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»Diese langhornigen Biester haben sich wahrhaftig während des Krieges wie Kaninchen vermehrt, und ich sehe schon den Tag kommen, da sie jeden Quadratzoll von Texas bedecken«, brummt Joe Rock und spuckt einen Strahl braunen Tabaksaft vom Sattel aus auf den Boden. Dann sieht er Jesse Chisholm an, mit dem er vor vielen Jahren auf diese Weide kam. Damals hatten sie drei Kühe und einen Stier bei sich, und nach ihnen kamen andere Männer und suchten sich im weiten Land Weideplätze aus, die so groß wie europäische Fürstentümer sind.
Die Rinder vermehrten sich. Nun bedecken sie zu Hunderttausenden die Weideflächen von Texas. Es gibt jetzt nach dem Krieg keine Absatzmärkte. Das Überangebot hier im Süden ist zu groß. Sie sind nur ihre Häute wert - und das sind manchmal weniger als fünfzig Cent.
Jesse Chisholm nickt bedächtig. Er ist ein großer Mann, und er sitzt so locker und lässig wie ein Indianer auf seinem schwarzen Pferd. Seine grauen Augen schweifen über die Senke, in der sich Rinderrudel bewegen, wilde, langhornige Tiere. Nur wenige sind darunter, an deren Schenkel das alte Brandzeichen zu erkennen ist. Die meisten Tiere sind ungebrannt - weil es sich gar nicht mehr lohnt. Sie sind so gut wie wertlos geworden.
Jesse Chisholm bewegt die mächtigen Schultern. In seinem dunklen und kühn geschnittenen Gesicht beginnt es zu zucken ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Chisholm Trail
Vorschau
Impressum
Chisholm Trail
»Diese langhornigen Biester haben sich wahrhaftig während des Krieges wie Kaninchen vermehrt, und ich sehe schon den Tag kommen, da sie jeden Quadratzoll von Texas bedecken«, brummt Joe Rock und spuckt einen Strahl braunen Tabaksaft vom Sattel aus auf den Boden. Dann sieht er Jesse Chisholm an, mit dem er vor vielen Jahren auf diese Weide kam. Damals hatten sie drei Kühe und einen Stier bei sich, und nach ihnen kamen andere Männer und suchten sich im weiten Land Weideplätze aus, die so groß wie europäische Fürstentümer sind.
Die Rinder vermehrten sich. Nun bedecken sie zu Hunderttausenden die Weideflächen von Texas. Es gibt jetzt nach dem Krieg keine Absatzmärkte. Das Überangebot hier im Süden ist zu groß. Sie sind nur ihre Häute wert – und das sind manchmal weniger als fünfzig Cent.
Jesse Chisholm nickt bedächtig. Er ist ein großer Mann, und er sitzt so locker und lässig wie ein Indianer auf seinem schwarzen Pferd. Seine grauen Augen schweifen über die Senke, in der sich Rinderrudel bewegen, wilde, langhornige Tiere. Nur wenige sind darunter, an deren Schenkel das alte Brandzeichen zu erkennen ist. Die meisten Tiere sind ungebrannt – weil es sich gar nicht mehr lohnt. Sie sind so gut wie wertlos geworden.
Jesse Chisholm bewegt die mächtigen Schultern. In seinem dunklen und kühn geschnittenen Gesicht beginnt es zu zucken ...
»Eines Tages wird Texas eine Eisenbahn bekommen«, murmelt er. »Ich habe in einer alten Zeitung gelesen, dass im Osten große Konservenfabriken entstanden sind. Dort werden Rinder zu Konservenfleisch verarbeitet. Die Großstädte brauchen Fleisch. Dort sind Millionen Menschen. Und Schiffe transportieren Rinderfleisch als Konserven in andere Länder. Das habe ich gelesen. Sie sind also nicht wertlos, diese Rinder. Man muss nur warten können.«
»Bis dahin ist Texas verhungert und wir alle alt und grau«, murmelt Joe Rock.
