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Es war der Monat der fallenden Blätter, wie die Indianer den Oktober nennen, als ich in das kleine Tal kam, das wir Trapper und Bergläufer Jackson's Hole nannten. Hier hielten wir unsere feuchtfröhliche Jahreszusammenkunft ab, bevor wir wieder die Einsamkeit unserer winterlichen Jagdreviere aufsuchten.
Ich freute mich auf das Wiedersehen mit einigen alten Freunden, und als ich auf ihr Feuer zuritt und etwas abseits davon eine der schönsten Indianerinnen sah, die ich jemals gesehen hatte, da ahnte ich noch nicht, dass meine Schicksalsstunde geschlagen hatte. Denn schon kurze Zeit später sollte sich mein Leben in einer Weise verändern, wie ich es selbst in meinen schlimmsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte.
Nun, ich ritt also auf das Camp meiner alten Freunde zu.
Ja, da hockten sie auf einem großen Büffelfell in der noch warmen Spätherbstsonne. Es waren Yellowstone John, Pancake Bill, Pierre Laquer und Powder River Shmet. Unter diesen Namen waren sie bekannt, und vielleicht hatten sie ihre richtigen Namen selber längst vergessen.
Von hier aus würden sie in die Einsamkeit ziehen und fast sechs Monate Selbstgespräche führen ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Oglala-Winter
Vorschau
Impressum
Oglala-Winter
Es war der Monat der fallenden Blätter, wie die Indianer den Oktober nennen, als ich in das kleine Tal kam, das wir Trapper und Bergläufer Jackson's Hole nannten. Hier hielten wir unsere feuchtfröhliche Jahreszusammenkunft ab, bevor wir wieder die Einsamkeit unserer winterlichen Jagdreviere aufsuchten.
Ich freute mich auf das Wiedersehen mit einigen alten Freunden, und als ich auf ihr Feuer zuritt und etwas abseits davon eine der schönsten Indianerinnen sah, die ich jemals gesehen hatte, da ahnte ich noch nicht, dass meine Schicksalsstunde geschlagen hatte. Denn schon kurze Zeit später sollte sich mein Leben in einer Weise verändern, wie ich es selbst in meinen schlimmsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte.
Nun, ich ritt also auf das Camp meiner alten Freunde zu.
Ja, da hockten sie auf einem großen Büffelfell in der noch warmen Spätherbstsonne. Es waren Yellowstone John, Pancake Bill, Pierre Laquer und Powder River Shmet. Unter diesen Namen waren sie bekannt, und vielleicht hatten sie ihre richtigen Namen selber längst vergessen.
Von hier aus würden sie in die Einsamkeit ziehen und fast sechs Monate Selbstgespräche führen ...
Manchmal in den vergangenen Jahren hatte dieser oder jener von ihnen eine junge Squaw bei sich gehabt, und so sah ich mich um im Camp. Aber ich erblickte nur die eine. Sie hockte etwas abseits auf einer Decke und starrte ins Leere.
Wem mochte sie gehören?
Es hockte noch ein fünfter Mann auf dem Büffelfell. Auch ihn kannte ich gut. Sein Name war John Bear, und die Indianer nannten ihn Standing Bear. Er war ein Halbblutmann.
Sie alle grinsten zu mir hoch, denn ich saß ja noch im Sattel, hatte jedoch die Leinen meiner beiden Packtiere schon fallen gelassen.
»Da ist er ja«, sagte Yellowstone John.
John Bear aber rief ziemlich böse: »Verdammt, Hogan, ich warte schon drei Tage auf dich! Hast du vergessen, dass du mir im vergangenen Jahr Revanche versprochen hast?«
Er brüllte die letzten Worte wie ein Ankläger. Und ich sah, dass er schon ziemlich betrunken war. In diesem Zustand war er gefährlich.
Ich glitt aus dem Sattel und erwiderte ruhig: »In einer halben Stunde habe ich abgeladen und meine Tiere versorgt. Dann stehe ich dir zur Verfügung, John Bear. Du bekommst deine Revanche, wenn du so scharf darauf bist.«
»Bin ich«, grollte er. »Ich habe ein ganzes Jahr darauf gewartet. Na los, beeil dich! Diesen Biberschwänzen habe ich fast schon alles abgenommen. Die können kaum noch mithalten. Jetzt bist du an der Reihe.«
Sie spielten Black Jack.
Das taten wir immer, nachdem wir uns hier in Jackson's Hole ausgetobt hatten und die Zeit etwas ruhiger ausklingen lassen wollten.
