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Ich fühlte mich in diesen Tagen - und vor allen Dingen in den Nächten - als Lucky Cuss, als glücklicher Kerl, der auf so etwas wie eine Goldader gestoßen war.
Aber die Goldader war ein Mann, ein mächtiger Bursche von der Sorte, die man Cattle Kings nannte. Dieser Bursche saß schon einige Nächte mit mir in einer Pokerrunde im Cattlemen's Saloon zu El Paso. Die drei anderen Mitspieler wechselten jede Nacht. Sie waren nur Statisten.
Er aber wollte mich mit den Karten schlagen, koste es ihn, was es wolle. Denn er fühlte sich von mir herausgefordert. In der ersten Nacht hatte er eine Menge an mich verloren. Deshalb wollte er immer wieder Revanche und verlor ständig mehr. Das machte ihm zu schaffen und wurde für ihn zu einem riesigen Problem. Denn er war ein Großer, ein Mächtiger, der niemals aufgab.
Irgendwann in der vierten Nacht hatte er kein Geld mehr.
Ich sagte zu ihm: »Mister Alvarez, Sie können gegen mich einfach nicht gewinnen. Das ist nun mal so. Dagegen können Sie nichts machen. Und gewiss gibt es auf unserer Erde Männer, gegen die auch ich niemals gewinnen könnte. Und niemand weiß, warum das so ist. Hören wir also auf. Ihr Geld ist alle, nicht wahr?«
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Cattle Trail
Vorschau
Impressum
Cattle Trail
Ich fühlte mich in diesen Tagen – und vor allen Dingen in den Nächten – als Lucky Cuss, als glücklicher Kerl, der auf so etwas wie eine Goldader gestoßen war.
Aber die Goldader war ein Mann, ein mächtiger Bursche von der Sorte, die man Cattle Kings nannte. Dieser Bursche saß schon einige Nächte mit mir in einer Pokerrunde im Cattlemen's Saloon zu El Paso. Die drei anderen Mitspieler wechselten jede Nacht. Sie waren nur Statisten.
Er aber wollte mich mit den Karten schlagen, koste es ihn, was es wolle. Denn er fühlte sich von mir herausgefordert. In der ersten Nacht hatte er eine Menge an mich verloren. Deshalb wollte er immer wieder Revanche und verlor ständig mehr. Das machte ihm zu schaffen und wurde für ihn zu einem riesigen Problem. Denn er war ein Großer, ein Mächtiger, der niemals aufgab.
Irgendwann in der vierten Nacht hatte er kein Geld mehr.
Ich sagte zu ihm: »Mister Alvarez, Sie können gegen mich einfach nicht gewinnen. Das ist nun mal so. Dagegen können Sie nichts machen. Und gewiss gibt es auf unserer Erde Männer, gegen die auch ich niemals gewinnen könnte. Und niemand weiß, warum das so ist. Hören wir also auf. Ihr Geld ist alle, nicht wahr?«
Er starrte mich unter seinen buschigen Augenbrauen hinweg böse an. Und er war ein großer, bulliger und eisenharter Mann, einer von der Sorte, die lange Schritte macht. Deshalb wurmte es ihn ja auch so, dass er an mich fast seine Hosen verlor.
»Spieler«, knurrte er, »Sie werden mir Revanche geben, solange ich darauf bestehe. Und ich bestehe auch jetzt darauf.«
Normalerweise hätte ich solch einem Burschen gesagt, dass er sich zum Teufel scheren solle. Doch ich ließ es bleiben, denn er war nicht allein. Er hatte zwei hartgesichtige Revolverschwinger bei sich, die ihn begleiteten wie eine Leibgarde einen King.
»Na gut«, sprach ich freundlich, »was können Sie denn als Einsatz bringen, Mister Alvarez? Ich bin ja kein Unmensch. Wollen Sie auch noch Ihre Herden und Ihre Ranch an mich verlieren?«
Ich hätte es besser nicht gesagt. Denn er fasste es sofort als Herausforderung auf. Und wäre er ein Stier gewesen, so hätte er mich jetzt auf die Hörner zu nehmen versucht.
