1,99 €
Die Morgans reiten rechts und links neben Jim Starr in die Furt und halten an. Ihre Augen funkeln seltsam.
»Hallo, Mister Starr«, sagt Virgil Morgan spöttisch. »Ein schöner, ruhiger Spätnachmittag, nicht wahr? So richtig friedlich. Morgen wird es anders sein! Morgen treiben wir unsere Herde über den Pass und über Ihr Land, Jim Starr. Und wenn uns Ihre Herde morgen immer noch im Wege steht, dann nehmen wir sie einfach mit. Wir treiben alles vor uns her, was uns in den Weg gerät. Wir haben jetzt lange genug gewartet.« Er verstummt mit einem herausfordernden Klang in der Stimme.
Jim Starr blickt ihn an, und er kann das verwegene und streitsüchtige Funkeln in Virgil Morgans dunklen Augen gut erkennen. Sein Gesicht bleibt ruhig und friedlich, als er zu Virgil Morgan sagt: »Treibt, wann ihr wollt und wie ihr wollt, aber kommt meiner Herde nicht zu nahe. Und wenn sie euch im Weg steht, dann treibt in einem Bogen von zehn Meilen um sie herum.«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Die Morgan-Brüder
Vorschau
Impressum
Die Morgan-Brüder
Die Morgans reiten rechts und links neben Jim Starr in die Furt und halten an. Ihre Augen funkeln seltsam.
»Hallo, Mister Starr«, sagt Virgil Morgan spöttisch. »Ein schöner, ruhiger Spätnachmittag, nicht wahr? So richtig friedlich. Morgen wird es anders sein! Morgen treiben wir unsere Herde über den Pass und über Ihr Land, Jim Starr. Und wenn uns Ihre Herde morgen immer noch im Wege steht, dann nehmen wir sie einfach mit. Wir treiben alles vor uns her, was uns in den Weg gerät. Wir haben jetzt lange genug gewartet.« Er verstummt mit einem herausfordernden Klang in der Stimme.
Jim Starr blickt ihn an, und er kann das verwegene und streitsüchtige Funkeln in Virgil Morgans dunklen Augen gut erkennen. Sein Gesicht bleibt ruhig und friedlich, als er zu Virgil Morgan sagt: »Treibt, wann ihr wollt und wie ihr wollt, aber kommt meiner Herde nicht zu nahe. Und wenn sie euch im Weg steht, dann treibt in einem Bogen von zehn Meilen um sie herum.«
In Virgil Morgans Augen glüht es heiß auf, denn er ist ein Mann, der gerne Streit sucht. Verwegene Ritte und tollkühne Kämpfe, dies gehört zu seinem Leben. Und wenn er auf einen Mann trifft, der ihm beachtlich erscheint, dann findet er keine Ruhe, bis er sich und diesem Mann bewiesen hat, dass er, Virgil Morgan, größer und besser ist.
»Wir sind dir schon sehr nahe, Jim Starr«, versichert er.
Sein Bruder Ike mischt sich jetzt mit bösem Spott ein.
»Lass ihn nur, Virg! Dieser Mann hier ist ein Liebling des ganzen Landes. Sie beten ihn alle an und haben ihn auf einen hohen Thron gesetzt. Er ist der große Jim Starr, der das Gesetz über den Pecos brachte. Dadurch wurde er zum Wohltäter der Ehrbaren und Sittsamen. Lass ihn nur in Frieden, Virg. Er wird sich mit seiner Herde unterwegs schon die Ohren brechen.«
Nach diesen Worten wendet sich Ike Morgan direkt an Jim Starr: »Mister, hier im Land bist du der große Mann. Doch du wirst unterwegs deine Rinder verlieren. Wollen wir wetten?«
Jim Starr blickt ihn eine Weile nachdenklich an.
»Ihr seid mit einer rauen Mannschaft in dieses Land gekommen und habt nichts als Streit gesucht. Wir mussten immer wieder einige wilde Jungs eurer Mannschaft zurechtstutzen. Euer Stil hat mir von Anfang an nicht gefallen. Und jetzt haltet ihr wieder herausfordernde Reden. Geht zum Teufel, sage ich nochmals! Und bleibt mir immer aus dem Weg!«
Sie hören es und schnappen nach Luft.