Denn am nächsten Tag würde sich die Zusammenkunft unserer Gilde allmählich auflösen. Und in spätestens drei Tagen war das Tal wieder leer und verlassen. Der ganze Spaß unserer Zusammenkunft war dann wieder für ein Jahr vorbei.
Sie spielten also Black Jack, denn dies ist ein einfaches Spiel mit schnellen Resultaten. Im vergangenen Jahr hatte ich John Bear sein ganzes Geld bis auf den letzten Dollar abgenommen. Und natürlich hatte ich ihm Revanche versprechen müssen.
Ich lud meinen Tieren die Lasten ab und bereitete meine Lagerstätte, brachte die Tiere auch zu den anderen in den Corral. Und immer wieder musste ich einen Blick zu der jungen und wunderschönen Squaw werfen, die da am Ufer des Creeks auf einer Decke hockte und scheinbar teilnahmslos ins Leere starrte, so als wäre sie mit ihren Gedanken tief in ihren innersten Kern versunken. Aber dann erkannte ich, dass sie mir dann und wann einen schnellen und scharfen Blick zuwarf. Und ich fragte mich, zu wem sie wohl gehörte.
Verdammt, sie war ungewöhnlich schön, wirkte auf mich wie eine Prinzessin. Und vielleicht war sie das auch. Denn ihre Lederkleidung war allerfeinste indianische Arbeit. Jetzt sah sie ziemlich mitgenommen aus, so als hätte sie einen rauen Weg hinter sich.
Wer mochte sie sein? Wem von diesen fünf Bergläufern unserer Hirschlederbrigade da auf dem Büffelfell gehörte sie? Ich würde es bald wissen.
Eine halbe Stunde später hockte ich mich zu der Gruppe auf die Büffelhaut und musste erst einmal einige Schlucke aus dem Whiskykrug trinken.
Und dann begann das Spiel.
John Bear grollte: »Diesmal nehme ich dir alles ab! Diesmal verlierst du, Hogan!«
Er war ein Narr und überdies ziemlich betrunken, was ihn noch dümmer machte. Ich hatte ihn noch nie gemocht, und er gehörte eigentlich nicht zu unserem Kreis. Im vergangenen Jahr hatten wir ihn nur mitspielen lassen. Und nun fühlte er sich offenbar zu uns gehörig, so als hätte er im vergangenen Jahr seinen Einstand in unseren Kreis bezahlt.
Ich nahm also am Spiel teil. Aber obwohl er selbst die Karten austeilte, verlor er, als er seine eigenen Karten aufdeckte. Überrascht stellte er fest, dass er nur achtzehn Augen hatte. Er zögerte einige Atemzüge lang und entschloss sich dann zu einer weiteren Karte. Aber die war ein König, und so stieg er mit zweiundzwanzig aus. Auch die anderen Spieler hatten entweder zu wenig oder zu viel.
Ich zeigte ihnen ein Ass und eine Zehn.
Und so ging es weiter.
Ja, ich gewann fast jedes Spiel. Verdammt noch mal, was war denn los mit mir und meinem Kartenglück? Ich gewann mit einundzwanzig, aber manchmal auch schon mit achtzehn, weil sie alle zu viel hatten.
Es war verrückt, richtig verrückt, so als erlaubte sich das Schicksal einen besonderen Spaß. Dass es so war, dies sollte mir erst später bewusst werden.
Zuletzt spielten nur noch John Bear und ich. Denn meine vier Freunde machten nicht mehr mit. Sie begriffen, dass sie unseren Zweikampf nicht stören sollten, und ließen uns gewähren.
Und so wurde es auch in diesem Jahr wieder so wie im vergangenen. John Bear konnte mich im Black Jack nicht schlagen. Entweder hatte er zu viele oder nicht genug Punkte gegen mich. Einige Male gewann ich sogar mit siebzehn Augen, weil er zu viel wagte und mehr als einundzwanzig bekam.
Am späten Nachmittag war er pleite.
Nun, wir hatten nicht um große Einsätze gespielt. Es war hier unter uns auf der Büffelhaut nicht so wie in den noblen Spielsaloons in den Städten, wo im Spiel manchmal gewaltige Einsätze gemacht wurden.
Als er blank war, hatte ich insgesamt zweihundertsiebenundfünfzig Dollar gewonnen. Das war für uns eine Menge Geld. Wir alle nahmen ja nicht viel Geld mit in unsere Jagdreviere. Was sollten wir dort auch damit?
Er war also pleite. Und ich fragte mich, was er nun tun würde.
