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Als ich damals aus der Apachenwüste nach Verde Springs kam, war es schon fast Abend. Ich schaffte es gerade noch bis zur ersten Quelle, und die letzten hundert Schritte kroch ich auf Händen und Knien wie ein kranker Hund.
Dann konnte ich trinken.
Zuerst wollte ich die ganze Tinaja austrinken, aber ich trank nur mäßig. Von den Apachen nämlich hatte ich in meiner Kindheit und Jugend eine Menge gelernt.
Übrigens, mein Name ist Cas Slaterlee - und Cas ist natürlich eine Abkürzung von Cassedy.
Aber ich will nicht abschweifen, sondern erzählen, wie es weiterging, nachdem ich vorsichtig getrunken hatte.
Das war eine wahrhaft wundersame Sache.
Vorhin schien ich dem Tode nahe zu sein. Und nun erwies sich das Wasser als Lebenselixier. Es war wirklich wie ein Wunder.
Heiliger Rauch, wie schön war doch das Leben, obwohl diese Welt so mies und so hart sein konnte ...
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Slaterlee reitet noch
Vorschau
Impressum
Slaterlee reitet noch
Als ich damals aus der Apachenwüste nach Verde Springs kam, war es schon fast Abend. Ich schaffte es gerade noch bis zur ersten Quelle, und die letzten hundert Schritte kroch ich auf Händen und Knien wie ein kranker Hund.
Dann konnte ich trinken.
Zuerst wollte ich die ganze Tinaja austrinken, aber ich trank nur mäßig. Von den Apachen nämlich hatte ich in meiner Kindheit und Jugend eine Menge gelernt.
Übrigens, mein Name ist Cas Slaterlee – und Cas ist natürlich eine Abkürzung von Cassedy.
Aber ich will nicht abschweifen, sondern erzählen, wie es weiterging, nachdem ich vorsichtig getrunken hatte.
Das war eine wahrhaft wundersame Sache.
Vorhin schien ich dem Tode nahe zu sein. Und nun erwies sich das Wasser als Lebenselixier. Es war wirklich wie ein Wunder.
Heiliger Rauch, wie schön war doch das Leben, obwohl diese Welt so mies und so hart sein konnte ...
Ich blieb noch eine ganze Weile liegen und trank ab und zu. Ich war wie ein ausgetrockneter Schwamm, der sich allmählich wieder mit Wasser füllte.
Als ich mich etwas besser fühlte, wusch ich mich, und das erfrischte mich noch mehr.
Dann rollte ich mich auf den Rücken und sah nach oben.
Es war inzwischen Nacht geworden. Ich richtete mich auf und wunderte mich, dass ich schon einigermaßen sicher stehen konnte, dann sah ich zur Stadt hinüber.
Dort waren freundliche Lichter. Dort gab es Menschen in Häusern, Geschäften und Lokalen. Und wo es Menschen gab, musste es Wärme, Hilfe und Freundlichkeit geben.
Also machte ich mich auf den Weg.
Verde Springs wurde von den Spaniern früher Verde Fuente genannt, auch später noch von den Mexikanern.
Die Angloamerikaner aber machten den Mischmaschnamen Verde Springs daraus, also einen spanisch-englischen Namen. Aber auch die ganze Sprache der Leute hier war ja ein Mischmasch von Spanisch und Englisch.
Mir war es gleich, was für Menschen ich treffen würde, ob von mexikanischer oder angloamerikanischer Abstammung. Nur helfen sollten sie mir.
Als ich die ersten Häuser erreichte, trat ein Mann aus dem Schatten eines Vordaches und sagte: »He, Hombre, bleib stehen!«
Ich gehorchte sofort, denn ich wollte ja Freundlichkeit und Hilfe.
Der Mann war so groß wie ich – und das war nicht gerade wenig. Er trug einen breiten Hut und halb unter der Weste verborgen auf dem Hemd einen Stern. Ich konnte das Stück Messingblech in irgendeinem Lichtstrahl matt blinken sehen.
Aha, da bin ich ja gleich richtig, dachte ich zufrieden.
Indes sagte der Mann: »Zeig mir mal deine drei Dollar, Hombre.«
Ich staunte. Und ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
Aber da sagte der Mann: »Spiel nur nicht den Ahnungslosen. Es muss sich doch so langsam herumgesprochen haben, dass wir keinen Tramp ohne Geld in unsere schöne Stadt lassen. Und du bist doch ein Tramp – oder? Also musst du mir drei Dollar zeigen, damit wir sicher sind, dass du nicht bettelst oder stiehlst. Na?«
Nun wusste ich es also.
