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Als Sally dem Fremden den Frühstückskaffee bringt, wird sie sich bewusst, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Mann sah, der ihr so gut gefiel wie dieser.
Aber so viele Männer seines Alters hat sie eigentlich auch noch gar nicht gesehen. Es ist ja noch nicht lange her, dass sie aus den Hügeln kam. Und dort sah sie jahrein, jahraus nur ihren zumeist betrunkenen Vater und die sieben wilden Brüder, die ebenfalls öfter betrunken als nüchtern waren.
Nun, sie lief dann fort, kam irgendwann in diese kleine miese Stadt und fand einen Job in diesem Hotel. Gleich in der ersten Woche tat ihr jemand Gewalt an, und als es vorbei war, da begriff sie, dass sie ihren Job verlieren würde, wenn sie jetzt zum Marshal lief.
Sie ist noch keine achtzehn Jahre alt. Dennoch weiß sie eines: Sie muss weg von hier. Denn wenn sie bleibt, wird ihr das in dieser miesen Stadt und diesem schäbigen Hotel wieder passieren, und sie weiß plötzlich noch etwas: Wenn es einen Menschen gibt, der ihr helfen wird, dann ist es dieser Mann ...
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Last Chance Saloon
Vorschau
Impressum
Last Chance Saloon
Als Sally dem Fremden den Frühstückskaffee bringt, wird sie sich bewusst, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Mann sah, der ihr so gut gefiel wie dieser.
Aber so viele Männer seines Alters hat sie eigentlich auch noch gar nicht gesehen. Es ist ja noch nicht lange her, dass sie aus den Hügeln kam. Und dort sah sie jahrein, jahraus nur ihren zumeist betrunkenen Vater und die sieben wilden Brüder, die ebenfalls öfter betrunken als nüchtern waren.
Nun, sie lief dann fort, kam irgendwann in diese kleine miese Stadt und fand einen Job in diesem Hotel. Gleich in der ersten Woche tat ihr jemand Gewalt an, und als es vorbei war, da begriff sie, dass sie ihren Job verlieren würde, wenn sie jetzt zum Marshal lief.
Sie ist noch keine achtzehn Jahre alt. Dennoch weiß sie eines: Sie muss weg von hier. Denn wenn sie bleibt, wird ihr das in dieser miesen Stadt und diesem schäbigen Hotel wieder passieren, und sie weiß plötzlich noch etwas: Wenn es einen Menschen gibt, der ihr helfen wird, dann ist es dieser Mann ...
Er ist ein hellblonder und blauäugiger Bursche in einem eleganten Reiseanzug. Sein gefaltetes Hemd ist blütenweiß. Und er hat geschmeidige Hände. Am linken Kleinfinger trägt er einen funkelnden Brillantring.
Als er sie ansieht, lächelt sie.
Sie bemerkt das Staunen in seinen Augen. Wahrscheinlich hat er sie vorher gar nicht so richtig angesehen. Sie ist ja auch sehr ärmlich gekleidet, eben wie ein Siedlermädchen, das die meiste Zeit des Jahres barfuß gehen muss.
Ihr Lächeln hat ihn ihre Schönheit erkennen lassen. Und weil er ein Mann ist, der sich auf Frauen versteht, stellt er sie sich in diesem Moment mit gewaschenen Haaren und reizvoller Kleidung vor.
Er sagt, wobei er ihr Lächeln erwidert: »Danke, Miss – oh, ich weiß leider nicht Ihren Namen. Aber ich denke, es wird ein hübscher Name sein, ein Name, der Ihnen angemessen ist.«
»Sally«, hört sie sich leise erwidern. »Ich heiße Sally.«
»O ja«, lächelt er, »das ist ein hübscher, lustig klingender Name. Es tut mir leid, dass ich jetzt gleich mit der Postkutsche weitermuss. Denn ich glaube, es hätte uns beiden Spaß gemacht, wenn wir uns näher und besser kennen gelernt hätten.«
Sie nickt, leckt sich über die wundervoll geschwungenen Lippen und muss dann etwas würgend schlucken.
