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»Du bist nicht der Mann, mit dem ich eine Partnerschaft eingehen möchte. Und wenn du mir jetzt drohen solltest, dann werde ich dir jedes Wort deiner Drohung in dein großes Maul zurückstoßen. Das ist eine Warnung, Mister.«
Nach diesen ruhigen Worten strebt Cliff McIntire dem Ausgang des Speisezelts zu.
Aber als er fünf Schritte gemacht hat, holt Wes Barrows' Stimme ihn ein.
»Warte noch, du Narr«, sagt Barrows mit einer bösen Wut.
Cliff McIntire hält an und wendet sich um. »Was soll's denn noch sein?«, fragt er.
Barrows fegt einen Tisch und einige Stühle zur Seite.
»Du bist nicht groß genug, um mir eine Drohung ins Maul zurückstoßen zu können. Dazu bist du nicht groß genug. Und das werde ich dir jetzt beweisen, soweit es uns beide als Männer betrifft. Pass auf!«
Und dann greift er mit einer raubtierhaften Wildheit an ...
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Der Furchtlose
Vorschau
Impressum
Der Furchtlose
»Du bist nicht der Mann, mit dem ich eine Partnerschaft eingehen möchte. Und wenn du mir jetzt drohen solltest, dann werde ich dir jedes Wort deiner Drohung in dein großes Maul zurückstoßen. Das ist eine Warnung, Mister.«
Nach diesen ruhigen Worten strebt Cliff McIntire dem Ausgang des Speisezelts zu.
Aber als er fünf Schritte gemacht hat, holt Wes Barrows' Stimme ihn ein.
»Warte noch, du Narr«, sagt Barrows mit einer bösen Wut.
Cliff McIntire hält an und wendet sich um. »Was soll's denn noch sein?«, fragt er.
Barrows fegt einen Tisch und einige Stühle zur Seite.
»Du bist nicht groß genug, um mir eine Drohung ins Maul zurückstoßen zu können. Dazu bist du nicht groß genug. Und das werde ich dir jetzt beweisen, soweit es uns beide als Männer betrifft. Pass auf!«
Und dann greift er mit einer raubtierhaften Wildheit an ...
Die Hauptstraße des Eisenbahncamps gleicht eigentlich einer breiten Ackerfurche. Überall sind noch Wurzeln des Büffelgrases zu erkennen. Zu beiden Seiten dieser zertrampelten Bahn stehen die Zelte und Baracken, zu denen ja auch dieses Speiselokal gehört. Nicht weit von dieser Amüsierstadt liegt das Baulager. Von dort schrillt der Pfiff einer Arbeitslok. Und über allen Dingen liegt der summende Lärm der Arbeit.
Zwei Reiter treiben gerade ein Rudel Rinder die Hauptstraße herunter. Die beiden Reiter sehen wie Satteltramps aus. Vielleicht sind es sogar Viehdiebe, die ihre Rinder hier aber bestimmt für gutes Geld an den Mann bringen werden.
Schon als sie am ersten Speisezelt vorbeitrieben, kamen der Besitzer und der Koch heraus. Beide hatten Gewehre in den Händen. Und der Speisezeltbesitzer rief: »Zwei Stiere! Achtzig Dollar dafür!«
»All right!«, rief einer der Treiber, denn vierzig Dollar für einen Longhornstier, das ist das Vierfache des zurzeit geltenden Marktpreises.
Dann krachten zwei Schüsse. Zwei Rinder fielen zu Boden. Und die beiden Cowboys hatten Mühe, ihre kleine Herde unter Kontrolle zu halten. Doch sie wissen, dass sie auch noch die zehn restlichen Tiere gut an den Mann bringen werden.
Plötzlich aber sehen sie etwas, was sie veranlasst, ihre kleine Herde anzuhalten.
Aus der anderen Richtung kommen zwei Frachtwagen und eine Postkutsche herangerollt. Und auch die Fahrer dieser Fahrzeuge halten an. Fahrgäste klettern eilig aus der Kutsche.
Und von überall aus den Zelten, Baracken und Bretterhütten kommen jene Menschen, die erst mit der Arbeit beginnen, wenn es dunkel wird und die ganze Amüsierstadt voller durstiger und wilder Burschen ist, die den ganzen Tag bei schwerer Arbeit schwitzten und fluchten, gut verdienten und sich austoben möchten.
