G. F. Unger 2218 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2218 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Müde, steif und halb verdurstet von der langen Reise verlässt Kate Overmile die Postkutsche, und sofort verspürt sie die sengende Glut der Sonne. Kates grüngraue Augen werden so schmal wie die einer Katze. Dann bläst sie eine dunkle Locke aus ihrer Stirn und richtet sich noch straffer auf.
Langsam, aber mit der stolzen Haltung eines selbstbewussten Mädchens, geht Kate quer über den Hof zum Brunnen. Geschickt lässt sie die hölzerne Schöpfkelle hinunter und holt sich frisches Wasser herauf. Es kommt ihr sehr kühl und frisch vor - und doch ist es ziemlich lau. Sie trinkt langsam und bedächtig.
Kate sieht zum äußersten Ende der Haltestange. Dort steht ein sehr großes und sehr hässliches Pferd. Es steht etwas abseits von den anderen Tieren. Sein linkes Ohr ist verstümmelt. Oh, denkt sie, das ist wahrlich ein einsamer Wolf unter seinen Artgenossen. Wie mag sein Herr aussehen? Was für ein Mann besitzt dieses Tier? Fast verspürt sie den Wunsch, in die Schänke zu gehen und dort nach dem Reiter zu fragen. Aber das geht nicht. Sie trinkt noch einmal und stellt dann die Schöpfkelle auf den Brunnenrand. Im selben Moment hört sie Hufschläge.
Zwei Reiter kommen in den Hof geritten und halten auf die Lücke zu, die zwischen dem grauen Wallach und den anderen Pferden ist. Ihre scharfen Augen ruhen einen Moment auf dem Mädchen, schweifen dann in die Runde.
Als der eine Reiter dicht an der Hinterhand des narbigen Wallachs vorbeireitet, schlägt dieser ohne jede Warnung aus. Dabei sieht es so aus, als wollte er das fremde Pferd gar nicht treffen - nur warnen, nicht in seine Nähe zu kommen. Das erschreckte Tier steigt sofort hoch, wiehert schrill und macht einen Satz zur Seite. Der Reiter hat schon einen Fuß aus dem Steigbügel genommen, denn er will in der nächsten Sekunde absitzen. Nun wird er durch den jähen Satz des Pferdes abgeworfen und landet im Staub ...


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Seitenzahl: 162

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Feuerkopf

Vorschau

Impressum

Feuerkopf

Müde, steif und halb verdurstet von der langen Reise verlässt Kate Overmile die Postkutsche, und sofort verspürt sie die sengende Glut der Sonne. Kates grüngraue Augen werden so schmal wie die einer Katze. Dann bläst sie eine dunkle Locke aus ihrer Stirn und richtet sich noch straffer auf.

Langsam, aber mit der stolzen Haltung eines selbstbewussten Mädchens, geht Kate quer über den Hof zum Brunnen. Geschickt lässt sie die hölzerne Schöpfkelle hinunter und holt sich frisches Wasser herauf. Es kommt ihr sehr kühl und frisch vor – und doch ist es ziemlich lau. Sie trinkt langsam und bedächtig.

Kate sieht zum äußersten Ende der Haltestange. Dort steht ein sehr großes und sehr hässliches Pferd. Es steht etwas abseits von den anderen Tieren. Sein linkes Ohr ist verstümmelt. Oh, denkt sie, das ist wahrlich ein einsamer Wolf unter seinen Artgenossen. Wie mag sein Herr aussehen? Was für ein Mann besitzt dieses Tier? Fast verspürt sie den Wunsch, in die Schänke zu gehen und dort nach dem Reiter zu fragen. Aber das geht nicht. Sie trinkt noch einmal und stellt dann die Schöpfkelle auf den Brunnenrand. Im selben Moment hört sie Hufschläge.

Zwei Reiter kommen in den Hof geritten und halten auf die Lücke zu, die zwischen dem grauen Wallach und den anderen Pferden ist. Ihre scharfen Augen ruhen einen Moment auf dem Mädchen, schweifen dann in die Runde.

Als der eine Reiter dicht an der Hinterhand des narbigen Wallachs vorbeireitet, schlägt dieser ohne jede Warnung aus. Dabei sieht es so aus, als wollte er das fremde Pferd gar nicht treffen – nur warnen, nicht in seine Nähe zu kommen. Das erschreckte Tier steigt sofort hoch, wiehert schrill und macht einen Satz zur Seite. Der Reiter hat schon einen Fuß aus dem Steigbügel genommen, denn er will in der nächsten Sekunde absitzen. Nun wird er durch den jähen Satz des Pferdes abgeworfen und landet im Staub ...

