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Es war in Nord-Virginia, als der letzte, traurige Kriegsrat unserer schon geschlagenen Armee stattfand.
Das Hauptquartier war jämmerlich primitiv. Es gab keine Zelte, keine Tische. Nur ein Lagerfeuer brannte unter mächtigen Bäumen. Die Offiziere hockten auf Decken oder Sätteln.
General Lee bestand darauf, dass wir uns niedersetzten. Er aber lehnte stehend am Stamm eines alten Baumes, und er kam uns ebenfalls wie ein alter Baum vor, der schon zu lange allen Stürmen standgehalten hatte. Der Feuerschein beleuchtete sein zerfurchtes Gesicht.
O Vater im Himmel, er war uns ein so großartiger Kommandeur gewesen. Doch all seine Kriegskunst hatte nichts ausrichten können gegen die Macht des Nordens.
Nach einer Weile - als wir alle versammelt waren - begann er zu sprechen ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Bandoleros
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Impressum
Bandoleros
Es war in Nord-Virginia, als der letzte, traurige Kriegsrat unserer schon geschlagenen Armee stattfand.
Das Hauptquartier war jämmerlich primitiv. Es gab keine Zelte, keine Tische. Nur ein Lagerfeuer brannte unter mächtigen Bäumen. Die Offiziere hockten auf Decken oder Sätteln.
General Lee bestand darauf, dass wir uns niedersetzten. Er aber lehnte stehend am Stamm eines alten Baumes, und er kam uns ebenfalls wie ein alter Baum vor, der schon zu lange allen Stürmen standgehalten hatte. Der Feuerschein beleuchtete sein zerfurchtes Gesicht.
O Vater im Himmel, er war uns ein so großartiger Kommandeur gewesen. Doch all seine Kriegskunst hatte nichts ausrichten können gegen die Macht des Nordens.
Nach einer Weile – als wir alle versammelt waren – begann er zu sprechen ...
»Gentlemen, unsere Lage ist hoffnungslos. Ich habe nun alle Meldungen erhalten, auf die ich noch warten musste. Meine Armee besteht nur noch aus achttausend bewaffneten und etwa zwanzigtausend unbewaffneten Soldaten. Letztere warfen auf der Flucht ihre Waffen fort, wollten nur noch ihr Leben retten. Und alle sind wir bis ins Mark erschöpft und fast verhungert. Ich habe von General Grant die Forderung zur Kapitulation und Übergabe erhalten. Wir sind von seiner mehrfach überlegenen Armee umzingelt. Alle Rückzugswege sind uns abgeschnitten. Dies ist die Lage, Gentlemen.«
Es war der 8. April 1865.
Wir alle schwiegen eine Weile. Einige von uns knirschten mit den Zähnen, und vielleicht rannen diesem oder jenem Tränen über die Wangen. Denn wir hatten umsonst gekämpft und das ganze Leid gemeinsam mit unserer Zivilbevölkerung nutzlos ertragen. Dieser Krieg hatte uns alle ins Elend gestürzt, so wie es jeder Krieg tut – und das auf beiden Seiten.
Ja, es war ein verdammter Krieg. Wir hassten ihn längst.
Doch darum ging es jetzt nicht. Es ging jetzt um unseren Stolz. Wir Südstaatler der Konföderation wollten nicht zu Boden gehen.
Wir begannen dann mit den Beratungen.
Sollten wir uns ergeben oder einen Durchbruch aus der Umzingelung versuchen?
Taten wir Letzteres und gelang uns dies, würden wir keine gefangene Armee mehr sein und auf eine ehrenhaftere Weise Frieden schließen können.
Nun, wir fassten zuletzt den Entschluss, den Durchbruch zu wagen.
General Lee gab nun jedem der Offiziere die Befehle.
Da ich nur den Rang eines Captains hatte, war ich einer der Letzten, an den er sich wandte.
»Captain Kilbourne ...«, so begann er und wartete, bis ich vor ihm stand.
»Yes, Sir«, sagte ich.
Im Feuerschein betrachteten wir uns. Er war ein sechs Fuß großer, sehr stattlicher Mann. Und in seinen hellen Augen erkannte ich noch einmal jenes Leuchten, das uns stets begeistert und mitgerissen hatte.
»Sie führen das Regiment von Colonel Hartford, weil alle ranghöheren Offiziere gefallen sind?«
»Yes, Sir, so ist es.«
»Wie viele Reiter haben Sie noch?«
»Siebenundfünfzig, Sir. Aber jeder zählt für drei oder vier. Es sind die besten Männer der alten Texasbrigade, Sir.«
Ich sagte es mit Überzeugung, um mir selbst Mut zu machen und ihm zu verstehen zu geben, dass er sich auf uns verlassen konnte.