All diese auf der Bildfläche erschienenen Zuschauer bekommen nun einen besonderen Leckerbissen geboten, nämlich den schon oft erwarteten und endlich stattfindenden Kampf zwischen Wes Barrows und Cliff McIntire, den beiden Konkurrenten um den Kontrakt mit der Bahnbaugesellschaft.
Ja, es war vorauszusehen, dass diese beiden Männer eines Tages miteinander kämpfen würden, denn Cliff McIntire, der bisher bei der Eisenbahn als Friedensstifter arbeitete, hat Wes Barrows' wilde Meute schon oft zurechtstutzen müssen. McIntire hat betrügerische Kartenhaie immer wieder zum Teufel gejagt und viele andere Dinge getan, die Barrows' Interessen schadeten.
Man hat schon lange damit gerechnet, dass die beiden Männer eines Tages persönlich aneinandergeraten würden. Und jetzt ist es geschehen.
Und die Sache sieht nicht besonders gut für Wes Barrows aus. Gewiss, beide Männer sind bereits gezeichnet. Sie haben sich Schläge beigebracht und sich Schmerzen zugefügt. Im Speisezelt ist die halbe Einrichtung zerschlagen. Und die Kleidung der beiden Kämpfer ist zerrissen, beschmutzt und von ihrem Blut besudelt.
Und immer noch ist es ein schlimmer Kampf, obwohl von der Schnelligkeit der beiden Männer nicht mehr viel zu sehen ist.
Cliff McIntire hat den großen Wes Barrows mit gewaltigen Schlägen aus dem Speisezelt auf die Straße gestoßen, vielleicht sogar mit Absicht.
Barrows taumelt, schnauft keuchend nach Luft und versucht verzweifelt, die Entscheidung zu seinen Gunsten zu erzwingen. Von irgendwoher holt er noch einmal einen letzten Rest von Kraft und Härte.
Aber er bewegt sich zu langsam.
Cliff McIntire, zwar selbst erschöpft, stark gezeichnet und schwerfällig auf den Beinen, fängt diesen letzten Angriff auf. Er nimmt Barrows' Schläge, ohne Wirkung zu zeigen, und daran erkennen die Zuschauer, dass in Barrows keine Kraft mehr ist.
Und dann sehen sie, wie McIntire fast wie in Zeitlupe ausholt. Er holt den Haken von den Knien herauf und zieht ihn dann leicht herum. Seine Faust trifft Barrows' Kinnwinkel – und er folgt dem schwankenden Mann unbeholfen und trifft ihn nochmals rechts und links.
Dann wartet er, indes Barrows langsam auf die Knie fällt und sich mit den Armen aufstützt. Diese Arme zittern.
Plötzlich hören alle einen bitteren Seufzer. Und dann fällt Barrows aufs Gesicht und streckt Beine und Arme von sich. Er erschlafft. Er ist geschlagen und besiegt.
Cliff McIntire steht breitbeinig und leicht schwankend über ihm, starrt auf ihn nieder und keucht nach Luft.
Die Menschenmenge ist still.
Sie alle sehen, wie Cliff McIntire sich langsam abwendet und schwankend ins Zeltrestaurant zurückgeht. Er kommt jedoch bald wieder heraus. Jetzt hat er seinen Hut auf dem Kopf und seine Waffe wieder im vorhin leeren Holster. Beide Dinge hatte er wohl drinnen verloren.
Wieder tritt er zu Wes Barrows, der immer noch bewegungslos am Boden liegt.
Er stößt den Mann leicht mit der Fußspitze an. Und dabei fragt er keuchend: »Barrows! He, Mister! Hörst du mich? Hörst du mich, Mister? Ich will dir noch etwas sagen!«
Aber Wes Barrows gibt keine Antwort.
Dafür löst sich jetzt ein Mann aus der Gruppe der Barkeeper, Croupiers und Kartenhaie.
Es ist ein hagerer Mann, der trotz seiner dunklen Tracht sehr farblos wirkt. Er trägt zwei Colts im Kreuzgurt. Seine Augen sind ausdruckslos und wirken wie gefrorenes Wasser.
