich musste«, erwidert Jessica Malorny kauend. »Mein Geld war alle. Vielleicht gibt es hier Arbeit für mich.«

Der Mann hinter der Theke erwidert nichts.

Auch die Fahrgäste der Kutsche schweigen. Aber sie alle betrachten das blasse Mädchen. Eigentlich ist es hübsch und wird mehr als nur hübsch sein, wenn es erst wieder richtig gesund ist und ein paar Pfund Gewicht zunehmen konnte. Ja, dann könnte es vielleicht sogar eine Schönheit sein. Denn jetzt sind die rotgoldenen Haare stumpf und ohne Glanz, und die grünblauen Augen blicken trübe. Man sieht ihr an, wie hungrig sie in das mit Bratfleisch belegte Brot beißt.

Einer der männlichen Fahrgäste sagt: »Wenn du willst, Kleine, nehme ich dich mit. Ich bin Handelsreisender. Du könntest meine Kollektion von Damenunterwäsche vorführen und ...«

»Nein«, unterbricht ihn Jessica Malorny. »Es geht nicht. Die Kutsche ist voll. Für mich steigen zwei Gentlemen ein. Einer muss auf dem Dach mitfahren. Ich muss bleiben.«

Sie blickt nach diesen Worten fragend auf den bulligen Mann hinter der Theke, so als hoffte sie auf freundliche Worte.

Aber der Mann starrt sie nur aus halb geschlossenen Augen an, sagt nichts. Der Begleitmann der Kutsche erscheint in der offenen Tür und ruft in den Raum hinein: »Es geht weiter, Leute! Alles einsteigen!«

Sie drängen hinaus.

Und wenige Minuten später fährt die Kutsche ab.

Die beiden Männer, welche die Gespanne auswechselten und die müden Tiere in den Corral brachten, kommen herein.

Sie halten inne und betrachten das Mädchen. Jessica kaut nun schon am dritten Brot, wenn auch nicht mehr so hungrig wie beim ersten.

Einer der Männer fragt: »He, wen haben wir denn da?«

»Sie hat keinen Cent mehr, frisst wie eine Squaw nach einem langen Winter und will Arbeit.« Der Mann hinter der Theke kichert. »Ich glaube, mit der werden wir hier eine Menge Freude haben. Komm her, Kleine. Nimm einen Drink. Denn damit lässt sich alles sehr viel leichter ertragen.«

Jessica Malorny erwidert nichts.

Aber sie nimmt ihre beiden Reisetaschen und geht wieder hinaus.

Draußen auf der Veranda hält sie inne und sieht sich um.

Sie sieht nur ein paar Ställe, Magazine und Hütten, dazu Corrals und ein Windrad, das ständig eine Pumpe betätigt und so für Wasser sorgt.

Hinter Jessica ist das große, aufgestockte Trail-House.

Und in weiter Runde ist nur Prärie mit einigen Hügelketten in der Ferne.

Jessica verspürt ein Frösteln, und sie muss schlucken.

Einer der Männer tritt neben sie. Er legt ihr den Arm von hinten um die Schultern und sagt ganz ruhig: »Du musst es nehmen, wie es ist, Kleine. Dein Schicksal hat dich hergeführt. Nun musst du dich damit abfinden. Wir haben schon einige Mädchen hier. Sie wohnen dort oben, und jede hat eine kleine Kammer. Wenn die nächste Treibherde vorbeigezogen kommt, dann wird es hier sehr lustig. Und dann kannst du dir so manchen Dollar verdienen. Diese Herdentreiber bekommen von ihren Trailbossen stets einen Vorschuss. Und sie sind immer sehr höflich und dankbar zu süßen Mädchen. Na komm, es ist oben noch eine Kammer frei.«

Jessica sieht zu dem Mann empor und erkennt die Gnadenlosigkeit in seinen Augen. In diesen Sekunden begreift sie endgültig, dass sie in einer ausweglosen Falle sitzt.

Ein zweiter Mann tritt zu ihnen auf die Veranda. Sie hat ihn vorhin nicht gesehen. Offenbar hatte er sich bisher in anderen Räumen – oder vielleicht oben – aufgehalten.