Dies hier war eine harte Stadt. Sie hatte genug von all den Tramps und Strolchen jeder Sorte, die in diesem ersten Jahr nach dem Krieg umherzogen und nach einer Chance suchten. Diese Stadt hatte gewiss schon eine Menge Federn gelassen wie ein Huhn, das gerupft wurde.
Und nun wehrte sie sich auf ihre eigene Art.
Oh, ich begriff es schnell.
»Nein«, sagte ich, »so ist das bei mir nicht. Ich bin kein Tramp. Ich bin ein Wildpferdjäger. Ich hatte drüben im Mesa-Land eine hübsche Herde in einer kleinen Schlucht und war dabei, sie einzubrechen und zuzureiten. Aber da kamen die Apachen. Sie begnügten sich nicht mit meinen Pferden, sondern wollten auch noch mich. Die wollten ganze Arbeit machen. Sie jagten mich eine ganze Woche lang. Vor zwei Nächten verlor ich mein Pferd und erledigte mit meiner letzten Kugel den letzten meiner Verfolger. Und dann ging es nur noch darum für mich, Wasser zu finden. Ich bin kein Tramp, Marshal.«
Er dachte einige Atemzüge lang nach. Dann verlangte er meinen Colt, den ich im Hosenbund stecken hatte. Denn als ich vor den Apachen ausreißen musste, konnte ich nur noch meinen Colt unter der Schlafdecke greifen und musste mich auf mein ungesatteltes Pferd schwingen. So entkam ich in der Nacht.
Er untersuchte meinen Colt im Sternenlicht, roch auch daran.
Dann gab er mir die ungeladene Waffe wieder.
In seiner Stimme war ein Anflug von spöttischem Lachen, als er sagte: »Eine feine Geschichte ist das. Ich muss zugeben, dass sie die Beste ist von allen, die ich bisher von Tramps erzählt bekommen habe.«
Er machte eine Pause. Dann wurde seine Stimme grollend.
»Amigo«, sagte er, »es interessiert doch nicht, warum du ein Tramp geworden bist. Verstehst du, Hombre? Ein Tramp ist ein Tramp. Und ich bin hier Town Marshal, um dieser Stadt jeden Ärger vom Hals zu halten. Also, zeig mir drei Dollar – dann kannst du reiten. Wenn du kein Geld hast, bleibst du draußen. Du darfst jedoch drüben im Stroh oder Heu des Mietstalls schlafen. Verstanden?«
Er war hart, und so hart sah er auch aus. Er wog bei meiner Größe um die hundertachtzig Pfund. Ich hatte in den vergangenen Tagen einige Pfunde an Gewicht verloren und gewiss nicht die Kraft, ihn von den Beinen zu schlagen.
Aber ich hätte es gern getan.
Ich ließ es lieber bleiben. Einen Moment sah ich zum Mietstall hinüber. Der befand sich uns gegenüber. Die Einfahrt war deutlich im Sternenschein zu erkennen. Im offenen Stall brannte Licht. Im Hof standen ein paar Sattelpferde und auch Wagen.
Ja, dort drüben im Heu konnte ich also schlafen.
»Damit du morgen früh kräftig genug bist, um dich auf die Socken zu machen«, sagte er. »Dort schläfst du wirklich besser als im Gefängnis. Na?«
Dieses »Na?« gehörte wohl zu seinen speziellen Eigenarten.
Ich erinnerte mich daran, dass ich noch etwas Kleingeld haben musste. Ich hatte es in einem Zipfel meines großen roten Taschentuches eingeknotet, damit es mir nicht aus der Tasche fallen konnte.
»Mal sehen, ob ich drei Dollar zusammenbringe«, murmelte ich und holte das Taschentuch heraus.
Die Nacht war hell geworden. Auch fielen da und dort Lichtbahnen aus Fenstern und Türen. Der Marshal und ich, wir sahen, was ich auf meinem Handteller ausbreitete an kleinen Münzen.
Es waren zwei Dollar und fünfundfünfzig Cents, dazu ein mexikanischer Silberpeso.
»Na also«, sagte er. »Sie können bleiben, Amigo. Aber wenn ich Sie ohne Geld in der Tasche treffe, werfe ich Sie aus der Stadt – es sei denn, Sie finden Arbeit oder einen Bürgen. Wie war denn Ihr Name, Mister?«
Sein Benehmen mir gegenüber hatte sich etwas geändert. Er hielt mich nun wohl doch nicht für einen Satteltramp. Ein paar Münzen hatten das bewirkt.