Sein Gefährte zügelt seinen struppigen Mustang, reißt ihn herum und beruhigt das erschreckte Tier des Abgeworfenen. Dann grinst er seltsam.

»Oha, Jack – dieser Gaul hat sich einen verdammten Spaß erlaubt, was? So schnell wolltest du bestimmt nicht absteigen?«

Der andere Mann hat sich aufgesetzt und starrt zuerst erstaunt und dann wütend auf den grauen Wallach, der jetzt ruhig an der Haltestange steht und das gesunde Ohr spielen lässt. Es sieht so aus, als hätte sich der Graue überhaupt nicht bewegt und döste vor sich hin.

Als der Mann aber aufspringt und dabei in die Nähe des Tieres kommt, feuert es wieder aus.

Mit einem bösen Fluch weicht der Mann zurück, und zugleich bricht ein wilder und böser Zorn aus ihm.

»Hölle! Oh, Hölle! Na warte, du verdammter Mistbock!«

Er brüllt es heiser und springt zu seinem Pferd, das sich inzwischen wieder beruhigt hat. Am Sattelhorn hängt eine schwere Bullpeitsche, wie Herdentreiber sie benutzen. Er reißt sie mit einem schnellen Griff herunter, wirbelt herum und springt auf den Wallach zu. Dessen Zügel haben sich längst von der Stange gelöst. Wie eine Katze wirbelt das mächtige Tier herum, beginnt mit der Vorderhand zu steigen und wiehert wild. Und als der fluchende Mann ihm das lange Leder über Brust und Hals zieht, greift das Tier an. Es treibt den Mann vor sich her zum Brunnen hin. Der vor Wut und Schreck brüllende Mann schlägt noch zweimal mit der Peitsche zu, kommt sehr in Bedrängnis, lässt die Peitsche fallen und läuft halb um den Brunnen herum. Dabei zieht er seinen Colt.

»Das Biest gehört in die Hölle!«, heult er böse. »Und ich gebe dir jetzt deine Fahrkarte dorthin, du Mistbock!«

Er hebt den Colt und zieht den Hammer zurück.

Der graue Wallach ist stehen geblieben und hat nicht mehr angegriffen, als der Mann sich zur Flucht wandte und die Peitsche fallen ließ. Als der Mann jetzt mit seinem Colt auf das Tier zielt, duckt es sich zusammen, streckt den langen Hals vor, hebt die Oberlippe und wiehert böse. Aber es bewegt sich sonst nicht – es ist viel zu klug und kennt die Bedeutung der Feuerwaffen, als dass es in eine Kugel rennen würde.

Kate Overmile hat inzwischen nur den Mann beobachtet. Einen Atemzug lang hofft sie, dass der Kerl seine Drohung nicht wahr machen würde. Aber dann erkennt sie das böse Funkeln in den Augen des Mannes und weiß plötzlich, dass er wirklich schießen wird.

Da ergreift sie die hölzerne Schöpfkelle und wirft sie über den Brunnen hinweg gegen den Mann. Sie trifft ihn an der Schulter – im selben Moment, da er abdrückt.

Deshalb trifft seine Kugel nicht, sondern pfeift über die anderen Pferde hinweg und schlägt drüben in die Scheunenwand.

»Schießen Sie nicht, Sie Narr!«, ruft Kate scharf.

Dann hört sie von der Schenke her einen scharfen Ruf.

»He, Colonel! An deinen Platz zurück, du Rowdy!«

Es ist eine sehr männliche und sehr klangvolle Stimme. Kate sieht sich jedoch nicht nach dem Rufer um – sie beobachtet den hageren Mann und sieht fest in die harten Augen, die sie einen Moment anstarren. Dabei sagt der Mann: »Sie können verdammt froh sein, dass Sie kein Mann sind, Lady!«

