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Ich war damals auf einem der großen Dampfboote den Mississippi heruntergekommen. Eigentlich hatte ich mal den Golf von Mexiko sehen wollen, doch ich kam nur bis New Orleans.
Gegen drei Uhr - also etwa eine Stunde vor Morgengrauen - verließ ich eines der vielen Tingeltangel an der Uferstraße.
Ich ging zu einer kleinen Landebrücke, an der kein Schiff lag. Von diesem Platz aus konnte ich den ganzen Flusshafen überblicken.
Unter den Planken der Landebrücke plätscherten die Wellen. Und auf einmal war es mir, als wäre das Stöhnen eines Menschen zu hören. Aber dann war ich wieder sicher, dass es die Planken und Pfähle waren, die unablässig knirschten, rieben und knarrten.
Doch plötzlich kamen zwei Männer am Ufer entlang und zu mir auf die Brücke. Ich begriff schnell, dass es keine Müßiggänger waren, die wie ich in der linden Nacht die Lichterpracht des Hafens bewundern wollten.
Sie kamen zu mir und starrten mich im Mond- und Sternenlicht an. Ich fragte ruhig: »Nun, Freunde, was soll's denn sein?«
Aber sie wandten sich schon wieder ab.
»Ach, rutsch uns doch mal den Buckel runter ...«, hörte ich einen von ihnen knurren ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Der letzte Ritter
Vorschau
Impressum
Der letzte Ritter
Ich war damals auf einem der großen Dampfboote den Mississippi heruntergekommen. Eigentlich hatte ich mal den Golf von Mexiko sehen wollen, doch ich kam nur bis New Orleans.
Gegen drei Uhr – also etwa eine Stunde vor Morgengrauen – verließ ich eines der vielen Tingeltangel an der Uferstraße.
Ich ging zu einer kleinen Landebrücke, an der kein Schiff lag. Von diesem Platz aus konnte ich den ganzen Flusshafen überblicken.
Unter den Planken der Landebrücke plätscherten die Wellen. Und auf einmal war es mir, als wäre das Stöhnen eines Menschen zu hören. Aber dann war ich wieder sicher, dass es die Planken und Pfähle waren, die unablässig knirschten, rieben und knarrten.
Doch plötzlich kamen zwei Männer am Ufer entlang und zu mir auf die Brücke. Ich begriff schnell, dass es keine Müßiggänger waren, die wie ich in der linden Nacht die Lichterpracht des Hafens bewundern wollten.
Sie kamen zu mir und starrten mich im Mond- und Sternenlicht an. Ich fragte ruhig: »Nun, Freunde, was soll's denn sein?«
Aber sie wandten sich schon wieder ab.
»Ach, rutsch uns doch mal den Buckel runter ...«, hörte ich einen von ihnen knurren ...
Sie verließen die Landebrücke, begannen jedoch vom Ufer aus in die Verstrebungen der Brücke zu klettern.
Nun war mir klar, dass sie etwas suchten.
Und nun erinnerte ich mich auch wieder an die merkwürdigen Geräusche, welche ich vorhin zu hören geglaubt hatte. Plötzlich bekamen sie für mich einen anderen Sinn.
Suchten die beiden Pilger vielleicht einen Menschen, der sich vor ihnen unter dieser Landebrücke im Fluss versteckte?
Ich war ein misstrauischer Bursche mit einem scharfen Instinkt. Denn dort, wo ich herkam, musste man höllisch auf sich aufpassen, wollte man überleben.
Natürlich wusste ich, dass der Hafen von New Orleans ein gefährliches Pflaster war. Hier gab es gewiss mehr Banditen als dort, von wo ich herkam. Und auch auf dem Mississippi spielten sich Machtkämpfe großer Interessengruppen ab, welche um Monopole kämpften und dabei über Leichen gingen.
Aber dies hier war nicht mein Revier. Ich hatte nur mal mein Pokerglück auf einem dieser Saloon-Dampfer probieren wollen, welche zwischen Saint Louis und New Orleans verkehrten.