Jetzt mischt sich der dritte Reiter, der bisher geschwiegen hat, in das Gespräch ein: »Es ist ganz einfach«, sagt er mit einem blitzenden Lächeln. »Wir müssen den ganzen Rindersegen in Bewegung bringen und zur nächsten Bahnstation treiben. Das ist besser, als hier in der Sonne zu sitzen und darauf zu warten, dass sich die Zeiten ändern, nicht wahr?«
Jesse Chisholm sieht den Reiter an, und er sieht einen noch jungen, aber schon fertigen Mann. Er war selbst so jung wie Jack Carrigan, als er diesen als halbwüchsigen Jungen irgendwo auflas und bei sich behielt. Und da er den guten Kern in dem Jungen erkannte, machte er einen richtigen Mann aus ihm. Während des Bürgerkrieges ist Jack Carrigan dann fort gewesen. Er hat sich als furchtloser Kämpfer schnell einen Namen gemacht und wurde als Captain aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Natürlich hat er als echter Texaner für die Sache der Südstaaten gekämpft. Er war einer der besten Männer der Texasbrigade.
Dann kehrte er heim zu Jesse Chisholm, der ihm ein großer Bruder und Vater zugleich ist.
Und jetzt halten diese drei Männer – der große, sehnige und harte Jesse Chisholm, der riesenhafte Joe Rock und der geschmeidige Jack Carrigan – auf dem Hügel und denken über den Rindersegen nach.
Jesse Chisholm sieht Jack lange an – mit funkelnden Augen und ernster Nachdenklichkeit.
»Hölle, was ist das?«, brummt Joe Rock überrascht. »Ich habe noch nie gehört, dass jemand eine riesige Treibherde mehr als tausend Meilen durch die Wildnis getrieben hat – durch reißende Flüsse, über Gebirgsketten, durch wasserlose Einöden – durch Regen, Sturm und Wolkenbruch. Und dann diese Gentlemen von roter Hautfarbe! Junge, bist du närrisch geworden? Wir würden unterwegs die Rinder verlieren wie ein Wolf die Haare seines Winterfells, wenn es Sommer wird. Und es gäbe Gräber am Rand unseres Trails. Zum Teufel, wir ...«
»In Kansas soll es eine Eisenbahn geben«, unterbricht ihn Jesse Chisholm und wischt sich mit der Rechten über das Gesicht. Es ist eine lange, geschmeidige und starke Hand. Das Handgelenk ist fast so breit wie der Handrücken.
»In Kansas soll es eine Bahnlinie geben«, wiederholt er und blickt prüfend über die grasenden Rinderrudel in der Senke.
✰
Jesse Chisholms Ranch besteht nur aus einigen Holzhäusern und Corrals – ein kümmerliches Anwesen ist es. Und doch besitzt der Rancher nach sehr oberflächlichen Schätzungen einige zigtausend Rinder, die wild und unbewacht auf der Texasweide herumziehen.
Jesse Chisholm erhielt Kredit von der Bank, und am Vorabend kamen die drei Männer mit einem voll bepackten Küchenwagen und einem schwer beladenen Conestoga-Schoner wieder auf der Ranch an.
Dann verging die Nacht, und die Nachricht, dass Jesse Chisholm eine starke Mannschaft anwirbt, verbreitet sich binnen vierundzwanzig Stunden auf fünfzig Meilen in der Runde.
Und dann kommen sie aus allen Himmelsrichtungen angeritten.
So mancher Träger eines bekannten Namens taucht auf.
Da ist Curly Reece, der als schneller Revolvermann bekannt ist. Und Alamo McCrea kommt abgerissen und so stolz wie ein Häuptling angeritten. Billy Kid Morrel trifft ein.
Es sammelt sich eine ganze Schar kühngesichtiger Burschen. Aber es kommen auch Männer, die Familien haben und die etwas Geld verdienen wollen, damit die Kinder nicht hungern müssen.
Manche schickt Jesse Chisholm wieder fort – die alten Männer und die schwachen und kranken Bewerber, die nicht durchhalten würden. Er schickt die Banditen weg und alle, deren Augen ihm nicht gefallen.
Erst nach zehn Tagen steht die Mannschaft fest. Dreißig wilde und harte Burschen sind es – und Namen wie Thor Sholem, Wes Jacks, Alamo McCrea und Curly Reece sind darunter.