Sie sind auf diese Weide gekommen, um sie sich auf die raue Art zu erobern. Es wäre ihnen nicht schwergefallen, all die kleinen Leute aus dem Land zu jagen. Aber Jim hatte sich ihrem rauen Stil von Anfang an entgegengestellt.
»Warte nur, großer Mann«, keucht Virgil Morgan. »Warte nur, bis wir nicht mehr in diesem County sind, wo Richter und Sheriff deine Freunde sind. Warte nur, mein Junge! Wir werden dir noch zeigen, wie groß du in deinen Hosen wirklich bist. Wenn es nach mir ginge, so würde ich dich jetzt aus dem Sattel schlagen und wie eine Katze in diesem Creek ertränken.«
»Das wirst du nicht tun, Virg«, meldet sich Ike Morgan heiser vor Zorn. »Denn er muss sich noch von seiner Frau verabschieden, bevor er morgen mit seiner Herde aufbricht. Wir können doch eine unschuldige Frau nicht um die letzte Nacht mit ihrem Liebling bringen, obwohl sich schon jemand alle Mühe geben wird, um ihn bei ihr zu ersetzen. Wenn ...«
Weiter kommt Ike Morgan nicht.
Jim Starr hat jetzt genug, und er hat begriffen, dass sie ihn immer wieder mit Worten reizen würden, bis sie ihren Spaß bekämen.
Und da handelt er, weil er diesen Verdruss nun für unvermeidlich hält und Ike Morgans Worte ihn plötzlich in einen heißen Zorn versetzen.
Ike Morgan hält rechts neben ihm zu Pferd.
Er sieht Jim Starrs Linke zu spät kommen. Sie fegt ihn mit einem krachenden Schwinger aus dem Sattel. Und damit beginnt seine Pechsträhne. Denn er bleibt mit einem Fuß im Steigbügel hängen, und sein Pferd bricht nervös aus und schleift ihn durch das Wasser des Creeks, über Steine und Geröll. Da Ike Morgan mit dem Kopf nach unten hängt, ertrinkt er fast und reißt sich die Hände am steinigen Untergrund des Creeks auf.
Doch das kann Jim Starr nicht beobachten. Er hat jetzt mit Virgil Morgan zu tun, der sich aus dem Sattel wirft und mit beiden Händen nach ihm greift.
Sie stürzen beide und beginnen im flachen Wasser der Furt zu kämpfen. Virgil Morgan ist so schnell und geschmeidig wie ein Panther. Er kämpft auf eine wilde und explosive Art. Irgendwie bekommt er Jim Starr unter sich, umfasst mit beiden Händen dessen Hals und drückt ihm den Kopf unter Wasser.
Jim gerät in wirkliche Not. Es gelingt ihm jedoch mit einem wilden Kraftausbruch, sich unter Virgil Morgan herumzuwälzen und ein Knie anzuziehen. Er stößt den Gegner über sich hinweg. Der Griff von Virgils Händen lockert sich, aber Jim verspürt einen heftigen Schmerz am Hals. Er springt auf. Das Wasser reicht ihm bis zu den Knien. Und Virgil Morgan greift ihn schon wieder an. Ja, er ist ungeheuer schnell und pantherhaft.
Jim hält ihn mit einer Geraden unter das Kinn auf und setzt ihm die Linke auf die Rippen. Er folgt ihm in das tiefe Wasser und trifft ihn zweimal rechts und links am Kopf. Dann fällt Virgil Morgan rücklings über einen Stein. Jim Starr wirft sich auf ihn, bekommt ihn richtig unter sich und gibt ihm keine Chance mehr.
Doch irgendwie kommt sein heißer Zorn wieder zur Vernunft. Er reißt den schon fast bewusstlosen Mann aus dem Wasser, stemmt ihn hoch über den Kopf und wirft ihn auf das Ufer.
Dann blickt er sich nach Ike Morgan um.
Ike kommt aus einem Busch getaumelt, in den ihn sein Pferd schleifte. Das Pferd steht noch im Busch, und deshalb hat Ike Morgan das Gewehr aus dem Sattelfutteral nehmen können. Den Colt hat er im Creek verloren.