Es ist Emmet Fisher, Wes Barrows' Revolvermann. Und als er vortritt und Cliff McIntire ansieht, weichen die Zuschauer zur Seite, denn es sind meist alles erfahrene Leute, die nicht gerne einer Kugel im Weg stehen möchten.
Cliff McIntire wischt sich Schweiß, Staub und Blut aus dem Gesicht. Sein Atem geht inzwischen etwas ruhiger. Aber man sieht, dass er sich nur mit letzter Kraft auf den Beinen halten kann. Er sieht den Revolvermann an.
Emmet Fisher grinst – aber es ist kein wirkliches Grinsen. Es ist mehr ein Zähnezeigen.
Und er fragt: »Jetzt bist du sicherlich sehr stolz, Cliff, nicht wahr? Da du aber schon mal bei der Arbeit bist, könntest du es doch auch gleich mit mir versuchen. Du hast ja deinen Colt geholt. Darauf habe ich nur gewartet.«
Cliff hebt die Rechte und betrachtet sie. Sie ist angeschwollen und zerschlagen. Sicherlich wird er sich damit für einige Tage nicht einmal die Knöpfe seiner Kleidung zuknöpfen können.
Er zeigt Emmet Fisher die zerschlagene Hand.
»Mister«, sagt er, »ich kann dir deine Wünsche heute nicht erfüllen. Du musst dich gedulden, bis ...«
»Nein«, sagt Emmet Fisher kalt. »Du hättest das einkalkulieren müssen. Ich bin kein ruhmsüchtiger Revolverheld. Ich bin nur ein Angestellter, der Mister Barrows vor Verdruss schützen soll. Nun, er hat Verdruss gehabt. Und er liegt dort am Boden. Aber wenn ich dich ungeschoren laufen ließe, würde er mich zum Teufel jagen. Ich muss dich jetzt zurechtstutzen, Cliff. Und es macht mir Freude, weil du auch mich in den letzten drei Monaten schon zwei- oder dreimal zurechtgestutzt hast.«
Emmet Fisher hebt bei seinen letzten Worten die Hand und betastet leicht eine Narbe über seinem Backenknochen.
»Heute stutze ich dich also mal zurecht«, sagt er mit plötzlicher Bösartigkeit. Seine Rechte zieht dabei den Colt.
Cliff macht nicht einmal den Ansatz zu einer Bewegung. Er steht nur erschöpft und breitbeinig da und starrt den Revolvermann an. Und er weiß, dass Emmet Fisher schon lange auf eine solche Chance gewartet hat. Es besteht zu viel Hass zwischen Wes Barrows' Handlangern und dem ehemaligen Friedensstifter der Bahn. Dieser Hass wuchs aus vielen kleinen Niederlagen, die Cliff McIntire dem wilden Rudel der Geldmacher – also den Kartenhaien, Wirten, Barkeepern, Dieben, Kundenfängern und überhaupt all jenen rücksichtslosen Burschen der Amüsierbetriebe zugefügt hat, damit die wilden Amüsiercamps längs des Schienenstranges nicht ganz so wild werden konnten.
Cliff hat all die Monate für Ordnung gesorgt.
Daher der Hass.
»Mister«, sagt der Revolvermann, »du wirst ...«
»Ich werde gar nichts«, unterbricht ihn Cliff und wendet sich ab. Er geht langsam davon.
Als er den dritten Schritt macht, zerfetzt ihm eine Kugel den linken Absatz. Er stolpert, fällt auf ein Knie und stützt sich mit den Händen auf.
»Bleib unten am Boden und kriech aus dem Camp, großer Mann«, tönt Emmet Fishers Stimme kalt und hart hinter ihm.
Cliff seufzt. Er erhebt sich mit einem Ruck. Da stößt ihm eine Kugel den Hut vom Kopf und nach vorn über Augen und Gesicht.
»Auf den Boden mit dir!«, ruft die Stimme kalt.
Und eine andere Stimme, die heiser, gepresst und stöhnend klingt, denn es ist die Stimme des nun endlich aufgewachten Wes Barrows, sagt danach: »Richtig, Emmet! Gib es ihm! Er ist schon halb erledigt! Gib ihm noch den Rest!«
Cliff stößt den Hut zurück und wendet sich um.
Aber bevor er etwas sagen kann, mischt sich eine weitere Stimme ein.
