G. F. Unger 2268 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2268 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

In Elkhorn stellen sich die drei Killer endlich ihrem Verfolger.
Als Ben Carpenter in den Ort reitet, sieht er sich plötzlich von ihnen eingekeilt. Obwohl sie ohne Warnung das Feuer auf ihn eröffnen, kämpft er sie nieder. Als der letzte Schuss verhallt, sind die drei tot. Ben aber lebt. Aber er blutet aus mehreren Wunden und schleppt sich schwer verletzt ins Hotel. Solange er zahlen kann, nimmt man sich seiner an, danach landet er im Mietstall. Und sowie es ihm etwas besser geht, erscheinen drei Stadträte und erklären ihm kaltschnäuzig, dass er die Stadt auf der Stelle zu verlassen habe. Er und noch einige andere, die in den Augen der anständigen Bürger von Elkhorn zum Abschaum der Menschheit gehören. Der Winter steht vor der Tür, und bevor die Stadt einschneit, will man sie von jeglichem Gesindel gesäubert haben.
Ben ist noch zu schwach, um sich zu wehren. Also nimmt er das klapprige Pferd und die fünfzig Dollar an, die man ihm gibt, und reitet zu dem Wagen, auf dem die anderen Ausgestoßenen auf ihn warten. Es sind vier Männer und zwei Frauen. Ein kläglicher Haufen, denkt Ben. Und die Furcht beschleicht ihn, dass er sie ins Verderben führen könnte ...


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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Die Ausgestoßenen

Vorschau

Impressum

Die Ausgestoßenen

In Elkhorn stellen sich die drei Killer endlich ihrem Verfolger.

Als Ben Carpenter in den Ort reitet, sieht er sich plötzlich von ihnen eingekeilt. Obwohl sie ohne Warnung das Feuer auf ihn eröffnen, kämpft er sie nieder. Als der letzte Schuss verhallt, sind die drei tot. Ben aber lebt. Aber er blutet aus mehreren Wunden und schleppt sich schwer verletzt ins Hotel. Solange er zahlen kann, nimmt man sich seiner an, danach landet er im Mietstall. Und sowie es ihm etwas besser geht, erscheinen drei Stadträte und erklären ihm kaltschnäuzig, dass er die Stadt auf der Stelle zu verlassen habe. Er und noch einige andere, die in den Augen der anständigen Bürger von Elkhorn zum Abschaum der Menschheit gehören. Der Winter steht vor der Tür, und bevor die Stadt einschneit, will man sie von jeglichem Gesindel gesäubert haben.

Ben ist noch zu schwach, um sich zu wehren. Also nimmt er das klapprige Pferd und die fünfzig Dollar an, die man ihm gibt, und reitet zu dem Wagen, auf dem die anderen Ausgestoßenen auf ihn warten. Es sind vier Männer und zwei Frauen. Ein kläglicher Haufen, denkt Ben. Und die Furcht beschleicht ihn, dass er sie ins Verderben führen könnte ...

Es ist ein ziemlich armseliger Wagen mit einem alten Gespann, das jetzt schon die Köpfe hängen lässt. Auch das Sattelpferd ist keine zwanzig Dollar wert.

Und dabei hat die Stadt die drei Pferde der Banditen und deren Siebensachen vereinnahmt. Es waren erstklassige Pferde mit Sätteln, dazu gute Waffen, wahrscheinlich auch Bargeld.

Ben Carpenter geht zum angebundenen Pferd, bindet es los und sitzt auf. Er bewegt sich ziemlich mühsam.

Dann reitet er neben das Vorderrad des Wagens und sieht zum Fahrer hinauf. Der ist ein rothaariger Riese mit einem Kindergesicht. Wahrscheinlich ist der Bursche geistig etwas zurückgeblieben, aber seine hellen Augen blicken harmlos und unschuldig.

Carpenter nickt ihm zu. »Los«, sagt er und reitet weiter.

Sein Blick streift die Gesichter der anderen Menschen. Eine der beiden Frauen ist schon reifer, aber die andere ist gewiss kaum zwanzig.

