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Es ist spät im Herbst. Der milde Südwind, der durch das blaugrüne Büffelgras streicht, hält plötzlich gleichsam den Atem an. Stille breitet sich aus. Die Herde will nicht mehr weiter. Wie auf ein geheimes Zeichen dreht der riesige Old Mosshorn nach Westen ab, wo sich die Ketten der Medicine Bow erheben. Die Leittiere der Herde folgen Old Mosshorn.
Dann wird die Stille unterbrochen. Die Herde brüllt plötzlich voller Angst. Schon bricht die Stampede aus, als wäre der Blitz mitten unter die Tiere gefahren. Old Mosshorn versucht, seine Herde zu retten. Er weiß, was kommt. Sein Instinkt trügt ihn nicht. Die Berge im Westen hat er längst gewittert. Dort gibt es Schutz. Die Herde folgt ihm brüllend. Auch sie wittert das Unheil.
Jim Miles, der Besitzer und Boss der Herde, galoppiert mit seinen sieben Reitern sofort der ausgebrochenen Herde nach. Seinem achten Reiter brüllt er zu: »Slade! Jack Slade! Du bleibst bei Angie! Hast du verstanden? Ich vertraue dir Angie an! Sie ist mein kostbarster Besitz. Ich vertraue dir Angie an, Jack!«
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Die Jack-Slade-Legende
Vorschau
Impressum
Die Jack-Slade-Legende
Es ist spät im Herbst. Der milde Südwind, der durch das blaugrüne Büffelgras streicht, hält plötzlich gleichsam den Atem an. Stille breitet sich aus. Die Herde will nicht mehr weiter. Wie auf ein geheimes Zeichen dreht der riesige Old Mosshorn nach Westen ab, wo sich die Ketten der Medicine Bow erheben. Die Leittiere der Herde folgen Old Mosshorn.
Dann wird die Stille unterbrochen. Die Herde brüllt plötzlich voller Angst. Schon bricht die Stampede aus, als wäre der Blitz mitten unter die Tiere gefahren. Old Mosshorn versucht, seine Herde zu retten. Er weiß, was kommt. Sein Instinkt trügt ihn nicht. Die Berge im Westen hat er längst gewittert. Dort gibt es Schutz. Die Herde folgt ihm brüllend. Auch sie wittert das Unheil.
Jim Miles, der Besitzer und Boss der Herde, galoppiert mit seinen sieben Reitern sofort der ausgebrochenen Herde nach. Seinem achten Reiter brüllt er zu: »Slade! Jack Slade! Du bleibst bei Angie! Hast du verstanden? Ich vertraue dir Angie an! Sie ist mein kostbarster Besitz. Ich vertraue dir Angie an, Jack!«
Jim Miles' Stimme gellt scharf durch das Toben der Herde.
Jack Slade hebt die Rechte wie zum Schwur hoch und brüllt durch den Lärm: »All right, Boss! All right!«
Er bleibt zurück und sieht ihnen nach.
Er weiß, dass man die Stampede einer Herde nicht abbremsen darf. Sie müssen froh sein, wenn die Rinder die dreißig Meilen bis zu den schützenden Bergen im Westen noch schaffen, bevor der Blizzard sie tötet.
Denn ein Blizzard naht.
Die Windstille hält nicht an – nur zwei oder drei Atemzüge lang. Dann kommt der erste eisige Hauch aus dem Nordosten. Er bewegt das Büffelgras wie die Oberfläche einer See. Ein warnender Hauch, kalt und unheilvoll. Es ist ein Wind aus einer riesengroßen Eisgruft.
Jack Slades Pferd zittert vor Angst.
Er selbst spürt, wie eine Eisenfaust nach ihm greift.
Vor einer Minute noch war es mild für diese Jahreszeit.
Jetzt wird der Wind immer schärfer.
Jack Slade winkt Pedro Juarez zu, der mit der Pferderemuda der Herde und den Reitern folgt. Juarez kann die Remuda nicht unter Kontrolle halten. Er muss sie laufen lassen.
Dann wendet Jack Slade sein Pferd und sieht dem Wagen entgegen, den Angie Miles fährt. Er weiß, dass er dieses Mädchen liebt. Vom ersten Moment an liebte er Angie. Nur deshalb ließ er sich von ihrem Vater als einfacher Cowboy für dieses Treiben anwerben.