Sie möchte zu ihm sagen: Bitte nehmen Sie mich mit. Ich muss hier fort. Aber ich habe kein Reisegeld. Denn ich bekomme erst in zwei Wochen meinen Lohn, und das werden auch nur fünf Dollar sein. Bitte nehmen Sie mich mit.
Ja, das möchte sie sagen.
Aber sie kommt nicht dazu.
Denn von draußen tönt durch die offene Tür eine harte Stimme in den Speiseraum des Hotels: »Hoiii, Whitehead! Komm heraus, Whitehead! Hier sind die Hackets! Komm durch die Vordertür! Hinten warten vier von unseren Reitern auf dich. Komm also, damit wir dich nach Three Forks zurückbringen, wo du nach Recht und Gesetz gehenkt werden wirst. Komm raus, Whitehead!«
Das Lächeln des Mannes verschwindet.
Er blickt auf die offene Tür. Dann sieht er zu Sally empor, welche immer noch an seinem Tisch und neben dem Stuhl verharrt.
»Whitehead, das ist mein Name, Sally«, sagt er. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Jeden«, erwidert sie impulsiv. »Fast jeden«, verbessert sie sich dann.
Nun lächelt er wieder, aber sie erkennt, dass sein Lächeln jetzt anders ist. Es ist mehr ein Zähnezeigen.
»Dann treten Sie vor die Tür auf den Gehsteig und sagen Sie den Hackets, dass ich kommen würde, sobald ich das Frühstück beendet hätte. Und dabei merken Sie sich genau die Position der Hackets. Ich will wissen, wo sie stehen. Es müssten drei sein. Wollen Sie das für mich tun, Sally?«
Sie sieht ihn einige Atemzüge an.
»Warum will man Sie in Three Forks hängen, Whitehead?« Sie fragt es ernst.
Er lächelt nun wieder anders, nämlich verständnisvoll und nachsichtig.
»Die Frage kann ich verstehen«, murmelt er. »Ich bin ein Spieler, Sally, ein berufsmäßiger Spieler. Ich habe in Three Forks mit einem Hacket Karten gespielt. Er verlor in einer langen Nacht den Erlös für eine kleine Rinderherde an mich, die er an den Indianeragenten verkauft hatte. Als er pleite war, beschuldigte er mich des Falschspiels und zog seinen Colt. Wenn ich nicht schneller gewesen wäre als er, hätte er mich getötet. Nun sind sein Vater und seine Brüder hier. In Three Forks hätte ich keine Chance.«
Als er den letzten Satz spricht, erinnert sie sich daran, dass auch sie hier in dieser miesen Stadt keine Chance gehabt hätte, wäre sie vor zwei Wochen zum Marshal gegangen, um den Mann anzuzeigen, der ihr gegen ihren Willen die Unschuld raubte.
Sie ist plötzlich ganz und gar auf Whiteheads Seite.
Und so nickt sie. »Ich mache das«, sagt sie leise und geht zur Tür.
Langsam tritt sie hinaus auf den Plankengehsteig in die Morgensonne. Und da sieht sie die drei Hackets.
»He, Süße«, sagt einer der Hackets, »sitzt er da drinnen? Hat er es gehört?«
»Er hat mich rausgeschickt«, erwidert sie, »um Ihnen zu sagen, dass er nach dem Frühstück kommen wird. Sie möchten sich ein wenig gedulden. Es dauert nicht mehr lange, dann steht er Ihnen zur Verfügung.«
Sally bemüht sich, klar und präzise zu sprechen, so wie sie es als Kind von ihrer Mutter lernte, die Lehrerin war, bevor sie die Dummheit beging, Jim Mallone in die Hügel zu folgen und dort in einer Hütte zu leben und jedes Jahr ein Kind zu gebären.
Sie wartet auch nicht auf eine Erwiderung der Hackets, sondern kehrt in den Speiseraum des Hotels zurück.