Das zwingende Leuchten in seinen Augen wurde stärker.
Dann sprach er: »Mein Sohn, ich verlasse mich auf euch. Bringt die Geschütze auf dem Hügel an unserer Ostflanke zum Schweigen. Es ist unsere linke Flanke, und wir verlieren unsere Angriffswucht, wenn wir von der Seite her Feuer bekommen. Die sechs Geschütze müssen erobert werden. Captain Hackett folgt Ihnen mit zwei Bagagewagen voller Artilleristen. Diese sollen mit den eroberten Geschützen in die Unionstruppen feuern. So einfach ist das.«
»Yes, Sir«, erwiderte ich und salutierte.
Dann machte ich mich auf den Weg zu meinen Reitern und rief die Sergeants zu mir. Offiziere gab es außer mir keine mehr.
Die Sergeants starrten mich an in der verblassenden Nacht.
Ich sagte ihnen, was General Lee von uns erwartete, und sie begriffen, dass wir alle nur so aus der Mausefalle entkommen konnten.
Master Sergeant Mike Banner fragte: »Und was ist, Sir, wenn unser Durchbruch nicht gelingen sollte? Dann bleibt uns doch nur noch die Gefangenschaft – oder?«
Nun spürte ich die Blicke der drei Sergeants noch deutlicher.
Und ich schüttelte den Kopf.
»Wenn wir die Geschütze den nachfolgenden Artilleristen übergeben haben«, sprach ich, »brechen wir weiter durch – geradewegs nach Texas. Das ist ein verdammt weiter Weg – weiter als fünfzehnhundert Meilen. Aber wer unseren letzten Angriff überlebt, der wird es mit mir schaffen. Wir gehen nicht in Gefangenschaft, und mag diese noch so ehrenhaft sein – wir nicht. Wir brechen durch, auf jeden Fall.«
Damit hatte ich es ihnen gesagt. Genau das hatten sie hören wollen. Wir waren ein kläglicher Rest der glorreichen Texas-Brigade von Stonewall Jackson, und General Lee würde kapitulieren müssen nach diesem Durchbruch.
Es war dann keine Fahnenflucht mehr, wenn wir heimritten.
Die Sergeants gingen zu ihren jämmerlich dezimierten Schwadronen. Keine war noch stärker als zwanzig Reiter statt deren mehr als hundert.
Wir saßen auf und warteten auf die Hornsignale.
Diese ertönten schon bald.
Und so ritten wir an im Morgengrauen, während die Nebel stiegen und uns Deckung gaben.
Überall hatten sich nun die erschöpften, halb verhungerten und kranken Soldaten erhoben, um die Sturmreihen zu formieren.
Meldereiter waren unterwegs.
Als wir den Fuß des langen Hügels erreichten, auf dessen Kamm die Geschütze standen, die bei Tageslicht auf uns zu feuern beginnen würden, wenn wir uns nicht endlich ergaben, ließ ich angaloppieren.
Es war kein steiler, jedoch ein ziemlich langer Hang. Es waren auch keine hohen Hügel, kaum mehr als hohe Bodenwellen. Und so galoppierten unsere Pferde wahrhaftig die Viertelmeile, ohne zu ermüden.
Obwohl die Yanks unsere Hornsignale hörten, konnten sie wohl nicht glauben, dass sich unsere erschöpfte, halb verhungerte und arg dezimierte Armee noch einmal zum Angriff aufraffen würde.
Aber was meine Reiter und mich betraf, wir kamen noch mal wie die Teufel aus der Hölle gejagt, wie wir von der Texasbrigade es schon so oft getan hatten.
Es waren alles Texaner, mit denen ich ritt. Wir lenkten unsere Pferde mit den Schenkeln und hatten die Zügel zwischen den Zähnen.
In einer Hand hielten wir den Säbel und in der anderen Hand den Colt. So griffen wir an.
Es wurde die Hölle, und ich möchte das Blutvergießen und Töten nicht einzeln schildern, denn das ist ja nicht der Sinn meiner Geschichte.
Wir nahmen die sechs Geschütze. Ja, wir eroberten sie und machten die Bedienungen klein trotz eigener Verluste.
Dann war es vorbei, und wir warteten keuchend und fluchend auf die Artilleristen, versorgten dabei, so gut wir konnten, unsere Verwundeten, zählten die Toten, deren Namen ich in mein arg zerfleddertes Notizbuch eintrug.
