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Sally und Sue erreichen das Haus, werfen die Tür hinter sich zu, legen den Querbalken vor und reißen die Schrotflinten aus dem Ständer an der Wand. Sie tun dies automatisch - wie Marionetten. Sie sind wie betäubt von der Furchtbarkeit des Geschehens. Es ist eine gnädige Betäubung, denn so spüren sie nicht den Schmerz über den Tod der Eltern und die Verzweiflung über die Hilflosigkeit und Not, in die sie plötzlich geraten sind. Außerdem sind sie selbst in Gefahr, und der Wille zum Überleben drängt den Schmerz zurück.
Sally, die einige Minuten älter ist als Sue, sagt heiser: »Sie sollen nur kommen, die roten Bastarde, denen geben wir es.«
»Ja, Sally, denen geben wir es«, erwidert Sue, die bei dem zweiten Fenster Stellung bezogen hat und den Doppellauf der Schrotflinte ins Freie schiebt. »Aber ich würde dennoch gerne nachsehen, ob die Eltern noch leben. Sieh doch, da drüben beim Maisfeld bewegt sich nichts, gar nichts. Dad und Mom haben vielleicht alle Apachen niedergekämpft. Und wenn sie nicht tot sind, sondern nur bewusstlos, dann ...«
»Nein, Sue«, unterbricht Sally die Schwester. »Wir gehen nicht hinaus. Ich kann Mom und Dad liegen sehen. Sie rühren sich nicht mehr. Vielleicht warten die Apachen nur darauf, dass wir nachsehen kommen. Wir bleiben hier und warten ab.«
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Die Gun-Sisters
Vorschau
Impressum
Die Gun-Sisters
Sally und Sue erreichen das Haus, werfen die Tür hinter sich zu, legen den Querbalken vor und reißen die Schrotflinten aus dem Ständer an der Wand. Sie tun dies automatisch – wie Marionetten. Sie sind wie betäubt von der Furchtbarkeit des Geschehens. Es ist eine gnädige Betäubung, denn so spüren sie nicht den Schmerz über den Tod der Eltern und die Verzweiflung über die Hilflosigkeit und Not, in die sie plötzlich geraten sind. Außerdem sind sie selbst in Gefahr, und der Wille zum Überleben drängt den Schmerz zurück.
Sally, die einige Minuten älter ist als Sue, sagt heiser: »Sie sollen nur kommen, die roten Bastarde, denen geben wir es.«
»Ja, Sally, denen geben wir es«, erwidert Sue, die bei dem zweiten Fenster Stellung bezogen hat und den Doppellauf der Schrotflinte ins Freie schiebt. »Aber ich würde dennoch gerne nachsehen, ob die Eltern noch leben. Sieh doch, da drüben beim Maisfeld bewegt sich nichts, gar nichts. Dad und Mom haben vielleicht alle Apachen niedergekämpft. Und wenn sie nicht tot sind, sondern nur bewusstlos, dann ...«
»Nein, Sue«, unterbricht Sally die Schwester. »Wir gehen nicht hinaus. Ich kann Mom und Dad liegen sehen. Sie rühren sich nicht mehr. Vielleicht warten die Apachen nur darauf, dass wir nachsehen kommen. Wir bleiben hier und warten ab.«
Indes sie diese Worte wechseln, rinnen ihnen die Tränen über die Wangen. Die Zwillinge sind verzweifelt.
Und dennoch – sie wollen am Leben bleiben, davonkommen. Sie wissen, dass Jammern und Klagen ihnen nicht helfen können. Sie müssen jetzt einen klaren Kopf bewahren, dürfen nicht die Kontrolle über sich verlieren.
Das Haus ist fest gebaut. Und dennoch wird das Maisstrohdach leicht in Brand zu setzen sein. Und dann haben sie nur die Wahl, im Haus zu verbrennen, sich selbst zu töten oder sich den Apachen auszuliefern.
Diese drei Möglichkeiten haben sie.
Wo sind die Apachen? Warum zeigen sie sich nicht?
Waren es wirklich nur wenige, die von den Eltern niedergekämpft wurden? Gibt es keine größere Horde?
Wie lange sollen sie hier im Haus verharren oder warten?
Sind die Eltern vielleicht doch nur bewusstlos und verbluten nun?