Eines Tages am frühen Morgen schickt Chisholm sie auf die weite Weide, und er, Jack und Joe bleiben eine ganze Woche lang mit ihnen im Sattel.
Sie sammeln eine Riesenherde wilder Longhorn-Rinder in einer großen Senke, die fast wie ein natürlicher Corral ist. In der Nähe befindet sich auch das Camp. Joe Rock übernimmt das Amt des Mannschaftskochs und jagt den bisherigen Pfannenschwenker mit einigen Flüchen in den Sattel.
Die brüllende Herde in der Senke wächst jeden Tag mehr an.
Und eines Abends kommt Clay Shanessy angeritten, ein Mann, der Jesse Chisholms großer Nachbar ist – und der aufgrund seiner ganzen Art bestimmt nicht Jesse Chisholms Freund ist.
Jesse Chisholm und Jack Carrigan hocken beim Küchenwagen und lehnen mit dem Rücken gegen die Räder, als Clay Shanessy mit seinen Begleitern herangeritten kommt.
Sie halten neben dem Feuer ihre Pferde an und blicken wachsam umher. Shanessy hat sich Hack O'Hara und Lee Meadow mitgebracht, zwei berüchtigte Revolverhelden.
Es sind zwei schlimme Burschen, und Clay Shanessy ist seit einiger Zeit ihr Boss. Er ist ein harter, unduldsamer und vitaler Bursche, der aufgrund seiner ganzen Art keinen ebenbürtigen Mann im Umkreis auf hundert Meilen neben sich duldet. Und er gehört zu jener Sorte, die umso schlimmer und böser wird, je weiter sie kommt.
Massig, ein Klotz aus Muskeln und starken Knochen, so sitzt er im Sattel. Den Kopf hält er leicht gesenkt, doch seine hellen Augen sind beweglich. Im Feuerschein leuchtet sein strohblonder Schnurrbart röter, als er in Wirklichkeit ist.
Endlich hat er die hockende Gestalt Jesse Chisholms am Vorderrad des Wagens entdeckt. Sein Blick richtet sich blitzschnell auf Jack Carrigan, der am Hinterrad lehnt.
Dann nickt er mit einer gewichtigen Zufriedenheit, an der man das unendlich starke Selbstvertrauen des Mannes erkennen kann. Seine Stimme ist tief und etwas kehlig.
»Das kannst du nicht machen, Jesse«, sagt er. »Du kannst deine Reiter nicht einfach durch die Gegend schicken und sämtliche Rinder zusammentreiben lassen. So einfach ist das nicht! Wir alle haben in den letzten Jahren keine Rinder mehr gebrändet, und auf eine Kuh mit einem Brandzeichen kommen fünf oder sechs Mavericks. Aber sie gehören nicht alle dir. Du hast keinen Anspruch auf alle Mavericks auf dieser Weide! Ich bin auch noch da! Hast du genau zugehört, Jesse?«
Jesse Chisholm seufzt leise. Dann erhebt er sich.
Auch Jack Carrigan erhebt sich. Aber er tritt etwas zur Seite, sodass er sich links von den Reitern befindet.
Hack O'Hara und Lee Meadow ziehen auch sofort ihre Pferde herum, damit sie ihn im Auge behalten können.
Die Mannschaft rollt sich brummend und knurrend aus den Decken. Mit einem Mal liegt der Hauch von Verdruss und Gewalttat über dem Camp.
Joe Rocks Stimme erklingt aus dem Schatten des anderen Wagens: »Jesse!« Der bewegt langsam die Hand.