Nun sagt er: »Ich übernehme das, Jed. Kümmere dich endlich um das ausgewechselte Gespann.«

Seine lässig gesprochenen Worte sind trotz aller Lässigkeit ein Befehl, und jener Jed knurrt ärgerlich: »Verdammt, Jones, du gönnst mir gar nichts. Immer nur du, immer nur du zuerst, verdammt!«

Nach diesen Worten verlässt er die Veranda und schlurft zu den Corrals hinüber, wo die sechs Pferde des ausgewechselten Gespanns am Wassertrog stehen. Sie sind staubig und verschwitzt, denn sie haben dreißig Meilen hinter sich, die sie zumeist trabten. Ja, sie müssen versorgt werden.

Der Mann, der Jones heißt, blickt auf Jessica nieder.

»Jed ist hier nur für die Pferde da«, sagt er, »nicht für hübsche Mädchen. Dafür bin ich zuständig. Mein Name ist Jones Draws, und wie heißt du, Kleine?«

»Jessica Malorny«, erwidert sie ruhig, und blickt schräg zu ihm hinauf. Dabei hat sie das Gefühl, als würde sie in die Augen eines Wolfes blicken.

Er grinst und lässt unter seinem dunklen Bart weiße Zahnreihen blinken. Nun wirkt er gierig und gnadenlos, so als würde er Jessica mit Haut und Haaren fressen wollen.

»Nun, Jessica«, spricht er und legt ihr den Arm um die Schultern, so wie zuvor schon dieser Jed, »dann wollen wir mal sehen, ob du dumm oder klug bist. Gehen wir nach oben, damit ich herausfinden kann, was du einem Mann zu bieten hast. Wenn du dumm bist, dann machst du Schwierigkeiten, versuchst dich zu wehren oder beginnst zu kreischen. Aber das wäre wirklich dumm von dir. Denn wenn du dich hier einfügst, wenn du brav und gehorsam bist, dann wird es dir hier gar nicht so schlecht gehen. Hast du verstanden, Jessica? Es ist ein hübscher Name. Also, hast du alles begriffen?«

Sie sieht immer noch schräg zu ihm empor und in seine gelbgrünen Wolfsaugen hinein. Er ist ein fast elegant wirkender Mann. Unter seiner offenen Jacke trägt er zwei Revolver in Schulterholstern.

Wahrscheinlich ist er nicht nur ein schneller Revolverschwinger, sondern auch ein Spieler. Und offensichtlich ist er hier der Boss.

Sie wendet sich von ihm ab und blickt nochmals in die Runde.

»Du kannst natürlich auch gehen«, spricht er hinter ihr. »Aber bis zum nächsten Trail-House sind es dreißig Meilen. Vielleicht würdest du auf Indianer, Büffeljäger oder auf eine Rinderherde treffen, aber nur vielleicht. Na, wie möchtest du es haben, Jessica?«

Sie wendet sich ihm wieder zu, und als sie zu sprechen beginnt, da tut sie es mit all den Erfahrungen der beiden vergangenen Jahre.

»Ich habe wohl keine andere Wahl«, spricht sie ruhig. »Weißt du, es ist offenbar mein Schicksal, dass ich immer wieder an Burschen wie dich und die drei anderen hier gerate. Und stets musste ich bezahlen, immer nur bezahlen wie jetzt auch wieder. Aber irgendwann wird es anders sein.«

»Sicher, Jessica, sicher.« Er grinst blinkend auf sie nieder. »Du bist jetzt noch ein junges und dummes Ding mit bitteren Erfahrungen. Aber irgendwann wirst du schön und schlau sein wie eine Tigerkatze, oho!« Er spricht die letzten Worte lachend. Dann nimmt er ihre beiden halb leeren Reisetaschen, und sie gehen nach oben.

Der Stationsmann Pat Kelly und der Mann hinter der Theke, der sich hier Orson Bull nennt und mal Preiskämpfer war, sehen ihnen nach.