Ihre Blicke betrachten ihn forschend.

Und einer der vier Männer, der wie ein Prediger gekleidet ist, sagt laut in den kalten Tag hinein: »Und so preisen wir den Herrn, weil er uns auf neue Wege schickt. Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit, nach seinem Worte handeln und leben allezeit.«

Nach diesen bedächtig und präzise gesprochenen Worten nimmt er einen Schluck aus der Flasche und beginnt wieder zu singen.

»Schon wieder eine Seele vom Alkohol gerettetet, schon wieder ...«

Ben Carpenter sieht sich nicht um. Er reitet nun schon weit dem Wagen voraus.

Erst als er in den Hügeln ist, hält er an und wartet.

Der Wagen kommt langsam angerollt. Die Steigung war nicht besonders stark, doch die beiden alten Gespannpferde keuchen beträchtlich. Man kann sehen, wie sie sich angestrengt haben.

Die Leute sehen stumm auf den Reiter.

Dann sagt die grünäugige Frau ruhig: »Da Sie hier auf uns gewartet haben, Mister, können wir wohl damit rechnen, dass Sie uns irgendwohin zu führen versuchen. Oder?«

Er nickt und sieht sie an. Dabei wird er sich darüber klar, dass sie ihm gefällt. Sie ist etwa zwei oder drei Jahre jünger als er, also um die sechsundzwanzig Jahre. Sie hat rote Haare und trägt ein recht modernes Reisekostüm.

»Mein Name ist Carpenter«, sagt er, »Ben Carpenter. Und ich würde gerne wissen, mit wem ich es zu tun habe und wohin ich diese Fuhre bringen soll. Es gibt nämlich mehr als eine Richtung, in die wir fahren können. Na?«

Sie alle starren ihn prüfend an.

Sie schweigen immer noch.

Dann sagt der blonde und in schon schäbig gewordener Eleganz gekleidete Mann, den Ben Carpenter für einen Kartenhai hält, ruhig: »Für mich kommt nur eine einzige Richtung in Betracht, Ladys und Gentlemen: Norden. Ich stimme für Norden.«

Er macht eine kleine Pause. Dann lächelt er gewinnend. Aber so nett sein Lächeln auch wirkt – in seinen Augen ist es nicht. Dort bleibt es kühl.

Er macht eine elegante Bewegung und spricht weiter: »Vielleicht sollten auch wir Ihnen unsere Namen nennen, Mister Carpenter, nachdem Sie sich uns vorstellten. Ich bin Orson Latimer. Ich wurde in Elkhorn unbeliebt, weil ich mit des Teufels Gebetbuch meinen Unterhalt verdiente und einigen Honoratioren ein paar Dollars abnehmen konnte. Die Ehegefährtinnen dieser Honoratioren sind in Elkhorn eine starke Macht. Sie waren von Anfang an gegen mich – und natürlich auch gegen meine so reizend anzusehende Nachbarin, Miss Lily Rondell.«

Er deutet mit einer eleganten Bewegung auf die rothaarige und grünäugige Frau neben sich, die Ben Carpenter von Anfang an für eine Saloonsängerin und Kartenausteilerin hielt.

Aber Orson Latimer ist mit seinem Vorstellen noch nicht fertig.