Er fragte knurrend: »Spieler, was ist zurzeit ein Longhorn auf dem Huf hier in Texas wert?«
Ich grinste. »Nichts«, erwiderte ich, »gar nichts. Nicht mal die Rinderhaut bringt so viel, wie das Abhäuten und der Transport kosten würden. Die Longhorns in Texas haben sich wie die Karnickel vermehrt während des Bürgerkriegs. Aber sie sind weniger wert als Karnickel.«
Da schüttelte er den Kopf.
»Bald werden sie eine Menge wert sein, weiter im Norden, wo es Eisenbahnlinien gibt und die Rinder nach dem Osten verladen werden. Dort wartet man schon auf Rindfleisch. Alles verändert sich. Man hat Kühlanlagen erfunden. Und so wird man bald die Rinderhälften bis hinüber nach Europa transportieren. He, Spieler, lesen Sie denn keine Zeitungen?«
Er fragte es mit einem Klang von Verachtung in der Stimme, so als hielte er mich für einen Analphabeten. Aber er wusste genau, dass ich wahrscheinlich gebildeter war als er. Ja, er wusste es sicher. Aber er wollte mich beleidigen.
Ich blickte über die Schulter zur Bar hinüber.
Ja, dort standen seine beiden Revolverschwinger.
Mit denen und auch mit ihm würde ich kämpfen müssen.
Wir waren nicht allein im Cattlemen's Saloon zu El Paso. Es waren noch eine Menge andere Leute im Spielraum. Und fast alle hatten unser Spiel in respektvoller Entfernung beobachtet.
So mancher hatte Freude darüber verspürt, dass ich diesem Jason Alvarez die Haut abzog wie einem Hammel.
Aber er war kein Hammel. Und das konnte nun mein großes Problem werden.
»Also gut«, sagte ich, »bewerten wir jedes Longhornrind mit einem Dollar hier in Texas. Oder ist das nicht fair?«
Er nickte. »Doch, hier in Texas ja. Ich schreibe Ihnen einen Schuldschein über tausend Rinder. Und dann spielen wir weiter.«
Leute, was hätte ich tun sollen? Ich war gewiss kein Feigling. Und weil ich wusste, wie schnell ich mit dem Revolver war, hätte ich seine beiden Revolverschwinger gewiss geschafft, vielleicht sogar auch ihn.
Aber auch ich würde etwas abbekommen.
Drei waren zu viel für mich.
Doch das war noch nicht alles, was mich kneifen ließ. Ich hätte töten müssen. Und das wollte ich nicht.
Nun, er stellte den Schuldschein über tausend Rinder aus, den ich präsentieren konnte nach eigenem Belieben. Das verlangte ich ausdrücklich, und er schrieb es auch hin. Dann ging das Spiel weiter. Sein Spielkapital betrug tausend Dollar.
Als draußen der Morgen graute, besaß ich tausend Rinder.
Er erhob sich mit einem Ruck, und er strömte Gift und Galle aus, so böse und wütend war er.
Massig beugte er sich über den Tisch und sah die anderen drei Mitspieler gar nicht an, als er sagte: »Morgen will ich Revanche.«
Dann ging er mit seinen beiden Revolvermännern.
Ich blieb noch sitzen. Und die drei anderen Spieler betrachteten mich mitleidig. Einer sagte: »Das war eine spannende Nacht. Und wir waren dabei. Noch unseren Enkeln werden wir von jenem Spieler erzählen, der dem mächtigen Big Jason Alvarez die Haut abziehen konnte. Aber wenn Sie ihn nicht noch mehr verärgern wollen, dann sollten Sie ihn gewinnen lassen. Dann ist er wieder glücklich.«
Sie erhoben sich nach seinen Worten. Ich blieb noch eine Weile allein am Tisch sitzen und betrachtete die Karten.