Es ist schrecklich für die beiden Mädchen. Doch letztlich sagt ihnen ihr Instinkt, dass sie warten müssen, nichts als warten.
Aber es ist so zermürbend, dieses Warten in Ungewissheit! In diesen Minuten, die sich wie Ewigkeiten aneinanderreihen, werden die Zwillinge um Jahre älter. Die Gnadenlosigkeit und Unbarmherzigkeit der Welt hier wird ihnen nun noch bewusster, als dies ohnehin schon der Fall war.
In diesen Minuten verändert sich etwas tief im Kern der beiden noch so jungen Mädchen. Sie werden hart. Sie errichten gleichsam einen Wall um ihre Herzen, spüren den Panzer der Gefühllosigkeit, der sie zu umschließen beginnt. Nein, Gefühle können sie sich jetzt nicht mehr leisten.
Entschlossen wischen sie die Tränen aus den Augen.
Die Zeit vergeht.
Von den Apachen im Maisfeld ist nichts zu sehen.
Offenbar haben die Eltern sie niederkämpfen können, bevor sie starben.
Aber wie wird es weitergehen? Wie lange werden sie zu diesem entnervenden Warten verdammt sein?
Ringsum ist alles still. Kein Lüftchen bewegt sich. Nur Insekten schwirren in der Luft. Die Mittagshitze beginnt über dem Erdboden zu flimmern.
Manchmal hört man die Tiere in den nahen Corrals und Weidekoppeln. Die McNalls besitzen ein paar Pferde, Milchkühe und ein halbes Dutzend Schafe.
»Sollen wir wirklich nicht hinausgehen und nach unseren Eltern sehen, Sally?«
Sue fragt es heiser.
»Nein«, erwidert Sally. »Das tun wir nicht. Die Kerle warten vielleicht nur darauf, dass wir das Haus verlassen.«
Und wieder warten sie, spüren die Furcht und die Einsamkeit. Und sie hassen diese Welt, die voller Tod und Grausamkeit ist.
Dann – ganz plötzlich und so als hielte der Hügelkamm im Norden die Geräusche nicht länger mehr auf – hören sie jagenden Hufschlag. Dann krachen Schüsse.
Sally reißt die Tür auf und tritt einen halben Schritt ins Freie, um besser nach Norden blicken zu können.
»Was ist, Sally?«, ruft Sue von drinnen. Doch sie bleibt an ihrem Fenster und lässt das Maisfeld nicht aus den Augen.
»Da kommen zwei Reiter – es sind Weiße«, antwortet Sally. »Sie werden von einem Dutzend Apachen verfolgt. Sie kommen auf unser Haus zu! Wir müssen die beiden Weißen hereinlassen und ihnen Feuerschutz geben. Hast du verstanden, Schwester! Da, jetzt hat es wieder einen Apachen erwischt! Die schießen prächtig, diese Cowboys. Ja, es sind wahrscheinlich Cowboys. Sie kommen schnell. Hoffentlich schaffen sie es, damit wir hier nicht mehr allein sind!«
✰
Nun, die beiden Reiter schaffen es tatsächlich. Sie wirbeln mit ihren Pferden auf dem Farmhof eine Menge Staub auf, werfen sich aus den Sätteln und stoßen dabei scharfe Schreie aus. Die Schreie verraten Wildheit, Triumph und Zorn. Ihre Bewegungen sind schnell, geschmeidig – aber nicht hektisch.
Sie nehmen ihre Gewehre mit.
Wahrscheinlich aber sind all ihre Waffen leer geschossen. Sonst würden sie gewiss noch auf die Apachen feuern, indes sie sich rückwärts auf das Haus zu bewegen.
Dann huschen sie ins Haus, werfen die Tür hinter sich zu und legen den Querbalken vor.
Indes feuern die beiden Mädchen die Schrotflinten durch die offenen Fenster ab. Es sind vier Läufe voll Indianerschrot, das innerhalb einer gewissen Reichweite eine verheerende Wirkung hat.
So vorsichtig und erfahren die Apachen sonst auch sind, diesmal haben sie sich zu sehr an dem verfolgten Wild festgebissen. Sie glaubten, die beiden Weißen noch einholen zu können, bevor diese vor ihnen in Sicherheit sind. Es ist die Horde, auf welche die drei Krieger im Maisfeld warteten. Und die beiden Weißen müssen dieser Horde irgendwie in die Quere gekommen sein.