Dann spricht der Stationsmann Kelly, dessen Mutter eine Kiowa war: »Jetzt wird er sie vernaschen, so wie er auch die anderen Mädchen unseres Hauses vernascht hat. Stets nimmt er sich alles zuerst.«

»Weil er unser Boss ist«, knurrt Orson Bull und schenkt nochmals die Gläser voll. »Und weil er jeden Narren tötet, der nicht seiner Meinung ist«, fügt er hinzu. »Doch wir leben ja wohl nicht schlecht unter seiner Regie, nicht wahr? Wir machen eine Menge Beute. Lassen wir ihm also das Erstrecht. Das sollen damals im alten Europa ja auch die Herren gehabt haben, die damals über ihre Dörfer als Grafen herrschten. Ich hörte mal eine Geschichte von einem Dorf, das im Schatten einer Grafenburg lebte. Die Grafen waren rothaarig. Und die Erstgeborenen in jeder jungen Ehe dieses Dorfes waren ebenfalls rothaarig, hahaha!«

Sie lachen nun beide und kippen die Drinks in ihre Kehlen.

Als Jones Draws die kleine Kammer verlässt, bleibt Jessica bewegungslos auf dem Bett liegen – und alles kommt ihr wie ein böser Traum vor. Aber sie weiß, dass es kein Traum ist.

Erst als sich die Tür hinter ihm schließt, beginnt sie zu weinen.

Und wie schon einige Male in den vergangenen zwei Jahren nach ihrem Weglaufen von daheim denkt sie einen Moment daran, sich das Leben zu nehmen, weil ihr die Ausweglosigkeit jede Hoffnung nimmt.

Doch dann erwacht wieder ihr Selbsterhaltungstrieb, und so beginnt sie zumindest in ihren Gedanken zu kämpfen. Denn sie denkt: Irgendwann werde ich wieder Glück haben. Es kann ja nicht mein ganzes Leben lang immer so weitergehen. Irgendwann komme ich auf einen anderen Weg. Hier bei diesem Trail-House gibt es Pferde. Irgendwann – vielleicht schon bald – werde ich eins stehlen und mich davonmachen. Irgendwann wird alles anders. Und vielleicht kommt bald eine Treibmannschaft hier vorbei, von der ich Hilfe erhalte. Texas-Cowboys haben einen guten Ruf. Sie gelten als die letzten Ritter. Ich ...

Sie schläft nun ein vor Erschöpfung, denn sie war lange krank hat eine anstrengende Reise hinter sich – und erlebte nun dieses hier.

Vielleicht ist es eine gnädige Ohnmacht, der sie erliegt.

Doch diese Gnade währt nicht lange. Sie wird wieder wach und schreckt auf, denn plötzlich ist alles wieder da. Sie wird sich bewusst, dass sie nackt auf dem Bett sitzt.

Aber sie ist nicht allein.

Drei Mädchen oder junge Frauen sind bei ihr im Zimmer – und es sind Mädchen jener Sorte, die sich verkauft für ein paar Dollars. Sie haben Jessicas Reisetasche ausgekippt und umgeben nun ihr Bett.

»Du armes Hühnchen«, spricht die eine spröde, »warum bist du hiergeblieben?«

»Weil ich den Fahrpreis nicht bezahlen konnte«, erwidert Jessica ebenso spröde. »Oder hättet ihr mir zwanzig Dollar für die Weiterfahrt bis Kansas City gespendet? Danach seht ihr mir nicht aus – oder?«

Sie schweigen.

Jessica zieht sich die Decke bis unter das Kinn hinauf.

»Du brauchst dich doch vor uns nicht zu genieren«, spricht ein anderes Mädchen. Dann stellt sie die Frage: »Und du bist nicht freiwillig hier?«

»Zum Teufel – nein«, erwidert Jessica. »Ich musste aus der Kutsche, weil die zahlende Passagiere mitnehmen musste. Ich wollte hier eine Arbeit – aber keine solche.«

»He, hältst du dich für was Besseres als wir?«, fragt die dritte der Besucherinnen. Aber da schüttelt Jessica nur nachsichtig den Kopf.