Doch das Gewehr ist gut genug für seine Absichten.
Seine Kleidung ist zerfetzt. Er ist nass wie eine Katze. Aus verschiedenen Kratzwunden und Schrammen läuft ihm das Blut.
Er ist vor Zorn wie von Sinnen. Langsam hebt er das Gewehr und legt auf Jim Starr an. Er nimmt sich Zeit, denn auch Jim hat im Creek seine Waffe verloren und ist waffenlos.
»Eigentlich wollten wir dich heute nur verprügeln«, keucht Ike Morgan hinter seinem Gewehr. »Eigentlich wollten wir dir vor dem Treiben nur deinen Stolz und dein Selbstvertrauen herausprügeln. Aber jetzt, jetzt bekommst du, was wir dir erst ...«
Er verstummt jäh, und es ist, als wäre er über seine eigenen Worte erschrocken.
Er senkt sein Gewehr wieder.
»Nein, jetzt nicht, jetzt noch nicht, mein Junge«, keucht er. »Ich war etwas wild und habe den Kopf verloren. Starr, ich kann noch fünfhundert Meilen warten. Hier in diesem County, wo Richter und Sheriff deine Freunde sind, hier nicht!«
Er geht zu seinem Bruder Virgil, der bewegungslos am Ufer liegt. Er kniet bei ihm nieder und untersucht ihn.
Jim Starr wendet sich ab, findet im flachen Wasser seinen Colt, schiebt die Waffe ins Holster und tritt zu seinem Pferd, welches geduldig wartete.
Langsam sitzt er auf.
Er hat jetzt die ganze Wut und den Hass der Morgans zu spüren bekommen.
Irgendwie ist er betroffen und verwundert darüber. Doch er begreift, indes er ruhig im Sattel sitzt und die Morgans beobachtet, warum dieser Hass in ihnen vorhanden ist.
Ja, es gab immer wieder Verdruss und Streit, seit sie im Land sind und die Mavericks jagten. Er hat ihnen immer wieder ihre Grenzen aufgezeigt und sie im Zaum gehalten. Der Sheriff und der Richter standen auf seiner Seite. Die Morgans mussten immer wieder nachgeben und zurückweichen.
Er hat die kleinen Rancher und die Siedler vor ihnen beschützt. Und er hat mithilfe des Sheriffs einige ihrer hartgesottenen Reiter zurechtgestutzt.
Ja, er stand von Anfang an ihren Interessen entgegen, die darauf abzielten, sich im rauen Stil eine Riesenweide zu erobern und neben der Starr-Willow Ranch die größte Ranch im Land zu werden. Es gab Streit um Mavericks, Streit um Wasserstellen, und vor allen Dingen gab es Verdruss und Feindschaft, weil er sie mit ihrer Treibherde, die hinter dem Pass wartete, nicht über seine Weide treiben lässt, bevor er selbst aufgebrochen ist. Das musste er tun, denn seine eigene Treibherde steht in dem Talkessel am Fuß des Passes. Diese Riesenherde ist dort in diesem Kessel leicht zu bewachen und zusammenzuhalten. Kämen die Morgan-Rinder über den Pass, so würden sich die beiden Herden vermischen. Er hat von den Morgans nichts anderes verlangt, als dass sie drei Tage warten. Aber auch das nahmen sie übel.
Nein, er wundert sich nicht länger über ihren Hass gegen ihn. Er war all die Monate ein Hindernis für sie, das sie nicht zur Seite schieben konnten.
Er reitet langsam durch den Creek und hält bei Ike Morgan an, der sich immer noch um seinen Bruder Virgil kümmert.
Schweigend betrachtet er ihn, und Ike Morgan starrt kalt zurück. Sie sagen kein Wort. Das ist überflüssig geworden.
Dann reitet Jim Starr weiter.
✰
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, doch die Männer sitzen schon in den Sätteln. Nur der Koch ist noch nicht fertig. Pete Stammer spült noch Geschirr.
Jim Starr nickt den Männern zu.
»Also los, Jungs! Wir treiben jetzt die Herde nach Kansas!«
Mehr sagt er nicht. Die Männer reiten aus dem Camp. Sie verteilen sich um die Herde.
