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Ich hatte John Cobb, dem Mann, der in Golden City das Sagen hatte, beim Poker die Hosen ausgezogen. Und zehntausend Dollar waren auch für ihn kein Pappenstiel.
Während ich das Geld zählte und wegsteckte, blieb er mir gegenüber sitzen und sagte mit drohendem Unterton: »So hat mich noch keiner rasiert, und ich verlange natürlich Revanche. Versuch nur nicht, dich mit deiner Beute aus der Stadt zu schleichen! Das würde nämlich verdammt böse für dich ausgehen.«
Nach diesen Worten erhob er sich vom Spieltisch und ging.
Ich wusste Bescheid. Er war zwar ein Bursche, der zehntausend Dollar verschmerzen konnte, aber was er nicht konnte, das war verlieren. Ihm war jetzt ein Stein aus der Krone gefallen, und er würde keine Ruhe geben, bis er die Scharte ausgewetzt hatte.
Für mich war die Lage klar, ich musste schleunigst raus aus der Stadt. Ich durfte keine Sekunde mehr vertrödeln. Wenn es nicht überhaupt schon zu spät war für mich ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Einsam in der Hölle
Vorschau
Impressum
Einsam inder Hölle
Ich hatte John Cobb, dem Mann, der in Golden City das Sagen hatte, beim Poker die Hosen ausgezogen. Und zehntausend Dollar waren auch für ihn kein Pappenstiel.
Während ich das Geld zählte und wegsteckte, blieb er mir gegenüber sitzen und sagte mit drohendem Unterton: »So hat mich noch keiner rasiert, und ich verlange natürlich Revanche. Versuch nur nicht, dich mit deiner Beute aus der Stadt zu schleichen! Das würde nämlich verdammt böse für dich ausgehen.«
Nach diesen Worten erhob er sich vom Spieltisch und ging.
Ich wusste Bescheid. Er war zwar ein Bursche, der zehntausend Dollar verschmerzen konnte, aber was er nicht konnte, das war verlieren. Ihm war jetzt ein Stein aus der Krone gefallen, und er würde keine Ruhe geben, bis er die Scharte ausgewetzt hatte.
Für mich war die Lage klar, ich musste schleunigst raus aus der Stadt. Ich durfte keine Sekunde mehr vertrödeln. Wenn es nicht überhaupt schon zu spät war für mich ...
Als ich die Spielhalle verließ, folgten mir zwei hartgesottene Burschen. Ich wusste, sie gehörten zu John Cobb – und sie waren nicht die einzigen Burschen ihrer Gilde auf seiner Lohnliste.
Ich musste also sofort verschwinden.
Aber wie?
Als ich an Molly Duanes Pussycat Cage vorbeikam, da hielt ich inne. Denn jetzt erschien mir alles recht einfach. Ich ging hinein. Molly Duane saß an der Kasse.
»Hallo, Spieler«, sagte sie, und es klang anerkennend und nicht etwa verächtlich. Sie wusste über alle herausragenden Burschen von Golden City Bescheid, mochten sie böse oder gut sein. Ich gehörte zu dieser Sorte. Denn ich war hier schon nach wenigen Nächten als einer der großen Spieler bekannt geworden. Auch ein Revolverduell mit einem Revolverschwinger hatte ich bereits hinter mir.
Aber Molly Duane wusste sogar schon, dass ich John Cobb blank gemacht hatte.
»Die Gräfin ist noch frei, mein Freund«, sagte Molly, indes wir uns anlächelten wie alte Freunde. »Wollen Sie Ihren Sieg über Cobb feiern?«
Sie war dick, fett, träge wie eine Katze und bewegte sich nur noch schwankend und ächzend. Zumeist hockte sie nur hinter der Kasse. Aber ihr Kopf war noch wunderschön und so, als gehörte er gar nicht zu ihrem fetten Körper.