»Tja, wen haben wir denn da noch? Aaah, da ist ja unser unvergleichlicher Prediger und Reverend Mister Joseph Clumfield mit seiner lieblichen Nichte Barbra Clumfield. Welch ein Mann! Welch ein Fels in der Brandung dieser schlechten Welt! Aber leider hat er in Elkhorn das große Pech, nicht zu der richtigen Kirche zu gehören, nicht zu der rechten Seitenlinie. Es durfte nicht sein, dass in Elkhorn jemand die Bibel anders auslegte. He, dann haben wir noch den guten Säufer Tate Tatum, den ewig um einen Drink bettelnden Sünder, der im Saloon manchmal lebende Mäuse verschlucken musste, damit die Spender des Feuerwassers etwas zum Lachen bekamen. Und dann haben wir Little Ben Washington, das große Kind mit der Kraft eines Büffels. Er schaute des Nachts durch ein Fenster in die Küche von Mrs Perrit und sah diese ehrenwerte Dame nackt in einemWaschfass baden. Da erschrak die Lady so sehr, dass sie um Hilfe brüllte. Und weil Little Ben dachte, es wäre noch jemand bei ihr im Zimmer, vor dem sie sich fürchtete, brach er das ganze Fenster ein und stieg in ihre Küche. Nun kreischte sie noch lauter. Es kamen Männer gelaufen, aber keiner wollte glauben, dass Little Ben Mrs Perrit nur zu Hilfe kommen wollte. Sie hielten ihn für gemeingefährlich, und deshalb gaben sie ihn uns mit. Das sind wir also alle, Mister Carpenter.«

Als er verstummt, schweigen sie alle. Doch dann sagt Little Ben Washington mit ruhiger Stimme: »Ich wollte ihr bestimmt nichts tun. Ich hielt ihr nur den Mund zu, weil sie so kreischte und die schlafenden Kinder im Nebenhaus weckte.«

»Sicher«, sagt Ben Carpenter. »Ich kann mich erinnern. Ich habe sie sogar im Mietstall kreischen hören. Das war vorgestern, nicht wahr? Ja, die kreischte die ganze Stadt zusammen.«

Danach ist es wieder still.

Der kalte Wind streicht leise durch die Hügel – und alle sehen sie auf Ben Carpenter und warten.

»Wohin würden Sie denn gehen wollen?«, fragt plötzlich Lily Rondell.

Er sieht in ihren geraden Blick hinein.

»Nach Norden«, sagt er. »In die Black Hills. Genauer gesagt, Leute, ins Goldland. In eines dieser Goldgräbercamps, aus denen inzwischen vielleicht schon richtige Städte wurden. Aber ...«

»Das wäre mir recht«, sagt Lily Rondell ruhig und fest.

Und der Spieler nickt dazu und sagt: »Jetzt sind wir schon drei, die nach Norden wollen. Wer will noch mit?«

»Wir auch«, spricht da der Prediger Clumfield würdig. »Es gibt überall Sünder zu bekehren.«

Ben Carpenter hat während seines rauen Lebens oft schon Trecks geführt, Wagentrecks und auch Rinderherden, und oft waren sie dabei ein verlorener Haufen ohne viele Chancen.

Er selbst ist noch krank und schwach – und die sechs Menschen hinter ihm sind kaum in der Lage, sich in einem rauen Land ohne seine Hilfe zu behaupten, zumal jeden Tag das Wetter umschlagen kann und sie mitten im Schnee irgendwo festsitzen könnten.

Er spürt gegen die Menschen in Elkhorn, die Stadt, die diese Menschen ausgestoßen hat, bitterste Verachtung. Manchmal will eine kalte Wut in ihm aufsteigen.

Für fünfzig Dollar Scout-Lohn haben ihm die Leute in Elkhorn eine schwere Verantwortung aufgebürdet.

Immer wieder verspürt Ben Carpenter die Versuchung, nach Elkhorn zurückzukehren und es den Bürgern dort zu zeigen, sich damit zu wehren gegen das Ausgestoßenwerden aus der menschlichen Gemeinschaft einer Stadt in den Hügeln.

Aber mit jeder Meile, die sie sich entfernen, lässt die wilde Versuchung nach.

Als sie am nächsten Morgen ihr erstes Camp abbrechen und wieder aufbrechen, sind sie halb erfroren, wortkarg und dennoch hoffnungsvoll.

Sie haben warmen Kaffee und Pfannkuchen im Bauch – und das Wetter ist immer noch trocken, wenn auch kalt.

Ben Carpenter, der am Feuer hockt und den heißen Kaffee schlürft, sieht zu Orson Latimer hin.

Er fragt sich, warum ein Bursche wie Orson Latimer sich den Winter über in einer abgelegenen Stadt wie Elkhorn verkriechen wollte.