Jim wendet sich an den Koch. »Pete, solange der Weg gut und das Wetter erträglich ist, solange du es wagen kannst, die Herde hinter dir zu lassen, fährst du voraus und wartest unterwegs mit einem Essen auf uns. Die Jungs sollen zu Mittag ihr Essen bekommen, solange es möglich ist.«
»All right, Boss«, nickt Pete.
Jim nickt den beiden anderen Männern zu, die immer beim Koch bleiben werden und den anderen Wagen fahren. Dann zieht er seinen Rappen herum und reitet aus dem Camp.
Er kommt an der Pferderemuda vorbei, die von drei jungen Cowboys bewacht und getrieben wird. Diese Pferderemuda besteht aus fast hundertfünfzig Pferden. Das ist nicht zu viel für eine Treibmannschaft, von der jeder Reiter mehrmals am Tag sein Pferd wechseln muss.
Jim Starr reitet zum Hügel hinauf und hält an.
Im Osten schiebt sich die Sonne über das große Plateau.
Jim Starr blickt über die Herde. Zehntausend Longhornrinder sind dort unten. Sie haben längst gespürt, dass heute etwas im Gange ist. Sie brüllen und sind nervös und erregt.
Der mächtige Leitstier wird von zwei Reitern nach Norden geführt. Old Sam ist ein mächtiges Tier, fast so groß wie ein Büffel, zottig und mit zwei gewaltigen Hörnern. Er wurde seit Monaten halbwegs gezähmt und für seine Aufgabe geschult. Es ist, als wüsste er genau, dass er zehntausend Artgenossen nach Norden führen soll.
Sein Brüllen übertönt das der Riesenherde.
Jim Starr blickt in die Runde. Überall sind die Reiter verteilt und warten auf das Signal.
Er gibt es ihnen. Er reißt den Hut vom Kopf und schwenkt ihn.
»Yiiiiipppiiiii! Heeeeyaaaaah! Hiiiiiyeeeeehaaaaa!«
Sein scharfer Schrei wird von den Reitern aufgenommen.
Und dann geht es los! Die Texaner verwandeln sich in wilde Teufel. Sie stoßen gellende Schreie aus wie ein verrückter Indianerstamm. Ihre Bullpeitschen knallen wie Revolverschüsse. Manchmal bellen auch die Revolver. Sie drängen auf die Herde ein und richten sie mehr und mehr aus. Hinter Old Sam laufen jetzt schon Rinder her. Es werden mehr und mehr. Andere Leitstiere folgen. Es ist ein ganzer Riesenwald von Hörnern, der sich ausrichtet. Über knochigen Rücken tanzen erhobene Schwänze wie aufgerichtete Schlangenleiber.
Jim Starr lenkt sein Pferd den Hügel hinunter. Er nimmt die Bullpeitsche vom Sattelhorn und beginnt seine Arbeit wie jeder andere Treiber auch.
Jesse Willow, sein Partner, taucht bei ihm auf, und sein dunkles Indianergesicht ist verzerrt vor wilder und verwegener Freude.
»Jetzt sind wir nicht aufzuhalten! Hoiii, Dodge City!«
✰
Sie schaffen an diesem Tag acht Meilen und durchfurten am Abend den Pecos River.
Beim Morgengrauen setzen sie die Herde wieder in Bewegung und treiben sie zehn Meilen am Fluss entlang.
Und dann folgt eine ganze Reihe von Tagen, von denen einer ist wie der andere: störrische und halbwilde Rinder, Staub, Hitze, ständige Arbeit im Sattel von Tagesanbruch bis zur Nacht.
Die Treibherde der Morgans zieht hinter ihnen und kommt jeden Tag um eine oder zwei Meilen näher. Diese Herde wird schärfer getrieben. Es ist ganz klar, dass die Morgans die Starr-Willow-Herde einholen wollen.
Am 11. Mai bleiben Jim Starr und Jesse Willow im Camp zurück, als die Herde aufgebrochen ist.
Nicht lange, dann kommen die beiden Morgans mit vier Begleitern. Sie sitzen auf prächtigen Pferden, die sie aus Arizona mitgebracht hatten. Sie kommen lässig ins Camp geritten, halten an und blicken sich um. Eine Weile starren sie auf Jesse Willow, der an seinem Pferd lehnt und ihnen zunickt.