Whitehead sitzt noch am Tisch und genießt die frischen Biskuits.
»Nun, Sally?« Er fragt es kauend.
Sie tritt wieder zu ihm. Dann sagt sie: »Der Alte steht genau vor dem Eingang mitten auf der Fahrbahn. Die beiden anderen stehen rechts und links auf dem Plankengehsteig. Sie haben Revolver und Schrotflinten. Ein Stück weiter links sind sieben Sattelpferde angebunden.«
»Gut«, sagt Whitehead. »Wollen Sie mir noch einen Gefallen tun, Sally?«
Sie sieht auf ihn nieder.
»Ich will, Whitehead«, erwidert sie.
»Mein Vorname ist Tyrel«, lächelt er. »Meine Freunde nennen mich einfach nur Ty. Und wir sind jetzt gute Freunde, Sally.«
»All right, Ty«, erwidert sie. Es ist ein etwas spröder Klang in ihrer Stimme.
Er leert die Kaffeetasse. Dann deutet er zum Durchgang, welcher hinüber in die Hotelhalle führt, von der man auf den Gehsteig treten kann wie hier aus dem Speiseraum auch.
»Dort in der Halle steht eine große Tonvase«, spricht er. »Sally, du könntest sie durch die offene Tür auf den Plankengehsteig werfen, sodass sie zerbricht. Das könnte mir helfen.«
Sie schluckt etwas mühsam und nickt dann.
»Wann?« So fragt sie schlicht.
»Sobald ich angefangen habe, mit den Hackets Worte zu wechseln. Möglichst früh also, kaum dass wenige Worte geredet wurden. Und du sollst das Ding nur hinauswerfen, nicht selbst hinausgehen, verstehst du?«
»Genau«, sagt sie und betrachtet ihn fest.
»Dann geh, Sally«, murmelt er. Jetzt lächelt er nicht mehr. Sein Gesicht ist ausdruckslos.
Sie wendet sich wortlos ab und geht hinüber.
Sie ist allein in der kleinen Vorhalle, verharrt auf dem abgenutzten, schon durchlöcherten Teppich.
Nach zwei Atemzügen nimmt sie die große Tonvase auf. Aber dann stellt sie diese wieder hin und entscheidet sich für die beiden Messingspucknäpfe. Sie ist der Meinung, dass diese Messingdinger sehr viel mehr scheppern und Krach machen als die Tonvase. Die Hackets werden einen Sekundenbruchteil abgelenkt sein.
Indes sie die Spucknäpfe nimmt und dicht an den offenen Eingang tritt und auf den Wortwechsel wartet, da denkt sie: Wie kann er das schaffen?
Dann hört sie die Stimmen.
Und sie tut genau das, was Whitehead ihr aufgetragen hat. Sie wirft die Dinger mit aller Kraft durch den offenen Ausgang auf die Gehsteigplanken.
Es scheppert gewaltig, etwa so, als würde ein Beckenschläger seine Topfdeckel ähnlichen Instrumente zusammenschlagen.
Und dann krachen auch schon die Schüsse. Zuerst hört sie das schnelle Krachen eines Colts – einmal, zweimal, dreimal. Und dazu brüllen Männerstimmen. Dann krachen Schrotflinten.
Das alles geschieht binnen ein oder zwei Sekunden.
Oh, wie lang können Sekunden sein, wenn Gewalttat ausbricht und Männer sich gegenseitig umzubringen versuchen!
Dann ist es still für einen Moment.
Aber bald schon hört man Männer stöhnen, Männer, welche getroffen wurden und vielleicht ihre letzten Atemzüge tun.
Sally tritt auf den Plankengehsteig.
Und da sieht sie es.
Der Alte liegt mitten auf der Fahrbahn am Boden, so, wie er in den Staub fiel. Vor ihr kniet einer seiner Söhne auf den Planken, hält sich die Hände und Unterarme gegen den Leib.