Er saß etwa zwei Dutzend Atemzüge lang bewegungslos da, und ich rechnete schon damit, dass er verrückt werden und in seiner Trunkenheit einem wilden Wutgefühl nachgeben würde. Denn er war ein gewalttätiger Bursche, dessen Hirn in einem Wutanfall gewiss noch kleiner wurde als eine Nuss. Und in solch einem Zustand war er gefährlicher als ein wildes Tier.
Aber dann beherrschte er sich doch noch.
Er hob seinen böse funkelnden Blick und wischte sich über das dunkle, bärtige Gesicht. Plötzlich begann er zu grinsen, hob die Hand und deutete mit dem Daumen über die Schulter hinweg nach hinten.
»Siehst du sie, Hogan?« So fragte er kehlig.
Ich wusste sofort, wen er meinte. Denn ich hatte sie die ganze Zeit gesehen, brauchte meinen Blick stets nur zu heben und an ihm vorbei zum Creek zu blicken. Ja, dann konnte ich sie sehen. Sie hockte immer noch auf ihrer Decke und beobachtete uns.
»Ich sehe sie«, erwiderte ich. »Was ist mit ihr?«
»Sie gehört mir«, erwiderte John Bear. »Ich nahm sie drei Crows ab, die sie geraubt hatten, als sie in der Nähe ihres Winterdorfs Herbstbeeren und Wurzeln sammelte. Sie wollten sie einen langen Winter unter sich teilen. Denn sie waren Ausgestoßene ihres Stammes. Nun brauchen sie keine junge Squaw mehr, die geilen Böcke. Ich bringe sie als letzten Einsatz für deinen ganzen Gewinn. Das ist sie gewiss wert, denn sie ist besonders schön, nicht wahr? Für diese Schönheit hätte man gewiss bei ihrem Stamm ein Dutzend Pferde, viele Decken und auch ein paar Gewehre und eine Menge Munition zahlen müssen. Sie ist mehr wert als die Dollars da auf unserer Büffelhaut. Willst du noch mal spielen? Um alles oder nichts? Sie würde dich in deiner Hütte wärmen, wenn draußen die Blizzards heulen.«
Er verstummte mit einem kehligen Lachen. Doch seine schrägen Augen glitzerten tückisch, und ich wusste plötzlich, dass ich ihn würde töten müssen, sollte ich ihm die Squaw abgewinnen.
Eine untrügliche Ahnung sagte es mir. Und so wollte ich ablehnen. Er sah mir an, dass ich den Kopf schütteln wollte. Und da brach es aus ihm heraus. Er grollte: »Ich will immer noch Revanche. Wenn du sie mir nicht gibst, werden wir kämpfen. Dann will ich deinen Skalp.«
Er meinte es ernst. Er war ein Wilder. Und er war betrunken. Ich saß in der Falle, das wurde mir endgültig bewusst.
Ich sah an ihm vorbei auf die schöne Squaw.
Und sie erwiderte meinen Blick.
Verdammt, sie hatte wahrscheinlich schon alles begriffen und jedes Wort verstanden. Er hatte ja auch laut genug geredet, fast schon gebrüllt.
Sie sah also zu mir herüber, und es war mir, als würde sie mir eine Botschaft senden, als berührte mich etwas, was von ihr ausströmte.
Ich sah John Bear an und nickte: »Gut, spielen wir um sie. Du willst es so, aber beklage dich nicht, wenn du sie verlierst. Weißt du, John Bear, manchmal hat ein Mann gegen einen anderen Mann einfach kein Glück. Das ist Schicksal. Überleg es dir noch mal. Aber wenn wir jetzt das letzte Spiel machen, dann wird einer der anderen die Karten geben.«
»Gut so!« Er nickte heftig. »Laquer wird die Karten geben.«
Pierre nickte sofort und nahm die Karten von der Büffelhaut, um sie zu mischen. Dann gab er jedem von uns zwei Karten.
Ich nahm sie und sah sie mir an.
Und da wusste ich, dass ich die Squaw gewonnen hatte.
Abermals – wie schon am Anfang – hatte ich ein Ass und eine Zehn. Das waren einundzwanzig Augen.
John Bear ließ sich noch eine dritte Karte geben. Er wusste zu gut, dass ich schon mehr als siebzehn Augen hatte mit zwei Karten und es nicht mehr wagen konnte, eine dritte zu fordern. Er hatte nur die eine Chance, wenn er ebenfalls einundzwanzig Augen zeigen konnte. Vielleicht aber auch genügten schon zwanzig, wenn ich nur neunzehn hatte.
Als er sich die dritte Karte angesehen hatte, warf er alle drei weg, schnellte brüllend hoch und hechtete zu mir herüber. Er wollte mir mit beiden Händen an die Kehle. Und er war ein bärenstarker, schwergewichtiger Bursche, geschmeidig wie ein Berglöwe.