»Das können Sie auch«, erwiderte Kate, »denn wenn ich ein Mann wäre, würde ich Sie jetzt verprügeln! Jeder Knabe, der reiten kann und nur drei Gramm Pferdeverstand besitzt, hätte gesehen, dass dieser graue Wallach aus gutem Grund abseits der anderen Tiere angebunden war. Er wäre in einem Bogen um das Tier herumgeritten. Als der Wallach ausschlug, wollte er noch nicht einmal treffen – nur warnen, ihm nicht näher zu kommen. Mister, als Reiter müssten Sie wissen, dass es Einzelgänger unter den Pferden gibt. Sie haben auch nicht mehr richtig im Sattel gesessen und sind deshalb abgeworfen worden, als Ihr Pferd scheute. Nur ein Narr geht dann mit einer Bullpeitsche auf ein Tier los! Oh, es ist ein prächtiges Tier! Es ist stolz und mutig! Es lässt sich nicht einfach mit einer Bullpeitsche verprügeln! Was sind Sie nur für ein Mensch, Mister, dass Sie auf das Tier schießen wollten? Sie müssen sich sehr minderwertig fühlen, dass Sie auf ein Pferd, das sich nicht verprügeln lässt, mit einem Revolver schießen! Oh, wenn ich ein Mann wäre, würde ich Sie wahrhaftig verprügeln!«

Diese Worte der Verachtung schleudert das Mädchen dem Mann entgegen.

Der starrt sie aus funkelnden Augen an und kratzt sich mit dem Coltlauf unter dem stoppelbärtigen Kinn.

Dann richtet er seinen Blick in eine andere Richtung, und auch Kate sieht auf den Mann, der lässig mit langen Schritten über den Hof kommt. Auch wenn Kate nicht eben die Stimme gehört hätte, würde sie diesen Mann sofort als den Besitzer des narbigen Wallachs erkannt haben.

Es ist ein großer, geschmeidiger und wahrhaft prächtig gewachsener Cowboy. Seine blaugrauen Augen blitzen über der kühnen Nase. Weiße Zähne blitzen in dem braunen Gesicht. Unter dem zurückgeschobenen Stetson leuchtet feuerrotes Haar, dessen kräftige Farbe selbst durch das grelle Sonnenlicht nicht gemildert wird – vielleicht wirkt es sonst nur dunkler.

»Stecken Sie den Colt weg!«, ruft der Rotkopf scharf und geht genau auf den Mann zu.

Der starrt ihn fast erschrocken an, schiebt den Colt ins Holster und hebt die Hände.

»Schon gut – schon gut! Ich wusste nicht, dass es Ihr Pferd ist!«

Er ruft es fast ängstlich, und es sieht lächerlich aus, dass er die Hände in die Höhe hält, obwohl der rotköpfige Cowboy ihn gar nicht mit der Waffe bedroht.

Der Rotkopf bleibt stehen. »Ah, Sie kennen mich, Freund? Nun, Sie können sich bei der Lady bedanken, Sie Narr! Es wäre ziemlich schlimm für Sie geworden, wenn Sie Colonel getroffen hätten. Oh, ich weiß, dass er ein Rowdy ist. Aber er tut keiner Fliege etwas zuleide, wenn man ihm zumindest zwei Yards fernbleibt. Verschwinden Sie, Sie Narr!«

Er sieht den Mann aus zwingenden Augen an. Und der geht schnell in einem großen Bogen um ihn herum und zu seinem Sattelgefährten, der vor ihren Pferden steht und die Hand am Colt hat. Sie binden ihre Pferde an und drängen sich schweigend durch die Männergruppe vor der Tür in die Schenke hinein.

Kate Overmile ertappt sich dabei, dass sie den rotköpfigen Mann neugierig betrachtet. Zugleich erkennt sie aber auch, dass sie noch nie einen Mann gesehen hat, von dem eine solch kühne und kaum gebändigte Wildheit und eine solch zwingende Kraft ausging.

Er muss an die dreißig Jahre sein. Er lächelt sie an, und in seinen Augen erkennt sie jetzt ein respektvolles Kompliment, das nicht zuletzt auch ihrer Schönheit gilt.

»Lady, ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet«, sagt er. »Der verrückte Narr hätte Colonel bestimmt erschossen, und ich hätte den Burschen dann ...« Er verstummt für einen Moment, aber in seinen Augen tanzen für einen Moment kalte Funken. Kate begreift, dass der große Mann sehr hart und rau werden kann. »Colonel ist ein treuer und zuverlässiger Partner. Ich liebe ihn wie einen Bruder – ja, obwohl er nur ein Pferd ist.«

»Er hat Ihnen gewiss schon das Leben gerettet«, sagt sie leise und verständnisvoll.