Sie ruft scharf: »Vorsichtig, Leute. Ich habe ein richtiges Gewehr und bin im Vorteil. Diesem Gentleman geschieht nichts mehr! Er hat gut gekämpft und kann gehen! He, du prächtiger Revolverheld, ich schieße dir den Kopf von den Schultern, wenn du nicht endlich aufhörst!«
Cliff atmet auf. Er blickt kurz über die Schulter. Und er sieht, dass einer der beiden Cowboys, die wegen des Kampfes mit ihrer kleinen Fleischherde anhalten mussten, vom Sattel aus mit seinem Gewehr auf Emmet Fisher zielt. Auch der andere Cowboy hält eine Waffe in der Hand. Und dieser Bursche ist breit und stark und grinst übers ganze Gesicht.
Bevor jedoch noch weitere Worte gewechselt werden können, geschieht noch etwas. Ein Wagen, der von vier Maultieren gezogen wird, kommt herangesaust. Und von diesem Wagen springen zwei Dutzend irische und meist rothaarige Schienenleger.
Cliff McIntire, der sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten kann, atmet zufrieden auf, als er seinen Freund Mike Brown erkennt, den Vormann der Schienenlegerrotten. Sie alle haben Gewehre und sogar Schrotflinten mitgebracht. Und sie alle sind Kämpfer, denn sie haben den Schienenstrang in diesem Jahr – es ist das Jahr 1878 – über Omaha, Fort Kearny, North Platte, Julesburg, Cheyenne und Laramie nach Westen getrieben – immer weiter und weiter.
Sie haben mit tausend Schwierigkeiten gekämpft und immer wieder Hindernisse überwunden.
Und sie haben schon mit fast allen Stämmen der Prärieindianer gekämpft, die immer wieder den Eisenbahnbau angriffen und es auch noch weiterhin tun werden.
Diese Schienenleger haben während ihrer Arbeit stets die Waffen in Reichweite. Und schon oft ließen sie ihre Arbeitsgeräte fallen, griffen zu den Gewehren und kämpften wie wilde Teufel für ihre Sache.
Mike Brown, der riesige Sohn von der Grünen Insel, ist ihr Vormann. Und irgendwie hat er gehört, dass Cliff McIntire in Verdruss geraten ist. Sofort hat er den erstbesten Wagen beschlagnahmt und ist mit zwei Dutzend seiner wilden Jungs ins Camp gekommen.
Er winkt Cliff zu und wirft einen Blick auf Wes Barrows, der immer noch am Boden sitzt und nicht die Kraft findet, auf die Beine zu kommen. Er sieht, wie schlimm Barrows verprügelt wurde, und er grinst zufrieden.
Mit einem Ruck wendet er sich Emmet Fisher zu.
»Du verdammter Revolverschwinger«, sagt er grollend. »Du hast wohl gedacht, dass du jetzt endlich eine Chance hättest, nicht wahr? Aber du hast keine Chance! Jungs, wenn er zu schießen beginnt, dann gebt es ihm!«
Die letzten Worte gelten seinen Schienenlegern, die nun mit ihren Gewehren die Szene beherrschen und vor allen Dingen darauf achten, dass sich keiner von Wes Barrows' Leuten einmischt.
Emmet Fisher steckt seinen Colt weg und will sich rückwärts in die Gruppe seiner Freunde und Kollegen zurückziehen. Dabei sagt er etwas schrill: »All right, Mike! Ich habe verloren. Die Sache ist erledigt!«
»Nein«, grollt der riesige Vormann. »Sie ist noch nicht erledigt, mein prächtiger Wild Bill! Du wolltest auf einen Mann losgehen, der dir in diesem Zustand unterlegen war. Jetzt werden wir dir und deinen Brüdern mal zeigen, dass wir prächtigen Burschen immer noch zu Cliff halten. Komm, mein Junge!«
Er springt auf den zurückweichenden Emmet Fisher los und schlägt ihn mit einem einzigen Hieb zu Boden.
Das Rudel der Männer hinter Emmet Fisher grollt, bleckt die Zähne und will nach den Waffen greifen.