Bei Lily Rondell kann er das verstehen, denn gerade in Städten, in denen eine Frau wie sie ein Ereignis von besonderer Art ist, das die Männer anlockt wie Honig die Bären, macht sie sicherlich die besten Gewinne am Spieltisch. Hier konnte sie den Spießern die Köpfe verdrehen und den Verstand betäuben.

Aber dieser Orson Latimer hätte sich in jeder wilden Stadt, in der alle tausend Sünden begangen werden und der Dollar nur so rollt, sehr viel besser gestanden als in Elkhorn. Orson Latimer passt in eine wilde Goldgräberstadt, wo man sich in den Spielhallen um jeden freien Platz rauft. Aber er wollte in Elkhorn bleiben.

»He, was gefiel Ihnen in Elkhorn so sehr, dass Sie dort bleiben wollten?« Ben Carpenter fragt es geradezu.

Der Spieler sieht ihn schief an und schüttelt schließlich den Kopf.

»Wen geht das was an?«, fragt er mürrisch.

»Mich«, erwidert Carpenter. »Ich versuche mir ein Bild von jedem von euch zu machen. Denn es könnte einmal wichtig sein für uns alle, dass ich jeden richtig einschätze. Also, jetzt ist die Stunde der Wahrheit. Ich will eine ehrliche Antwort, Mann.«

Der Spieler aber schüttelt den Kopf.

»Mir gefiel es eben«, murmelt er. »Ich wollte mal ausruhen. Meine Nerven waren ziemlich am Ende. Ich brauchte mal eine Erholungspause. Deshalb wollte ich bis zum Frühjahr in Elkhorn bleiben und ein ruhiges Leben führen.«

»Er lügt«, meldet sich da Tate Tatum. »Er hat eine Flasche Schnaps in der Innentasche seines Mantels und gibt mir nichts. Aber was kann man von einem Burschen wie ihm, der so lügen kann, schon erwarten?«

Orson Latimer wirbelt mit einem Fluch herum, macht drei lange Schritte und packt Tate Tatum am Hals. Er ist ein kräftiger Mann, der den Trunkenbold wie ein Bündel Lumpen schüttelt.

Ben Carpenter erhebt sich nicht einmal. Er ergreift nur ein Stück von dem Feuerholz, das sie vorhin zusammengesucht haben. Es hat die Größe und Form eines Bumerangs. Er wirft es mit einer kräftigen Bewegung dem Spieler genau zwischen die Schulterblätter.

Orson Latimer muss Tatum loslassen. Er taumelt, und es bleibt ihm einen Moment die Luft weg. Dann wendet er sich Carpenter zu.

»Sie nehmen sich verdammt viel heraus«, keucht er. »Und Sie glauben wohl, dass Sie hier gewissermaßen ...«

»Aaah, halten Sie den Mund«, unterbricht ihn Carpenter. Er wendet sich an Tate Tatum, der jetzt an der Wagenwand lehnt und sich den Hals betastet.

»Der-der hätte mi-mich fast erwürgt«, keucht Tatum schließlich. »Der hä-hätte mich fast umgebracht, dieser Kartenhai.«

»Warum lügt er, Tate? Warum sagtest du, dass er lügen würde auf meine Frage?«

»Aaah, der kam mit derselben Postkutsche nach Elkhorn wie die Witwe Juleman, die in Omaha ihre Tochter besucht hatte. Die Witwe Juleman aber ist eine reiche Frau. Ihr Mann – Abe Juleman – war damals der große Geldgeber des Trecks. Die Stadt wurde mit seinem Geld gebaut. Er gab es allen als Kredit. Sie zahlen es jetzt seiner Witwe nach und nach zurück. Und dieser Spieler dachte sich, dass er der Witwe Juleman vielleicht gefiele. Sie müssen eine sehr schöne Fahrt von Omaha her gehabt haben. Er rechnete sich eine Chance aus. Ich weiß das, denn ich lag ja immer überall herum. Ich weiß eine Menge über die Leute in Elkhorn. Ich hörte oft zu, wenn sie sich in ihren Häusern unterhielten – oder stritten. Und ich hörte auch die süßen Worte, die dieser Kartenhai zur Witwe Juleman sprach, wenn er sie besuchte.«

Tate Tatum macht nun eine Pause. Er massiert immer noch seinen Hals und starrt den Spieler dabei böse und fast tückisch an.