Nun, die beiden Mädchen feuern also ihre doppelläufigen Schrotflinten ab. Es ballert und kracht mächtig im Haus. Draußen aber bricht die Hölle auf. Denn vor allem die Pferde der Apachen bekommen eine Menge ab. Und so springen die getroffenen Tiere auskeilend durcheinander. Auch Apachen wurden getroffen. Im wallenden Staub ist das aber nur undeutlich zu erkennen.
Als sich der Staub wieder gesetzt hat, ist von den Apachen nichts mehr zu sehen. Nur zwei Pferde liegen reglos am Boden.
In einiger Entfernung tönt Schnauben und Wiehern – klingen kurze Rufe der Apachen.
Die beiden Männer laden ihre Waffen. Sie tun es, ohne hinzusehen, ein Zeichen dafür, wie gut sie mit Waffen umgehen können. Ihre Blicke wandern durch den Raum.
Sie sehen nur die beiden Mädchen, die ebenfalls die Waffen nachladen.
Denn die Apachen werden wiederkommen.
Das ist sicher.
Einer der Reiter fragt heiser: »Seid ihr allein, ihr Süßen?«
»Apachen haben unsere Eltern drüben beim Maisfeld getötet«, erwidert Sally. »Aber Mom und Dad konnten sie noch aufhalten, bis wir das Haus erreicht hatten. Euch hat der Himmel geschickt, denn nun sind wir nicht mehr allein.«
Sallys Stimme zittert vor Erregung.
Die beiden Fremden nicken.
»Oha, ihr Süßen«, sagt dann der Sprecher, »dann habt ihr ja allen Grund, es den Stinkern zu besorgen. Es ist euch doch wohl klar, was sie mit euch machen, wenn ihr ihnen lebend in die Hände fallt?«
Die Schwestern geben noch keine Antwort.
Da sagt der andere Mann, der bisher schwieg: »Ich werde es euch sagen, ihr prächtigen Sisters. Die vernaschen euch nacheinander. Und solltet ihr noch Jungfrauen sein, dann macht ihnen das nichts aus. Die wollen, dass ihr ihnen Bastarde gebärt, die sie zu Apachenkriegern machen können. Habt ihr das verstanden?«
Sally und Sue nicken, schlucken dabei würgend.
»Na gut«, sagt der erste Sprecher wieder. »Wenn das so ist, dann wisst ihr ja, worauf es ankommt! Nur wenn wir kämpfen wie die Löwen, haben wir vielleicht noch eine Chance.«
Die Zwillinge sagen immer noch nichts.
Doch sie betrachten die Männer eingehend, versuchen auch zu erspüren, von welcher Sorte die Männer sind, die da zu ihnen kamen.
Sie sehen zwei äußerlich gewiss sehr harte und erfahren wirkende Burschen. Anfangs hielten sie die beiden für einfache Cowboys, jetzt sind sie nicht mehr dieser Meinung. Die beiden wirken beachtlicher. Aber wie sollen die Zwillinge sie einstufen? Sie sind noch zu unerfahren, kennen die Welt noch nicht gut genug, um sich ein sicheres Urteil bilden zu können.
Aber sie spüren dennoch, dass da zweibeinige Tiger zu ihnen kamen. Eigentlich müssten sie sich darüber freuen, denn zwei gefährliche Kämpfer bedeuten für sie größere Überlebenschancen.
»Wie heißt ihr denn, ihr Süßen?« So fragt der erste Sprecher, der sie immer noch »Süße« nennt.
»Ich bin Sally. Das ist Sue. Wir heißen McNall. Und Sie?«
Die Fremden grinsen blinkend. Obwohl sie von gleicher Statur sind, also hager, geschmeidig, groß, mit breiten Schultern und schmalen Taillen, sind sie dennoch verschieden. Denn einer ist hellblond und blauäugig, der andere dunkel wie ein Comanche und hat grüne Augen.
»Ich bin Joe Scarlock«, spricht der Blonde.