Er hat sie mir anvertraut, denkt er. Sie ist Jim Miles' kostbarster Besitz – und er vertraut sie mir an! Ob er weiß, dass ich sie liebe? Ob er mehr von mir hält als von den anderen Reitern?
Angie Miles fährt heran. Sie hat Mühe, die nervösen Tiere anzuhalten.
Er nickt ihr zu, bindet sein Pferd hinten am Wagen neben Angies Pinto und klettert zu dem Mädchen auf den Fahrersitz. Er nimmt ihr die Zügel aus der Hand und löst die Bremse. Die beiden starken Maultiere braucht er nicht anzutreiben. Sie setzen sich schnell in Trab. Sie haben das Unheil längst gespürt und wollen in den Schutz der Berge.
Angie Miles ist die Tochter eines Rinderzüchters und ein Kind des weiten Landes. Sie hat längst begriffen, um was es geht. Hier auf der Hochprärie muss man um diese Jahreszeit mit Blizzards rechnen.
Aber sie erkennt die Größe der Gefahr noch nicht. Sie glaubt, dass ein Schneesturm heraufzieht.
»Wir werden uns wärmer anziehen müssen, nicht wahr, Jack? Ich will auch für Sie einen Mantel aus dem Wagen holen und ...«
»Machen Sie schnell, Angie!«, drängt er. »Ziehen Sie sich die wärmsten Sachen an, die Sie haben. Geben Sie auch mir etwas. Auch Handschuhe und Decken brauchen wir. Sonst sind unsere Füße bald Eisklumpen. Mädel, da kommt kein einfacher Blizzard! Ich kenne mich in dieser Gegend aus. Da kommt ein Eisblizzard – ein Blaueisblizzard! Schnell, Mädel!«
Sie sagt nichts mehr und klettert hinten in den Wagen.
Jack Slade blickt nach Westen zu den Bergen.
Dort ist noch Sonnenschein. Man kann weit über das Land sehen.
Noch ist kein Orgeln und Toben in der Luft.
Nur der eiskalte Wind weht schärfer.
Jetzt setzt er noch einmal aus.
Jack fragt sich, ob Jim Miles die Gefahr erkannte, als er ihm Angie anvertraute. Aber Jim Miles glaubte sicher nur an einen Schneesturm, ein richtiger Blaueisblizzard ist ihm unbekannt.
Sonst wäre Jim Miles bei seiner Tochter geblieben. Er hätte sie nicht in die Obhut eines seiner Reiter gegeben, den er erst wenige Wochen kennt.
Der eiskalte Wind setzt für einen Moment aus. Es ist, als holte ein gewaltiger Riese tief Luft, um seine großen Lungen zu füllen und stärker blasen zu können.
Jack Slade starrt nach Nordosten.
Da sieht er es von weit her kommen! Eine dunkle Wand, in der gelbe Blitze zucken.
Dann folgt der zweite Windstoß.
Diesmal ist es nicht nur ein eisiger Wind, der Reiter und Tiere frieren lässt.
Jetzt ist es schon ein böses Orgeln, ein Fauchen, wild und unheilvoll. Es wird noch kälter, schneidend kalt.
Der Wind lässt alles erstarren – und zerbricht es dann erbarmungslos. Jack Slade spürt, dass sein Hosenboden auf dem Wagensitz festfriert. Seine Kleidung, die von der harten Treibarbeit durchschwitzt war, ist steif.
Angie kommt aus dem Wagen nach vorn. Sie ist dick vermummt. Sie bringt einen Büffelfellmantel und zwei Decken, Handschuhe und einen Wollschal mit.
»Das wird sicher schlimm«, sagt sie ernst. Das eisige Fauchen setzt abermals aus.
Die Maultiere laufen schnaubend.
Das gefrorene Büffelgras knackt und bricht unter den Hufen der Tiere und den Rädern des Wagens.