Ja, verdammt, ich war nach dem Krieg ein Spieler geworden. Und bis zu dem Zeitpunkt hatte ich mich als Glückspilz betrachtet. Jetzt aber war ich nicht mehr dieser Meinung. Ich fühlte mich in einer Falle. Und wenn ich aus ihr herauswollte, würde ich kämpfen und wahrscheinlich sogar töten müssen.
Ich erhob mich, trat an die Bar und nahm noch einen Drink.
Dann ging ich hinaus und hinüber zum Hotel.
Am liebsten wäre ich zum Mietstall gegangen, hätte mein Pferd gesattelt und die Flucht ergriffen. Das wäre klug und vernünftig gewesen.
Aber ich wusste, ich würde nicht aus der Stadt kommen. Er war ein mächtiger Mann und wollte mich erst mit den Karten besiegen. Vorher kam ich nicht weg.
Zorn stieg in mir hoch, böser, kalter Zorn. Und so war ich mächtig wütend, als ich endlich in mein Zimmer trat.
Aber dann sah ich Sally in meinem Bett liegen. Sie bewohnte eigentlich das Zimmer nebenan, aber sie fühlte sich wohler in meinen Armen und besuchte mich über den Balkon. Wir lagen dann stets von Morgengrauen bis Mittag im selben Bett und beschenkten uns gegenseitig mit all den Zärtlichkeiten, wie sie seit Adam und Eva zwischen den Geschlechtern üblich sind.
Sie war eine Spielerin, wie ich ein Spieler war. Und sie teilte im Rio Saloon die Karten beim Faro oder Black Jack aus, lächelte dabei die Spieler an und verleitete sie so immer wieder dazu, ihr Glück zu probieren.
Eigentlich war sie eine Tochter aus gutem Haus und auf einem noblen Internat erzogen worden. Ihr Vater war ein reicher Baumwollpflanzer gewesen, der etwa vierhundert Sklaven für sich arbeiten ließ. Dann – als der Süden den Krieg verlor – wurde er von seinen Sklaven totgeschlagen, seine Frau – Sallys Mutter – wurde vergewaltigt. Sally hatte sich damals verstecken können und war dann in einer schwarzen Nacht davongeschlichen. Wir hatten uns beim Frühstück hier im Hotel kennengelernt.
Und nun beschenkten wir uns also. Das mochte unmoralisch sein, doch es gehörte nun mal zum Leben.
Als ich mich neben ihr aufs Bett legte, nachdem ich mich leise entkleidet hatte, da erwachte sie, rollte sich in meine Arme. Dann beschenkte sie mich, ließ mich ihr Verlangen und ihr Feuer spüren.
Wir hatten beide eine lange Nacht hinter uns.
Doch der Hunger nach körperlicher Liebe hielt uns wach.
✰
Am frühen Nachmittag ritten wir aus wie immer in den vergangenen Tagen. Denn wir hatten frische Luft sehr nötig, verbrachten wir doch die Nächte in verräucherten Spielräumen.
Sally sprach nach einer Weile des schweigsamen Nebeneinanderreitens: »Man spricht von dir und Big Jason Alvarez und von dem Ärger, den du mit ihm bekommen wirst. Auch in der Spielhalle, in der ich die Karten austeile, redet man von eurem Spiel. Dieser Alvarez ist ein Bursche, der alles haben will und einfach nicht verlieren kann. Er will auch mich haben.«
Als ich das hörte, hielt ich an.
»He, wie kommt er auf dich? Wie und wo seid ihr euch begegnet?« Ich fragte es staunend.
