G. F. Unger 2274 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2274 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Noch vor der Stadt springt Jim Hardin aus dem leeren Viehwaggon. Er landet wie eine Katze, rollt schnellt den Abhang hinunter und springt unten geschmeidig auf die Füße. Grinsend blickt er dem Zug nach, der wieder einmal eine Schlange leerer Viehwaggons nach Wager bringt.
Der Verladebahnhof liegt nur dreihundert Yards von Jim entfernt. Dort drängen sich einige Tausend Rinder in den Verladecorrals, brüllende Rinder, die mit Flüchen in die Waggons getrieben wurden, um bald darauf die Fahrt nach dem Osten anzutreten.
Jim Hardin holt sich seinen Hut und schlägt damit den Staub aus seiner Kleidung. Seine Bewegungen sind schnell, lässig und sicher. Er trägt Weidekleidung, die sehr abgenutzt ist. Seine linke Stiefelsohle ist mit Bindfaden festgebunden.
Als er sich jetzt in Bewegung setzt, grinst er wieder auf eine seltsame Art. So grinst ein Mann, der in ein Abenteuer zieht und sich schon darauf freut.
Er trägt keine Waffe, aber an seiner Hose sind deutlich jene abgeschabten Stellen erkennbar, die ein Waffengurt mit tief an der Seite hängendem Holster hinterlässt.
Es ist ein Spätnachmittag, und man schreibt den 23. August 1878. An diesem Tag also kommt Jim Hardin nach Wager in Wyoming, und es weiß noch niemand, dass er bald zum Helden einiger Legenden werden wird ...

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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Der harte Jim

Vorschau

Impressum

Der harte Jim

Noch vor der Stadt springt Jim Hardin aus dem leeren Viehwaggon. Er landet wie eine Katze, rollt schnellt den Abhang hinunter und springt unten geschmeidig auf die Füße. Grinsend blickt er dem Zug nach, der wieder einmal eine Schlange leerer Viehwaggons nach Wager bringt.

Der Verladebahnhof liegt nur dreihundert Yards von Jim entfernt. Dort drängen sich einige Tausend Rinder in den Verladecorrals, brüllende Rinder, die mit Flüchen in die Waggons getrieben wurden, um bald darauf die Fahrt nach dem Osten anzutreten.

Jim Hardin holt sich seinen Hut und schlägt damit den Staub aus seiner Kleidung. Seine Bewegungen sind schnell, lässig und sicher. Er trägt Weidekleidung, die sehr abgenutzt ist. Seine linke Stiefelsohle ist mit Bindfaden festgebunden.

Als er sich jetzt in Bewegung setzt, grinst er wieder auf eine seltsame Art. So grinst ein Mann, der in ein Abenteuer zieht und sich schon darauf freut.

Er trägt keine Waffe, aber an seiner Hose sind deutlich jene abgeschabten Stellen erkennbar, die ein Waffengurt mit tief an der Seite hängendem Holster hinterlässt.

Es ist ein Spätnachmittag, und man schreibt den 23. August 1878. An diesem Tag also kommt Jim Hardin nach Wager in Wyoming, und es weiß noch niemand, dass er bald zum Helden einiger Legenden werden wird ...

Wager ist eine Treibherdenstadt mit all ihren schlimmen Eigenschaften. Hier ist der Verladebahnhof für halbwilde, brüllende Rinderherden, die von rauen Treibern hergetrieben wurden.

Und diese Treiber sind von einer besonderen Sorte. Hier in Wager geben sie den größten Teil ihres Lohnes aus.

Denn zu den Verladecorrals beim Bahnhof gehören in der Stadt die Amüsierlokale. Wager ist vorläufig nichts anderes als eine einzige Amüsierhölle. Vielleicht ist die wilde Stadt nichts anderes als ein Untier, das am Ende der sieben Höllen auf die Überlebenden wartet, um den einen oder anderen Mann doch noch zu erwischen.

Es hat schon viele Treibherdenstädte gegeben. Alle waren sie wild und höllisch. Manche starben bald. Aber andere überstanden ihre Kinderkrankheiten und die schlimme Zeit und wurden gute Städte, wie zum Beispiel Abilene und Dodge City.