»Nur ruhig! Alles bleibt ruhig. Ich spreche mich ganz allein mit Clay Shanessy aus. Clay, wozu hast du dir diese beiden Coltschwinger mitgebracht?«
Shanessy nimmt sich einige Sekunden Zeit, dann sagt er: »Unsere Aussprache, Jesse, könnte etwas rau werden. Ich habe in den letzten Jahren einige Dinge von dir hingenommen, weil mir das die Klugheit gebot. Aber jetzt nehme ich nichts mehr hin! Jetzt wird alles richtig und für alle Zukunft geklärt. Vielleicht muss ich dich zurechtstutzen, Jesse Chisholm. Deine neue Mannschaft wird sich nicht einmischen, nicht wahr? Aber bei Jack Carrigan und Joe Rock bin ich mir nicht sicher. O'Hara und Meadow werden aufpassen, dass wir nicht gestört werden. Und nun können wir anfangen, Jesse!«
Er schwingt sich vom Pferd – und als er steht, zeigt es sich, dass er fast so groß wie Jesse Chisholm ist, aber zwanzig oder dreißig Pfund schwerer.
Jesse Chisholm ist ein sehniger und hagerer Typ, obwohl seine Knochen stark und seine Schultern muskulös sind. Sein kühnes und dunkelhäutiges Gesicht ist unbeweglich – nur in seinen grauen Augen zeigt sich im Feuerschein der Glanz eines aufsteigenden Unwillens und einer grimmigen Härte.
Er tritt Clay Shanessy zwei Schritte entgegen und murmelt: »Sicher – klären wir es für alle Zeiten.« Er sieht Shanessy fest an. Der ist breit, massig. Sein Kinn stößt die Unterlippe über die Oberlippe vor. Sein Hals ist kurz. Er besteht aus zweihundertzwanzig Pfund Kraft und Selbstvertrauen.
Hack O'Hara und Lee Meadow drängen ihre Pferde zurück und gleiten nun ebenfalls aus den Sätteln. Sie bleiben neben ihren Pferden stehen und beobachten Jack Carrigan und Joe Rock, die vor dem Halbkreis stehen, den die Mannschaft gebildet hat.
Hack O'Hara ist klein, drahtig und so wachsam wie ein Terrier, den man auf Ratten trainiert hat.
Lee Meadow ist groß und sehnig wie die meisten Männer hier in Texas. Er kann blitzend und scharf grinsen – und dann erinnert er an einen Wüstenwolf, der zum Spaß seinen Fang zeigt.
Jesse Chisholm steht also vor Shanessy und sagt herausfordernd: »Sicher – klären wir es für alle Zeiten!« Er hebt die Linke und stößt seinen Stetson zurück.
»Halte deine Rede, Clay!«
»Ich werde nicht viel reden. Meine Ranch steht nur zehn Meilen neben deiner. Und deine Reiter treiben im Umkreis von zwanzig Meilen sämtliche Rinder zusammen. Es sind auch Rinder von mir dabei. Zumindest die Hälfte dieser Sammelherde gehört mir. In den vergangenen Jahren haben wir unsere Rinder unbewacht herumziehen lassen. Sie haben sich vermischt. Deine Rudel sind auf meine und meine Rudel sind auf deine Weide gekommen. Wir hatten kein Geld, um uns Mannschaften halten zu können. Da sich meine Rinder genauso vermehrt haben dürften wie deine, erhebe ich Anspruch auf die Hälfte aller Rinder, die hier in diesem Weidebecken Gras fressen. Und nun fängst du damit an, eine Herde zu sammeln. Ohne meine Zustimmung! Ich habe gehört, dass du diese Rinderherde tausend Meilen weit nach Norden treiben willst. Du wirst keine drei Kühe ans Ziel bringen. Wenn es deine eigenen Rinder wären, könnte ich über dein Vorhaben nur lachen. Aber so ...«
»Du redest sehr viel – und lange, Clay. Warum erzählst du mir, was ich schon weiß? Und ich will auch nicht deine Meinung über mein Treiben hören. Sag gleich richtig, was du willst!«