Dabei war ich recht erfolgreich gewesen. Ich hatte mehr als dreitausend Dollar in meinem Geldgürtel und noch mehr als zweihundert in meinen Taschen.
Ich sah nun, dass die beiden Kerle einen Mann unter der Landebrücke hervor- und das Ufer hinaufzerrten. Der Mann wehrte sich, und er wehrte sich mit der Kraft und Wildheit der Verzweiflung.
Ich begriff, dass es dort ums nackte Leben ging.
Er rief nun auch heiser und keuchend um Hilfe.
Ich war kein Bursche, der sich in fremden Verdruss einmischte. Irgendwann nämlich hatte ich begriffen, dass man zuerst mal sein eigener Hüter sein musste und zumeist was auf die Nase bekam, wenn man sich um Dinge kümmerte, die einen nichts angingen.
Aber dort kämpfte ein Mann um sein Leben.
Ich sah Messer blinken.
Und so sprang ich los und rief scharf: »He, hört auf!«
Ich war schnell. Obwohl ich ein großer und schwergewichtiger Bursche war, konnte ich so schnell wie ein Wildkater sein.
Sie ließen ihr Opfer los und sprangen mir entgegen. Denn sie hatten begriffen, dass sie sich zuerst um mich kümmern mussten, wollten sie sich wieder ungestört ihrem Opfer zuwenden können.
Sie hatten den Mann schon so schlimm verletzt, dass er sich nur noch kniend bewegen konnte. Dabei hielt er sich die Wunden mit den Händen zu.
Aber zugleich sah er zu mir her und natürlich auch auf die Kerle, die mich angriffen.
Nun, es waren zwei harte Burschen, die ihr Geschäft verstanden. Sie hielten noch ihre blutigen Messer in den Händen und wollten sie gerne in mich hineinjagen. Ich hätte meinen Colt herauszaubern können, den ich unter der Jacke im Schulterholster trug. Aber irgendwie wäre mir das unfair vorgekommen. Denn die beiden Burschen wussten nicht, in was sie hineinrannten.
Sie hatten keine Chance gegen mich, obwohl sie zu zweit waren. Aber ich hatte schon gegen Apachen und Comanchen gekämpft. Ich war Town Marshal gewesen in wilden Städten. Und ich hatte Wildpferde gefangen und zugeritten. Auch war ich im Krieg gewesen und hatte dort eigentlich immer gegen eine Übermacht gekämpft.
Nein, sie hatten trotz ihrer Messer keine Chance gegen mich.
Einen trat ich in die Seite. Und dem anderen renkte ich den Messerarm aus. Dann warf ich den brüllenden Burschen in den Fluss, wo er einarmig kaum schwimmen konnte.
Den anderen, den ich in die Seite trat, sodass er sich überschlug wie ein getretener Hund, erwischte ich nochmals. Ich warf ihn ebenfalls in den Fluss.
Dann kniete ich neben dem Überfallenen. Er war ein alter Bursche. Und er war schon dabei, seinen Löffel abzugeben. Das sah ich gleich und spürte es auch, als ich ihn in meine Arme nahm.
Ich wollte ihn zu einem Doc tragen. Weiter oben an der Hafenstraße hatte ich ein Schild gesehen.
Und so beeilte ich mich.
Ich schaffte es auch mit ihm bis zu diesem Doc. Dieser war auch im Haus und ließ uns ein, wobei er knurrte: »He, Sie brauchen mir nicht die Tür einzutreten.«
Aber dann beeilten wir uns, legten den stöhnenden Mann auf eine Liege und entkleideten ihn.
Dabei erklärte ich dem Doc mit kurzen Worten alles.