Was aus Wager werden wird, ist noch unklar.

Der Tramp Jim Hardin kommt bescheiden und unauffällig in die Stadt. Seine scharfen blaugrauen Augen sehen jedoch alles: die vielen Sattelpferde an den Haltebalken, die vielen Wagen. Saloons, Tanzhallen, Spielhöllen, Restaurants, Hotels, Stores und Imbissbuden reihen sich aneinander.

Jim Hardin bleibt vor einem Store stehen und klimpert mit zwei Zwanzigdollarstücken in der Hosentasche. Sie sind sein einziger Besitz, und er will sie auf seine Art in das große Spiel werfen, das für ihn nun beginnt.

Weil er an dieses große Spiel denkt, grinst er auch wieder auf seine seltsame Art. In seinen Augen erscheint ein hartes und verwegenes Leuchten, und sein Grinsen wird scharf und kampflustig.

Dann tritt er in den Store ein.

Zwei Bürgersfrauen suchen sich Stoffe aus. Ein alter Mann probiert steife Hüte. Und ein Cowboy kauft sich Patronen und ein rotes Halstuch.

Jim Hardin tritt an die gefüllten Regale heran und beginnt darin herumzusuchen. Als der Storehalter schließlich seine anderen Kunden abgefertigt hat und heraustritt, hat Jim sich Hose, Hemd, Jacke und Stiefel ausgesucht.

Er sieht den Storehändler lächelnd an, und er sieht einen mageren, scharfgesichtigen Mann, der glatzköpfig ist und in dessen Augen man jenen wachen Geschäftssinn erkennen kann, der stets und immer auf Verdienst aus ist.

»Was kostet das alles?«, fragt Jim Hardin höflich.

Der Händler bringt die Sachen zum Ladentisch hinüber, geht um diesen herum und stellt sich auf der anderen Seite auf. Dann rechnet er zusammen und sagt: »Genau neunzehn Dollar.«

Jim Hardins Lächeln wird geradezu herzlich. Er greift in die Tasche und legt seine vierzig Dollar auf den Tisch.

»Das ist gut das Doppelte, nicht wahr? Wollen wir also wetten?«

Der Storehalter starrt ihn an, und er weiß sofort, was dieser Tramp will. Es kommt immer wieder in solchen Treibherdenstädten vor, dass ein Spieler auf diese Art seine Einkäufe umsonst machen will. Wenn der Storeman verliert, so darf er keine Bezahlung nehmen. Verliert aber sein Kunde, so muss er den doppelten Preis zahlen.

Der Storehalter betrachtet also seinen Kunden aufmerksam. Dann erwidert er Jim Hardins Lächeln mit einem Grinsen.

»Mister«, sagt er, »es kommen immer wieder Burschen herein, die es auf diese Art versuchen. Sie wollen billig einkaufen, aber bei mir hat es noch keiner geschafft. Sie mussten alle doppelt zahlen.«

Er bringt unter dem Ladentisch einen Würfelbecher hervor und stellt ihn vor Jim Hardin hin. Indes dieser die Würfel untersucht, kommen zwei Männer herein, die etwas kaufen wollen. Auch sie begreifen sofort, was da vorgeht, und einer sagt: »Aaah, Fremder, da haben Sie sich aber einen schlechten Mann ausgesucht. Dieser Storehalter gewinnt immer. Die gerissensten Burschen haben es schon hier versucht, denn es hat sich in ganz Wager herumgesprochen, dass Pat Saunder nicht zu schlagen ist. Sie werden den doppelten Preis zahlen müssen, Fremder.«

»Ich habe heute Geburtstag.« Jim Hardin lächelt sorglos und wirft die drei Würfel nacheinander in den Lederbecher. Er schüttelt ihn und sagt dabei: »Ich sage drei Zweier an!«

Dann stülpt er ihn auf den Tisch und nimmt ihn weg.

Und die Männer sehen drei Zweier.

Sie atmen scharf ein und sagen nichts.

Der Storehalter prüft die Würfel noch einmal, denn er hat seine Erfahrungen längst gesammelt, und es sind auch schon Burschen hereingekommen, die geschickt die Würfel vertauschten.