Endlich kamen die beiden Wagen mit Captain Hackett und dessen Artilleristen den Hügel herauf gefahren.
»Gute Arbeit, Blake!«, rief er mir zu. »Wirklich erstklassige Arbeit, Blake Kilbourne! Doch jetzt könnt ihr abhauen, weil wir an der Reihe sind!«
Indes seine Kanoniere die Geschütze umdrehten, legten wir unsere Verwundeten in die beiden Wagen.
Dann saßen wir wieder auf.
Und nun führte ich nur noch siebzehn Mann gen Süden – siebzehn von siebenundfünfzig!
O Vater im Himmel, was würde noch alles kommen?
✰
Es war ein weiter Weg vom Appomattox River nach Texas. Wir waren abgerissen, halb verhungert, zum Teil krank und verwundet, ohne Proviant und Ausrüstung. In unseren zerlumpten Uniformen waren wir nichts anderes als armselige Satteltramps.
Aber wir waren Texaner auf dem Heimweg nach Texas. Das war die Kraft, die uns antrieb. Wir wollten den Yankees nicht unsere Waffen übergeben und von ihnen nicht gefangen werden. Unbesiegt wollten wir heim.
Wir ritten durch ein vom Krieg verwüstetes Land, sahen niedergebrannte Herrenhäuser, verwüstete Plantagen und Farmen und all die vielen anderen schrecklichen Zeichen der Zerstörung.
Irgendwann ritten wir durch den sogenannten Baumwollgürtel von Tennessee und erreichten irgendwo zwischen Memphis und Dyersburg den mächtigen Mississippi.
Auf der anderen Seite lag Arkansas.
Und wenn wir drüben waren, hatten wir erst den halben Weg nach Texas geschafft. Oh, verdammt, wie weit das war!
Wir ritten flussabwärts, denn irgendwo musste es einen Ort mit einer Fähre geben.
Dann sahen wir den Jungen auf dem Maultier kommen.
Ja, es war noch ein Junge, so zwischen fünfzehn und sechzehn. Er saß barfuß auf einem ungesattelten Maultier, und als er uns sah, hämmerte er dem Maultier die nackten Fersen gegen die Weichen, dass es zu traben begann.
Er hielt bei uns an, und sein suchender Blick blieb auf mir haften.
»Sir«, sagte er. »Ich bin auf der Suche nach Hilfe für die Frauen der Kutsche.«
Nachdem er dies gesagt hatte, begriff er, dass er mir die ganze Sache genauer erklären musste.
Er wandte sich auf dem Maultierrücken um und zeigte zurück auf die bewaldete Landzunge, hinter der sich wahrscheinlich eine Bucht oder eine Biegung des Stromes befand.
»Dort liegt Potters Fähre, Sir«, sagte er. »Eine kleine Siedlung am Wagenweg. Ich bin Potters Gehilfe. Es kam zuerst eine Kutsche mit einer Theatergruppe. Alles nur Frauen oder Mädchen, Tänzerinnen, Sängerinnen, Musikantinnen. Hinter ihnen kam dann Alvah Rankins Guerillabande. Haben Sie schon von Alvah Rankin gehört, Sir?«
Ich nickte.
Denn wir Texaner kannten ihn gut. Zuerst hatte er für die Konföderierten gemordet, geraubt und gebrandschatzt. Aber weil er es zu schlimm trieb mit seinen Banditen, erklärte die Konföderation ihn als vogelfrei und zum Feind ihres Staatenbundes. Von nun an kämpfte er für die Union und fügte dem Süden überall großen Schaden zu. Schließlich aber distanzierte sich auch die Union von ihm und wies alle Kommandeure an, ihn nicht zu schonen, sondern wie einen Mordbrenner zu behandeln. Deshalb wurde er seit der Zeit von beiden Seiten verfolgt.
Und nun war er dort bei der Fähre und hatte eine Kutsche voller Frauen und Mädchen in seiner Gewalt.
Wir alle wussten, was seine Leute und er mit den Frauen machen würden. Oha, da brauchte man keine große Vorstellungskraft zu haben.
Nun lag es an uns.
Ich sah meine Männer an.
Und da erkannte ich es. Sie hassten den Kampf, weil sie in den vergangenen Jahren zu viel gekämpft hatten. Sie wollten Frieden, gegenseitige Duldung, Schonung, wohlwollende Freundlichkeit unter allen Menschen.
Danach hatten sie sich zuletzt immer heißer gesehnt.
Doch jetzt ...
Sie waren Texaner, und in Texas waren Frauen schon von Anfang an ganz besonders beschützenswerte Wesen.