»Hallo, Freunde«, sagt Jesse, »wenn ihr guten Starr-Willow-Kaffee zum Frühstück haben wollt, dann müsst ihr etwas früher kommen. Tut uns leid, so lieben Gästen nichts mehr anbieten zu können.«
In seiner Stimme schwingt ein deutlicher Spott. Auch er hat während der vergangenen Monate mit den Morgan-Reitern da und dort Zusammenstöße und Verdruss gehabt. Er mag die Bande nicht, die aus Arizona ins Pecos-River-Land kam. Und wenn Jesse Willow jemanden nicht mag, dann verhält er sich stets spöttisch und mehr oder weniger herausfordernd.
Die beiden Morgans blicken ihn grimmig an. Aber sie erwidern nichts auf seine Worte. Sie wenden sich Jim Starr zu. Eine Weile betrachten sie ihn, und er kann den Anprall ihrer Unversöhnlichkeit fast körperlich spüren.
Dann sagt Ike Morgan rau: »Ihr treibt eure Herde, als hätte sie keine Beine, sondern müsste wie eine Schnecke kriechen. Heute ist der Tag, da wir euch einholen. Und wir wollen keinen Bogen um euch schlagen. Treibt die Herde zur Seite, damit wir an euch vorbei können. Hast du mich verstanden, Jim Starr? Ihr sollt uns Platz machen! Treibt eure Kühe in ein Seitental und wartet dort, bis wir an euch vorbei sind.«
Jim Starr überlegt drei Sekunden.
»Und wenn wir es nicht tun?«, fragt er dann sanft.
Ike Morgan und sein Bruder Virgil grinsen nun blitzend.
»Dann stoßen wir euch einfach zur Seite«, sagt Virgil grob.
»Versucht es nur!«, ruft Jesse Willow scharf von der anderen Seite herüber. »Es würde mir prächtig gefallen, wenn ihr versuchen würdet, uns zur Seite zu stoßen!«
Doch die Morgans beachten ihn nicht. Sie wenden sich nicht einmal nach ihm um. Sie blicken Jim Starr an, denn sie wissen, dass er der Trailboss ist.
Und Jim Starr hat nachgedacht. Er hatte viel zu bedenken, sehr viel. Auch die Morgan-Herde ist sehr groß. Es handelt sich auch bei dieser Herde um etwa zehntausend Rinder. Denn die Morgans haben ebenfalls mit ihrer Mannschaft viele Monate lang Mavericks gejagt.
Jim Starr hat also viel zu bedenken. Und dann ist ihm klar, dass er die Morgan-Herde nicht vorbeilassen darf. Denn vor ihm liegen lange Trockenstrecken mit nur wenigen Wasserstellen. Die zehntausend Rinder der Morgans würden seiner Herde das wenige Wasser wegsaufen und die spärliche Weide kahlfressen. Er müsste große Umwege treiben lassen.
Er begreift, dass es sich für ihn um das Wohlergehen der Herde handelt. Und für seine Herde fühlt er sich nun einmal verantwortlicher als für eine fremde Herde. Wenn jemand einen Umweg machen muss, dann will nicht er der Mann sein.
Er hebt die Hand und sagt zu den Morgans: »Wenn ihr uns einholen könnt, dann werden wir euch Platz machen. Doch ihr werdet uns nicht einholen. Ich habe die sechs Tage mit Absicht langsam treiben lassen, sodass meine Rinder bei Kräften blieben. Ihr aber habt eure Herde ständig vorwärts geprügelt, um uns mit aller Gewalt einholen zu können. Das war falsch. Ihr hättet noch langsamer treiben müssen als wir. Ein Abstand von drei oder vier Tagen wäre für euch besser gewesen.«
»Dann halte du doch diesen Abstand«, grollt Ike Morgan. »Dann warte doch irgendwo vier Tage.«
Er schwingt sich plötzlich aus dem Sattel, löst die Schnalle seines Waffengurtes und hängt diesen über das Sattelhorn.
