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Es ist schon später Nachmittag, als Jesse Adams auf der Poststraße von Süden her in die kleine Rinderstadt Hills City geritten kommt und sein scheckiges Pferd am äußersten Ende des Saloon-Haltebalkens anbindet. Jesse Adams ist kein junger Bursche mehr. Er mag etwa achtundzwanzig Jahre zählen. Er hat graue Augen, die ruhig und fest blicken, ist etwas über mittelgroß, wiegt hundertsiebzig Pfund und hat kräftige Schultern, eine schlanke Taille und leicht gekrümmte Beine. Er ist ein typischer Reiter.
Seine Augen betrachten prüfend die Pferde an der Haltestange vor dem Saloon. Er wendet sich dann um und betrachtet die staubige Hauptstraße der Stadt.
Schräg gegenüber befindet sich das Gerichtsgebäude. Und dort stehen viele Menschen. Offensichtlich haben sie drinnen keinen Platz mehr bekommen und folgen den Ereignissen durch die offene Eingangstür und die offenen Fenster. Was dort drinnen auch verhandelt werden mag, es muss für die Menschen dieser Stadt und des Landes interessant sein. Für Jesse Adam jedoch ist es vollkommen uninteressant, denn er ist hier fremd und hat keinerlei Beziehungen zu der Stadt und ihren Menschen ...
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Jede Fährte endet
Vorschau
Impressum
Jede Fährte endet
Es ist schon später Nachmittag, als Jesse Adams auf der Poststraße von Süden her in die kleine Rinderstadt Hills City geritten kommt und sein scheckiges Pferd am äußersten Ende des Saloon-Haltebalkens anbindet. Jesse Adams ist kein junger Bursche mehr. Er mag etwa achtundzwanzig Jahre zählen. Er hat graue Augen, die ruhig und fest blicken, ist etwas über mittelgroß, wiegt hundertsiebzig Pfund und hat kräftige Schultern, eine schlanke Taille und leicht gekrümmte Beine. Er ist ein typischer Reiter.
Seine Augen betrachten prüfend die Pferde an der Haltestange vor dem Saloon. Er wendet sich dann um und betrachtet die staubige Hauptstraße der Stadt.
Schräg gegenüber befindet sich das Gerichtsgebäude. Und dort stehen viele Menschen. Offensichtlich haben sie drinnen keinen Platz mehr bekommen und folgen den Ereignissen durch die offene Eingangstür und die offenen Fenster. Was dort drinnen auch verhandelt werden mag, es muss für die Menschen dieser Stadt und des Landes interessant sein. Für Jesse Adam jedoch ist es vollkommen uninteressant, denn er ist hier fremd und hat keinerlei Beziehungen zu der Stadt und ihren Menschen ...
Jesse Adams blickt sich noch weiter um und erkennt auf den Gehsteigen an den Ecken und an Hauswänden Männer, die sich abseits halten, Zigaretten rauchen und auf die Zeit warten, da sie zum Abendbrot ins Restaurant gehen können.
Es sind keine Städter, es sind Reiter wie Jesse auch, und sie alle sind durchweg dunkel gekleidet. In ihrer Nähe stehen dunkle Pferde, und jene Burschen sind scharfgesichtig und falkenhaft. Sie sind gewiss Beobachter aus verborgenen Camps von irgendwoher in den Hügeln.
Jesse Adams geht nun langsam in den Saloon hinein. Dort ist nur ein einziger Gast – ein großer, klotzig wirkender, rothaariger Mann, der verwegen wirkt und strahlende Augen hat, so, als wäre die ganze Welt nichts anderes als ein wildes und prächtiges Vergnügen.
Er prostet Jesse zu und sagt kehlig: »Die Bar ist geschlossen, denn Wayne Banner und sein Gehilfe gehören zu den Geschworenen. Aber ich habe mir vorher eine ganze Flasche gekauft, Bruder. Ich lade Sie ein, wenn Sie unbedingt etwas Feuerwasser haben müssen, um den Staub aus der Kehle zu spülen.«
Er betrachtet Jesse Adams abschätzend, und er hat einen harten und scharfen Blick.
»Ist das eine Gerichtsverhandlung dort drüben?«, fragt Jesse und nimmt eines der leeren Gläser. Der rothaarige Riese schenkt ihm aus der Flasche ein. Sie trinken sich dann im Spiegel zu und betrachten sich auch im Spiegel, der hinter der Bar hängt.