»Mehr als einmal, Lady, denn wir sind schon im Krieg raue Wege geritten. Nun, ich bin Pierce Jones und ...«

»Jetzt erkenne ich Sie«, unterbricht sie ihn.

»Oh«, murmelt er, und sie erkennt, wie er mit einem Mal verlegen wird. »Es ist mein rotes Haar«, lächelt er dann, »ja es hat mir schon eine Menge Kummer eingebracht. Jeder böse Bulle stürzt sich auf etwas Rotes und ...«

»... und nur wenige Männer erkennen es als ein Gefahrensignal«, fährt sie fort.

»Oh«, murmelt er wieder und sieht sie seltsam an.

Drüben klettert der Postkutschenfahrer auf den Bock. Der Begleiter sitzt schon oben und legt die Schrotflinte über die Knie. Die Fahrgäste kommen aus der Schenke und klettern in die Kutsche.

»Sie fährt sonst noch ohne mich ab«, sagt Kate und deutet hinüber. Als sie sich in Bewegung setzt, tritt er an ihre Seite und geht mit langen Schritten neben ihr her. Sie ist nicht klein, sondern über Mittelgröße, eine große, schlanke junge Frau, die lange Schritte macht und sich natürlich bewegt. Aber als er neben ihr hergeht, muss sie zu ihm aufsehen. Er trägt zwar Stiefel mit sehr hohen Absätzen, wie es in diesem Lande bei Reitern Sitte ist, aber er misst auch in Strümpfen gewiss weit über sechs Fuß.

Dann hilft er ihr in die Kutsche und hält die Tür offen.

»Wohin geht übrigens die Reise?«, fragt er dann ruhig und streift die drei männlichen Fahrgäste mit einem kühlen Blick.

»Bis zum Ende der Linie«, sagt sie ernst.

Nun ist Überraschung in seinem Blick.

»Smoky Falls? Oha, Lady! Da reite ich auch hin. Ja, ich will nach Smoky Falls. Aber Sie sind viel früher dort. Die Post wechselt unterwegs noch zweimal das Gespann und mein Colonel muss den ganzen Weg laufen.«

Von oben ruft der Kutscher.

»Tür zu! Ich fahre los! Jooohooo!«

Der letzte Ruf gilt den sechs Pferden, und sie legen sich willig ins Geschirr und springen an.

Pierce Jones tritt zur Seite und zieht den Hut.

Groß, schlank und geschmeidig, selbstbewusst, kühn und ein wenig wild, so steht er da und schwingt den Hut. Und das Mädchen sieht ihn durch das Fenster, lächelt unbewusst und behält das prächtige Bild dieses Mannes in der Erinnerung.

Zwölf Stunden später – es ist Mitternacht – erreicht die Postkutsche das Ende der Linie: Smoky Falls.

Der Fahrer knallt noch einmal mit der Peitsche. Wenig später betätigt er die Bremse. Die leicht schwankende Kutsche hält vor der Poststation.

Eine kleine Menschengruppe hat sich erwartungsvoll versammelt.

Im Schein zweier Lampen erkennt Kate ihren Vater vor einer unruhigen Cowboygruppe. Sie stößt einen zufriedenen Laut aus, denn ihr Vater hat sich anscheinend in den vergangenen Jahren nicht verändert. Obwohl er kleiner als seine Reiter ist, erkennt man ihn sofort als den Boss. Es liegt etwas Stolzes und Zwingendes in der Haltung dieses nur mittelgroßen Mannes.

Kate weiß später nie zu sagen, wie sie aus der Kutsche gekommen ist. Sie beginnt erst wieder bewusst zu denken und zu fühlen, als sie in den Armen ihres Vaters liegt und ihn küsst.

Sie lächelt ihn glücklich an.

»Dad«, sagt sie ernst. »Dad, ich lasse mich nie wieder fortschicken – nie wieder!«

Er hält sie mit ausgestreckten Armen an ihren Schultern vor sich und betrachtet sie ernst und doch sehr glücklich. Sein Lächeln ist warm und froh – und doch etwas bitter.