Und auf der anderen Seite des Eingangs zum Speiserestaurant hält sich der andere Sohn am Stützbalken des vorgebauten Obergeschosses fest. Nun rutscht er daran zu Boden und legt sich auf die Seite.
Ty Whitehead aber lehnt neben dem Ausgang an der Hauswand, den rauchenden Colt noch in der Faust. Mit der freien Hand hält er sich die Seite.
Sally geht langsam zu ihm. Aber er blickt an ihr vorbei die Straße hinunter. Dort kommt nun die Postkutsche herangerollt.
Aber es kamen auch überall Menschen aus den Häusern und dem Store. Der Storehalter, der zugleich Town Marshal ist, kommt herangelaufen und ruft: »Was war das? Verdammt, was war das?«
Als er bei Sally und Whitehead ist, sagt dieser: »Halten Sie sich nur heraus, Mann. Dies ist nichts, um das sich diese Stadt kümmern sollte. Verstanden?«
Er sieht dann Sally an. »Danke, Sally«, sagt er auf sie nieder. »Danke, kleine Sally.«
Aber sie schüttelt den Kopf.
»Nimm mich mit, Ty«, verlangt sie. »Du bist mir etwas schuldig, nimm mich ein Stück auf deinem Weg mit, ja?«
Die Postkutsche kommt nun heran, und wie immer hält sie beim Hotel, nachdem sie im Wagenhof soeben das Gespann wechselte.
»Nimm mich mit aus diesem armseligen Nest, in dem einige Dreckskerle wohnen«, sagt Sally wieder, und in ihren grünen Augen steht eine flehende Bitte.
Er ist angeschossen, hat Schmerzen und ganz gewiss einige Sorgen. Doch er nickt.
»Sicher, Sally«, sagt er, »dich nehme ich mit. Denn ich glaube, du bist ein noch ungeschliffener und ungefasster Edelstein. Oha, ich werde dich noch zum Funkeln und Strahlen bringen. Da nimm meine Reisetasche. Und dann hinein in die Kutsche.«
Sie sieht seine Reisetasche, welche er schon mit hinausgenommen hatte, erst jetzt und nimmt sie ihm ab.
Er öffnet ihr trotz seiner Verwundung den Schlag der anhaltenden Kutsche.
Der Fahrer fragt zum Storehalter nieder: »Dürfen sie mit, O'Connor?«
»Ja, nimm sie mit. Die Stadt will mit dieser Fehde nichts zu tun haben. Fort mit ihnen!«
In der neunsitzigen Abbot & Downing-Kutsche sind noch drei Plätze frei. Es ist die ganze hintere Bank. Also haben sie Platz.
Als sie sitzen, sagt Ty Whitehead: »Sieh in meiner Reisetasche nach, Sally. Da muss ein sauberes Handtuch sein. Gib es mir.«
Sie findet das Handtuch schnell, reicht es ihm. Er hat indes sein Hemd aufgeknöpft. Nun sieht sie die Wunde. Es ist eine blutige Furche über einer Rippe. Das ganze Hemd ist schon blutig. Er drückt das Handtuch auf die Wunde und hält es dort fest aufgepresst.
Einer der Fahrgäste sagt: »Mister, Sie hatten wohl Ärger in diesem Nest?«
»Ach«, erwidert Whitehead, »der Ärger vergeht. Doch die Freude bleibt. Denn ich hatte auch Freude in dieser Town – und habe sie immer noch.«
Dabei sieht er Sally an. Diese begreift seine Worte sofort. Und sie nimmt sich vor, ihm wirklich nur Freude zu machen.
Wahrscheinlich begreift sie noch nicht richtig, was mit ihr geschehen ist. Aber irgendwie ist dieser Ty Whitehead für sie eine Art Ritter, der sie wie im Märchen aus der Gewalt des Drachen befreite wie eine Prinzessin.
Sie hält ihn für einen ganz besonderen Mann – und das nicht nur deshalb, weil er furchtlos gegen die drei Hackets kämpfte und sie besiegte, o nein, nicht nur deshalb.