Und dann beendet er seine Geschichte mit den Worten: »Als die Leute in Elkhorn begriffen, dass ein windiger Kartenhai sich die Witwe Juleman angeln wollte und sie ihre Schulden dann vielleicht an ihn zu zahlen hätten, war er dort fällig. Und sie schickten ihn fort wie mich. Was unterscheidet ihn eigentlich von einem Säufer? Er wollte eine reiche Witwe – und ich will Schnaps. Was ist ehrlicher und ehrenwerter?« Er verstummt mit einem bösen Kichern.

Orson Latimer aber starrt in die Runde.

»Was geht es euch an, warum ich in Elkhorn blieb? Was geht es euch an? Jeder sorgt so gut für sich, wie er kann. Seid ihr denn so großartig, dass ihr mich jetzt anstarren könnt, als wäre ich ein Kalb mit zwei Köpfen?«

Er wendet sich ab und geht auf dem Wagenweg weiter, will offensichtlich dem Wagen vorausgehen, um mal eine Weile allein zu sein.

Niemand sagt etwas.

Sie brechen auch bald wieder auf, um vor der Dunkelheit noch ein Stück des Weges zu schaffen. Orson Latimer steigt dann schweigend wieder zu ihnen in den Wagen.

Der Wind weht ihnen immer noch kalt entgegen.

Als es Abend wird, müssen sie wieder im Freien übernachten. Doch sie finden ein schützendes Wäldchen und haben deshalb auch reichlich Feuerholz. Ein schmaler Creek durchfließt das Waldstück. Als sie ihre Pferde tränken, beginnt die Oberfläche des Creeks – dort, wo das Wasser steht – zu frieren.

Ben Carpenter kümmert sich lange um sein altes, müdes Pferd. Er massiert ihm die Muskeln. Als er merkt, dass er nicht mehr allein ist bei den Tieren im Seilcorral neben dem Wagen, wendet er schnell den Kopf.

Zuerst glaubt er in der Dunkelheit, Lily Rondell wäre gekommen, doch dann erkennt er Barbra Clumfield, die Nichte des eigenwilligen Predigers.

Sie tritt schweigend zu ihm. Nun, da sie ihm sehr nahe ist und er sich ihr zuwendet, kann er ihr Gesicht einigermaßen deutlich erkennen. Der Wagen hält den Feuerschein ab.

»Na, was ist denn?«, fragt er, und er spürt irgendwie, dass sie zögert und Hemmungen zu haben scheint, etwas zu sagen.

Sie schweigt immer noch. Dann aber tritt sie noch dichter an ihn heran, legt ihre Hände gegen seine Brust und stellt sich auf die Zehenspitzen. Sie hält sich an seinen Jackenaufschlägen fest.

Und dann küsst sie ihn.

Es ist ein scheuer Mädchenkuss. Er steht still und staunend da und fragt sich, ob er dies träumt – ob dies wieder einer seiner vielen Fieberträume sein könnte, die er noch vor nicht sehr langer Zeit erlebte, als er schwer angeschossen im Hotel von Elkhorn lag.

Aber es ist kein Traum. Es ist Wirklichkeit. Barbra Clumfield steht vor ihm auf den Zehenspitzen, hält sich an ihm fest, presst sich an ihn und küsst ihn nun noch einmal, diesmal nicht so mädchenhaft scheu, sondern irgendwie entschlossener und zielbewusster.

Es zündet bei ihm jedoch nicht. Sie ist ein sehr reizvolles, vitales Mädchen. Jeder Mann an seiner Stelle hätte zugegriffen.