»Yeah, das sage ich dir jetzt«, knurrt Clay Shanessy und spuckt zu Boden – Jesse Chisholm genau vor die Füße. »Ich habe gehört, dass du acht- bis zehntausend Rinder nach Norden treiben willst. Aber die Hälfte der Herde gehört mir. Ich will nicht vier- bis fünftausend Rinder verlieren – auch dann nicht, wenn sie zurzeit nur den Preis ihrer Häute einbringen. Ich will sie auch nicht nur ihrer Häute wegen verkaufen. Ich will abwarten, bis die Preise steigen und man für ein Rind zumindest vier Dollar bekommt. Ich verzichte nicht auf ein Vermögen, weil du so verrückt bist, etwas Unmögliches zu wagen! Man kann eine Herde vielleicht zwei- oder dreihundert Meilen weit zu einem bestimmten Ort treiben, wenn man das Land gut kennt. Aber du hast Gebirgsketten, wasserlose Wüsten, reißende Ströme, Unwetter, unwegsame Wildnis und einige tausend Indianer gegen dich.«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du willst, Clay. Bald bin ich es leid, dir zuzuhören. Rück also endlich raus mit der Sprache!«
»Well, Jesse Chisholm. Du hörst es jetzt: Für jedes zweite Rind, das von dieser Weide getrieben wird, zahlst du mir einen Preis von vier Dollar. Wenn du also in den nächsten Tagen mit zehntausend Rindern nach Norden aufbrechen willst, so bekomme ich vorher zwanzigtausend Dollar von dir. Vorher! Denn ich bin sicher, dass ich weder dich noch die Rinder wiedersehen werde. Ihr werdet unterwegs alle zur Hölle fahren. Ich will aber durch deinen Blödsinn kein einziges Rind von meinem Anteil hier verlieren. Hast du mich gut verstanden, Jesse?«
»Ganz genau.«
»Und?«
»Es steht dir frei, ebenfalls eine Herde für dich zu sammeln. Es sind Rinder genug vorhanden. Ich werde mich auch nicht darüber streiten, wenn du einige tausend Tiere mehr für dich nimmst. Aber die Idee mit den zwanzigtausend Dollar ist einfach lächerlich. Du weißt doch genau, dass es in ganz Texas kaum jemanden gibt, von dem ich eine solche Summe bekommen könnte. Ich würde sie auch gar nicht zahlen. Ich will dir zwei Dollar für jedes Rind zahlen, das ich im Norden verkaufen kann. Das ist mein Angebot – und ich mache es nur, um keinen Ärger zu bekommen. Wenn ich aus dem Norden zurückkomme, so werde ich dir für jedes deiner Rinder zwei Dollar zahlen.«
»Du wirst unterwegs die ganze Herde und deinen Skalp verlieren. Und ich bin nicht der Mann, der auf fünftausend Rinder verzichtet«, knurrt Shanessy.
Jesse Chisholm nickt langsam.
»Jetzt kommen wir endlich zur Sache«, murmelt er sanft – aber es ist eine gefährliche Sanftheit in seiner Stimme. »Was wirst du also tun, wenn ich die Herde abtreiben lasse?«
»Ich werde kommen und dich in den Boden schlagen, bis du nicht mehr herauskriechen kannst, Jesse. Wir zwei Rancher werden diese Sache ganz allein austragen, verstehst du? Ich habe die ganzen Jahre zugesehen! Ich war nie für die Sache der Südstaaten. Ich bin ein Yankee – aber ich musste zusehen, wie du unsere Rinder im Krieg zu den Versorgungspunkten der Südarmee brachtest. Schon damals habe ich viel schlucken müssen. Aber jetzt ist damit Schluss! Jetzt rede ich mit! Und als ich vor Jahren auf diese Weide kam, da hast du nicht gestattet, dass ich mich am Creek niederließ, wie ich es wollte. Du hattest einige Reiter zur Verfügung, und ich war allein. Du hast von Anfang an Druck auf mich ausgeübt. Nun werde ich dir zeigen ...«
»Du drohst mir schon wieder, Clay. Und du willst mich in den Boden schlagen, nicht wahr? Well, ich treibe die Herde in den nächsten Tagen nach Norden. Und du kannst es gleich mit mir versuchen. Los, du hast doch die ganzen Jahre nach einem guten Grund gesucht, es mit mir zu versuchen. Jetzt hast du ihn! Komm schon! Wie willst du es haben?«
Die Herausforderung hängt nun schwer über dem Camp. Die Männer halten den Atem an. Nur die Flammen der Feuer knistern. Von drüben kommen die Laute der unruhigen Herde herüber – und die Stimmen der Herdenwächter erklingen dann und wann.