Aber es sind wirklich noch die alten Würfel. Er grinst und knurrt: »Ich werde Sie schlagen, Mister! Ich sage drei Sechser an.«

Und er schüttelt den Becher.

Aber als er ihn auf den Tisch stülpt und wegnimmt, liegen dort nur zwei Sechser und ein Dreier.

»Falsch angesagt.« Jim Hardin grinst und nimmt seine zwei Zwanzigdollarstücke vom Tisch. Er will auch die nun kostenlos erstandenen Kleidungsstücke nehmen, aber der Storehalter ist unwillig.

»Machen wir es noch mal«, knurrt er. »Ich setze vierzig Dollar gegen Ihre vierzig Böcke, Fremder!«

»Setzen Sie sechzig gegen meine Einkäufe und mein Geld.« Jim lächelt ihn freundlich an.

»Das tu ich auch«, grollt der Storeman. Und weil er verloren hat, schüttelt er auch schon den Becher und knurrt: »Drei Vierer habe ich.«

Und es sind auch drei Vierer.

»Mister, Sie haben verloren«, sagt einer der Zuschauer zu Jim. Aber der schüttelt den Kopf und wiederholt wieder: »Ich habe heute Geburtstag, nicht wahr? Ich bin gar nicht zu schlagen. Voriges Jahr habe ich an meinem Geburtstag eine Ranch gewonnen und vor zwei Jahren einen Saloon. Passen Sie auf, Gentlemen. Ich sage zwei Sechser und einen Dreier an.«

Und er stülpt den Becher auf den Tisch, lässt ihn jedoch stehen.

Der Storehalter nimmt ihn weg – und beginnt zu fluchen.

»Richtig angesagt.« Jim grinst. »Zwei Sechser und ein Dreier gibt fünfzehn Augen. Wo bleiben Sie da mit Ihren dreimal vier Punkten?«

Der Storehalter knurrt. Er greift in seine Ladenkasse und legt drei Zwanzigdollarstücke auf den Tisch.

»Ich bin kein Narr«, brummt er. »Ich weiß, dass es Männer gibt, die einfach nicht zu schlagen sind. Fremder, Sie sollten einmal mit Reb Jordan spielen.«

Jim Hardins Augen schließen sich etwas, als er den Namen hört. Dann lächelt er schon wieder und fragt: »Reb Jordan? Wer ist das?«

»Er kam ohne einen Penny hier an und spielte um sein Pferd mit einem Narren. Und jetzt gehört ihm die halbe Stadt«, brummt der Storehalter mürrisch.

Jim Hardin nickt. »Ein Spieler also. Nun, ich besitze jetzt hundert Dollar. Ich möchte einen Colt und einen Waffengürtel kaufen.«

»Ich habe einen guten alten und eingeschossenen Colt«, murmelt der Storehalter. »Er gehörte einem Revolverhelden, und es sind sieben Kerben in seinem Holzgriff. Ich bekam ihn vom Marshal, weil dieser Revolverheld bei mir Schulden hatte. Ich gebe Ihnen die Waffe für dreißig Dollar, wenn es Ihnen nicht viel ausmacht, dass Korn und Abzugsbügel daran abgefeilt sind.«

»Die Kerben stören mich mehr«, lächelt Jim Hardin auf seine Art. »Aber lassen Sie sehen. Vielleicht können wir auch dann wieder ein Spielchen machen, wenn mir die Kanone gefallen sollte.«

»Mit Ihnen wette ich nicht mehr. Hier ist das Ding«, grollt der Storehalter und langt unter den Ladentisch. Er bringt einen Waffengürtel hervor, in dessen Holster ein alter, abgegriffener Colt steckt. Waffengürtel und Holster sind aus geschmeidigem Leder. Das Holster ist tief ausgeschnitten. Gelbe Messingpatronen glänzen in den Schlaufen des schwarzen Gürtels.

Jim Hardin greift nach der Waffe, und die drei Männer beobachten ihn sorgfältig. Sie wollen mehr über ihn wissen, und sie wollen es zum Teil an der Art erkennen, wie er die Waffe in die Hand nimmt.