Doch er steht ruhig, fast so wie ein Baum, der solch einen Kuss durch seine harte Rinde gar nicht spürt.

Er fragt, nachdem sie sich von ihm gelöst hat und einen Schritt zurückgetreten ist: »Und warum, Barbra – warum?«

Sie hebt die Hand, so als ob er sie geschlagen hätte, und sie wischt sich heftig über den Mund. Dann will sie sich abwenden und gehen.

Aber er macht einen Schritt und streckt seinen langen Arm aus, ergreift sie am Ärmel ihres Mantels.

»Warum, Barbra? Gib mir eine ehrliche Antwort. Du bist ein reizvolles Geschöpf, und du kannst gewiss fast jeden Mann verrückt machen. Doch dies ist nicht dein Stil. Deshalb will ich wissen, warum du mich geküsst hast. Gib mir Antwort!«

Nun zittert sie. Er spürt es deutlich.

Er hebt die Hand und streicht ihr über Kopf und Wange.

»Sag es mir, Barbra«, murmelt er. »Ich muss alles über euch wissen, alles über jeden von euch. Wie sollen wir durchkommen, wenn ich euch nicht genau kenne und nichts von euren Schwächen oder Stärken weiß, euren Motiven und Problemen. Also, Barbra!«

Nun zittert sie nicht mehr. Es ist, als hätte seine streichelnde Hand sie beruhigen können.

»Mein Onkel sagte mir, dass ich nett zu Ihnen sein müsste«, murmelt sie. »Er befürchtet, dass Sie bald genug hätten von uns, und riet mir ...«

Nun kann sie nicht weiter. Aber er weiß nun, was sie sagen wollte. Er erspart ihr, aussprechen zu müssen, dass sie sich ihm auf Geheiß ihres Onkels an den Hals werfen sollte.

»Schon gut, Barbra«, sagt er. »Ich weiß jetzt Bescheid. Dein Onkel ist gewiss bauernschlau und gerissen, aber er ist dennoch ein Narr, denke ich. Sag mir, was euch nach Elkhorn führte. Dass ihr in dieser Stadt am falschen Ort wart, ist mir schon klar. Dein Onkel predigte dort die falsche Religion. Aber was führte euch in die abgelegene Stadt? Ehrlich, Barbra! Wir sind alle Sünder. Auch ich. Aber ich will jeden richtig einschätzen können. Also erzähl mir alles.«

Er lässt sie los, sodass sie sich abwenden und fortgehen könnte.

Doch sie tut es nicht.

Sie bleibt bei ihm und schweigt einige Atemzüge lang.

»Ach«, murmelt sie dann, »wir sind ein ziemlich mieses Paar, und er ist gar nicht mein richtiger Onkel. Ich bin nur ein Requisit für ihn, das seine Redlichkeit gewissermaßen unterstreichen soll. Er ist ein kleiner Gauner, der in fast jeder kleinen Stadt haltmacht, in der es noch keinen Prediger und keine Kirche gibt. Zuerst predigt er in einer Scheune. Und dann macht er den Leuten eine kleine und bescheidene Kirche mit einem Glockenturm schmackhaft. Er veranstaltet ein großes Fest mit Tanz, Tombola und – ein Wohltätigkeitsfest für die Kirche. Er sammelt überall Geld, und jeder gibt, jeder. Und dann ...« Jetzt versagt ihr abermals die Stimme.

»... dann findet ihr einen Vorwand, um eine wichtige Reise zu unternehmen, zum Beispiel, um eine Glocke zu kaufen oder einen Kirchenbaumeister aufzusuchen?«

Er fragt es trocken.

Sie nickt.

»Und dann kommt ihr mit dem anvertrauten Geld nicht wieder?«

Wieder nickt sie.

»Und warum bist du da noch bei ihm, Barbra?«

Bei dieser Frage fasst er sie an den Schultern. Sie sieht zu ihm auf. Der Feuerschein jenseits des Wagens ist nun so hell, dass auch hier auf der hinteren Stelle alles gut erkennbar wurde.