»Angie«, sagt Jack Slade. »Wir werden um unser Leben kämpfen müssen. Dieser Blizzard kann alles umbringen! Ihr Vater und die Boys haben die Gefahr nicht richtig erkannt. Sie durften der Herde nicht sofort folgen. Sie mussten sich erst mit warmer Kleidung, Proviant und reichlich Schnaps versorgen. Wenn dieser Blizzard länger als drei Tage dauert und wir sie nicht finden können, dann haben sie kaum eine Chance.«
Jack sagt es hart und bitter.
Er sieht, wie Angie erschrickt. Sie tut ihm leid. Er musste ihr diesen Schock versetzen, denn nur so wird sie kämpfen wie ein Mann.
Angie ist dunkelhaarig wie er, doch ihre Augen sind blau. Seine Augen sind rauchgrau. Es sind ruhige und kühle Augen, wachsam und scharf. Sie stehen über einer verwegenen, kühnen Nase. Der Mund, etwas breit, wirkt männlich.
Jack Slade ist etwa fünfundzwanzig Jahre alt, mehr als mittelgroß und sieht etwas indianerhaft aus.
Unter dem Mantel trägt er den Revolver links.
Er ist Linkshänder. Im Süden nennt man ihn Revolver-Slade.
Es gelingt ihm gerade noch, die Handschuhe überzustreifen, ehe der dritte Vorbote des Blaueisblizzards naht.
Ein wildes, böses Heulen erfüllt die Luft. Die Eiseskälte ist grausam. Der brüllende Sturm fasst die Wagenplane wie ein Segel. Einen Moment fährt der Wagen nur auf zwei Rädern, und es sieht aus, als würde er umstürzen.
Dann ist plötzlich das Eis da.
Blaueis! Hagelkörner – größer als Taubeneier. Wie Kieselsteine prasseln sie nieder. Manche Hagelstücke sind so dick wie Hühnereier.
Jack stößt das Mädchen rückwärts in den Wagen. Die Wagenplane hält. Sie ist aus demselben Material wie die Segel der Schiffe, die Kap Horn umsegeln, um zur Westküste zu gelangen – nach Kalifornien und Oregon. Die Plane hält diesem Schauer aus Eisbrocken stand. Sie ist über Bügel gespannt, die oben rund sind wie ein Büffelrücken.
Jack Slade bekommt eine Menge ab, obwohl er sich weit zurücklehnt und die Decke auf den Knien hat. Den Wollschal band er sich über dem Hut und unter dem Kinn zusammen.
Die armen Tiere werden von dem Eishagel grausam geprügelt. Es gibt keinen Schutz für sie. Die Maultiere und Pferde leiden furchtbar.
Dazu tobt und heult der Orkan. Die Blitze zucken. Der Donner kracht. Es ist, als ginge die Welt unter, so tobt der Blizzard der Nordprärie heran, alles Lebendige vernichtend.
Bald liegen die Hagelstücke fußhoch am Boden. Es fällt den beiden Maultieren immer schwerer, den Wagen zu ziehen. Nur der Selbsterhaltungstrieb und ihr Instinkt treiben sie an und geben ihnen Kraft. Die Berge und der Wald im Südwesten ziehen sie an. Dort muss es Schutz geben.
Zum Glück dauert dieser vernichtende Eishagel nur wenige Minuten. Dann verwandelt er sich in Schnee, der fast waagerecht heranfegt. Der Schnee verdunkelt den Himmel. Man sieht vom Fahrersitz aus kaum bis zu den Köpfen der beiden Maultiere.
Jack Slade kann sich jetzt nur noch nach dem Wind orientieren. Der Blizzard kommt aus Nordost und fegt nach Südwest. In diese Richtung ist auch die Herde geflüchtet.
Jack Slade hofft, dass Angie und er irgendwann wieder auf die Mannschaft und Herde stoßen. Wenn sie es nicht schaffen, den Reitern warme Kleidung, Proviant und Feuerwasser zu bringen, dann – er wagt gar nicht daran zu denken! Dies wäre nicht die erste Herde und die erste Treibmannschaft, die in einem Eisblizzard umkommt.
Angie klettert aus dem Wagen wieder nach vorn auf den Fahrersitz. Da sie die Wagenplane hinter sich haben, sind sie etwas vor dem Schneesturm geschützt. Der Wagen wird von hinten getrieben wie ein Segelschiff. Den beiden starken Maultieren erleichtert der Rückenwind die mühselige Arbeit.