Er knurrte: »In diesem Dreckshafen hier werden jede Nacht Menschen überfallen und ausgeraubt. O je, der schafft es nicht mehr. Da kann ich nichts machen – gar nichts. Die haben ihm wichtige Organe zerstochen. Der ist hin. Armer Bursche. An der Kleidung erkenne ich, dass er aus dem Norden kommt. Ein Goldgräber wahrscheinlich. Der hatte einen weiten Weg den Missouri und den Mississippi herunter. Ob er Gold in seinen Taschen hat?«
Als der Doc das fragte, öffnete der Sterbende seine Augen. Er sah mich an. Und dann sagte er: »Danke, mein Freund. Du hast mir beigestanden wie einer der letzten Ritter. Es ging dich nichts an, aber du kamst, mir zu helfen. Und deshalb habe ich ein wenig Hoffnung. Nimm diese Papiere aus meiner Tasche und bringe sie zu Clementine Lasalle. Du erkennst sie am kleinen Fleck neben dem linken Mundwinkel.«
Oha, ich begriff schon in dieser Sekunde, dass ich jetzt dabei war, in irgendeine Sache hineinzugeraten, die wie ein brausender Fluss war, dessen Strömung auch einen guten Schwimmer mitreißt. Ich begriff instinktiv, dass der Sterbende von mir etwas verlangte, dessentwegen er nun sterben musste.
»Clementine Lasalle«, wiederholte er mit letzter Kraft den Namen. »Wenn du einer der letzten Ritter bist auf dieser Erde, dann geh zu ihr und hilf ihr, so wie ich ihr geholfen hätte. Denn sonst wird auch sie umgebracht werden wie ich. Willst du zulassen, dass diese Hurensöhne ein Mädchen umbringen – ein jetzt noch völlig ahnungsloses Mädchen? Das kannst du doch wohl nicht wollen. Such sie und ...« Weiter kam er nicht.
Er hatte den letzten Atemzug getan auf dieser Erde und in diesem Leben. Vielleicht würde er in den Himmel kommen. Es konnte aber auch sein, dass er für die Hölle bestimmt war.
Ich wusste es nicht. Er war mir fremd. Und dennoch hatte er mir jetzt eine Verantwortung übergeben, der ich mich nicht würde entledigen können.
Er war aus ganz bestimmten Gründen getötet worden.
Und jene Clementine Lasalle war aus den gleichen Gründen in Gefahr, wenn ich sie nicht vor den Mördern fand und beschützte. Ihr Leben lag gewissermaßen in meiner Hand. Es hing von mir ab, ob sie vielleicht davonkommen konnte.
Der Doc betrachtete mich aufmerksam.
Ich erwiderte seinen Blick und fragte: »Wie ist das mit der Polizei in dieser Stadt?«
Er grinste verächtlich. »Dies ist eine Hafenstadt kurz nach dem Krieg«, sagte er. »Hier muss alles erst wieder organisiert und neu aufgebaut werden. Vielleicht wird New Orleans in einigen Monaten wieder sauberer, friedlicher, ehrlicher, sicherer. Aber jetzt ...«
Er verstummte verächtlich.
»Diese Stadt«, sagte er, »ist wie eine Hure. Während des Krieges wurden hier Geschäfte gemacht, wie sie nur während eines Krieges möglich sind. Hier gibt es eine Menge korrupte Beamte. Freund, Sie sollten erst mal herausfinden, was der Tote für Papiere in der Tasche hat, was er also nach New Orleans zu dieser Clementine Lasalle bringen wollte. Ich weiß nicht mal Ihren Namen. Meiner steht auf dem Schild vor der Tür.«
Ich grinste schief.
»Ach«, murmelte ich, »mein Name ist nur einer von vielen. Ich bin Caleb Spade. Ich bin weit von meiner Heimatweide entfernt. Ich kam zu weit den Strom hinunter. Und jetzt ...«
Ich verstummte und blickte auf den Toten.
Aber dann machten wir seine Taschen leer.
Und in einer schmiegsamen Ledertasche, welche nicht viel größer als eine Brieftasche war, fanden wir dann das versiegelte Päckchen. Mit Tinte geschrieben stand darauf: Miss Clementine Lasalle, New Orleans, postlagernd.
Ich öffnete das Päckchen.
Der Doc sah mir dann über die Schulter.
Und bald wussten wir es beide.
Es war die Besitzurkunde einer Goldmine in Montana.