»Oh, was ist das für eine Frage«, spricht sie bitter. »Wie kann ich mich für was Besseres halten, wo ich doch wie ihr in der Falle sitze?«

»Du bist mager, richtig dünn und zerbrechlich. Hat denn Jones Draws mit dir überhaupt seinen Spaß haben können? Der liebt doch sonst nur dralle Weiber mit mächtigen Brüsten. He, warst du etwa krank?«

»Ich hatte vor vier Wochen in El Paso eine Fehlgeburt«, erwidert Jessica. »Und der Kerl, dem ich meine Schwangerschaft verdankte, hat sich vorher schon aus dem Staub gemacht und mich ohne einen Dollar sitzen gelassen. Wollt ihr noch mehr von mir wissen, ihr barmherzigen Schwestern?«

Ihr letzter Satz ist eine höhnende Frage.

Ihre drei Besucherinnen erwidern nicht sogleich etwas. Doch sie sehen einander an und verstehen sich offenbar ohne Worte. Dann aber blicken sie wieder auf Jessica.

»O ja, du bist ein armes, gerupftes Huhn«, spricht die eine. »Mein Name ist Laura, einfach nur Laura, denn was sind schon Nachnamen. Diese da sind Molly und Daisy. Ich glaube, wir müssen uns wie ältere Schwestern um dich kümmern. Denn du bist wohl ziemlich am Ende, Kleines. Weißt du, wir haben das alles auf ähnliche Art schon hinter uns, und stets war irgendein Mistkerl daran schuld. Jetzt geben wir es ihnen zurück ohne Gnade. Wir haben eine Badestube mit einer schön emaillierten Badewanne. Zuerst machen wir dir ein Bad. Und dann kümmern wir uns um dich wie erfahrene Hennen um ein junges Huhn. Da in diesem Schrank findest du eine Menge Wäsche und Kleider. Sie werden dir noch etwas weit sein, denn Mary Ann wog gewiss an die zehn Pfund mehr als du. Aber ...«

»Was wurde aus dieser Mary Ann?« Jessica fragt es, weil ein instinktives Gefühl sie dazu veranlasst.

Die drei Mädchen schweigen, so als wollte ihr keine eine Antwort auf ihre Frage geben.

Doch dann spricht Laura: »Mary Ann stahl sich in einer dunklen Regennacht ein Pferd und ergriff die Flucht. Aber zwei Tage später kam das Pferd ohne sie zurück. Sie selbst blieb verschollen.«

Laura verstummt bitter.

Dann geht sie zur Tür. »Wir bereiten dir jetzt das Bad, Kleine ...«

Die Tage und Nächte reihen sich zu Wochen. Und immer wieder kommen Männer in das Trail-House, die nach oben zu den Mädchen gehen.

Jessica sitzt in der Falle.

Sie muss es ertragen, sich damit abfinden, nun eine sogenannte Puta zu sein, wie man im Süden sagt oder eine »Hooker« wie man die Freudenmädchen im Nordosten nennt.

Manchmal kann sie alles nur ertragen mit genügend Alkohol im Blut.

Aber dann gibt es wieder einige Tage, in denen man sie in Ruhe lässt. Da sie nicht immerzu in ihrer kleinen Kammer hocken kann, sucht sie sich Arbeit. Sie legt einen kleinen Garten an und wäscht die Wäsche ihrer »Schwestern«, näht und flickt auch, ist pausenlos in Bewegung. Denn nur dann kann sie fast traumlos schlafen und vergessen, in welch einer verzweifelten Lage sie sich befindet.

Postkutschen und Wagenzüge rollen vorbei. Wenn Postkutschen hier halten, müssen die Mädchen auf ihre Zimmer gehen. Aber bei Wagenzügen oder Treibherden ist alles anders. Dann wird das Trail-House am Red River zu einem Saloon, dessen Animiermädchen mit jedem Mann, der ein paar Dollars springen lässt, nach oben gehen.

Trotz dieses Lebens erholt sich Jessica in diesen Wochen. Sie nimmt an Gewicht zu und bekommt wieder ihre so makellose Figur. Ihr rotgoldenes Haar beginnt wieder zu glänzen, und weil sie oft genug im Garten arbeitet, hat sie bald wieder eine gesunde Gesichtsfarbe.