Doch Wes Barrows kommt in diesem Augenblick endlich auf die Beine. Er ruft krächzend und mühsam, aber doch gut verständlich: »Hört auf! Hört auf, Männer! Keinen Kampf mehr! Ich habe für heute genug! Mike Brown, es ist genug. Die Sache ist erledigt. Es war nur eine private Sache zwischen mir und Cliff McIntire! Und du siehst ja, dass er mich von den Beinen geschlagen hat. Es ist alles all right, Mike!«
Die Spannung löst sich etwas. Da Wes Barrows, der Boss dieser fahrenden Vergnügungs- und Amüsierhölle, nun kundgetan hat, dass er keinen weiteren Kampf will, werden also keine Schüsse krachen.
Aber Mike Brown ist nicht zufrieden. Er schüttelt den runden Kopf und wendet sich an Cliff.
»Sollen wir diese Bande wirklich ungeschoren lassen, Freund?«, fragt er.
Cliff grinst müde und erschöpft und winkt ab. Er wendet sich den beiden Cowboys zu.
»Vielen Dank, Jungs«, sagt er. « Solltet ihr mal nach Limit kommen, dann lade ich euch zu einem Whisky ein. Aber jetzt habe ich es eilig.«
Die beiden Weidereiter grinsen und stecken ihre Waffen weg.
»Vielleicht kommen wir eines Tages«, sagt der Kleine. Und der große Bursche nickt.
Cliff geht zu Mike hinüber, der neben dem bewusstlosen Emmet Fisher steht.
»Danke, Mike«, murmelt er. »Ich steige gleich in diese Postkutsche da ein und fahre mit. Achte darauf, dass diesen beiden Cowboys nichts zustößt und sie ihre Rinder gut verkaufen können. Du wärst eine Idee zu spät gekommen, Mike, wenn die beiden Jungs nicht ein Herz für mich gehabt hätten.«
»Du hast einen Fehler gemacht, Cliff«, murmelt Mike Brown unwillig. »Du hast den großen Wes Barrows verprügelt und dabei ganz vergessen, dass du nun mal nicht besonders in Form bist. Mach diesen Fehler nur nicht wieder. Ich möchte mein Geld nicht in einem aparten Grabschmuck für dich anlegen müssen, sondern es lieber vertrinken. Was machen wir nun mit dem lieben Emmet?«
Er bückt sich und nimmt dem Revolvermann die Waffe ab. Emmet Fisher beginnt sich zu bewegen. Wes Barrows taumelt in sein Speisezelt zurück. Er dreht allen Dingen somit den Rücken und tut damit kund, dass es ihm gleich ist, was mit Emmet Fisher geschieht.
Der riesige Ire packt zu und zerrt den noch halb betäubten Revolverhelden auf die Füße.
»Dieser Mister wird auf der Union Pacific tausend Meilen umsonst fahren dürfen«, sagt Mike Brown grinsend zu den Spielern. »Jungs, euer Freund macht eine lange Freifahrt!«
Er gibt Emmet Fisher einen Stoß, sodass dieser auf zwei Burschen zustolpert, die ihn grinsend empfangen und zwischen sich nehmen.
Dann nickt Mike Brown seinem Freund zu und sagt: »Die Vorstellung ist also beendet, Cliff! Gute Reise und viel Glück! Wenn wir die Wasserscheide des Passes erreicht haben, werden meine Jungs die Schwellenleger jagen. Und diese Schwellenleger werden dich jagen, dass du ihnen Schwellen heranschaffst. Es wird ein prächtiger Spaß werden.«
Er reicht Cliff die Hand und folgt seinen Männern.
Cliff wendet sich nochmals um und winkt den beiden Cowboys zu, die ihr müdes Rinderrudel wieder in Bewegung setzen.
Dann geht Cliff zur wartenden Postkutsche und nickt dem Fahrer und dessen Begleitmann zu. Er kennt sie beide. Und sie grinsen zu ihm hinunter.
Der Fahrer spuckt seinen Priem aus und sagt dann: »Cliff, ich habe zwanzig Dollar gewonnen, weil du Barrows von den Beinen schlagen konntest, bis er nicht mehr hochkam. Steig ein, Mister. Du bekommst einen feinen Platz.«
Cliff folgt den einsteigenden Fahrgästen in die Kutsche. Er schlägt die Tür hinter sich zu uns setzt sich neben einen dicken Whiskyreisenden, der den Saloonwirten in Limit wohl die Erzeugnisse seiner Firma anbieten will.