»O ja, die Gräfin wäre mir recht«, grinste ich. »Die hat Niveau wie eine richtige Gräfin.«
»Sie ist eine«, erwiderte sie. »Ja, sie ist eine russische Gräfin und kam aus Alaska. Und sie kostet fünfzig Dollar bis Mittag. Die Getränke gehen extra. Soll ich Prickelwasser hinaufschicken? Zwanzig Dollar die Flasche, echter Champ aus New Orleans.«
»Sicher.« Ich grinste wieder und warf hundert Dollar auf den Tisch.
Oha, ich konnte es mir leisten. Meine Taschen waren voll. Und auch mein Geldgürtel unter meiner Kleidung, den ich auf dem bloßen Leib trug und in dem sich meine »eiserne Reserve« befand, enthielt einige tausend Dollar.
Molly Duane winkte mit dem Geldschein wie mit einem kleinen Fähnchen.
»Sie sitzt am Klavier«, sagte sie und schien die Worte zu flöten. »Viel Vergnügen, Spieler. Die Gräfin ist wirklich eine schöne Belohnung, wenn man gegen John Cobb beim Poker gewann.«
Ich ging in den großen Raum. Hier waren Mädchen und männliche Gäste an der Bar, in den Nischen und auch auf der Tanzfläche.
Und eine wunderschöne Frau saß am Klavier und spielte wie eine wirkliche Künstlerin. Ich begriff, dass sie früher vielleicht richtige Konzerte gegeben hatte, für die man Eintritt zahlte, weil sie ein künstlerischer Genuss waren. Nun spielte sie hier für einige betrunkene Paare auf der Tanzfläche. Der eigentliche Klavierspieler saß daneben.
Als ich zu ihr trat, sah sie von der Seite her zu mir hoch und beendete das Tanzlied schon bald. Sie erhob sich. Ich bot ihr meinen Arm. Sie trug ein rotes Abendkleid. Und so schritten wir als Paar die geschwungene Treppe hinauf. Ja, ich war sogar sicher, dass sie fast seriös wirkte. Aber sie war eine Hure, wenn auch eine mit einem gewissen Niveau.
Ich war schon mal mit ihr auf ihrem Zimmer gewesen, denn ich war nun mal kein Heiliger, sondern auch nur einer dieser Burschen, die dann und wann eine Frau brauchen, wenn sie anziehend und gepflegt genug ist. Und das war diese Gräfin Natascha, wie sie sich nannte.
Sie sprach sogar mit russischem Akzent. Indes wir die Treppe hinaufgingen, sah ich nochmals über die Schulter. Die beiden hartgesichtigen Burschen, die John Cobb damit beauftragt hatte, mich nicht mehr aus den Augen und schon gar nicht aus der Stadt zu lassen, waren hereingekommen und standen bei Molly Duane an der Kasse.
Sie sahen uns nach.
Natascha hatte ihre Röcke bis zu den Knien gerafft. Ich konnte beim Hochsteigen Stufe für Stufe ihre wunderschönen Beine bestaunen.
Als wir in ihr Zimmer traten, brannte dort eine niedrig gedrehte Lampe.
Natascha sagte: »Mit dir gehe ich besonders gern nach oben. Denn du bist einer von diesen Burschen, mit denen ich ...«
Ich ließ sie nicht ausreden, sondern steckte ihr hundert Dollar in den tiefen Ausschnitt. Dabei sagte ich: »Mein süßer Engel, es wäre gewiss wunderschön mit dir geworden bis zum Mittagessen. Doch ich habe es eilig. Ich will nur durch dieses Fenster dort zum Hof hinunter. Und du wirst doch nicht schreien?«
Sie funkelte mich an.
Dann richtete sie sich gerade und stolz auf und fauchte. »Es gab Männer in meinem Leben, die sind für eine Nacht mit mir gestorben. Aber es gibt ja auch Männer, die sind blind auf der Zunge, wenn sie Kaviar speisen. Scher dich hinaus hier, wenn du blind, taub und gefühllos bist!«
Sie kreischte nicht, o nein, sie fauchte wie ein Pumaweibchen.