»Slaterlee«, sagte ich, »Cas Slaterlee. Und unter welchem Namen darf ich Sie in ewiger Erinnerung behalten, Sir?«
»Vorsichtig«, sagte er. »Versuch nur nicht, mich zu verarschen. Dann gebe ich dir was! Ich bin Henry Patterhan. Und nun hau ab!«
Ich ging wortlos weiter in die Stadt hinein.
Denn von Henry Patterhan hatte ich schon gehört. Er war ein Revolvermann. Die Stadt hatte sich ihn angeworben zum Schutz und damit er ihr die Bösen und die Tramps vom Leib hielt.
Dass er den Stern trug, bedeutete nicht, dass er ehrenwert und redlich war und das Gesetz beachtete. Er war kein Sheriff, sondern nur ein angeworbener Revolvermann, dem die Bürger den Stern eines Town Marshals ansteckten.
Ich ging weiter, bis ich ein Speisehaus erreichte.
Durch das Fenster konnte ich die Gäste an den Tischen beim Essen sehen. Mein Magen war nur mit Wasser gefüllt.
Der Hunger biss mich plötzlich wie ein Wolf.
Ich ging hinein und fand noch einen freien Platz. Die Bedienung sah mich an und erkannte wahrscheinlich, wie ausgehungert ich war. Sie war eine dralle Mexikanerin, gerade so richtig für einen Mann, der etwas Handfestes liebte.
Sie brachte mir schnell die Suppe, dazu ein Stück frisches Brot.
Heiliger Rauch, Leute, wie schön war doch das Leben.
Nur die drei ersten Löffel schlürfte ich hörbar und eilig. Dann erinnerte ich mich wieder daran, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, einen solch animalischen Hunger zu zeigen.
Ich aß nun langsam.
Der Mann, der mir gegenüber am Tisch saß, nickte mir zu.
»Lange nichts gegessen? Sie haben sich zwar gewaschen, doch noch den rotgelben Staub der Apachenwüste überall. War es ein böser Ritt?«
Ich sah ihn an.
Er war älter als ich. Zumindest zwanzig Jahre mehr hatte der Bursche auf dem Buckel. Er sah aber so aus, als könnte er noch mithalten mit meiner Sorte und überall für sich sorgen. Er trug einen Cordanzug und hatte eine goldene Uhrkette vor der Weste. Die Jacke seines Anzugs war so gut geschnitten, dass man das Schulterholster darunter nicht so schnell erkennen konnte. Man musste da schon genau hinsehen und gewisse Erfahrungen haben.
Bei mir traf beides zu.
Der Mann war von Gestalt gedrungen. Er ließ mich an einen Büffelbullen denken. Aber er war nicht stur. Er strömte eine Menge Schlauheit und Erfahrung aus.
Und er wartete immer noch auf eine Antwort.
Ich grinste kauend: »Zuerst war es ein böser Ritt. Aber seit zwei Tagen und Nächten musste ich zu Fuß gehen. Sind Sie ein wichtiger Mann hier, Mister?«
Er sah mich an und grinste ebenfalls.
»Und wenn?«
»Ach«, sagte ich, »natürlich brauche ich einen Job. Die Apachen stahlen meine Wildpferde und schickten fünf von sich hinter mir her. Nun muss ich wieder ganz von vorn anfangen. Und ich kenne niemanden hier in dieser Gegend. Ich brauche wirklich einen Job.«
»Die sind selten in dieser Zeit«, sagte er. »Aber ich werde Ihr Abendessen bezahlen.«
»Das ist schon was«, sagte ich. »Und wenn ich kann, werde ich mich dafür revanchieren. Mein Name ist Slaterlee, Cas Slaterlee.«
»Und ich bin Allan McDowell«, erwiderte er. »Ich habe gleich erkannt, dass Sie kein Satteltramp sind. Wissen Sie, bei mir könnten Sie nur einen Vertrauensjob bekommen. Aber ich kenne Sie nicht. Tut mir leid.«
Ich nickte nur, denn ich bekam nun ein Steak.
Die Bedienung beugte sich über meine Schulter, als sie es mir hinstellte. Ihre Brust berührte mich.
»Wenn Sie ein billiges Zimmer suchen«, sagte sie, »dann können Sie eines bekommen. Wir vermieten im Hofanbau einige Zimmer.«
»Ja«, sagte ich und sah ihr in die Augen, »das wäre mir recht. Ich bin ein Bursche, der eine Menge nachzuholen hat.«
»Das dachte ich mir gleich«, sagte sie und ging.
Mein Gegenüber, dieser Allan McDowell, sah mich an und grinste unter seinem grau melierten Bart.