Montana! Oha, das lag verdammt viele Meilen weit im Norden. Da musste man viele Wochen Tag und Nacht mit den Dampfschiffen den Mississippi und dann den Missouri hinauf. Und wenn man schließlich bei den Großen Fällen an Land ging, hatte man ins Goldland noch einige Tage zu reiten.
So war das. Der Tote hatte einen wirklich weiten Weg gemacht.
Bei der Besitzurkunde lag noch ein Brief.
Der Doc blickte über meine Schulter und las leise vor: »Liebe Tina, ich habe den größten Fund meines Lebens gemacht. In einer scheinbar schon ausgebeuteten Mine, die ich für ein paar Dollars kaufte, stieß ich auf eine reiche Goldader. Aber ich bin schon ein alter und kranker Bursche. Mein Herz macht nicht mehr mit. Ich schicke dir Sam Fowley mit der Besitzurkunde. Du kannst Sam vertrauen. Er wird dir alles erklären und dich beraten. Dein alter Onkel Bill.«
Die Stimme des Doc verstummte.
Dann murmelte er nach einer kleinen Pause: »Wenigstens wird der Tote nun nicht namenlos beerdigt werden. Und Geld genug für seine Beerdigung hat er auch bei sich. Eine reiche Goldader ...«
Die letzten drei Worte sprach er irgendwie sehnsüchtig und resignierend zugleich. Aber er vollendete den angefangenen Satz nicht. Das brauchte er auch gar nicht.
Wir dachten nach. Und gewiss dachten wir beide sinngemäß die gleichen Gedanken.
Natürlich war es keine alltägliche Geschichte, denn eine reiche Goldader ist niemals was Alltägliches. Aber dennoch war es eine einfache Geschichte.
Da war irgendwo oben in Montana ein alter Bursche, der eine Goldader fand. Aber er sollte keine Freude mehr an ihr haben, weil sein Herz nicht mehr mitmachte. Und dieser alte Bursche hatte eine Nichte hier im tiefsten Süden, in New Orleans, mit der er offenbar in Briefverkehr stand. Als es mit ihm zu Ende ging, da schickte er einen getreuen Freund zu seiner Nichte, um dieser das Erbe zu sichern. Und irgendwo hier in New Orleans gab es diese Clementine Lasalle, die von ihrem Glück noch gar nichts wusste.
Aber würde es für sie überhaupt ein Glück sein? Wenn ich diesen Brief und die Besitzurkunde zu jener Clementine Lasalle brachte und diese damit nach Montana gehen sollte, um dort ihr Erbe anzutreten, dann war dies für sie wahrscheinlich eine Reise in den Tod.
Ich konnte mir vorstellen, was dort geschehen war. Dazu brauchte man keine besondere Vorstellungskraft.
Irgendwelche Goldwölfe hatten die alte Mine mit der Goldader in Besitz genommen, vielleicht sogar mit einem gefälschten Kaufvertrag.
Und wenn jene Clementine Lasalle kam ...
Oje, sie konnte einem leidtun.
Als ich dies dachte, hörte ich den Doc sagen: »Caleb Spade, Sie haben Glück. Denn ich kenne diese Clementine Lasalle. Das ist gar nicht mal Zufall, obwohl jetzt hier in New Orleans fast zwanzigtausend Menschen leben. Aber ich bin Arzt. Zu mir kommen viele Leute, Kranke. Und auch Clementine Lasalle brauchte meine ärztliche Hilfe. Sie hatte eine Menge Pech. Sie pflegte auch noch nach Kriegsende drüben in Alabama in einem Gefangenenlager Kranke und Verwundete. Und sie bekam Typhus. Auch nach ihrer Genesung war ihre Gesundheit so geschwächt, dass sie keine ständige oder gar schwere Arbeit annehmen konnte. Sie war auch arm wie eine Kirchenmaus. Niemand schenkte ihr etwas – obwohl sie trotz ihrer Not und in ihrem Elend ganz klar als Schönheit zu erkennen war. Sie ging manchmal für einige Stunden in die Saloons, teilte dort Karten aus und hielt die Bank, drehte das Glücksrad. Später begann sie dann auch auf den Bühnen zu singen. Sie war jedoch von Anfang an mehr als nur ein Animiermädchen und ganz bestimmt kein Flittchen. Doch sie geriet in Abhängigkeit zu Flynn Earp. Und der ist einer der großen Burschen, die das Vergnügungsleben des Hafens beherrschen, sozusagen einer der führenden Hafenwölfe – oder sollte man besser – Haie sagen, hahaha! Wenn die Bande erst erfährt, dass Clementine Lasalle die Erbin einer Goldader ist ...«
Er sprach nicht weiter, sondern überließ alles meiner Vorstellungskraft. Und ich konnte mir eine Menge vorstellen.