Und da wurde mir klar, dass ich es so eilig auch nicht haben sollte. Ein Weilchen konnte ich wohl erübrigen. Denn wer weiß ...
✰
Es war dann fast eine Stunde später, als sie mich mit allen guten Wünschen durch das Fenster hinunter in den dunklen Hof klettern ließ.
Als ich unten auf dem Erdboden stand und einen Moment verhielt, um zu überlegen, welchen Weg ich nehmen sollte, um zu einem Pferd zu kommen, da stieß mir jemand etwas gegen die Seite.
Ich wusste sofort, dass es eine Revolvermündung war.
Meine Augen hatten sich indes auch an die Finsternis gewöhnt, sodass ich den Mann schattenhaft halb hinter mir erkennen konnte.
Oha, die harten Burschen von John Cobb waren tüchtig! Die machten keine Fehler und kannten sich aus, konnten sich vorstellen, was ein Bursche wie ich tun würde, um mit der Spieltischbeute zu entkommen.
Der Mann lachte leise und sagte: »Jetzt bringe ich dich in dein Bettchen, Spieler. Für diese Nacht hast du genug Spaß gehabt, nicht wahr? Einen Haufen Geld gewonnen und eine Gräfin vernascht, oha! Das ist wirklich genug. Schlaf dich mal gründlich aus, damit du fit bist für die nächste Pokerpartie mit Mister Cobb. Gehen wir, Spieler.«
Er zischte die letzten Worte und stieß die Revolvermündung noch stärker gegen meinen Rücken. Denn er hatte an der Hauswand gelehnt, indes ich neben ihm herunter geklettert kam. Offenbar kannte er Nataschas Fenster sehr genau.
Ich seufzte bitter. Und ich wusste, John Cobb wollte jetzt ein für ihn gewiss sehr lustiges Spiel mit mir trieben. Er ließ mich nicht aus diesem Camp und würde so lange jede Nacht mit mir Poker spielen, bis er mich klein gemacht – mir also jeden Dollar abgenommen – hatte.
Das war für ihn das besondere Spiel.
O verdammt, wie kam ich aus dieser Klemme heraus?
✰
Wahrscheinlich half mir der Himmel, denn an dumme Zufälle glaubte ich nicht. Wir kamen etwa ein Dutzend Schritte weit, dann passierte es. Auf einem Schuppendach neben uns kreischten plötzlich zwei Katzen los. Es war ein jähes, wildes, fauchendes Kreischen.
Der Mann halb rechts hinter mir zuckte zusammen und nahm die Revolvermündung von meinem Rücken, gehorchte einem Reflex, der schneller war als jeder Gedanke. Er wollte instinkthaft die Revolvermündung in Richtung des fauchenden Kreischens bringen. Wahrscheinlich tat er dies nur im Ansatz, weil sein Verstand ihn einen Sekundenbruchteil später wieder eingeholt hatte. Doch dieser Sekundenbruchteil genügte mir. Ich wirbelte herum, und mein Haken traf den Burschen auf Ohr und Kinnwinkel.
Er drückte den Revolver ab, und die Kugel brannte wie ein Peitschenhieb über meinen Bauch.
Aber ich hatte ihn voll getroffen. Der Colt entfiel ihm. Er ging auf die Knie. Ich sah das schattenhaft, denn es war finstere Nacht. Zum Hof heraus fiel kein Licht aus den Fenstern. Es war ja schon fast grauer Morgen. Um diese Zeit war Golden City zur Ruhe gegangen wie ein Untier nach langem Toben.
Ich stieß dem Burschen das Knie mitten ins Gesicht, sodass er nach hinten fiel. Dann machte ich mich auf die Socken. Der Streifschuss quer über meinen Bauch brannte wie Feuer, aber er behinderte mich nicht. Ich konnte laufen wie ein flüchtender Hirsch. Und das war auch nötig.