»Und ich bin Ben Savage«, sagt der andere. »Ihr habt wohl noch nie was von uns gehört?«
»Nein, Mister Savage«, erwidert Sally spröde. »Sollten wir?«
Sie lachen beide auf seltsame Weise. In diesem heiseren Lachen sind Spott, Bitterkeit und Trotz herauszuhören. Selbst die unerfahrenen Mädchen spüren das.
Sallys Frage »Sollten wir?«, steht immer noch im Raume.
Doch die beiden Fremden werden der Antwort enthoben.
Denn nun kommen die Apachen.
Sie schieben den mit Mais beladenen Wagen von der Scheune zum Haus herüber, benutzten ihn als Deckung und Kugelfang. Bald sind sie dicht beim Haus. Es sind nur drei Zimmer vorhanden, nämlich die Wohnküche, die der größte Raum ist, das Schlafzimmer der Eltern und die Kammer der beiden Mädchen.
Aber es ist ein fest gebautes Haus.
Deshalb klettern die Apachen auf das Maisstrohdach und beginnen, die Strohlagen wegzureißen. Sie wollen von oben ins Haus eindringen.
Noch verzichten sie darauf, es in Brand zu setzen. Sie wollen plündern. Die Belagerten beginnen zu schießen. Ihre Kugeln fetzen durch das Strohdach, und dort, wo sich die ersten Lücken zeigen – das Haus hat ja keinen Speicher unter dem Dach – schießen die Schwestern ihre Schrotladungen hinauf.
Zwei getroffene Apachen fallen vom Dach in den Wohnraum und bleiben tot auf dem Dielenboden liegen. Einer fällt zuerst auf den Tisch, der krachend unter ihm zusammenbricht.
Dann ist es plötzlich still.
Es folgen Sekunden nervenzerreißender Anspannung. Dann hört man das Knistern der Flammen.
Die Apachen haben es aufgegeben, in das Haus einzudringen. Sie zahlten bereits einen zu hohen Preis. Nun legen sie Feuer.
Das Knistern der Flammen auf dem Strohdach wird lauter. Und der erste Brandgeruch ist zu wittern.
»Das wär's wohl, Ben«, knurrt Joe Scarlock und lädt noch einmal seinen Colt auf.
»Ja, das wär's, Joe.« Ben Savage grinst. »Es geht alles mal zu Ende. Es ist nur mächtig schade um die beiden Kleinen. Ich wette, die sind noch Jungfrauen. Verdammt, jetzt werden die roten Teufel sich über sie hermachen. Die hätten wir gern selbst vernascht, nicht wahr?«
»Gewiss, Ben, gewiss, denn sie sind schön, die reinsten Zuckerpuppen! Die könnten das Paradies sein für zwei Burschen wie uns.«
Er wendet sich an die Mädchen, die noch mit dem Laden ihrer Schrotflinten beschäftigt sind.
»He, seid ihr noch Jungfrauen?«
»Yes, Sir«, erwidert Sally spröde. »Wer hätte uns denn hier in den Hügeln schon verführen sollen?«
Sallys Ausdrucksweise ist sehr direkt. Und Sue nickt dazu.
»Vielleicht wären wir eines Tages von zu Hause weggelaufen«, sagt sie.
Der Brandgeruch wird mit jeder Sekunde beißender. Die ersten Funken fallen von oben nieder. Es kann nur noch wenige Minuten dauern, dann wird das ganze Haus lichterloh in Flammen stehen.
»Ihr könntet euch ja den Apachen ergeben«, ruft Joe Scarlock heiser. »Die lassen euch bestimmt am Leben. Das sind auch nur Männer. Und ihr seid verdammt süße Mädchen. Die wären doch verrückt, wenn sie euch umbringen würden, versteht ihr?«
Sally und Sue nicken.
Mit den Schrotflinten in den Händen stehen sie da.
Plötzlich spricht Sally: »Wenn wir davonkommen, dann nur mit eurer Hilfe und unter eurem Schutz. Helft uns, dann gehören wir euch. Ihr seid uns lieber als ein Rudel Wilder. Gut so?«
Die beiden Revolvermänner nicken. Ja, sie sind Revolvermänner und Skalpjäger. Und weil sie an ihren Sattelhörnern Säckchen mit Apachenskalpen hängen hatten, wurden sie verfolgt und gejagt. Aber das wissen Sally und Sue nicht. Für sie sind die beiden zwei ganz beeindruckende Burschen, hart zwar und sehr direkt, aber gleichzeitig auch sehr männlich und furchtlos.