»Es handelt sich um Ringo Jacks«, sagt der Rotkopf, als sie die Gläser absetzen. »Er soll ein Viehdieb sein. Das ganze Land ist voller Viehdiebe. Und die Rancher wollen nun bei Ringo Jacks anfangen. Aber sie werden nicht damit durchkommen. Die Jury ist fair, Ringo Jacks soll beim Viehdiebstahl einen Cowboy der Bit Ranch erschossen haben. Und nun möchten ihn die Rancher gern an einem Ast hängen sehen. Doch die Jury ist fair. Die Beweise reichen nicht aus. Ich wette darauf, dass Ringo Jacks das Gerichtsgebäude als freier Mann verlassen wird.«
Nach diesen Worten schenkt er nochmals ein, und sie trinken wieder.
»Ich bin Jeremy Walker«, sagt der Rotkopf dann. »Und ich glaube jetzt, dass Sie vollkommen fremd hier sind, Bruder. Sind Sie geschäftlich unterwegs?« Er fragt es mit einem belustigten Funkeln in den Augen und kneift dabei leicht ein Auge zu. »Tex, dies ist eine ziemlich raue Weide«, murmelt er dann. »Ein Fremder, der hier ahnungslos hereinstolpert, sollte das möglichst schnell Bescheid wissen. Nun, ich bin also Jeremy Walker. Ich bin so bekannt wie ein Stier mit zwei Köpfen.«
»Ich nicht«, murmelt Jesse. »Ich bin nur Jesse Adams und würde gern ein paar Pferde zureiten, oder einen ähnlichen Job annehmen. Ich brauche etwas Reisegeld. Gibt es hier irgendwo einen passenden Job?«
Er hält das noch halb volle Glas in der Hand und sieht den Rotkopf fragend an.
Der betrachtet ihn nun ernst von oben bis unten. Dann verzerren sich seine Lippen zu einem schiefen und scharfen Grinsen.
»Versuchen können Sie es ja, Bruder«, murmelt er. Er hebt wieder sein Glas. Auch Jesse trinkt. Durch die Schwingtür kommt ein Mann. Es ist ein Cowboy. Er hält an, betrachtet die beiden Männer am Schanktisch und wendet sich dann ab. Er verlässt den Saloon.
Draußen wird es lebhaft. Eine Stimme ruft laut: »Die Jury hat keinen Schuldspruch fällen können! Die Beweise reichen nicht aus, sagte der Obmann! Ringo Jacks ist ein freier Mann!«
»Das habe ich vorausgesagt, nicht wahr?« Jeremy Walker fragt es mit schief zur Seite geneigtem Kopf.
Jesse Adams nickt ihm zu und sagt: »Wenn ich wieder bei Kasse bin, lade ich Sie zu einem Drink ein.« Damit geht er hinaus. Er bleibt gleich vor dem Eingang auf dem Gehsteig stehen und späht hinüber. Sein Pferd steht rechts von ihm, etwa zwanzig Schritt entfernt am äußersten Ende der langen Haltebalken.
Die Menschen drängen inzwischen aus dem Gerichtsgebäude und füllen die Straße. Sie bilden eine Art Spalier.
Es kommt ein Mann aus dem Gerichtsgebäude – zögernd und offensichtlich furchtsam. Es ist ein kleiner Mann, ein noch junger Mann. Er ist rothaarig, krummbeinig, wie es nur ein Cowboy sein kann, und er trägt abgenutzte Weidekleidung.
Jesse Adams ist sicher, dass er blaue Augen hat und sommersprossig ist. Er kennt diese Typen. Sie sind drahtig, flink und verwegen. Sie sind so leicht nicht umzuwerfen und nehmen es mit so manchem größeren und äußerlich beachtlicher wirkenden Mann auf.
Der Rotkopf aber ist unsicher. Dies ist auch kein Wunder, denn es starren ihn viele Augenpaare an.
Jesse Adams beobachtet eine Gruppe von Männern, die ganz offensichtlich Rancher sind. Diese Männergruppe aber wirkt hart und unversöhnlich. Sie starrt den krummbeinigen Rotkopf unverwandt an, und dies erzeugt wahrscheinlich die Unsicherheit in ihm.