Ich fragte den Jungen: »Wie viele sind es? Und was haben sie bis jetzt getan?«
»Zwei Dutzend«, erwiderte er. »Und die grünäugige Frau spielt mit Alvah Rankin um alles oder nichts. Wenn sie verliert, müssen sie und die anderen Frauen und Mädchen ihm und seinen Schuften zu Willen sein. Wenn sie gewinnt – so versprach er –, wird ihnen nichts geschehen. Aber wird er sein Wort halten? Er hat noch nie sein Wort gehalten.«
Die Stimme des Junge klirrte.
Als ich mich im Sattel nach beiden Seiten umsah, da saßen meine Männer auf ihren Pferden und waren bereit.
Ich nickte und sagte: »Eure Mütter werden stolz auf euch sein – diesmal gewiss.«
Und dann ritten wir an.
✰
Der Wald auf der Landzunge gab uns Deckung bis dicht an die Siedlung.
Sie hatten einen betrunkenen Posten an der Fähre und einen im Wald. Beide erledigten wir während des Heranreitens mit raschen Schüssen.
Und dann waren wir wie die Teufel bei den Häusern und dem Store, der zur Hälfte ein Saloon war.
Die Kerle kamen heraus und wollten zu ihren Pferden, weil sie fürchteten, von einer Übermacht eingeschlossen zu werden.
Wir gaben es ihnen, indes sie die Flucht ergriffen.
Hätten sie sich uns gestellt, wäre es böser für uns ausgegangen. Doch sie erkannten zu spät, dass wir zahlenmäßig längst nicht so stark waren wie sie.
Überdies ließ ich den Hornisten das Signal zum Angriff schmettern. Deshalb glaubten sie, dass wir in der nächsten Minute Verstärkung bekommen würden.
Wir schossen fast ein Dutzend aus den Sätteln.
Es war fast lächerlich einfach. Doch wahrscheinlich lag es daran, dass sie alle schon ziemlich schlimm betrunken waren.
Ich ging in den Gastraum des Store, denn der Junge hatte mir von der Frau erzählt, die mit Alvah Rankin um alles oder nichts für sich und die anderen Frauen und Mädchen der Theatergruppe spielte.
Als ich eintrat, sah ich sie. Ich sah auch die anderen Frauen und Mädchen – und ich sah Alvah Rankin, der sie alle mit dem Revolver bedrohte.
Über seine Schulter hinweg blickte er mir entgegen und rief heiser: »Ich erschieße noch zwei oder drei, bevor du mich töten kannst! Ich schwöre dir, dass es hier noch ein Blutbad gibt, wenn ich keinen freien Abzug bekomme!«
Alvah Rankin war ein untersetzter, dunkelhaariger Bursche, der fast wie ein Mexikaner wirkte. Er ließ an einen schwarzen Toro denken. Und er bluffte gewiss nicht. Er saß in der Klemme und würde alles riskieren.
Ich sah auf die Frauen und Mädchen. Es waren acht.
Die grünäugige Frau saß noch am Tisch, auf dem die Karten lagen. Die anderen Frauen oder Mädchen drängten sich drüben an der Wand zu einer Traube zusammen, als wollten sie sich gegenseitig durch ihre körperliche Nähe schützen.
Ich nickte langsam. Denn ich wusste, wenn er da hineinschoss, wurde es schlimm.
»Sicher, du hast freien Abzug, Rankin«, sagte ich und wandte mich um, als wollte ich wieder hinaus ins Freie treten.
Meinen Colt hatte ich ins Holster geschoben. Das hatte ihn beruhigt.
Doch als ich mich abwandte, zog ich ihn wieder und schoss unter dem linken Arm hindurch nach hinten. Es war ein blitzschneller Schnappschuss. Ich hatte ihn in all den Jahren viele, viele Male geübt. Und er hatte mir im Ernstfall während des Krieges mehr als einmal das Leben gerettet.
Ich traf Rankin voll, und als er abdrückte, schoss er vor den Füßen der Frauen in die Holzdielen. Dann sackte er in sich zusammen und krachte zu Boden.
Es war einige Atemzüge lang still. Pulverdampf breitete sich aus und biss uns in Augen und Nasen.
Die grünäugige Frau fragte kühl vom Tisch her: »Sie waren sich wohl Ihres Schnappschusses sehr sicher, Captain, wie?«
Ich nickte. »Ziemlich«, erwiderte ich, trat an den Tisch und sah auf die Karten.
»Hätten Sie denn gewonnen, Lady?« So fragte ich und setzte hinzu: »Der Junge erzählte uns, dass Sie mit Rankin um alles oder nichts spielen würden. Hätten Sie gewonnen?«
Sie drehte ihre Karten um. Es waren vier Damen und eine Zehn.