Der Wagen kommt noch recht gut vorwärts.
Die Eiseskälte mindert sich nicht. Bevor der Wind dreht, waren etwa zwölf Grad Wärme. Doch jetzt sinkt die Temperatur auf dreißig Grad Kälte. Der Temperatursturz erfolgt in einer halben Stunde.
Der Wind verstärkt die schneidende Kälte.
Die beiden Maultiere bleiben in Bewegung. Jack Slade braucht sie noch nicht anzutreiben. Sie laufen von selbst. Einige Meilen geht es gut.
Doch Jack Slade macht sich keine Illusionen. Sie bewegen sich fast blind durch den Blizzard. Ihre Sicht reicht nur zwei oder drei Yards weit. Würde der Orkan den staubfeinen Schnee nicht von der Ebene fegen, so säßen sie mit dem Wagen längst fest und die Tiere steckten bis zu den Bäuchen im Schnee.
Plötzlich sinken die Maultiere bis zur Brust ein. Der Wagen drückt von hinten gegen sie und schiebt sie noch weiter in die mit Schnee gefüllte Mulde.
Jack Slade versucht, die Tiere rückwärts gehen zu lassen, aber sie schaffen es nicht. Sie gleiten mit den Hufen aus. Unter dem hohen Schnee wurden die Hagelkörner zu einer festen Eisdecke.
Der Wagen droht immer mehr in die Mulde zu rutschen. Der Schnee ist so weich und tief, dass die Maultiere fast darin ertrinken.
Jack Slade flucht nicht.
Er reicht Angie Miles die Zügel und schreit ihr ins Ohr: »Ich gehe nach hinten und versuche es mit den Reitpferden und den Lassos. Wenn der Wagen anruckt, dann helfen Sie mir mit den Maultieren.«
Angie nickt heftig. Sie ist bis zur Nasenspitze eingewickelt. Außer ihren Augen ist nichts von ihrem Gesicht zu sehen. Doch er erkennt, dass sie sich fest unter Kontrolle hat. Dieses Mädchen wird ihm ein guter Gefährte sein. Angie Miles kann kämpfen. Sie wird so schnell nicht aufgeben.
Der Schnee reicht ihm bis zu den Knien. Doch hinter dem Wagen hat sich bereits eine Schneewehe aufgetürmt, in der er bis zum Gürtel versinkt. Die beiden Pferde stehen schon bis zu den Bäuchen im Schnee. Sie sind das erste Hindernis, gegen das Sturm und Schnee prallen.
Jack Slade muss sich beeilen. Sonst stecken sie so fest, dass sie nicht mehr weiterkönnen.
Er nimmt das Lasso vom Sattelhorn und befestigt es an dem Ring, der hinten am Wagen angebracht ist.
Auch das Lasso von Angies Pinto wickelt er um den Ring. Die anderen Enden bindet er an die Sattelhörner. Dann führt er beide Pferde gegen den Blizzard. Es kostet viel Mühe. Obwohl sich Pferde williger gegen den Sturm führen lassen als Rinder, weigern sich die Tiere jetzt.
Jack muss kämpfen, er braucht seine ganze Kraft. Einmal rutscht er auf dem glatten Untergrund aus und fällt tief in den Schnee.
Doch er gibt nicht auf. Es gelingt ihm, die Tiere zum Anrucken zu bringen. Er brüllt vor Freude, als er spürt, dass Angie vorne aufgepasst hat. Das Vordergespann stößt zurück, so gut es kann. Der Wagen bewegt sich gegen den Blizzard und rollt aus der Mulde heraus.
Sie haben es geschafft!
Als Jack Slade wieder neben Angie sitzt und ihr die Zügel aus den Händen nimmt, klopft er ihr anerkennend gegen die von einem Wollschal bedeckte Wange.
»Gut gemacht!«, ruft er ihr zu.
An ihren Augen erkennt er, dass sie sich über sein Lob freut.
Während der nächsten Stunden geraten sie noch zweimal in Schneemulden. Sie kommen wieder frei und können ihre Fahrt fortsetzen.