Als Jesse Chisholm seine Herausforderung ruft, breitet sich ein zufriedenes Lächeln auf Shanessys Gesicht aus. Dann wendet er sich zu seinem Pferd, nimmt Hut und Waffengurt ab und hängt beides ans Sattelhorn.
Selbstsicher wendet er sich wieder Chisholm zu.
»Es musste so kommen, Jesse – nur einer von uns kann in diesem Land der größte Mann sein, nach dem sich alles richtet. Wenn du mich schlagen kannst, so lasse ich dich ohne weiteren Kummer mit der Herde abziehen.«
»In Ordnung, Clay. Und wenn du mich schlagen kannst, so verzichte ich auf das Treiben nach Norden«, erwidert Jesse Chisholm, und ein hartes Lächeln macht sein dunkles Gesicht noch kühner und wilder.
Inzwischen schnallt er seinen Waffengurt los und legt ihn auf den Fahrersitz des Wagens hinter sich.
Als er sich umwendet, kommt Clay Shanessy angestürmt.
✰
Sie prallen gegeneinander – Shanessy hat den Kopf gesenkt und stößt ihn unter Chisholms Kinn. Chisholm wird von Shanessys Wucht bis an die Wagenwand gestoßen. Er kracht mit dem Hinterkopf dagegen und bekommt dann Shanessys Fäuste zwei-, dreimal in den Leib wie Huftritte.
Es ist von der ersten Sekunde an ein furchtbarer und mitleidloser Kampf, und es geht im Grunde genommen nur darum, wer von diesen beiden Männern in Zukunft der Erste auf dieser Weide sein soll.
Jesse Chisholm knurrt schmerzvoll, von hundert Männern wären neunundneunzig schon nach diesem Ansturm zusammengebrochen. Aber Jesse Chisholm stößt den schweren Shanessy mit einem wilden Kraftausbruch von sich. Er taumelt hinter dem Mann her. Und dann reißt er die ineinander verschränkten Fäuste hoch.
Als er Shanessys breites Kinn damit von unten herauf trifft, hört man es deutlich.
Der massige Muskelklotz schwankt einen halben Schritt zurück, und er rudert unwillkürlich mit den Armen durch die Luft, um das Gleichgewicht behalten zu können. So bietet er Chisholm die ungedeckten Körperpartien dar, und Chisholm jagt seine Fäuste hinein.
Sein Gegner brüllt heiser und gurgelnd auf, krümmt sich zusammen, aber er zieht mit seinem muskelbepackten Arm einen rechten Schwinger herum, der Chisholms Rippen trifft. Und dann kommt ein linker Schwinger auf die Leber.
Chisholm geht zu Boden. Er stöhnt vor Schmerz und krümmt sich. Aber dann rollt er sich mit einem Ruck zur Seite und gehorcht damit einem Warnsignal, das ihm sein Kämpferinstinkt durch den Körper schickt.
Shanessys große Füße stampfen dicht neben ihm den Boden – der Mann wollte also mit beiden Füßen auf ihn treten.
Als Chisholm auf die Knie kommt, kann er im letzten Moment seinen Kopf vor Shanessys Fuß wegnehmen. Die Sohlenkante streift seine Wange und reißt sie auf. Aber er wirft sich aus kniender Stellung knurrend vor und bekommt das Bein des Gegners zu fassen. Er presst sich Shanessys Fußgelenk unter den Arm, klemmt es fest und wirft sich zur Seite.
Shanessy stürzt brüllend. Er tritt sich frei, aber Chisholm ist einen Sekundenbruchteil früher oben und schlägt zu. Es ist fast unwahrscheinlich, dass er Shanessys Schläge so schnell überwinden konnte, aber er besitzt wohl wahrhaftig die Zähigkeit eines Pumas. Er trifft den schweren Mann mehrmals richtig und kann die ganze Kraft und sein Körpergewicht hinter diese Schläge setzen.
Brüllend stolpert Shanessy rückwärts durch das Feuer und stürzt auf der anderen Seite zu Boden.