»Manche Frauen«, sagte er, »wollen einen wilden Wolf im Bett. Und vielleicht bringt das mehr ein als ein Job.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wenn ich hier aufstehe«, sagte ich, »werde ich es gewiss noch bis ins Bett schaffen. Doch dann bin ich für eine Woche tot. Verstehen Sie?«
Er nickte. Dann schwiegen wir eine Weile.
Er war dann fertig und legte Geld für uns beide auf den Tisch.
Doch bevor er sich erhob, fragte er: »Diese fünf Apachen – gaben die auf?«
Ich grinste. »Das mussten sie wohl. Denn ich hatte sechs kleine Freunde in meinem Colt.«
Da nickte er nur und ging.
✰
Ich hatte geglaubt, dass ich eine ganze Woche lang Tag und Nacht schlafen würde wie ein Toter. Aber das war nicht so.
Es war später Vormittag, als ich erwachte. Ich hatte also etwa vierzehn bis fünfzehn Stunden geschlafen.
Nun, das war sicherlich eine ganze Menge. Ich fühlte mich steif und lahm. Aber das waren noch die Nachwirkungen der langen Flucht.
Denn ein Mann, der von fünf Apachen gejagt wird, findet keine Ruhe. Der muss ständig in Bewegung sein.
Nun rekelte ich mich im Bett, dehnte und streckte mich, gähnte auch dann und wann und freute mich, überlebt zu haben.
Dann sah ich, dass meine Kleidung, die ich am Abend zuvor achtlos über einen Stuhl geworfen hatte, sauber gewaschen, gebügelt und gefaltet und sicherlich auch geflickt auf dem Stuhl lag.
Mir fiel die dralle Bedienung im Speisehaus wieder ein, von der dieser Allan McDowell sinngemäß behauptet hatte, sie würde eine Vorliebe für wilde, zweibeinige Wölfe haben.
Ich wusste, es gab solche Frauen.
Und ich hatte nichts gegen diese Sorte. Ich mochte sie.
Als ich mich erhob und vor den Spiegel beim Waschständer in der Ecke trat, sah ich mich eine Weile an.
Ja, ich war ein zweibeiniger Wolf. Das konnte man sehen. Ich war dunkel wie ein Comanche und hatte hellgraue Augen. Ein paar Narben waren da und dort – deutliche Zeichen eines rauen Lebens in einem Land, in dem es eigentlich nur Jäger und Gejagte gab.
Ich war achtundzwanzig Jahre alt und hatte den Krieg als Südstaatler natürlich auf der Seite der Konföderation mitgemacht – aber nicht als Soldat, sondern als Guerilla-Kämpfer. Wir unterbrachen die Nachschubtransporte der Yankee-Armeen, stahlen ihrer Kavallerie die Pferde und organisierten den Widerstand hinter ihren Linien.
Ich entdeckte auf dem Waschtisch auch Rasierzeug – und auch dieses hatte ich wahrscheinlich der Vorsorge der drallen Mexikanerin zu verdanken, deren Namen ich nicht einmal kannte.
Ich seifte mich ein.
Und als ich meine rechte Gesichtshälfte rasiert hatte, kam sie herein. Sie schloss die Tür und lehnte sich von innen dagegen.
Ich hatte nur meine alte Unterhose an, und auch die war voller Löcher.
»Ich bin Maria«, sagte sie. »Mir gehört das Speisehaus, und ich habe einen Blick für Männer deiner Sorte, Hombre.«
Ich grinste.
»Und was ist das für eine Sorte, Maria?« So fragte ich sanft.
Sie lächelte, und sie hatte blitzende Zahnreihen. In ihren dunklen Augen war ein Funkeln.
Sie kam näher, ganz nahe, und sie sah mich funkelnd an. Einen halben Schritt vor mir verhielt sie. Ich konnte sie greifen, wenn ich wollte. Es strömte eine Menge von ihr zu mir herüber.
Sie war ein reifes Weib. Das war es. Und sie wusste genau, dass ich ihre Ausstrahlung spüren konnte.
Doch sie warf sich mir nicht an den Hals.
Nein, sie mochte hungrig sein nach den schönen Dingen des Lebens. Sie mochte auch Torschlusspanik spüren. Aber sie war dennoch kein primitives Flittchen. Die Initiative musste von mir ausgehen.
Sie sagte: »Zu welcher Sorte? Oh, das ist doch einfach. Ich meine die Sorte der richtigen Männer.«
Ich grinste, hob meine freie Hand und strich mit meinem Zeigefinger über die Rundung ihrer Wange bis unter das Kinn.