Er ist unbewaffnet.
Längs der Straße sind jetzt einige Dutzend Cowboys verteilt. Sie stehen überall am Rand der Plankengehsteige, und sie alle wirken grimmig, drohend und gefährlich.
Der Hauch von Gefahr und Gewalttätigkeit weht plötzlich auf der staubigen Hauptstraße von Hills City. Jesse Adams spürt das deutlich, wie es gewiss auch all die anderen Menschen spüren.
Dieser Rotkopf ist Ringo Jacks, der verdächtigt wurde, beim Viehdiebstahl einen Cowboy getötet zu haben. Die Rancher und Cowboys haben ihn vor ein Gericht gestellt. Aber die Beweise reichten nicht aus. Die Jury konnte ihn nicht schuldig sprechen.
Und nun ist Ringo Jacks frei.
Doch es ist eine gefährliche Freiheit.
Von der Jury wurde er zwar freigesprochen, doch dies erkennen die Rancher und Cowboys nicht an. Für sie ist Ringo Jacks offensichtlich schuldig. Und nun haben sie die Ränder der Gehsteige besetzt und warten auf Ringo Jacks. Und irgendwie wird es zu einer Gewalttätigkeit kommen, vielleicht sogar zu einer Lynchpartie.
Es ist still, unwahrscheinlich still. Die Bürger der Stadt, die Rancher mit ihren Cowboys und die Fremden, die zusehen, sie alle beobachten den kleinen, krummen, rothaarigen Mann.
Der steht da und zögert. Es sieht so aus, als wollte er sich umwenden und wieder in das Gerichtsgebäude gehen. Doch dort erscheint nun ein Mann im Eingang. Es ist ein kaum mittelgroßer Mann.
Er trägt einen Stern, er ist also der Sheriff dieses Distrikts.
Ringo Jacks blickt ihn an, und er scheint leise etwas zu sagen. Doch der Sheriff schüttelt den Kopf und macht eine unmissverständliche Bewegung, die nichts anderes bedeutet als: Scher dich aus der Stadt! Fort mit dir!
Neben Jesse Adams taucht jetzt Jeremy Walker auf. Und Jeremy Walkers Gesichtsausdruck ist ernst.
»Sie werden ihn lynchen«, murmelt er. »Und das bedeutet dann den offenen Krieg außerhalb des Gesetzes. Sie werden ihn töten und stellen sich damit ebenfalls außerhalb des Gesetzes. Nun gut ...«
Er verstummt frohlockend. Er wirft einen Seitenblick auf Jesse Adams und grinst wieder sein scharfes Lächeln.
Ringo Jacks geht einige Schritte, und er muss bis fast in die Mitte der Fahrbahn ausweichen. Er hält inne, blickt sich um, wendet sich wieder in die alte Richtung und geht hastig weiter.
Er kommt nun auf gleiche Höhe mit dem Saloon. Jesse Adams kann die unruhigen, angstvollen und ständig ihre Blickrichtung ändernden Augen des Burschen erkennen. Er sieht auch den Schweiß auf dem sommersprossigen Gesicht.
Ringo Jacks hält an und starrt Hilfe suchend und hoffnungsvoll auf den Mann neben Jesse, auf Jeremy Walker. Irgendwie findet nun zwischen beiden ein stummes Frage- und Antwortspiel statt. Jesse Adams hat deutlich diesen Eindruck.
Doch dann senkt Ringo Jacks den Kopf und schluckt mühsam.
»Ich habe kein Pferd«, sagt er heiser. »Jeremy, ich brauche ein Pferd! Kannst du mir ein Pferd leihen?«
»Ich brauche es selbst«, erwidert Jeremy Walker. »Ich bin selbst kein willkommener Gast in dieser Stadt. Ich brauche es selbst. Das siehst du doch ein, Ringo?«
Dieser nickt leicht, schluckt wieder und wendet sich auf der Fahrbahn in Richtung Ortsausgang. Er geht langsam weiter, und von überall blickt man auf ihn. Hinter ihm setzt sich die Gruppe der Rancher in Bewegung und folgt ihm. Die Cowboys an den Rändern der Gehsteige, die er schon passierte, folgen ihm nun ebenfalls stumm und Unheil verkündend.
Und der Weg bis zum Ortsausgang ist noch weit.