Ich hatte solch einen Angriff erwartet und warf mich rechtzeitig zur Seite. Dann war ich früher auf den Füßen als er. Als er brüllend aufsprang, zog er dabei den Revolver.
Und da traf ihn auch schon meine Kugel voll in den Magen.
Ich konnte nicht anders handeln.
Im ganzen Tal war es nun still. Alle in der Runde hatten begriffen, dass ein Kampf stattgefunden hatte.
Und das war ein Verstoß gegen das ungeschriebene Gesetz, das hier herrschte.
Man konnte sich im fairen Wettstreit auf allen Gebieten miteinander messen. Doch sonst galt die Friedenspflicht. Hier im Tal war neutraler Boden. Und wer diesen Frieden brach, der kam vor das Gericht unserer Gilde. Ja, wir waren sozusagen eine Gilde, wir Trapper, Bergläufer, Scouts und selbst jene Männer, die in dieses Land geflüchtet waren.
John Bear starb am Boden. Und von allen Seiten kamen sie herbei und bildeten einen Kreis um unser Camp.
Der weißbärtige Joe Weaver – er war der älteste Trapper im Tal – fragte scharf: »Was ist geschehen?«
Yellowstone John erwiderte: »Er konnte nicht verlieren, Joe. Larry Hogan verteidigte nur sein Leben. Er hatte keine andere Wahl. Wir vier können das beschwören. So war es und nicht anders.«
Eine Weile war es still.
Dann nickte Joe Weaver und strich sich durch den weißen Bart.
Er sprach langsam: »Nun, dann hat John Bear den Frieden in Jackson's Hole gebrochen, und es geschah ihm recht. Schaffen wir ihn fort. Begraben wir ihn dort drüben bei den anderen.«
Ja, es gab hier im Tal schon einen kleinen Friedhof.
Einige der Männer traten aus dem Kreis, nahmen den Toten auf und trugen ihn fort. Die Versammlung löste sich auf.
Aber das vergnügliche Leben und Treiben im kleinen Tal war beendet. Die Nacht würde bald anbrechen. Die Sonne, die vorhin noch so gnädig wärmte, war hinter den Bergen verschwunden. Nun lag hier alles im Schatten.
Ich stand noch da, umringt von meinen vier Freunden.
Sie klopften mir auf die Schultern. Pancake Bill sagte: »Dieser Narr hat es so haben wollen. Und nun hast du eine schöne Squaw in deiner Hütte. Sieh nur zu, dass ihr noch rechtzeitig hinkommt. Denn in einigen Tagen ...«
Ich hörte nicht länger hin, sondern setzte mich in Bewegung.
Denn ich musste mich wohl um das schöne Indianermädchen kümmern. Gewissermaßen gehörte sie ja jetzt mir. Oder nicht?
✰
Als ich mich ihr bis auf vier Schritte genähert hatte, wobei wir uns fest in die Augen sahen – sie musste sitzend zu mir aufblicken –, da roch ich es plötzlich.
Ich hielt inne, als wäre ich gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Heiliger Rauch, dachte ich, dieses schöne Mädchen stinkt so gewaltig, dass es einem den Magen umdreht.
Und indes ich dies dachte, begriff ich auch schon, was es für ein Gestank war. Sie aber sah immer noch zu mir hoch, und in ihren leicht schräg gestellten grünen Katzenaugen war ein belustigtes Funkeln.
Ich hockte mich auf die Fersen. Meine Stiefel hatten keine Absätze. Es waren die Stiefel eines Bergläufers. Und auf die Entfernung hinweg sahen wir uns an.
Yellowstone John trat neben mich und sprach auf mich nieder: »Ja, sie stinkt. Als sie in der Gefangenschaft der drei Crows war, muss sie es irgendwie geschafft haben, sich von einer ganzen Skunkfamilie anspritzen zu lassen. Sie muss es absichtlich herbeigeführt haben, um nicht vergewaltigt zu werden. Diesen Gestank hält auch der geilste Bock nicht aus. Auch John Bear hielt sich von ihr fern. Er sagte uns, dass er noch ein oder zwei Wochen warten müsste. Und im Yellowstone-Land würde er sie so lange in das Becken eines heißen Geisers stecken, bis der Gestank auch aus der letzten Pore gewichen wäre. Wenn es sein müsste, würde er sie drei Tage in dem heißen Wasser sitzen lassen. Und verdammt, dieser Kerl hätte es getan. Der war scharf auf sie. Vielleicht hätte er sich aber auch die Nase zugehalten.«
Yellowstone John verließ mich wieder nach dieser Erklärung.