»Im Store«, erwiderte sie. »Und er machte mir das Angebot, bei ihm auf der Ranch zu leben. Er sagte mir, dass ich es bei ihm sehr viel besser hätte als in der Spielhalle. Er würde gerne einen oder zwei Söhne haben. Aber diese zu zeugen müsste ihm auch Spaß machen. Und da wäre ich seiner Meinung nach genau die richtige Frau. Mit mir würde es ihm gewaltig Spaß machen. Und ich hätte ausgesorgt für mein ganzes Leben. Was meinst du, Mike? Für viele Frauen auf dieser Erde wäre das gewiss ein tolles Angebot – oder? Und wenn er erst herausfindet, dass ich es mit dir treibe, dann wird er sich dir gegenüber zum zweiten Mal als Verlierer fühlen. Mike, ich mache mir Sorgen um dich hier in El Paso. Doch ich würde sofort mit dir von hier weggehen, ganz gleich wohin. Ist das kein Angebot?«
Ich staunte nochmals gewaltig.
Aber dann schüttelte ich den Kopf und sprach: »Ich sagte es dir ja schon im Morgengrauen im Bett. Wir sind Glücksjäger und taugen beide nicht viel. Aus uns würde nichts, gar nichts. Könntest du mir treu sein, sogar dein Leben für mich geben?«
»Könntest du das umgekehrt?«, fragte sie ziemlich biestig zurück.
»Siehst du.« Ich grinste. »Zwischen uns ist keine Liebe mit dem Herzen, nur das Verlangen nach zärtlichen Stunden. Wir wollen nur gegenseitig unser Feuer spüren, uns beschenken und sozusagen dem Himmel näher bringen. Und wenn irgendwann unser Feuer und gegenseitiges Verlangen erlöscht, dann ...« Ich brach ab und winkte resignierend ab.
Aber sie war wütend und sprach spröde: »Du verdammter Kartenhai, was bildest du dir eigentlich ein? Ich werfe mich dir fast an den Hals, und du behandelst mich wie eine streunende Katze. Geh zum Teufel, Mike Starr!«
Sie gab ihrem Leihpferd die Sporen und galoppierte davon.
Ja, sie war wütend. Und ich Narr ließ sie reiten, folgte ihr nicht, um sie wieder zu versöhnen.
Aber vielleicht war es besser so. Ich hatte andere Sorgen. Dieser Jason Alvarez würde in der kommenden Nacht wahrscheinlich wieder tausend Rinder an mich verlieren. Ich war mir da ziemlich sicher. Mein Instinkt sagte es mir. Es war sein Schicksal, mit Karten nicht gegen mich gewinnen zu können. Doch er wollte es nicht akzeptieren.
✰
Als es Nacht wurde, saß ich wieder mit Big Jason Alvarez am Spieltisch. Die drei anderen Spieler waren nicht die von gestern. Sie hatten schon auf uns gewartet und wollten nur dabei sein bei diesem Spiel.
Big Jason Alvarez starrte er mich unter seinen buschigen Augenbrauen hinweg drohend an und sagte knurrig: »Ich werde also wieder einen Schuldschein über tausend Rinder wie gestern ausstellen. Gut so?«
Ich nickte nur und gab ihm dann tausend Dollar, kaufte also gewissermaßen von ihm weitere tausend Rinder, mit denen ich nichts anfangen konnte. Er aber hatte wieder Spielkapital.
Ziemlich borstig fragte ich ihn: »Alvarez, wie viele Rinder besitzen Sie eigentlich? Wie viele muss ich Ihnen noch abkaufen, um Ihnen dann den Kaufpreis wieder abnehmen zu können?«
Er grinste grimmig und erwiderte: »Was weiß ich – es können fünfzigtausend oder hunderttausend sein. Ich habe ein halbes Dutzend Brennmannschaften auf meinen Weidegebieten. Die bränden jeden Tag insgesamt fast tausend Tiere. Während des Krieges wurden die Rinder nicht gebrändet. Sie vermehrten sich nur. Doch alle hier stammen von der Stammherde ab. Und Maverickjäger werden an den Hälsen hochgezogen, bis sie nicht mehr zappeln. So ist das hier.«
Er verstummte grimmig.
Nun, lieber Leser meiner Geschichte, es war wie in den vergangenen Nächten. Er konnte auch diesmal nicht gegen mich gewinnen. Als draußen die Nacht zu sterben begann, da hatte ich ihm das Geld wieder abgewonnen. Und so besaß ich nicht nur zweitausend Rinder, sondern auch wieder all meine Dollars.