Und dennoch ist sie mit den anderen Mädchen nichts anderes als eine Sklavin.

Als einmal ein Dutzend Cowboys von einer Treibmannschaft zu Besuch sind, geht sie mit einem blonden Texaner hinauf in ihre Kammer. Und weil ihr dieser offenbar so prächtige Texasritter gefällt, fragt sie ihn später, als er ihr die Dollars auf den Tisch legt und zu ihr sagt: »Danke, meine Süße«, ob er sie mitnehmen könne nach Abilene. Denn sie sei hier eine Gefangene, und er mit seinen Gefährten könne doch gewiss durchsetzen, dass ...

Aber er lässt sie gar nicht aussprechen, sondern unterbricht sie: »Ja, bin ich denn verrückt? Glaubst du denn, wir würden wegen einer Puta mit den Leuten des Trail-House Streit anfangen? Wir kamen her, um Spaß zu bekommen und nicht um wie edle Ritter einen Streit anzufangen.«

Nach diesen Worten stiefelt er hinaus und wirft die Tür hinter sich zu.

Aber er macht sie noch einmal auf und steckt den Kopf ins Zimmer.

»Und übrigens, so gut warst du nun auch nicht«, ruft er hinein. »Mein Mädchen daheim in Texas macht es besser – und das umsonst, hahaha!«

Wieder knallt er die Tür zu.

Und Jessica verharrt steif und starr in ihrer kleinen Kammer und nimmt sich vor, keinen Mann mehr um Hilfe zu bitten, nicht als käufliches Mädchen. In ihr verändert sich in dieser Minute endgültig etwas. Von nun an wird sie ohne Ausnahme die Männer verachten und ihnen zu schaden versuchen, wo und wie sie nur kann.

Es ist einige Tage später und schon fast Abend, als drei Reiter vor dem Trail-House halten, absitzen und hereinkommen.

Die Mädchen sitzen in der Ecke um einen Tisch. Molly und Daisy spielen Halma. Laura aber, die irgendwo im Osten bei Pflegeeltern ihre kleine Tochter hat, strickt Kindersachen.

Vorhin fragte sie: »He, meine Kleine muss nun zwei Jahre alt sein. Ist dieses Kleid wohl groß genug? Was meint ihr?«

Aber die anderen Mädchen können ihr keine Antwort geben, denn die drei Fremden treten sporenklingend ein.

Jones Draws sitzt an seinem Pokertisch.

Orson Bull steht hinter der Theke.

Jed Carlson und Pat Kelly gingen hinaus beim Klang der Hufschläge. Wahrscheinlich versorgen sie nun die Pferde der Gäste.

Diese treten zuerst an die Theke und verlangen Drinks.

Dann sehen sie auf den Spieler in der Ecke. Einer sagt: »He, wenn wir zu Abend gegessen haben und mit den Mädchen oben waren, dann können wir ja ein Spielchen machen, wenn wir nicht um Hühnerfutter spielen.«

»Ist mir recht.« Jones Draws grinst blinkend im Lampenschein.

Die drei Gäste kippen nun ihre Drinks in ihre Kehlen und verlangen sofort noch mal welche. Sie sind staubig, verschwitzt und sind gewiss viele Meilen geritten. Sie stinken nach ihrem und der Pferde Schweiß, und sie tragen ihre Revolver tief unter den Hüften. Es geht etwas von ihnen aus wie eine Raubtierwitterung, die scharf in die Nase beißt.

Als sie nun die zweiten Drinks in ihre Kehlen kippen, werden ihnen plötzlich die Knie weich. Doch sie begreifen so schnell, wie sie die Besinnung verlieren, gar nicht, was mit ihnen geschieht. Sie fallen in sich zusammen wie nasse Säcke.

Orson Bull aber spricht zufrieden hinter der Theke: »Diese Tropfen sind wirklich gut, nicht wahr?«

Jones Draws erhebt sich in der Ecke und wendet sich an die Mädchen.

»Geht nach oben! Los, hinauf mit euch!«

Sie gehorchen wortlos.

Erst oben fragt Jessica leise: »Was machen sie mit denen?«