Ich grinste das Mädchen an und hatte längst erkannt, dass sie eine Oglala-Sioux war. Es gab da Erkennungszeichen an den Stickereien ihrer Lederkleidung. Jeder der sieben Siouxstämme hatte seine eigenen Muster.
Und so sagte ich in ihrer Sprache zu ihr: »Du bist schlau, denn so konntest du deine Unschuld behalten. Aber was zahlst du für einen Preis dafür? Du wirst noch lange stinken. Und das passt gar nicht zu deiner Schönheit. Wie ist dein Name? Und von welchem Dorf bist du?«
Sie ließ mich eine Weile auf eine Antwort warten. Aber als sie sprach, da erlebte ich eine zweite Überraschung. Denn sie sprach in meiner Sprache, der Sprache der »Wasicuns« – also der Weißen: »Ich kenne dich, Absaroka-Falke.«
Das war mein Name. So nannten mich die Roten, weil ich in den Absaroka-Tälern mein Jagdrevier hatte.
Verdammt, sie kannte mich! Aber ich wusste nicht, wer sie war. Dennoch kam sie mir irgendwie bekannt vor. Es war etwas an ihr, an das ich mich zu erinnern versuchte. Doch was es auch war, mir fiel es nicht ein.
Und so fragte ich nochmals: »Wie ist dein Name? Von welchem Dorf haben dich die Crows entführt, als du beim Beerensuchen warst? So war es doch – oder?«
Sie nickte. »Ja, so war es. Es gibt nicht nur unter den Weißen böse Menschen. Ich bin eine Oglala. Mein Name ist Zauberblume. Rote Wolke ist mein Onkel, aber ich lebe im Dorf von Rothorn. Erinnerst du dich jetzt an mich?«
Sie fragte es mit einem Klang von Nachsicht in der Stimme. Ich aber hockte ein Stück von ihr entfernt auf den Fersen, schloss die Augen und ließ alte Erinnerungen in mir aufsteigen.
Und da war plötzlich das Bild jenes schönen Mädchens vor mir. Es mochte fünf Jahre her sein, als ich Gast in Rothorns Dorf gewesen war. Rothorn war ein kleiner Häuptling. Sein Dorf zählte etwa fünfzig Zelte. Und da im Durchschnitt auf jedes Tipi fünf Menschen kamen, zählte sein Dorf um die zweihundertundfünfzig Seelen.
Eine dieser Seelen war das Mädchen. Es mochte damals etwa vierzehn Jahre alt gewesen sein, noch nicht richtig erwachsen, aber dennoch schon einen besonderen Zauber ausströmend, der jeden Betrachter den Atem anhalten ließ.
Ja, nun erinnerte ich mich an sie. Inzwischen war sie kein heranwachsendes Mädchen mehr, sondern voll erwachsen.
Doch sie stank nach dem Afterdrüsensaft der Stinktiere, die man einfach Skunks nannte und die eine Dachsart waren, die wie ihre Vettern in Erdhöhlen lebte. Wenn sich diese Skunks bedroht fühlten, dann spritzten sie eine stinkende Flüssigkeit gegen den Feind. Und dieser stank dann wochenlang. Nun stank die wunderschöne Zauberblume.
Ich öffnete die Augen und fragte: »Wie kam es dazu?«
Sie verstand sofort, was ich meinte, und verzog ihren üppigen Mund zu einem nachsichtigen Lächeln. Dann erwiderte sie: »Die Crows schickten mich zum Holzsammeln. Da entdeckte ich die Skunkhöhle. Ich stocherte mit einem Stock darin herum. Da kamen sie heraus und bespritzten mich. Das hatte ich gewollt. An den Gestank habe ich mich gewöhnt. Eines Tages werde ich wieder anders riechen. Was wirst du mit mir tun, Absaroka-Falke?«
Sie war nun auf den Punkt gekommen. Denn das war die große Frage. Gewissermaßen gehörte sie mir. Was würde ich mit ihr anfangen?
Meine Gedanken jagten sich, und es waren ein paar verlockende Gedanken darunter. Denn ich wollte ja von hier aus zu meinem Jagdrevier in die Berge. Ich konnte sie mitnehmen in meine Hütte. Und gewiss würden wir dann ganz zwangsläufig in der Einsamkeit eines langen Winters ein Paar werden. Ich hätte eine Gefährtin bei mir – und sie in den langen Winternächten auch unter meiner Decke. Aber konnte ich ihre Situation so ausnutzen?
Was war ich für ein Mann? Ich begriff, dass ich dies in der nächsten Minute herausfinden würde. Denn ich musste mich entscheiden.