Jim Hardin nimmt den alten Colt mit einer leichten Handbewegung auf und starrt darauf nieder. Seine Augen sind geschlossen, und sein leichtes Lächeln ist wie eingefroren.

Keiner der drei Männer weiß, dass Jim Hardin diese Waffe erkannt hat. Es ist die Waffe seines Bruders. Und er kennt die Kerben in ihrem Griff.

Sein eingefrorenes Lächeln löst sich wieder.

»Die ist gut ausgewogen. Wenn sie so gut schießt, wie sie in der Hand liegt, so würde ich sie gernhaben wollen. Wem gehörte sie?«

»Einem Revolverhelden, ich sagte es doch schon«, brummt der Storehalter fast widerwillig. »Er nannte sich Reck Hard und arbeitete für Reb Jordan. Er war schlimm. Aber eines Tages fand man ihn tot in einer Gasse. Jemand hatte ihm eine Schrotladung in den Rücken geschossen. Er war immer knapp bei Kasse, weil er ständig spielte und meist verlor. Der Marshal hat das Eigentum des Mannes unter dessen Gläubigern verteilt. Ich bekam den Colt. Ich wäre ihn gern los. Wollen Sie ihn also haben, Fremder?«

Jim Hardins Lächeln wirkt scharf. »Die Waffe eines Revolvermannes, den man mit Schrot von hinten erledigte«, murmelt er. »Aber mir wird diese Waffe Glück bringen. Ich will sie nur eben mal ausprobieren.«

Er sieht nach, ob die Trommel gefüllt ist, und es sind auch fünf Patronen enthalten. Nur die sechste Kammer, auf der der Hammer ruht, ist leer.

Jim Hardin tritt aus der Tür auf den Gehsteig hinaus. Die drei Männer folgen ihm neugierig. Als er sich nach einem Ziel umsieht, sagt einer der beiden Kunden: »Da drüben das große O auf dem Hotelschild vielleicht, Mister?«

Jim Hardin wirft einen kurzen Blick hinüber. Dann schüttelt er den Kopf. »Das könnte ich mit einem Stein treffen. Ein Colt, den ich kaufe, muss genau schießen.«

Der Storehalter stößt ein seltsames Knurren aus.

»Nun gut, Mister, wenn Sie uns eine Vorstellung geben wollen, so versuchen Sie es doch mit den Ösen, an denen das Schild aufgehängt ist. Aber die werden Sie nicht treffen.«

»Und wenn ich sie treffe?«

»Oooh, ich wollte nicht mehr mit Ihnen wetten, Mister. Aber gut, wenn Sie das Schild herunterschießen mit den fünf Kugeln, so gehört Ihnen der Colt. Schaffen Sie es nicht, zahlen Sie den doppelten Preis. Ha, jetzt will ich doch mal sehen, ob ...«

Weiter spricht der Storehalter nicht, denn die Waffe in Jim Hardins Hand beginnt zu krachen.

Nach dem zweiten Schuss löst sich die linke Öse, und das Schild fällt herunter und bleibt senkrecht hängen. Die Entfernung beträgt fast dreißig Yards, denn die ganze Breite der Fahrbahn liegt dazwischen.

Jim Hardin schießt weiter. Und nach zwei weiteren Schüssen fällt das Schild dicht vor dem jenseitigen Gehsteiggeländer in den Staub.

Die Passanten auf der Straße haben schon beim ersten Schuss angehalten. Mehr als ein Dutzend Leute haben zugesehen. Und nun kommen noch mehr hinzu, obwohl Schüsse in einer solch wilden Treibherdenstadt wie Wager keine Seltenheit sind. Immer wieder kommen brüllende Reiter in den Ort geritten und feuern ihre Colts ab. Oder Betrunkene veranstalten ein Schützenfest. Es gibt auch Revolverkämpfe in Wager. Die Stadt hat fast jede Woche einen Toten.

Aber jetzt ist es etwas vollkommen Neues, was die Leute zu sehen bekamen. Ein unwahrscheinlich guter Schütze hat auf eine fast unmöglich weite Entfernung mit vier Schüssen die Halteösen des Hotelschildes herausgeschossen.

Die Leute in Wager sind fast alle Fachleute auf diesem Gebiet.