»Maria«, sagte ich, »Maria – und wie noch?«
»Maria Gonzales«, sagte sie. »Und ich bin seit zwei Jahren Witwe. Und du bist doch ein einsamer Wolf – oder? Wie ist dein Name?«
Ich nannte ihn ihr.
»Oh, ich bin nicht so einsam wie du, Maria«, sagte ich. »Das muss ein verdammtes Leben hier für dich sein. Du hast deinen Mann sehr geliebt, nicht wahr? Seit er tot ist, ist dein Leben leer. Und die Zeit geht so schnell dahin. Du hast Angst, dass alles ganz plötzlich vorbei sein könnte.«
Sie nickte.
»Siehst du«, sagte sie, »du weißt schon gut Bescheid über mich. Du – bist du nicht hungrig nach dem Leben? Geht dir nicht auch die Zeit so rasend schnell vorbei? Wünschst du dir nicht auch Liebe, Wärme, Zweisamkeit und das ständige Bewusstsein, begehrt zu werden? Bist du ein tauber, stummer, gefühlloser, einsamer Wolf? Dann gehe ich jetzt.«
Ich begriff, dass sie eine Frau war, die nicht länger einsam sein konnte mitten unter den Menschen.
Ich sah sie fest an, indes ich sagte: »Vielleicht werde ich einmal wiederkommen, Maria. Aber im Moment bin ich ein Bettler. Ich muss erst wieder ein Mann werden, der auf eigenen Füßen stehen und selbst für sich sorgen kann. Verstehst du? Ich würde dich sonst ausnutzen.«
Sie hörte mir genau zu – und sie lauschte nicht nur auf meine Worte. Sie spürte, ob ich es nur so sagte oder ehrlich meinte, ob mein Stolz tatsächlich vorhanden war. Sie lächelte plötzlich.
»Ja«, nickte sie, »du hättest eine Menge von mir bekommen können, Hombre. Für ein wenig Liebe hättest du hier den Pascha spielen können. Ich war dumm zu glauben, ein Mann von deiner Sorte könnte das. Ja, ich war dumm. Es hat dich hoffentlich nicht beleidigt.«
Ich erwiderte nichts.
Aber ich legte das Rasiermesser weg, ergriff sie an den Oberarmen und küsste sie zart auf beide Augen und den Mund. Sie ließ es regungslos geschehen. Dann wischte ich ihr meinen Seifenschaum von der Wange und sagte: »Vielleicht komme ich wieder. Aber verlasse dich nicht darauf.«
Sie nickte.
»Jeder wirkliche Tramp hätte mich ausgenutzt – weil ich eine solch dumme Kuh bin«, sagte sie und ging zur Tür.
✰
Als ich später in den Speiseraum kam, bediente sie schon wieder Gäste. In der Küche hatte sie einen Chinesen als Koch und eine alte Frau als Küchenhilfe. Ich konnte das mit einem Blick durch die offene Tür in der Küche feststellen.
Allan McDowell saß am selben Tisch wie am Vortag.
Ich wusste, dass ich mir noch ein Mittagessen leisten konnte. Denn es kostete nur sechzig Cents. Ein Dollar war nämlich jetzt, so kurz nach dem Krieg, so groß wie ein Wagenrad, was seine Kaufkraft betraf. Überdies hatte ich am Vortag ja umsonst gegessen.
Allan McDowell nickte mir zu und zeigte auf den freien Stuhl. Ich setzte mich.
Maria brachte mir die Suppe. Es war eine gute Hühnersuppe.
Sie lächelte mich an.
Als ich löffelte und sie nicht mehr in Hörnähe war, fragte McDowell: »Na, hat es geklappt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht von der Sorte, die nimmt, was sie nur bekommen kann – leider. Und sie ist kein mannverrücktes Flittchen. Nein, es liegt alles etwas anders. Aber das geht Sie nichts an, Mister.«
Bei meinen letzten Worten lächelte ich entschuldigend, sodass er meine Worte nicht missverstehen konnte.
Er nickte und kaute eine Weile.
Ich aß meine Suppe.
Er fragte plötzlich: »Sie hatten einen geladenen Colt – und es waren fünf Apachen. Die haben Sie alle erwischt?«
Ich grinste bitter, denn es fiel mir wieder ein, wie dünn der Faden gewesen war, an dem oft genug in dieser Woche mein Schicksal gehangen hatte.
»Ich musste sie alle erwischen«, sagte ich. »Ich musste mir immer wieder den Weg freischießen, wenn sie mich eingekreist hatten. Und da ich nur sechs Kugeln zur Verfügung hatte, musste ich genau schießen. Aber es ist vorbei, Mister. Ich möchte nicht mehr darüber reden.«