Heiliger Rauch, was sollte ich tun?
»Sie tritt im ›Port de la Paix‹ auf«, sagte der Doc. »Wenn Sie gleich losmarschieren, mein guter Freund, dann können Sie noch ihren Auftritt erleben. Sie ist inzwischen völlig gesund und sozusagen wieder voll im Saft. Sie ist nicht einfach nur schön – nein, es ist mehr. Für diesen armen Teufel hier besorge ich alles. Ich glaube nicht, dass Sie an der Beerdigung Sam Fowleys wird teilnehmen können. Sie werden sich mit ihr aus New Orleans fortschleichen müssen.«
Ich grinste bitter, nahm das kleine Päckchen mit dem Brief und der Urkunde und ging schweigend in die Nacht hinaus.
Auf dem Fluss tutete ein Dampfschiff.
Aus einigen Lokalen tönte Musik, klang Gelächter, Gesang. Verdammt, warum war ich nach New Orleans gekommen?
Oder hatte mich das Schicksal hergeführt? Gab es ein unwandelbares Schicksal für uns alle? Musste gerade ich es sein, der dieser Clementine Lasalle helfen sollte?
Alles in mir sträubte sich dagegen.
Und dennoch ahnte ich, dass es für mich kein Entkommen mehr geben würde – kein Entkommen vor der Verantwortung, die ich in meinem innersten Kern verspürte.
Und so ging ich zu dem Tingeltangel-Lokal.
Als ich dann vor dem Lokal stand, sah ich auch, wie zwei bullige Rauswerfer einige Burschen vor die Tür warfen.
Ich stieg über sie hinweg und trat ein.
Einer der Rauswerfer hielt mir grinsend die Tür auf und sagte: »Nur herein, Sir! Dass wir diese Stinker rauswarfen, bietet Ihnen nur die Gewähr, dass wir ein nobles Haus sind mit Niveau.«
»Sicher, sicher«, nickte ich.
Im Lokal war nicht mehr viel los, obwohl noch genügend Gäste vorhanden waren. Doch die meisten waren schon zu betrunken. Sie hingen nur noch herum.
Ich sah mich nach Clementine Lasalle um.
Wenn sie wirklich mehr als nur hübsch war, wie der Doc behauptete, dann müsste ich sie gewiss erkennen.
Ich trank an der Bar einen Portwein, und ging in den Spielraum hinüber.
Und da sah ich sie.
Ja, ich wusste sofort, dass es jene Clementine Lasalle sein musste. Nicht nur mein Instinkt sagte es mir. Der Doc hatte sie mir richtig geschildert. Sie war mehr als nur hübsch. Sie war rassig und strahlte etwas aus, was ihre Schönheit erst lebendig machte.
Im Spielraum war kaum noch Betrieb. Viele Tische waren schon leer. Auch Clementine Lasalle hinter ihrem Black-Jack-Tisch hatte keine Kundschaft mehr. Ich trat zu ihr.
»Eigentlich mache ich schon Kasse«, sagte sie. »Aber wenn Sie noch was riskieren wollen?«
Ich legte zwanzig Dollar hin und ließ mir Karten geben. Ich stoppte bei neunzehn und wartete, bis auch sie sich Karten gab. Sie blickte hinein und sah mir dann in die Augen.