Sally lief ihrer Sippe weg, weil sie in die weite Welt wollte. Und nun befindet sie sich an der Seite eines Spielers und Abenteurers. Oh, was alles wird sie nun erleben können!
Sie ist begierig darauf.
✰
Zwei Tage später erreichen sie Saint Louis und steigen in einem kleinen Hotel bei den Anlegebrücken ab. Tys Wunde hat sich etwas entzündet.
Sie lassen einen Arzt kommen, der die Wunde endlich richtig versorgt, sodass es Ty Whitehead bald schon sehr viel besser geht.
Sie lassen sich eine Badewanne in ihre sehr noblen und miteinander verbundenen Zimmer bringen. Dann bestellt Whitehead von einem Modegeschäft eine ganze Auswahl der schönsten Sachen zur Anprobe, lässt für Sally auch eine Friseuse kommen. Sally staunt nur und hält das alles nicht für möglich.
Und in dieser Nacht erlebt Sally das, was sie für die große, reine und so wunderbare Liebe hält. Sie hat manchmal davon geträumt und sich gewünscht, dass sie es mal erleben könnte.
In dieser Nacht wird das Mädchen Sally Mallone in den Armen des Spielers und Abenteurers Ty Whitehead zu einer glücklichen Frau. Ja, sie liebt ihn über alle Maßen und schwört sich, dass sie ihm nicht nur eine wunderbare Geliebte, sondern auch eine wirkliche Gefährtin durch dick und dünn sein wird.
Sie erzählt Ty Whitehead auch, was ihr kürzlich geschah. Er hält sie fest im Arm dabei, und sie spüren die Wärme ihrer Körper und den Schlag ihrer Herzen.
Nach einer Weile murmelt er: »O Sally, du bist zwar beschmutzt worden, aber vergiss es. Doch wenn wir diesem Kerl mal begegnen sollten, dann zeig ihn mir. Und ich werde ihn töten.«
Er spricht es ganz ruhig. Dennoch spürt sie, dass er es wirklich tun wird, und sie denkt: Oh, er wird mich immer beschützen. Ich bin sein kostbarster Besitz geworden. Wie sehr hat sich mein Leben geändert! Ich bin ja so glücklich.
✰
Sie bleiben eine Woche in Saint Louis, und Ty Whitehead rührt in dieser Woche keine einzige Karte an.
Dafür bringt er am fünften Tag eine Mrs Rosa Marbeth mit ins Hotel. Mrs Marbeth sieht ungemein würdig und seriös aus, ganz und gar wie eine gut situierte Lady, etwa die Frau eines wichtigen und großen Mannes. Und sie spricht bestes Bostoner Englisch.
Whitehead bringt Mrs Marbeth mit herauf in die Zimmer und stellt ihr Sally vor.
»Das ist sie, Rosa. Wie gefällt sie dir?«
Mrs Marbeth geht langsam um Sally herum und begutachtet diese eingehend. Und dann beginnt sie mit ihr ein wenig zu plaudern, ihr Fragen zu stellen und sie mehr und mehr in ein eigentlich belangloses Gespräch zu verwickeln.
Das alles dauert fast zehn Minuten.
Dann wendet sich Mrs Rosa Marbeth an Whitehead und nickt diesem zu.
»Ja, sie ist ein ungeschliffener Edelstein. Aus der mache ich äußerlich eine perfekte Lady. Ob sie es von Charakter sein wird, dies lässt sich nicht einstudieren. Sie ist ziemlich wild aufgewachsen.«
»Aber meine Mutter war Lehrerin und unterrichtete mich, bis ich zehn Jahre alt war«, sagt Sally etwas trotzig. »Ich könnte Ihnen sogar ausrechnen, wie viel Wasser in Ihren Hut hineingeht.«
Da nickt Mrs Marbeth freundlich. »Wie schön für dich, Sally, dass du so klug bist und ich dir deshalb so viel werde beibringen können. Wie schön für dich.«
Da sieht Sally Ty mit funkelnden Augen an.