»Mädel – oha, Mädel«, murmelt er etwas heiser und betrachtet sie immer noch ungläubig. »Well, es war eine lange Zeit. Und du bist erwachsen. Eine Lady! Schön bist du! So schön war deine Mutter, als sie meine Frau wurde. Wenn du nicht ihr Ebenbild wärest, würde ich nie geglaubt haben, dass du meine Tochter sein könntest. Ja, es ist gut für einen Mann, wenn er eine solche Tochter hat. Willkommen daheim, Mädel!«

»Oh, Dad! Ich freue mich so, dass ich wieder bei euch bin! Wo ist Bill? Will er denn seine Schwester nicht ...«

Sie verstummt, denn sie sieht, wie sehr sich der Gesichtsausdruck des Vaters verändert. Sein Gesicht verhärtet sich, wie gemeißelt wirken seine Züge, sehr hart und bitter. Seine schiefergrauen Augen leuchten einmal grimmig auf, dann werden sie schmal. Aber seine Stimme ist ruhig und beherrscht.

»Bill ist verhindert, Mädel.«

Er dreht sich um und zieht sie am Arm neben sich.

»Wir bleiben im Hotel«, sagt er und fasst ihren Arm. Sie fühlt jetzt ganz deutlich, dass etwas passiert sein muss.

Als sie mit ihrem Vater das Zimmer betritt, in dem sie die Nacht verbringen soll, wendet sie sich schnell nach ihm um.

»Dad, was ist geschehen? Ja, ihr habt euch gefreut, dass ich wieder daheim bin. Alle habt ihr euch gefreut. Aber ihr seid so ernst dabei! Keiner der prächtigen Reiter hat Witze gemacht! Selbst Snuffy Dale, der sonst seine Zunge nie ...«

Sie bricht ab, denn inzwischen ist der Vater an sie herangetreten und hat sie in seine Arme genommen.

»Gestern haben wir deinen Bruder Bill beerdigt – hier auf dem Friedhof«, sagt er leise und bitter.

Er ist nicht viel größer als sie. Sie kann ihm fast gerade in die Augen sehen – und sie erkennt darin eine tiefe Trauer, aber auch eine eiskalte Härte – einen Hass.

Während sie dies erkennt, begreift sie seine Worte. Und da verspürt sie den heftigen Schock.

Eine Weile ist sie wie betäubt. Sie hört und spürt nichts. Sie ist wie leer und ausgehöhlt. Dann setzt der Schmerz ein und er nimmt ihr für einen Moment alle Kraft. Wenn der Vater sie nicht hielte, würde sie umfallen.

»Das ist nicht wahr!«, ruft sie plötzlich. Und dann erst begreift sie alles richtig. Sie wird starr. Nach einer ganzen Weile löst sich diese Starre. Sie klammert sich fest an ihren Vater und beginnt zu weinen.

»Ich war jetzt hart zu dir«, murmelt er sanft an ihrem Ohr. »Aber du bist ein Mädchen, das weinen kann. Weinen lindert jeden Schmerz. Ich kann nicht weinen.«

Er führt sie zum Bett. Als sie liegt, zieht er ihr die Schuhe aus. Dann rutscht er auf dem Bettrand dicht neben sie und nimmt ihre Hände. Er sucht eine Weile nach Worten.

»Du bist zu einer schlimmen Zeit heimgekehrt. Bill war ein Sohn nach meinem Herzen. Oh, er war ein Sohn, wie ihn sich alle Väter wünschen und wie ihn nur wenige bekommen. Bitte, verzeih mir, Kate, dass ich ...«

»O Dad, warum ist Bill tot?«

Sie liegt jetzt ganz still. Ihr Körper ist gelöst. Ihre Augen sind von Tränen verschleiert.

Tobias Overmile streicht sanft über Stirn und Wange seiner Tochter.

»Bill war allein hinter einigen Viehdieben her«, murmelt er dann. »Und ein kleiner Rancher – der Bursche heißt Lee Jones – schoss ihn in den Rücken. Es geschah in den Vorbergen des Long Ridge. Bill konnte seinen Mörder aber noch erwischen. Als wir Stunden später den Ort erreichten, weil wir Bill suchten, fanden wir beide. Und der Mörder lebte noch. Wenn er gesund ist, wird er hängen. Ja, Lee Jones wird hängen.«

Er sagt die letzten Worte hart und mit einem kalten Hass.

Obwohl in Kate Schmerz und Verwirrung sind, erinnert sie sich, dass sie am Vormittag diesen Namen schon einmal gehört hat. Plötzlich fällt ihr ein, dass sich der prächtige Reiter, dessen Pferd so mit Narben bedeckt war, Pierce Jones nannte. Und zugleich fällt ihr ein, dass er ebenfalls nach Smoky Falls wollte.