Als Cliff endlich sitzt und sich aufatmend entspannt, da sieht er in zwei herrliche Augen von dunkelblauer Farbe. Es sind die prächtigsten Augen, die er jemals gesehen hat.
Und sie gehören einem Mädchen, das kerzengerade auf dem rückwärtigen Fensterplatz sitzt.
✰
Irgendwie kommt Cliff dieses Mädchen bekannt vor. Er beginnt zu ahnen, dass sie aus dem Hinterland von Limit oder aus der Stadt selbst ist – von dort also, wo Cliff selbst noch vor dem Bürgerkrieg lebte.
Seine Ahnung wird fast zur Gewissheit, indes er in ihre großen Augen blickt. Diese Augen kommen ihm irgendwie bekannt vor.
Und vor sieben Jahren war dieses Mädchen bestimmt noch nicht älter als dreizehn.
Und da er überall an seinem Körper und im Gesicht Schmerzen verspürt, erinnert er sich auch daran, dass er bestimmt keinen erfreulichen Anblick bietet. Seine Kleidung ist schmutzig und zerrissen. Sein Gesicht ist angeschwollen, blutunterlaufen und schlimm zerschlagen.
Er lehnt sich zurück, zieht sich den Hut übers Gesicht und erweckt so den Eindruck, als wäre er vor Erschöpfung eingeschlafen.
Drei Stunden später erreicht die Postkutsche die Wasserscheide des Passes.
Cliff ist etwas überrascht, als er feststellt, dass er wach wurde. Er hätte nicht geglaubt, dass er in der rüttelnden und schwankenden Kutsche einschlafen würde. Aber es war so, und der kurze Schlaf hat ihm doch etwas von seiner Erschöpfung genommen.
Er klettert als letzter Fahrgast aus der Kutsche. Hier oben zwischen den Felswänden gibt es eine kleine Station. Hier wechseln die Kutschen ihre müden Gespanne.
Cliff geht zu einem großen Wassertrog, der von einer Baumröhrenleitung ständig mit frischem Quellwasser versorgt wird. Jetzt endlich wäscht und säubert er sich. Und bei jeder Bewegung spürt er eine sehr schmerzvolle Steifheit in allen Gliedern.
An einem Pfahl steckt eine Spiegelscherbe. Als Cliff sich davor die nassen Haare kämmt und sein von Barrows' Fäusten gezeichnetes Gesicht betrachtet, hört er plötzlich die Stimme des Mädchens hinter sich sagen: »Du hast mich also nicht erkannt, Cliff?«
Das Mädchen ist aus dem Rasthaus gekommen und hält zwei große Becher mit Kaffee in den Händen. Sie ist mittelgroß, schlank und sehr biegsam. Aber ihr Reisekleid lässt auch erkennen, dass sie alle jene Formen besitzt, die ein junges und voll erblühtes Mädchen haben muss.
Es ist alles richtig an ihr, und sie bietet wahrhaftig einen sehr erfreulichen Anblick. Sie ist sehr hübsch. Sicher ist sie sehr energisch und vielleicht auch impulsiv.
»Bitte«, sagt sie und reicht Cliff einen der beiden Becher. Und ein starker Kaffee ist gerade das richtige für Cliff. Er trinkt sehr vorsichtig, denn das heiße Gebräu brennt auf seinen zerschlagenen Lippen.
Dabei sieht er das Mädchen an.
Und plötzlich weiß er, wer sie ist.
»Jill Denver«, sagt er zwischen zwei Schlucken und lächelt dann mühsam.
»Ich war noch nicht ganz in Ordnung, als ich in die Kutsche stieg«, sagt er sanft. »Dieser Wes Barrows ist ein mächtiger Bursche. Eine Weile dachte ich, dass er mich verprügeln könnte. Jill Denver – ah, aus einem dünnbeinigen, rothaarigen und sommersprossigen Hexlein ist etwas sehr Erfreuliches geworden. Kaum zu glauben, dass ich dir vor zehn Jahren einmal sagte, dass du eine freche Kröte wärst, die ...«
Er verstummt erschrocken, denn es wird ihm bewusst, dass er mit einer richtigen Lady spricht. Jill Denver sieht nämlich genauso aus, als hätte sie die letzten Jahre im Osten verbracht und wäre auf einer Schule oder einem vornehmen Pensionat gewesen.