Denn der Schuss hatte gekracht wie ein Donnerschlag in der so still gewordenen Stadt. Ich wusste, dass der andere Bursche nun von der Vorderseite von Molly Duanes Etablissement in den Hof kommen würde, um zu erfahren, was geschehen war. Er würde seinen Partner finden – und dann würde die Jagd auf mich beginnen. Die beiden Kerle würden schnell Verstärkung erhalten.
Ich musste weg von Golden City, nichts wie weg!
Mein einziger Gedanke war: Woher bekomme ich ein Pferd? Da ich mit der Postkutsche von Fort Benton aus nach Golden City gekommen war, besaß ich hier kein Pferd.
Und um mir im Mietstall eines zu beschaffen, dazu reichte die Zeit gewiss nicht mehr. Ich musste also das erstbeste Pferd nehmen, das ich fand. Natürlich machte mich das zu einem Pferdedieb, doch dies schien mir das geringere Übel zu sein.
Ich suchte mir in der Finsternis dieser schwarzen Nacht den Weg, kam durch weitere Höfe zwischen Schuppen hindurch in eine enge Gasse und wandte mich in Richtung Hauptstraße.
Und hier – in dieser Gassenmündung – fand ich ein Pferd. Neben ihm lag ein Mann am Boden und schnarchte. Als ich niederkniete und mich zu dem Schnarcher beugte, da roch ich es. Er stank zehn Meilen gegen den Wind nach Feuerwasser und Erbrochenem, wie ein Wildeber stank er! Mir war klar, dass er nicht mehr in den Sattel gekommen war, weil er sich beschlaucht hatte wie ein ganzer Indianerstamm – und wer schon mal Rote saufen sah, der weiß, was ich meine.
Ich holte Geld aus meiner Tasche, und weil ich die Scheine in der Finsternis nicht betrachten konnte, nahm ich gewiss sehr viel mehr, als sein Pferd mitsamt dem Sattel und der Sattelrolle wert war. Auch zwei Packtaschen trug der Gaul.
Ich steckte dem schnarchenden Stinker das Geld in die Hosentasche. Er würde sich dafür selbst hier, wo alles so teuer war, mehr als nur ein Pferd kaufen können.
Dann saß ich auf und ritt los.
Es gab für mich nur zwei Möglichkeiten – nach rechts oder nach links, also nach Süden oder nach Norden. Nur in diese beiden Richtungen kam man aus dem Canyon hinaus, in dem diese Stadt wie ein Korken auf dem Flaschenhals saß.
Meine Gedanken jagten sich. Denn ich musste mich jetzt binnen zwei oder drei Sekunden entscheiden.
Aber nach Süden war freies Land, durch das sich später von Bozeman der Trail bis Fort Laramie hinzog. Es gab weite Ebene, so richtig geschaffen für eine Jagd. Denn man konnte das Wild schon auf weite Entfernungen sichten. Und überdies lauerten Banditen jedem einzelnen Reiter auf, weil es immer wieder erfolgreiche Goldgräber gab, die mit ihrer Ausbeute heimwärts strebten und auf abseitigen Pfaden durchzukommen hofften.
Weiter im Süden lauerten Indianer der Sioux-Stämme, aber auch Cheyennes und Arapahoes auf jeden Weißen.
Ich würde also nicht nur von John Cobbs harten Jungs verfolgt werden, sondern musste auch noch mit Banditen und Indianern rechnen. Ich konnte in diesem übersichtlichen Land auch meine Fährte nicht hundertprozentig verwischen.
Also musste ich nach Norden.
Ich entschloss mich binnen dreier Sekunden und zog die Nase meines Pferdes in diese Richtung.
Ich war mir dabei natürlich der Gefahren bewusst, die auch auf dem Nordweg auf mich warteten.
Denn es gab nur drei Wege über die Berge nach Norden oder Nordwesten. Ich hatte mich in den vergangenen Tagen bei alten und erfahrenen Bergläufern und Jägern längst danach erkundigt.