Er saß dann da und starrte mich an.
Dann sprach er: »Ich denke immer an die Geschichte von dem Feldherrn, der schon einige Schlachten verloren hatte und eigentlich aufgeben wollte mit seinem Heer. Kennen Sie diese Geschichte, Spieler?«
»Wer kennt die nicht.« Ich grinste. »Als der Feldherr in seinem Zelt lag, da kroch immer wieder eine Ameise an der Zeltwand hoch. Er schnippte sie mit dem Finger ständig herunter, aber sie versuchte es immerzu aufs Neue. Endlich gab er auf und ließ sie hochkrabbeln. Und da begriff er, dass auch er nicht aufgeben sollte, sondern immerzu angreifen müsste. Und das tat er dann auch mit seinem Heer und gewann den Krieg. Und Sie, Alvarez, halten sich also für solch einen Feldherrn und mich für eine Ameise?« Ich verstummte voller Spott.
Aber er erwiderte: »So ist es genau. Und morgen spielen wir wieder. Ich kann noch mehr als fünfzigtausend Rinder einsetzen.«
Er erhob sich mit einem Ruck und ging. Seine beiden Revolverschwinger folgten ihm.
Die drei anderen Spieler an unserem Tisch blieben noch sitzen wie ich. Sie sahen mich forschend an. Dann sagte einer: »Mann, in Ihrer Haut möchte ich nicht stecken. Big Jason Alvarez wird nicht aufgeben. Der glaubt wirklich, er wäre solch ein Feldherr und Sie eine Ameise. Aber er wird Sie nicht krabbeln lassen und selbst aufgeben. Der wird Sie zertreten. Es war eine interessante Nacht hier an diesem Pokertisch. Allzu viel haben wir nicht verloren. Wir waren ja nur Statisten und Zuschauer.«
Die beiden anderen nickten und erhoben sich mit dem Sprecher.
Ich blieb noch sitzen und dachte nach, fragte mich, wie es weitergehen sollte und wann Alvarez endlich aufgeben würde.
Und noch etwas fragte ich mich, nämlich: Würde Sally Woodward auch diesmal in meinem Bett auf mich warten oder war es aus mit uns?
Nun, ich würde es gleich herausfinden.
Also erhob ich mich und trat bald darauf hinaus in die sterbende Nacht, sog die frische Luft tief in mich ein.
Und als ich auf mein Zimmer kam, da war mein Bett leer.
Sally Woodward hatte also noch ihren Stolz.
Irgendwie gefiel es mir.
✰
Nun, es ging noch drei Nächte so weiter.
Dann besaß ich Schuldscheine über fünftausend Rinder und hatte keinen einzigen Dollar verloren.
Big Jason Alvarez aber hasste mich nun wie der Teufel, der ihm seine Seele stehlen wollte – oder gar schon gestohlen hatte.
Ja, er hasste mich, wie ein Verlierer einen Gewinner nur hassen kann.
Seine Wut und sein Hass trafen mich in dieser fünften Nacht, da er erneut tausend Rinder verlor, wie ein heißer Atem, den er über den Tisch strömen ließ.
Und so wurde mir klar, dass ich die Flucht ergreifen musste. Dieser Mann würde mich von nun an auf andere Weise besiegen wollen.
Und so entschloss ich mich im Morgengrauen dieser Nacht.
Ich ging nicht zum Hotel zurück, wo ja ohnehin keine Sally mehr auf mich in meinem Bett wartete. Ich würde in meinem Zimmer meine wenigen Siebensachen einfach zurücklassen. Mein ganzes Geld trug ich bei mir, hatte es in einem Geldgürtel und in den Taschen, sogar in den Stiefelschäften. Und auch die fünf Schuldscheine über insgesamt fünftausend Alvarez-Longhorns trug ich in der Brieftasche bei mir.