Dann aber beugte sie sich vor und drehte Rankins Blatt um.
Die Mädchen und Frauen waren indes näher getreten, und nun sahen wir es alle. Alvah Rankins Kartenblatt war ein Royal Flush, die höchste Karte beim Poker.
»Er hätte gewonnen«, sagte die schöne Frau, indes ich in ihre grünen Augen sah. »Wir hätten dieser Bande gehört. So war es ausgemacht. Sie kamen noch rechtzeitig, Captain. Wir danken Ihnen.«
»Mein Name ist Kilbourne, Blake Kilbourne«, sagte ich.
»Und ich bin Sue Wood«, erwiderte sie.
Dabei sahen wir uns an, und es war von Anfang an etwas zwischen uns. Ich spürte es genau, und in ihren Augen erkannte ich, dass es ihr ebenso erging.
Indes wir uns immer noch in die Augen sahen und unsere Ausstrahlungen sich trafen und vereinten, sodass eine Art Bindung zwischen uns entstand, trat aus der Gruppe der Mädchen eine ältere Frau auf mich zu.
»Ich bin Molly Mallone«, sagte sie, »die Prinzipalin dieser Truppe. Wir spielten, sangen und tanzten für die Truppen der Konföderation und wollen nach New Orleans zurück. Wir sind Ihnen sehr dankbar, Captain, Ihnen und Ihren Soldaten.«
Inzwischen waren einige meiner Männer hereingekommen.
Sergeant Banner sagte: »Gern geschehen, Schwestern. Nicht wahr, Captain, dafür brauchen sich die Ladys nicht zu bedanken?«
Ich nickte nur stumm.
Dann kamen sie, um den toten Alvah Rankin hinauszutragen.
Ich wandte mich an die ältere Frau, die sich als Molly Mallone vorgestellt hatte. »Wir sind müde, ausgebrannt und hungrig«, sagte ich. »Wir bleiben eine Weile. Sie warten gewiss auf ein Dampfboot, Ladys, nicht wahr? Vielleicht kommt eines, während wir hier in Potter's Ferry ausruhen.«
Nach diesen Worten sah ich noch mal in die grünen Augen der Spielerin, von der ich glaubte, dass sie eigentlich nicht zu dieser Theatergruppe gehörte. Sie wirkte mir einfach zu selbstständig.
Und wieder erkannte ich in diesen Augen etwas, was mir mehr sagte als viele Worte.
Oha, es hatte mich wie ein Blitz getroffen.
Und ich begriff in dieser Minute, dass ich mit meinen Männern nicht nur deshalb hier ausruhen wollte, weil wir alle erschöpft waren und auch unsere Pferde eine längere Rast brauchten, sondern weil ich diese Sue Wood näher und besser kennen lernen wollte.
Ich ging hinaus, um meinen Männern zu sagen, dass wir eine Weile bleiben würden. Wir mussten Posten aufstellen. Es gab auch noch andere Dinge anzuordnen.
Die Toten mussten beerdigt werden. Doch dabei würden uns die Leute dieser Siedlung helfen.
Es gab für mich eine Weile zu tun. Und ich sah mich auf meinem Pferd auch nochmals in der Umgebung gründlich um.
Als ich am Fluss entlang zurückritt, sah ich bei der Landebrücke, wo auch die Fähre festgemacht war, Sue Wood auf dem Geländer sitzen. Sie trug ein praktisches Reisekostüm von der Farbe ihrer Augen. Ihr rotgoldenes Haar hatte sie mit einem grünen Samtband im Nacken zu einer Art Pferdeschwanz gebändigt.
Der Wind, der fast immer an diesem gewaltigen Strom wehte, zerrte an ihrer Kleidung und zauste ihr Haar. Aber sie genoss den Wind. Das sah ich ihr an. Sie gehörte zu jener Sorte von Frauen, die sich gerne gegen den Wind stellen, um sich umwehen zu lassen von seiner Frische.
Ich ritt auf die Landebrücke und saß ab. Langsam trat ich zu ihr. Sie sah mich fest an. Dann lächelten wir uns zu. »Das ist es wohl?« So fragte ich.
Oh, sie wusste sofort, wie ich es meinte.
Denn sie nickte und erwiderte: »Ja, das ist es wohl, Blake Kilbourne.«
Wir sahen uns immer noch an und wussten, dass wir diese Nacht beisammen sein würden. Es war alles ganz einfach und selbstverständlich und bedurfte keiner besonderen Worte. Dennoch war es ein Wunder.