Wer weiß, was außerhalb der Stadtgrenze alles auf Ringo Jacks wartet?
Und er hat keine Waffe, kein Pferd.
Was aber ist in diesem Land und in solch einer Situation ein Mann ohne Waffen und ohne Pferd? Nichts! Denn er kann sich nicht verteidigen. Er kann auch nicht die Flucht ergreifen. Er ist ein Mann ohne Chance, und wenn dieses Spiel besonders hart gespielt wird, dann ist er sogar schon fast ein toter Mann.
All dies ist in Ringo Jacks wirksam. Vorhin frohlockte er noch, als die Jury keinen Schuldspruch fällen konnte.
Doch als er auf die Straße trat, begriff er mehr und mehr, dass die Rinderzüchter ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen würden. Und die Cowboys wollen einen toten Kameraden rächen, der von Viehdieben getötet wurde.
Man fand die Hufabdrücke von Ringo Jacks' Pferd am Tatort. Und man fand das schweißnasse Tier im Corral von Ringo Jacks' kleiner Ranch.
Doch für die Jury genügte dies nicht.
Ringo hat betrunken in seinem Bett gelegen und behauptet, ihm wäre sein Pferd gestohlen worden und der Dieb wäre der Mörder und hätte das Tier zurückgebracht, um den Verdacht auf ihn, Ringo Jacks, zu lenken.
Sein Pferd hinterließ nämlich bemerkenswerte Abdrücke. Es sind die kleinsten Hufabdrücke von allen Pferden im ganzen Land. Ringo Jacks war immer stolz darauf, dass sein Pferd die zierlichsten Hufe hat.
Nun würde er das Tier gerne unter sich haben. Denn es ist auch sehr schnell. Er würde damit vielleicht allem Verdruss entkommen können. Aber das Tier steht im Mietstall. Er müsste in den Stall gehen, müsste es satteln und dann fortreiten.
Doch der Stall wäre sicherlich gerade der richtige Ort für die Cowboys, um ihn zu verprügeln. Vielleicht würden sie ihn tot oder für immer zum Krüppel schlagen.
Dieser Gefahr möchte Ringo Jacks gerne entgehen. Seine Angst ist plötzlich größer als sein Verstand. Und als er nun fast am Saloon und der Reihe der Sattelpferde vorbei ist, da tut er etwas, was sehr dumm und verrückt von ihm ist ...
Er wendet sich nach rechts und springt vorwärts. Er ist sehr schnell, und die nackte Furcht, die wilde Angst, ja fast ein Entsetzen treiben ihn an.
Es ist das letzte Pferd, welches er sich aussucht. Es ist ein sehniger, zäh und schnell wirkender Schecke.
Es ist Jesse Adams Tier.
Ringo Jacks sieht sofort, dass der Knoten, mit dem die Zügelenden befestigt sind, mit einem einzigen Griff gelöst werden kann. Und er tut es, springt mit einem Comanchensprung in den Sattel, reißt das Tier zur Seite und setzt die Sporen ein.
Dies alles geschieht ungeheuer schnell. Kein indianischer Pferdedieb hätte es besser machen können.
Das scheckige Pferd wiehert schrill auf und saust davon.
Jesse Adams macht den Ansatz einer Bewegung, um den Diebstahl seines Pferdes zu verhindern.
Doch dann lässt er es bleiben. Denn es sind nun viele sich bewegende Männer zwischen ihm und dem Flüchtenden, Männer, die von dem Plankengehsteig auf die Fahrbahn springen und die den Versuch machen, den Reiter aus dem Sattel zu stoßen oder das Pferd scheu zu machen.
Doch Ringo Jacks hält sich im Sattel. Er treibt das Pferd hart an und stößt dabei einen wilden Indianerschrei aus, wohl um sich Mut zu machen und um das Pferd anzutreiben.
Er kommt bis kurz vor den Ortsausgang. Und er reitet zwei Männer nieder, die sich an sein Pferd oder an seine Beine hängen wollen.
Dann aber krachen einige Revolver.
Man lässt einen Pferdedieb nicht entkommen. Was Ringo Jacks tat, war der Meute gerade recht.
Die Entfernung ist schon etwas weit.
Deshalb treffen die Revolverkugeln nicht nur den Mann, sondern auch das Pferd.