Der Gedanke bewegt sie trotz ihrer Not. Und sie fragt voller Erregung: »Hat dieser Lee Jones einen Bruder – oder, wenn er alt ist, einen Sohn?«

»Was redest du da, Tochter? Ja, er hat einen Bruder. Und dieser Bursche ist ein ganz wilder Tiger, den man mit Dynamit gefüttert hat und der im Krieg für die Südarmee als Captain einige Wunderdinge verrichtet hat. Er hat ...«

»Feuerkopf«, flüstert das Mädchen.

»Du kennst ihn?«

»Er wird in wenigen Stunden hier eintreffen. Ich sah ihn auf dem Weg, ich sprach auch mit ihm – und die Reisenden unterhielten sich über ihn. Er muss sehr bekannt sein.«

»Wenn unter allen schwarzen Pantern der Welt ein roter herumstolziert, so kennt man ihn bald«, murmelt Tobias Overmile.

Als er später in die Hotelhalle kommt, warten schon seine Reiter. Ihre Gesichter sind ernst und drücken eine stumme Frage aus.

»Sie ist eingeschlafen«, sagt Tobias Overmile. »Sie war zu müde von der langen Reise, als dass selbst dieser Schmerz sie wachhalten konnte. Nun, sie hat sich in den Schlaf geweint und wird es morgen schon überstehen.«

Die Männer schlucken hart und nicken wortlos.

Bald darauf kommt ein großer Mann herein.

Er erinnert unwillkürlich an einen prächtigen Löwen, unter dessen Fell sich pralle Muskeln abzeichnen.

Er kommt mit der selbstbewussten Würde eines stolzen Mannes herein, der sich seiner Kraft, seiner Stärke und seiner Fähigkeiten voll bewusst ist. Seine gelben Augen funkeln im Lampenlicht, sein hellbraunes Haar glänzt gelblich und die Flügel seiner Nase blähen sich, vibrieren und verraten etwas von der Unrast und vitalen Energie dieses Mannes.

»Tob«, sagt er mit tiefer und klangvoller Stimme, »es liegt eine Menge Kummer in der Luft. Ich habe eben gehört, dass ...«

»Feuerkopf kommt nach Smoky Falls«, unterbricht Tobias Overmile den großen Mann. Und er muss dabei den Kopf zurücklegen, um Oren Ford in die Augen sehen zu können.

»Was wirst du tun, Tob? Dieser Pierce Jones wird es nicht zulassen, dass sein Bruder ...«

»Es kommt nicht darauf an, was dieser Feuerkopf zulässt«, unterbricht Overmile hart. »Und ich werde ihn erwarten, wenn er in den Ort kommt.«

Die Sonne steht schon über dem mächtigen Long Ridge, als Pierce Jones in die kleine Stadt reitet.

Er sieht die Schmiede, den Eisenladen, die Sattlerei und die Holzhandlung mit der Tischlerei. Ein Leichenwagen steht auf dem Hof, und zwei Männer tragen einen neuen Sarg aus einem Schuppen.

Als Pierce am Barbiersalon vorbeikommt, reibt er sich unwillkürlich über seine rötlichen Bartstoppeln. Dann sieht er die breite Veranda des Smoky Hill Saloons. Ein paar Sattelpferde sind an die Haltestange gebunden.

Aus der Männergruppe, die vor dem Saloon steht, löst sich ein kleiner Mann und kommt mitten auf die Fahrbahn.

»Halt, Pierce Jones!«, ruft der Mann und hebt kurz die Rechte.

Pierce reitet bis auf zwei Schritte an den Mann heran, wendet dann sein Pferd um fünfundvierzig Grad und wartet. Er kann den Mann und auch die Männergruppe vor dem Saloon beobachten. Mit dem feinen Instinkt des geborenen Kämpfers wittert er Verdruss.

Er sieht den kleinen Mann an und er unterschätzt ihn nicht. Tobias Overmile wurde noch niemals von einem anderen Mann unterschätzt.

»Mister«, sagt Pierce sanft und höflich, »ich habe angehalten. Aber wenn Sie etwas von mir wollen, so geben Sie bitte keinen Befehl mehr. Eine Bitte erfülle ich nach Möglichkeit gerne. Haben wir uns verstanden, Mister?«