Manchmal – in den Nächten –, da träumten sie von solchen »Prinzen«, die eines Tages kommen und sie aus der Einsamkeit der Hügel in die für sie noch unbekannte und unentdeckte große Welt mitnehmen würden.
Ja, die McNall-Sisters sind zwei hungrige Katzen.
»Wir müssen bald raus«, murmelt Joe Scarlock. »Haltet euch nur immer hinter uns. Wir laufen zur Scheune hinüber und bleiben dort, bis sie auch die in Brand gesteckt haben.«
Sie nicken. Und dann warten sie. Nun breitet sich im Haus der Rauch aus. Und das Dach beginnt einzustürzen.
Ja, sie können nicht mehr länger in dem brennenden Haus bleiben. Ihnen bleibt nur noch die hauchdünne Chance der Flucht. Noch einmal zögern sie. Denn die Apachen warten draußen darauf, dass die Eingeschlossenen aus dem Rauch auftauchen.
Das Knistern der Flammen über ihnen wird lauter. Jede Sekunde muss das Dach zusammenbrechen.
Die Mädchen und die Männer husten immer schlimmer.
»Wir müssen raus!«, keucht Joe Scarlock.
»Na dann los! Der Qualm wird uns decken. Was zögern wir noch?« Ben Savage keucht es hustend.
Und dann wagen sie es.
Nun, da die Entscheidung gefallen ist, gibt es für die beiden Männer kein Zaudern mehr. Wieder einmal wird klar, dass sie furchtlose Menschenjäger sind. Zu oft haben sie bereits dem Tod ins Auge geschaut. Er besitzt keinen Schrecken für sie, weil sie ständig damit rechneten.
Für sie sieht es so aus, als hätten sie das Ende aller Fährten erreicht. Und weil das irgendwann einmal ihr Schicksal sein musste, nehmen sie es jetzt hin wie miese Karten in einem Spiel.
Sie öffnen die Tür und huschen geduckt nach draußen. Hier ist der Qualm noch dichter als im Haus. Die beiden Mädchen halten sich dicht hinter ihnen. So laufen sie zur Scheune. Als der Rauch um sie her dünner wird, rechnen sie mit Schüssen. Sie würden dann versuchen, die Mündungsfeuer auszumachen, bereit, im Laufen zurückzuschießen.
Doch es fällt kein Schuss – kein einziger.
Sie halten vor der Scheune inne.
»Was ist das?« So fragt Ben Savage würgend.
Sie sichern mit schussbereiten Waffen nach allen Seiten. Doch kein Apache schießt. Was ist? Warum rührt sich nichts? Welche Teufelei führen die Roten im Schilde? Warum machen sie dem grausigen Spiel kein Ende? Oder sollten sie etwa gar nicht mehr da sein?
Immer noch fällt kein Schuss. Das Haus, aus dem sie flüchteten, brennt nun lichterloh.
»Was ist das?« So fragt Ben Savage nochmals.
Aber dann hören sie es.
Hufschlag dringt an ihre Ohren, kommt über den Hügelkamm näher.
Aber es ist nicht nur der Hufschlag galoppierender Pferde – nein, ein anderes Geräusch ist noch dabei: ein Klirren.
Es ist der klirrende Galopp der US-Kavallerie.
Sie laufen zur Scheunenecke. Eine Doppelpatrouille kommt den Hügelhang im Norden heruntergaloppiert. Vierundzwanzig Mann und ein Offizier, mit einem Zivilscout an der Spitze.
»Da haben wir aber Glück gehabt, ihr Süßen«, sagt Joe Scarlock mit einem grimmigen und trotzigen Lachen in der Kehle.
»Unsere Namen sind Sally und Sue«, spricht Sally ernst.
Sie verharren bewegungslos und sehen, wie die Soldaten auf der Fährte der flüchtenden Apachen an ihnen vorüberjagen. Nur ein Corporal reitet auf sie zu und fragt von seinem schwitzenden und schnaufenden Gaul aus: »Braucht ihr irgendwie Hilfe, Leute? Ihr könnt doch wohl verstehen, dass wir die Apachen jagen müssen, solange wir sie in Sichtweite haben?«
»Wir brauchen keine Hilfe, Soldat«, erwidert Sally ernst.