Ich musste über die Bitter Roots nach Nordwesten, später dann genau nach Westen. Nur so kam ich an den großen Strom, wo ich ein Schiff zur Westküste erhielt. Anders kam ich nicht aus dem Land heraus – es sei denn, ich wollte nach Kanada. Aber ich wollte ja nicht in die Einsamkeit, sondern ganz im Gegenteil aus ihr heraus. Ich konnte an der Küste ein Seeschiff nach San Francisco besteigen.
Und dort würde es mir mit all dem Geld gewiss sehr gut gefallen.
Meine Entscheidung, nach Norden oder Nordwesten zu reiten, wäre gut gewesen, hätte der Winter nicht vor der Tür gestanden.
Denn wenn ich nicht auf einem der drei Wege über die Pässe kam, dann würde ich sozusagen einsam in der Hölle sein – in der Eishölle des Winters irgendwo eingeschlossen in den Bergen.
O verdammt, ich war wohl durch und durch ein verdammter Spieler, der stets alles auf eine Karte setzte.
✰
Als der Morgen graute und die Sicht etwas besser wurde, erreichte ich den Anstieg zum Burro-Pass. Ich war inzwischen aus dem Canyon herausgekommen und hatte das Goldfundgebiet von Golden City verlassen.
Als ich die Wasserscheide des Passes erreichte, war es fast Mittag. Ich hielt das Pferd an, zog es herum und blickte hinunter.
Bisher war mir niemand gefolgt.
Alles bewegte sich in die Gegenrichtung, also nach Golden City.
Doch nun – von der Wasserscheide des Passes aus – sah ich die Reiter kommen. Ich zählte fünf. Und sie ritten ziemlich rau, trieben ihre Pferde an. Es waren gewiss meine Verfolger. Irgendwie hatten John Cobbs Männer herausgefunden, in welcher Richtung ich aus der Stadt geritten war.
Und nun hatten sie es eilig.
Ich seufzte. Dieser John Cobb machte wohl alles zu einer Prestigesache. Er wollte nicht verlieren, sondern Revanche. Normalerweise gab ich jedem Verlierer Revanche. Das gehörte sich so, war Charaktersache und entsprach der Moral eines Mannes. Doch John Cobb hatte mir gewissermaßen verboten, Golden City zu verlassen, und ich wusste zu gut, dass ich nicht eher weggekommen wäre, bis er mich am Boden liegen gehabt hätte.
Darauf konnte ich es nicht ankommen lassen – es sei denn, ich ergab mich aus Furcht vor ihm und seiner Macht.
Ich überlegte, ob ich die fünf Verfolger mit dem Gewehr aufhalten sollte.
Ja, ich besaß ein Gewehr. Es steckte im Sattelschuh des Pferdes, und ich hatte es längst überprüft. Es war ein gutes Gewehr, ein Spencer-Karabiner, mit dem man fünfmal schießen konnte, bevor nachgeladen werden musste.
In den Satteltaschen waren auch reichlich Munition und viele andere Dinge, die für einen Mann, der längere Zeit unterwegs sein wollte, notwendig waren. In der Sattelrolle waren Decken, eine geteerte Zeltplane und Reservewäsche.
Der ursprüngliche Besitzer des Pferdes hatte offenbar einen weiteren Ritt vor und war dementsprechend ausgerüstet. Vielleicht wollte er sich gar nicht so sehr beschlauchen, sondern nur ein oder zwei Drinks nehmen.
Ich wollte nicht schießen und töten, wenn es nicht unbedingt nötig war, und so wandte ich mein Pferd wieder mit der Nase nach Nordwesten, denn in diese Richtung führte der Pfad von der Wasserscheide hinunter. Vielleicht gaben die Verfolger im Verlauf des Tages die Verfolgung auf.
Ich ritt weiter in die Berge hinein.
Unten öffnete sich das Maul eines Canyons, so als wartete er nur darauf, mich aufzunehmen.
Ich war sicher, dass ich auf dem richtigen Weg war. Denn außer diesem, auf dem ich ritt, gab es nur noch zwei – einen nach Südwesten und einen genau nach Norden, also zur Grenze von Kanada.