Sie hatte grüne Augen und kupferfarbene Haare.
Oh, du lieber Himmel, sie gefiel mir vom ersten Moment an. Und es traf mich wie ein Blitz. Aber wahrscheinlich erging es jedem Mann so, der so dicht vor ihr stand und in ihre grünen Augen sah.
»Ich zahle bei zwanzig«, sagte sie und drehte die Karten um.
»Sind Sie Clementine Lasalle?« So fragte ich.
Und wieder sah sie mich fest mit den grünen Augen an. »Ja, die bin ich«, murmelte sie. »Wollen Sie weiter Ihr Glück versuchen, Mister?«
Ich legte noch mal einen Doppeladler hin, also zwanzig Dollar, und ließ mir abermals Karten geben. Dabei sagte ich: »Ihr Onkel Bill schickt mich aus Montana. Er fand eine Goldader und hat Sie zu seiner Erbin gemacht. Ich habe seinen Brief und die Besitzurkunde der Goldmine in der Tasche. Die Urkunde wurde schon auf Sie überschrieben.«
Sie starrte mich an und hielt einen Moment inne beim Kartengeben. Ihr Mund zuckte. Ich sah auch den kleinen Fleck neben ihrem linken Mundwinkel. Er zuckte ebenfalls, und er erschien mir besonders reizend. Dieser Fleck sagte mir auch, dass sie wirklich Clementine Lasalle sein musste. Denn der sterbende Sam Fowley hatte ihn mit seinen letzten Worten erwähnt.
Sie gab mir nun die Karten. Und ich hatte genau einundzwanzig.
Dann gab sie sich Karten, sah sie an und sagte: »Ich zahle an einundzwanzig.«
Die hatte ich. Und weil ich meinen Einsatz doppelt zurückbekam, hatte ich ohne Verlust gespielt. Und zugleich hatte ich sie im Verdacht, dass sie absichtlich verloren hatte.
Sie hatte nun auch über die von mir überbrachte Nachricht nachgedacht. Als sie die Karten neu zu mischen begann, sagte sie: »Erzählen Sie es niemandem hier. Denn wenn Flynn Earp und dessen Leute erfahren, dass ...«
Sie verstummte, denn jemand trat zu uns.
Ich blickte zur Seite und sah einen großen Mann, auf den die Bezeichnung Kartenhai oder Town-Wolf genau zutraf.
»Nun, Clementine ...«, begann Flynn Earp. »Mach Schluss jetzt. Geh schon mal hinauf und warte auf mich. Ich komme gleich nach.«
Oha, ich wusste sofort Bescheid. Sie gehörte ihm. Und er schickte sie gewiss jetzt hinauf in ihr gemeinsames Schlafzimmer.
Er wandte sich an mich. »Wir schließen jetzt, Mister«, sagte er.
Ich beachtete ihn noch nicht, sah noch in Clementines grüne Augen. Und ich erkannte darin die Not und die Bitte um Hilfe.
Ja, das war es also.
Ich musste ihr helfen.
Sie kam ohne meine Hilfe hier nicht fort – und wenn, dann mit der ganzen Bande als Begleitung. Sie gehörte diesem Flynn Earp, und damit würde auch die Goldader ihm gehören. Ich begriff es binnen einer einzigen Sekunde.
Ich konnte jetzt nicht davonschleichen, nein, ich konnte es einfach nicht.
Vielleicht war ich nur ein blöder Hammel, der sich in einen Verdruss einkaufte. Aber vielleicht war ich auch der allerletzte Ritter, ein Nachkomme jener eisengepanzerten Burschen, die sich von ihrer Schönen ein seidenes Tüchlein geben ließen, bevor sie mit Schild, Schwert und Lanze in den Kampf ritten.
Und so wandte ich mich an diesen Flynn Earp, den ich sofort als jenen erkannt hatte, obwohl er mir nicht seinen Namen nannte.
Ich sagte: »Sicher, Mister. Ich bin auch fertig hier und gehe. Doch ich nehme diese Lady mit. Denn ich bin gekommen, um sie zu holen.«