Auch die beiden Männer schütteln den Kopf. »Reite nur, Soldat«, sagt Joe Scarlock. Und jetzt erst erkennt ihn der Soldat offenbar. Denn er reißt seine geröteten Augen auf, wischt sich wild über sein verschwitztes, stoppelbärtiges Gesicht und krächzt heiser: »Oha, Scarlock und Savage! Diesmal habt ihr aber Federn gelassen auf eurer Skalpjagd. Ihr wart doch mehr als ein Dutzend Skalpjäger, als ihr aus Tucson losgezogen seid. Wo sind die anderen?«
»In der Hölle«, sagt Joe Scarlock. »Wo sonst?«
Da reitet der Corporal weiter, folgt der Abteilung auf seinem schnellen Pferd.
Sie sehen ihm nach.
Dann betrachten die Mädchen die Männer.
»Skalpjäger seid ihr also?« Sally fragt es ruhig.
»Macht euch das was aus?« So fragt Ben Savage zurück.
Da schütteln die Schwestern ihre Köpfe.
»Nein, wir möchten selbst jeden Apachen töten«, sagt Sally.
Und Sue nickt heftig dazu.
✰
Es ist am nächsten Tag, als sie die Eltern der Mädchen beerdigt haben. Die Soldaten kehrten nicht zurück. Vielleicht verfolgen sie die flüchtenden Apachen immer noch oder wurden in einen Hinterhalt gelockt.
Die beiden Zwillingsschwestern weinen nicht mehr. Was hinter ihnen liegt, machte sie reifer und älter. Sie haben keine Illusionen mehr, wie junge Mädchen in ihrem Alter sie normalerweise noch haben.
Sally und Sue McNall haben gekämpft. Sie wurden hart in den vergangenen Stunden. Tief in ihrem Innern veränderte sich etwas – aber sie sind sich dessen nicht bewusst.
Sally ist es, die an diesem zweiten Tag zu Joe Scarlock und Ben Savage sagt: »Nehmt uns mit. Wir wollen hier nicht bleiben. Der nächste Nachbar wohnt sieben Meilen von hier entfernt. Nach Tucson sind es mehr als vierzig Meilen. Wir wollen in die Welt hinaus. Nehmt uns mit!«
Sie grinsen beide, und es ist ein wissendes Grinsen.
Und so sagt Joe Scarlock nach einer Weile: »Es juckt euch wohl sehr, ja? Und ihr seid sicherlich auch klug genug, um euch keine Illusionen zu machen, ja?«
Sally und Sue schütteln die Köpfe.
»Wir werden bezahlen müssen«, spricht Sally schließlich. »Für alles muss man einen Preis zahlen. Es gibt nichts geschenkt aus Edelmut oder christlicher Liebe, nicht wahr? Das steht nur in frommen Büchern. Das Leben dort draußen ist anders. Unsere Eltern haben uns das erklärt, uns gewarnt, denn sie spürten sicherlich, dass wir eines Tages von hier weglaufen würden.«
»Ja, wir werden bezahlen«, spricht auch Sue.
Sie sieht dabei geradewegs in Ben Savages grüne Augen. Und Sally starrt geradewegs in die stahlblauen von Joe Scarlock.
»Nehmt uns mit«, fordert sie nochmals. »Ihr werdet es nicht zu bedauern haben. Ihr habt in eurem Leben gewiss schon viele Frauen und Mädchen gesehen. Doch keine war schöner als wir. Oder?«
»Nein, keine«, murmelt Joe Scarlock und hat ein Funkeln in den Augen.
»Keine unter zehntausend würde reizvoller sein als ihr«, erklärt Ben Savage. »Ihr seid wirklich was ganz Besonderes – aber eigentlich noch ungeschliffene Edelsteine. Wenn man euch erst geschliffen und zum Funkeln gebracht hat, dann ...«
Er verstummt wie jemand, dem die Worte fehlen. Aber er rollt mit den Augen, macht ein verzücktes Gesicht und eine vielsagende Hand- und Armbewegung.
»Ja, wir nehmen euch mit«, versprechen sie dann zweistimmig, als hätten sie es vorher einstudiert.