Aber die Kälte macht ihnen zu schaffen.
In dem Sturm, der weiter braust und tobt, der an dem Wagen und der Plane zerrt, können sich Angie und Jack nicht unterhalten. Allmählich wissen sie nicht mehr, ob es Tag oder Nacht ist. Sie befinden sich mitten in der Hölle des Blizzards. Kaum sehen sie noch ihr Gespann.
Die Maultiere traben längst nicht mehr. Sie ziehen den Wagen immer mühsamer und langsamer, obwohl der Wind schiebt und die Plane wie ein Segel wirkt.
Doch die Tiere sind erschöpft. Der Orkan treibt dicke Schneewolken vor sich her. Die Maultiere kämpfen sich mühsam mit dem Wagen durch die hohen Verwehungen.
Auf einmal geht es nicht weiter.
Jack Slade gibt die Zügel Angie und klettert vom Wagen. Er fällt in den Schnee, versinkt darin und spürt, dass seine Glieder ganz steif sind. Er kämpft sich hoch und bewegt sich mühsam nach vorn.
Die beiden Maultiere haben aufgegeben. Sie können nicht mehr. Sie stehen da, zottig und eisverkrustet. Zwei erbarmungswürdige Kreaturen, die nicht mehr um ihr Leben kämpfen wollen.
Jack Slade steht eine Weile bei ihnen, klopft ihnen die Hälse und bringt es fertig, sie aufzumuntern. Die Nähe eines Menschen gibt ihnen wieder etwas Mut und Kraft.
Sie lassen sich von ihm führen.
So ziehen sie dahin – der Mann stapft voran, bis übers Knie im Schnee, und zerrt die Maultiere hinter sich her, ohne Gefühl für die Richtung, ohne Gefühl für die Zeit. Er kann nicht sagen, wie viel Meilen sie hinter sich gebracht haben.
Seine steif gefrorenen Glieder werden etwas beweglicher. Er spürt seine Füße wieder. Doch seine Erschöpfung nimmt zu.
Als er einmal anhalten muss, um die Tiere verschnaufen zu lassen und sich selbst eine Pause zu gönnen, taucht Angie bei ihm auf. Sie bringt zwei Dinge mit – eine Whiskyflasche und einen Topf.
In dem Topf muss etwas sein, was den Maultieren gut bekommt. Was für eine Wundermedizin brachte Angie?
»Maiskörner mit Whisky!«, ruft sie Jack laut ins Ohr.
Er staunt. Das Feuerwasser regt bei Mensch und Tier die Lebensgeister an.
Als er Angie zurückschicken will, ruft sie: »Ich will bei dir bleiben, Jack!«
Er klopft ihr auf die Schulter. Für eine Weile wird es gut für sie sein, wenn sie sich bewegt.
Jeder zerrt ein Maultier hinter sich her.
Manchmal gleiten sie aus und fallen. In immer kürzeren Abständen müssen sie anhalten und ausruhen.
Der Blizzard tobt mit unverminderter Wucht. Kälte und Dunkelheit nehmen zu. Es wird Nacht.
Angie Miles hält sich prächtig. Doch als Jack Slade merkt, dass sie völlig erschöpft ist, schickt er sie wieder in den Wagen.
Ob sie wirklich ins Wageninnere klettert und sich zudeckt, weiß er nicht. Er muss jetzt die beiden Maultiere führen und sich mit ihnen weiter durch den immer tiefer werdenden Schnee kämpfen.
Jack Slade ahnt, dass sie es nicht schaffen.
Bis zu den Bergen waren es dreißig Meilen.
Mehr als fünfzehn Meilen sind sie in den letzten Stunden sicher nicht vorangekommen.
Jack Slade wird gleichgültig. Er ist erschöpft und halb erfroren. Er möchte aufgeben.
Plötzlich ruckt der Wagen hinter ihm. Die Maultiere bleiben stehen. Angie klettert aus dem schief stehenden Wagen. Das linke Vorderrad ist gebrochen.
Radwechsel? Niemals! Jack müsste die Maultiere ausschirren und mit Angies Hilfe das gebrochene Rad auswechseln. Dafür ist Angie zu schwach.
Und die Räder sind vereist.