Das Pferd war ein braver Brauner, stark und zäh, gewöhnt, in den Bergen zu klettern und auch Steilhänge auf der Hinterhand abwärts zu rutschen.
Wir verstanden uns gut von Anfang an. Und ich ritt den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein, bis ich nichts mehr sah und mein Pferd endlich eine Rast haben musste.
In einer Bergfalte fand ich einen guten Platz zwischen Tannen. Ich machte sogar ein Feuer, denn ich wusste, die Verfolger hatten ebenfalls längst angehalten, um meine Fährte nicht zu verlieren.
Es war eine merkwürdig stille Nacht. Der kalte Wind, der den ganzen Tag von Norden her wehte, war gestorben. Es war so, als hielte die Welt den Atem an unter einem schwarzen Himmel.
Nicht ein einziger Stern leuchtete. Alles war schwarz und still.
Kein Wolf heulte, kein Nachtfalke jagte – nichts von all dem Kleingetier raschelte oder fiepte. Es schien mir, als würde ich das einzige Lebewesen in weiter Runde sein.
Nun, ich war zwar zurzeit ein Spieler, doch auch an das Leben im Freien gewöhnt. Ich war in Tennessee aufgewachsen und hatte mit meinem Vater, dem Onkel und drei Brüdern gejagt und gefischt.
Und später hatte ich während des Krieges als Captain eine Abteilung geführt, die hinter den feindlichen Linien operierte, Guerillas jagte und monatelang im Freien lebte.
Ich kannte mich also aus. Deshalb war ich irgendwie unruhig. Denn diese Nacht gefiel mir nicht.
Dennoch legte ich mich zur Ruhe.
Ich hatte einen ganzen Tag, eine lange Nacht und nun wieder einen ganzen Tag nicht geschlafen.
Nun musste ich es einfach tun.
✰
Mitten in der Nacht erwachte ich.
O verdammt, was war das?
Mein Feuer war erloschen. Ich fror fürchterlich.
Verdammt, warum war es so bitterkalt?
Das braune Laub raschelte fortwährend, und es kam mir wie das Rasseln von zehntausend Klapperschlangen vor.
Verdammt, was war das?
Dann fiel es mir ein. Denn ich erinnerte mich an Geschichten von Männern, die schon mal einen Blizzard erlebt und sein Kommen genau beschrieben hatten.
Doch ich hatte den Zeichen bisher noch nicht glauben wollen. Aber dieser jähe Temperatursturz war das untrüglichste Zeichen in dieser Jahreszeit.
Dort oben im Norden lauerte bereits grausame Kälte. Wenn jetzt der Wind noch einmal drehte, kam von Süden her wieder Wärme herauf.
Und dann ging es los mit der weißen Hölle. So etwa hatten es mir erfahrene Scouts und Bergläufer erklärt.
Ich brachte zuerst das erloschene Feuer wieder in Gang, hängte mir die Decken um und hockte vor den lodernden Flammen, die nur meine Vorderseite wärmten.
Ich überlegte sorgsam. Denn es galt eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen.
Wenn ich weiter durch die Berge nach Nordwesten oder Westen ritt und der erste Blizzard schon in zwei oder drei Tagen kam, dann saß ich fest und war einsam in der Hölle. Ich wusste, man brauchte an die sechs Tage, um über die Bitter Roots Mountains zu kommen.
Würde dieser Blizzard noch sechs Tage auf sich warten lassen?
Die jähe Kälte war eine letzte Warnung und ließ mich noch einmal alles überdenken. Diesmal musste ich mich nicht in wenigen Sekunden entscheiden, wohin ich die Nase meines Pferdes lenken sollte. Aber je länger ich am lodernden Feuer nachdachte, umso entschlossener war ich, es dennoch trotz des drohenden Blizzards zu wagen.
Ja, verdammt, ich war ein Spieler und würde das wohl immer bleiben.