»Was soll das? Bin ich dir so, wie ich bin, nicht gut genug?«
»Du bist prächtig.« Er grinst. »Aber du sollst funkeln und strahlen wie ein wunderschöner Brillant. Du sollst all diese Burschen blenden, denen ich das Fell über die Ohren ziehen werde. Wir treten als jungvermähltes Paar auf der Hochzeitsreise auf. Ich bin ein reicher Minenbesitzer, der seiner jungen Frau New Orleans zeigen will. Und Rosa Marbeth ist meine Schwiegermutter, deine Mutter also, die darauf achtet, dass ihrem Engelchen nichts geschieht, die sich immer wieder in unsere Ehe einmischt, sodass ich manchmal wütend werde und mir einen antrinke und auch spiele, dich deshalb allein oder bei der Mutter weinen lasse in der Kabine. Verstehst du?«
Sally nickt. »O ja«, erwidert sie. »Du willst dich tarnen wie ein Wolf, der sich einen Schafspelz umhängt.«
»Und? Gefällt es dir nicht?« Er fragt es fast lauernd.
Da nickt sie heftig. »O ja, es gefällt mir.«
»Na siehst du«, sagt er. »Und deshalb wird Rosa aus dir eine Lady machen.« Er wendet sich Rosa Marbeth zu. »Also gut, meine liebe Freundin, gehen wir an die Arbeit.«
»Woher kennst du sie?« Sally fragt es neugierig.
»Aus Frisco«, erwidert er. »Sie war dort mal Geschäftsführerin des nobelsten Bordells der ganzen Westküste. Aber nun wollte sie sich zur Ruhe setzen. Ich habe sie hier zufällig getroffen und konnte sie davon überzeugen, dass ihr die Ruhe zu eintönig werden würde. Du kannst wirklich viel von ihr lernen, Sally.«
»Das glaube ich«, erwidert diese und sieht fest in die Augen der erfahrenen Mrs Rosa Marbeth. »Ja, das glaube ich«, wiederholt sie.
✰
Für Sally, die unter primitiven Verhältnissen mit wilden Brüdern und einem Vater lebte, die alle Säufer waren, ist das alles wie ein Wunder.
Sie fahren ständig zwischen New Orleans und Saint Louis auf den Luxussteamern, wohnen in noblen Luxuskabinen und führen ein Leben wie die verwöhnten Reichen.
Das Kleeblatt spielt seine Rolle gut.
Man kommt gar nicht auf die Idee, dass Ty Whitehead ein getarnter Kartenhai ist. Und so wird er eingeladen oder aufgenommen in Spielrunden, die niemals einen berufsmäßigen Kartenhai an ihrem Tisch dulden würden.
Ein Jahr vergeht auf diese Weise, ein langes und dennoch so kurzes Jahr – lang, weil Sally so viel über diese Welt und die Menschheit lernt wie die meisten Frauen ihr ganzes Leben nicht, und kurz, weil alles so wunderschön ist auf den Luxusschiffen des mächtigen Mississippi und jeder Tag und jede Nacht immer wieder neue Abenteuer und Erlebnisse bringen.
Als sie sich dann wieder einmal auf einem Steamer New Orleans nähern, da sagt Ty Whitehead zu Rosa Marbeth, indes sie an der Reling lehnen und die vorübergleitende Uferlandschaft genießen: »Wir müssen hier auf dem Mississippi aufhören. Unsere Masche zieht immer weniger. Man kennt uns schon, besonders die Zahlmeister der Schiffe. Aber auch einige Geschäftsleute fahren mehrmals im Jahr diese Strecke. Vorhin fragte mich ein Mann, welcher in Kansas City einige Schiffsladungen Büffelhäute ersteigerte, wie oft ich mit meiner jungen Frau und der bösen Schwiegermutter denn auf Hochzeitsreise ginge. Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, in seriöse Spielrunden hineinzukommen. Wir müssen uns ein anderes Jagdgebiet suchen, Rosa.«