Der Wagen wird in einer halben Stunde unter einer riesigen Schneewehe verschwunden sein.
Jack Slade zieht Angie zu sich heran und brüllt ihr heiser ins Gesicht: »In den Wagen mit dir! Pack zwei Säcke voll Proviant, Schnaps und Kleidung. Ich versuche es mit den Pferden. Ich lasse dich hier im Wagen zurück. Er wird bald mit Schnee bedeckt sein. Kriech in dein Bett und halte aus. Vielleicht wird es eine Woche oder zehn Tage dauern. Du willst doch, dass ich deinen Vater und die Reiter suche? Oder soll ich bei dir bleiben?«
»Suche sie! Bring ihnen Hilfe! Ich kann für mich sorgen!«
Er führt die beiden Pferde nach vorn. Er macht sie für den Ritt fertig und schnallt mithilfe des Lassos die Säcke fest, die Angie ihm aus dem Wagen reicht.
Bevor er aufsitzt, brüllt er durch den tobenden Blizzard: »Angie, damit du es weißt: Ich liebe dich! Seit ich dich in Cheyenne zum ersten Mal sah und beim Frontier Day Ball mit dir tanzte, liebe ich dich! Ich komme zurück!« Er wendet sich ab, sitzt schwerfällig auf und verschwindet im Schneegestöber.
Das Mädchen kriecht in den Wagen und schließt die Plane. Vorher hatte es die beiden Maultiere aus ihren Geschirren befreit.
Angie ist allein.
Sie kriecht in ihr Bettzeug.
Später wird ihr wärmer. Der Wind fegt nicht mehr herein. Sie weiß, dass der Wagen zugeschneit ist. Sie sitzt in einer Höhle.
Angie denkt an Jack Slade, der in der weißen Hölle kämpft – der ihr sagte, dass er sie liebt.
✰
Als Jack Slade den Wagen verlässt, weiß er, dass er ihn während des Blizzards nicht wiederfinden kann.
Er verlässt Angie Miles – überlässt sie ihrem Schicksal. Aber der Wagen bietet ihr Schutz. Irgendwann muss sich der Blizzard ausgetobt haben. Jack Slade denkt an Jim Miles, an die Reiter und die Herde.
Er muss versuchen, ihnen Hilfe zu bringen.
Es ist fast aussichtslos.
Wie soll er die Mannschaft in diesem Blizzard finden? Es gibt keine Fährten. Der Schnee deckt sie sofort zu.
Jack Slade hält es für seine Pflicht, das Unmögliche zu wagen. Er ist ein Mann, der sich nur kämpfend geschlagen gibt.
Und so arbeitet er sich durch den Blizzard. Der dicke Büffelfellmantel schützt ihn etwas. Nur seine Füße werden wieder gefühllos. Die Cowboystiefel sind zu dünn. Er müsste Pelzstiefel haben.
So bleibt ihm nichts anderes übrig, als manchmal abzusteigen und zu laufen. Das verhindert, dass die Füße in dieser erbarmungslosen Kälte erfrieren.
Jack Slade reitet auf seinem eigenen Pferd, einem großen, hageren, pechschwarzen Wallach. Und Black, so heißt der Schwarze, kann durchhalten. Angie Miles' ramsnasiger Pinto, der die beiden mit Kleidung und Proviant gefüllten Säcke trägt, ist auch ein Kämpfer.
Die beiden Pferde haben mutige Herzen.
Sie schaffen es bis zu den Bergen. Hier ist der Wind nicht mehr so erbarmungslos. Aber die Schneewehen füllen alle Canyons, Schluchten und Talkessel, die durchritten werden müssen.
Jack spürt die Erschöpfung, die unbarmherzige Kälte. Er dringt weiter in die Berge, ohne eine Spur von der Herde zu finden.
Es muss inzwischen Tag geworden sein, die Sicht ist etwas besser.
Jack Slade wird immer müder und erschöpfter. Seine Füße sind Eisklumpen. Er sehnt sich danach, ein Feuer anzuzünden, seinen erstarrten Körper aufzuwärmen.
Dennoch kämpft er sich weiter und weiter.
Sein Pferd stolpert plötzlich über ein Hindernis.