»Ich bin dir noch was schuldig, Jim Starr«, sagt er rau. »Damals im Creek hattest du eine Menge Glück. Und das hat dich wohl sehr übermütig gemacht. Du hältst dich jetzt für so groß wie einen Berg. Aber es war nur ein dummer Zufall, hörst du? Ich blieb nur durch einen dummen Zufall im Steigbügel hängen. Dies möchte ich dir jetzt für immer richtig klarmachen. Mister, wir werden euch mitsamt eurer Herde aus dem Weg stoßen. Und damit fange ich jetzt gleich an. Komm schon, Jim! Wir müssen die Sache von damals am Creek bereinigen!«
Jim Starr atmet langsam aus. Und jetzt weiß er genau, warum die Morgans gekommen sind. In Ike Morgan hat die Niederlage am Creek all die Tage wie ein Feuer gefressen. Gewiss hat er zu jeder Stunde daran denken müssen, dass er und sein Bruder von einem Mann zurechtgestutzt wurden, von einem einzelnen Mann!
Und das möchte er jetzt revidieren. Das gehört zu seiner Art. Er ist ein Mann, der keine Niederlage ertragen kann. Er möchte den starken Glauben an sich selbst und an seine Unüberwindlichkeit wiederherstellen.
Als er näher kommt, kann Jim Starr die vielen verheilten Schrammen und Narben in Ike Morgans Gesicht erkennen. Das Pferd hat ihn damals wirklich schlimm durch den Creek und die Büsche geschleift.
»Du Narr«, sagt Jim bitter. »Du hast vom ersten Tag an immer wieder Streit und Verdruss gesucht. Du hast nie auch nur den Versuch gemacht, ein vernünftiger und fairer Nachbar zu sein. Ich musste dich immer wieder in deine Schranken weisen und dir deine Grenzen aufzeigen. Nun gut, Mister, dann komm! Heute will ich es richtig machen!«
Er legt nun auch seinen Waffengurt ab und hängt ihn hinter sich an einen abgebrochenen Baumast. Dann blickt er Ike Morgan an, der sich langsam nähert. Ike Morgan sagt: »Ich hätte es am ersten Tag tun sollen, gleich am ersten Tag, an dem ich dich sah. Denn ich spürte damals schon, dass du mir immer im Weg stehen wirst. Und auch jetzt bist du mir mit deiner Herde im Weg. Pass auf, ich stoße dich jetzt zur Seite! Pass auf!«
Nachdem er dies gesagt hat, greift er an.
Er ist ein großer Mann, schwergewichtig, hart, zäh und sehr schnell. Er wiegt zweihundertzwanzig Pfund, und er ist daran gewöhnt, jeden Widerstand und alle Hindernisse auf die gewalttätige Art niederzuzwingen. Das gehört zu seinem Stil, denn er lebt nach eigenen Regeln. Er ist einer dieser Piraten, die sich nur einer stärkeren Gewalt beugen.
Jim Starr ist nicht kleiner als er, doch er wirkt schlanker. Er wiegt auch sicherlich zwanzig Pfund weniger.
Und doch wirft er sich dem Anstürmenden entgegen. Sie prallen hart gegeneinander, stehen Fuß bei Fuß und treffen sich immer wieder hart mit den Fäusten.
Schließlich muss Jim Starr zurückweichen, denn Ike Morgan ist wahrhaftig der stärkere Mann, der vernichten will. Jim Starr duckt die gewaltigen Schläge ab, so gut es geht. Dann streift ihn ein Schwinger, lässt ihn taumeln, und er stolpert über eine Baumwurzel. Er fliegt zu Boden und rollt sich blitzschnell zur Seite.
Und das war gut! Denn dies ist ein wilder Kampf, wie er an der Grenze üblich ist. Dies ist keine Auseinandersetzung zwischen zwei Gentlemen, die sich bei aller Feindschaft irgendwie an sportliche Regeln halten. Eine solche Kampfesart gibt es unter den rauen Männern in diesem Lande nicht. Dieses Land ist hart und grausam zu allen Geschöpfen. Wer sich behaupten will, der muss in diesem Lande lernen, hart und rücksichtslos zu kämpfen.
Und so ergeht es jetzt Jim Starr. Er muss kämpfen, um sein Leben zu erhalten.