Noch bevor Adams das Tier erreicht, ist es tot. Und auch Ringo Jacks, der einige Yards weit über den Hals des stürzenden Tieres gesegelt ist und sich am Boden überschlug, ist tot.
Jesse Adams kümmert sich nicht um die sich um Ringo Jacks drängende Meute, um die Rinderleute, zu denen sich nun auch die Bürger der Stadt gesellen.
Jesse nimmt seinem toten Pferd den Sattel ab. Er lädt ihn sich auf die Schulter und blickt sich um.
Der grauköpfige Sheriff, der die ganze Zeit vor dem Gerichtsgebäude stand, kommt her. Er sieht Jesse an und sagt: »Ringo Jacks hat im Mietstall ein Pferd stehen. Sie können sich dieses Tier als Ersatz geben lassen. Gehören Sie zu Jeremy Walker?«
Die Frage kommt scharf und schnell, und sie sollte ihn gewiss überraschen oder überrumpeln.
»Nein«, sagt Jesse Adams. »Ich bin fremd hier. Und ich werde mir das Pferd holen.«
Er wendet sich ab. In seiner Stimme lag ganz unverkennbar ein verächtlicher Klang. Und auch der Blick, mit dem er den Sheriff betrachtete, war verächtlich.
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Es ist ein gutes Pferd, eine graue Stute, zäh und ausdauernd und dabei sicherlich auch schnell. Doch für Jesse Adams ist sie etwas zu zierlich, zu leicht. Sie konnte Ringo Jacks' hundertdreißig Pfund sicherlich mühelos tragen. Doch Jesse Adams wiegt vierzig Pfund mehr. Er hat in der Stute nicht den richtigen Ersatz gefunden.
Das macht ihn noch bitterer als ohnehin. Der Schecke ist ihm ein guter Kamerad gewesen.
Der alte Stallmann beobachtet ihn von der Futterkiste her.
»Das Pferd ist etwas zu leicht für Sie«, sagt er dann plötzlich. »Vielleicht sollten Sie es verkaufen – vielleicht an Kate Sueman. Sie wollte es schon immer haben. Hundert Dollar bot sie Ringo erst vergangene Woche dafür. Sie sagte, es wäre ein Pferd für Ladys. Doch Ringo gab es nicht her.«
Jesse Adams nickt. Er rechnet schnell. Hundert Dollar für dieses Tier, das ist viel Geld. Er könnte für dreißig Dollar einen guten Durchschnittsgaul bekommen und hätte wieder Geld in der Tasche. Er ist dem Sattelmann dankbar.
»Wenn es klappt«, sagt er, »bringe ich Ihnen eine Flasche Whisky, Großvater. Oder trinken Sie ...«
»Mir ist Rum lieber, mein Junge«, grinst der alte Bursche.
Jesse Adams nickt. »Und wo finde ich Kate Sueman?«, fragt er ruhig.
»Ihr gehört das Hotel«, erwidert der Oldtimer. »Red Kate Sueman führt das Hotel hier in Hills City.«
Jesse geht hinaus.
Als er aufsitzen will, kommen zwei Männer in den Hof und winken ihm zu. Es sind zwei Cowboys und sie versperren ihm den Weg. Einer sagt ungeduldig: »He, Bruder, dir hat doch das Pferd gehört, das Ringo Jacks von der Haltestange stahl?«
»Richtig«, sagt Jesse, »es war mein Pferd, ein Hundert-Dollar-Pferd. Und ein paar Stümper haben es erschossen. Sie haben einfach drauflos geknallt, um Ringo Jacks zu erwischen. Wart ihr vielleicht diese Stümper?«
Sie betrachten ihn wütend. Es passt ihnen nicht, dass ein Fremder, den sie für einen Satteltramp halten, so zu ihnen spricht.
»Du musst in der Stadt bleiben«, sagt einer trocken. »Du musst warten, bis die Leichenschau stattgefunden hat. Es muss alles seine Richtigkeit haben. Ein Pferdedieb wurde auf der Flucht erschossen. Er wurde sogar auf frischer Tat erwischt. Du bist der Mann, dem er das Pferd gestohlen hat. Und du wirst dies zu Protokoll geben. Hast du das verstanden, Bruder?«
»Ich bin nicht dein Bruder«, erwidert Jesse. Und er fügt hinzu, nachdem er aufgesessen hat: »Ich bleibe noch eine Weile in der Stadt, denke ich.«
Er reitet aus dem Hof des Mietstalles und bis vor das Hotel.