Damit machte ich mich im Morgengrauen auf den Weg zum Mietstall und hoffte, dass ich mich davonschleichen könnte wie ein Fuchs mit seiner Beute.
Der Stallmann schlief noch in seinem kleinen Verschlag. Ich hörte sein sägendes Schnarchen, holte mein Pferd aus der Box und legte ihm den Sattel auf.
Das Pferd hatte ich hier gekauft, um ausreiten und auch jederzeit von hier weg zu können. Ich war ja mit einer Postkutsche gekommen, wie Sally auch. Als ich das Tier aus dem Stall führte, um draußen aufzusitzen, war das kein Pferdediebstahl.
Ich blieb keinem hier in El Paso etwas schuldig.
Als ich aufsitzen wollte, da sah die beiden Gestalten. Sie traten rechts und links hinter zwei abgestellten Planwagen hervor.
Es waren Big Jason Alvarez' Revolverschwinger. Ich musste nicht zweimal hinsehen, um es zu begreifen. Ich hatte sie ja all die Nächte ausgiebig betrachten können.
Und so saß ich nicht auf, sondern trat von meinem Pferd weg.
»Hallo, Amigos«, sagte ich freundlich. »Dies wird heute ein besonders schöner Morgen mit einem strahlenden Sonnenaufgang. Man sollte sich an einem solchen Morgen seines Lebens freuen. Denn es ist hart, an einem solchen Morgen zu sterben.«
Sie lachten hart. Einer sagte: »Spieler, drohst du uns gar?«
»Ich drohe niemals«, erwiderte ich. »Ich nenne die Dinge nur beim Namen. An solch einem Morgen sollte man nicht sterben wollen.«
»Dann schaff den Gaul wieder in den Stall zurück und geh in dein Hotel, damit du heute Abend wieder ausgeschlafen bist, wenn Alvarez mit dir spielt.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte ich, »jetzt ist Schluss. Ich habe ihm immer wieder Gelegenheit zur Revanche gegeben. Jetzt reite ich meines Weges.«
Nun waren sie an der Reihe mit dem Kopfschütteln. Es war ja alles so einfach und klar.
Einer sagte: »Amigo, wir haben persönlich nichts gegen dich. Aber wir wollen unseren Job behalten. Es ist ein guter Job. In dieser miesen Zeit jetzt nach dem Krieg sind solche Jobs dünn gesät. Also, bleib hier in El Paso, bis Alvarez genug von dir hat. Wenn du einigermaßen klug wärst, hättest du ihn gewinnen lassen. Man kann einen solchen Mann nicht so verärgern.«
Er verstummte richtig gönnerhaft, als wäre er ein guter Freund mit einem guten Rat.
Ich aber sagte: »Jungs, ich werde reiten. Und ihr könnt mich nicht aufhalten.«
Da schnappten sie nach ihren Revolvern. Sie wollten mir wahrscheinlich nur zeigen, wie schnell sie ziehen konnten. Aber darauf konnte ich mich nicht verlassen. Ich zog so schnell wie immer und schoss sie von den Beinen.
Die Schüsse hallten durch El Paso und weckten an diesem grauen Morgen sicherlich eine Menge Schläfer.
Ich saß auf und ritt davon. In mir war ein bitteres Bedauern. Aber was hätte ich anderes tun können?
✰
Wohin sollte ich reiten? Das war die Frage, die ich mir stellte. Ich hatte von großen Silberfunden gehört. Eine Campstadt, die sich Silver City nannte, war entstanden, so etwa hundertachtzig Meilen nordwestlich von El Paso entfernt.
Nun, ich machte mich also dorthin auf den Weg. Unterwegs würde ich mich besser ausrüsten. Geld besaß ich ja genug. Mir würde es an nichts mangeln. Ich musste nur aufpassen, dass man mich unterwegs nicht ausplünderte. Denn das Land war kurz nach dem Krieg voller Banditen.
Ich besaß nur einen Colt, nicht mal ein Gewehr.