Jesse Adams geht hinein. Er verspürt einen gewaltigen Hunger, und als er auf einer schwarzen Tafel mit Kreide geschrieben lesen kann: Hammelbraten, grüne Bohnen, Bratkartoffeln, Apfelkuchen und Kaffee, da erliegt er der Versuchung und beschließt, einen Dollar zu opfern und sich ein nobles Abendessen zu leisten.
Er findet noch einen Platz an einem langen Tisch, an dem Rancher und Vormänner sitzen. Jesse würde sich lieber an einen anderen Tisch setzen, doch es ist sonst alles besetzt.
Man betrachtet ihn aufmerksam, man studiert ihn, schätzt ihn ab. Jeder im Raum weiß, dass er der Mann ist, dessen Pferd Ringo Jacks sich nahm.
Jesse bekommt schnell sein Essen, und während er isst, erwidert er alle auf ihn gerichteten forschenden Blicke mit ruhiger Gelassenheit.
Einer der Rancher am Tisch, der sich eine Zigarre angesteckt hat, richtet nun seinen Blick fest und zwingend auf ihn. Er ist ein bulliger, rotblonder und helläugiger Mann, mit gesunden roten Wangen und dem Gebaren eines Mannes, der jede Art von Widerstand im ersten Ansturm zu überwinden gewohnt ist und der vor nichts auf dieser Welt Respekt hat. Er ist noch nicht alt, kaum älter als Jesse Adams.
Jesse Adams erwidert den Blick dieses Mannes ernst und gelassen.
»Wer sind Sie?«, fragt der Rancher über den Tisch. »Sind Sie einer von Jeremy Walkers Freunden? Sie waren bei ihm im Saloon, als Ringo Jacks stehen blieb und zu euch einige Worte sprach. Was sagte Ringo Jacks?«
In Jesse Adams' Augen ist nun ein belustigtes Funkeln zu erkennen.
»Mister«, sagt er. »Sie stellen viele Fragen auf einmal. Doch ich will versuchen, diese Fragen nacheinander zu beantworten. Ich bin Jesse Adams. Und ich habe Jeremy Walker im Saloon zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Und als Ringo Jacks vor uns stehen blieb, wollte er ein Pferd haben. Er bat um ein Pferd.«
Alle Augen, die auf Jesse gerichtet waren, werden nun scharf und blicken drohend. Der Rancher aber, der das Wort führt, knirscht deutlich hörbar mit den Zähnen.
»Die Art, wie Sie mit mir reden, gefällt mir nicht sehr«, sagt er schwer. »Ich bin Lester Stonewall, und ich bin der Vorsitzende der Rancher-Vereinigung.«
Er sagt es auf eine nachdrückliche Art, und Jesse, der sich auskennt, weiß nun, dass er wahrhaftig den wohl mächtigsten und einflussreichsten Mann des Landes vor sich hat.
In diesem Rinderland gibt es keine stärkere Gruppe als die Rinderzüchter, zumal sie sich organisiert und vereinigt haben. Und der Vorsitzende dieser Vereinigung hat in diesem Land sicherlich mehr Macht und Einfluss als der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Jesse Adams weiß, dass er in diesem Distrikt Verdruss und ganz bestimmt keine Arbeit bekommt, wenn er es sich jetzt mit diesem Mann verdirbt. Er steht dann von Anfang an auf der schwarzen Liste.
Doch Lester Stonewall, wie er sich soeben vorstellt, als erwartete er, dass sein Name in allen Staaten und Territorien bekannt wäre, spricht schon weiter. Er sagt sehr bestimmt und klar: »Die Leichenschau findet gleich statt. Sie werden beim Sheriff zu Protokoll geben, dass Ringo Jacks Ihnen das Pferd stahl! Haben Sie verstanden, Adams?«
Er spricht scharf und befehlend. Und seine Frage zuletzt klingt arrogant. Etwas an Jesse Adams – vielleicht dessen ruhiger Blick – gefällt ihm nicht. Und so will er ihm auf seine Art klarmachen, dass er ein Boss und Adams nur ein Satteltramp ist.