Und sie haben begriffen, dass diesmal ein besonders gefährlicher Revolvermann nach Wager gekommen ist.

Jim Hardin grinst wieder auf seine verwegene und etwas leichtsinnig wirkende Art. Er wendet sich an den Storehalter: »Nun?«

»Sie haben wieder mal gewonnen«, brummt dieser. »Aber lassen Sie sich das nur nicht zu sehr in den Kopf steigen. Ich bin nur Pat Saunder, ein friedlicher Storehalter. Und ich kann auch vertragen, dass ein anderer Mann gewinnt.«

Er wendet sich ab und verschwindet im Store. Jim Hardin folgt ihm und holt sich seine Einkäufe. Die beiden anderen Männer folgen, und hinter ihnen drängen sich noch einige Neugierige herein.

Jim Hardin legt sich den Waffengurt um, ersetzt die leeren Patronenhülsen und nimmt sein Bündel unter den Arm. Alle Anwesenden beobachten ihn zurückhaltend und doch sehr sorgfältig.

Als er sich zur Tür wendet, fragt eine Stimme: »Mister, es soll keine aufdringliche Frage sein, aber gedenken Sie längere Zeit hier in unserer Stadt zu bleiben?«

»Das weiß ich noch nicht«, sagt Jim über die Schulter hinweg und geht hinaus.

Drüben vor dem Hotel steht eine Männergruppe bei dem heruntergefallenen Schild. Ein fleischiger Mann tritt Jim Hardin entgegen. Der Mann sieht wie ein ehemaliger Preisboxer aus, und er trägt einen Marshalstern auf der fleckigen Weste.

»Hallo«, sagt er grollend, »solche Scherze liebe ich nicht, Mister. Das kostet zehn Dollar Ordnungsstrafe.«

Jim Hardin ist stehen geblieben. Er grinst den Marshal an und starrt ihm dabei in die Augen. Der Mann ist ein fleischiges Schwergewicht, aber unter den Fleischpolstern befinden sich gewiss auch mächtige Muskeln. Er hat einen runden Kopf, und in seinem Bullenbeißergesicht sind die Zeichen vieler Kämpfe zu erkennen.

Jim Hardin starrt grinsend in die Augen des Marshals. Und als der Mann nach wenigen Sekunden den Blick senkt, sagt er zu ihm: »Marshal, ich will keinen Ärger mit Ihnen. Ich werde im Hotel wohnen und die Reparatur bezahlen. Das ist fair, denke ich. Aber versuchen Sie nicht nochmals, mir eine Geldstrafe abzunehmen. Haben Sie mich verstanden?«

Er geht bei seinen Worten vorwärts und genau auf den Marshal zu.

Einen Moment sieht es so aus, als wollte sich der schwere Mann ihm entgegenwerfen, doch da klatscht Jim Hardins Rechte hörbar gegen den Coltgriff.

Und kurz bevor er gegen den Marshal prallen würde, weicht dieser zur Seite, wendet sich ab und geht schwerfällig davon. Er hält den Kopf gesenkt, und einige der Zuschauer hören sogar sein bitteres Seufzen.

Jim Hardin aber geht durch die sich bildende Gasse hindurch und ins Hotel hinein.

Und hier erlebt er die erste wirkliche Überraschung, denn hinter dem Pult in der Halle steht ein Mädchen und sieht ihn verächtlich an.

Wenn ein Mann im hohen Norden mitten in Eis und Schnee plötzlich eine blühende Rose zu sehen bekommt, so ist das ein Wunder. Dieser Mann würde dann vor Staunen still und regungslos verharren und sich fast verzweifelt fragen, ob er nicht vielleicht doch mit offenen Augen träumt.

Und wenn ein Mann plötzlich das Mädchen seiner Träume in Fleisch und Blut vor sich sieht, so ergeht es ihm ungefähr so ähnlich. Er kann das, was er sieht, gar nicht glauben.

Jim Hardin hält an, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. Er starrt das Mädchen an und wischt sich irgendwie hilflos über die Augen.

Und dann sieht er es wieder an und erkennt immer klarer, dass dies das Mädchen ist, das er sich in langen Nächten, an einsamen Campfeuern, auf langen Ritten oder in schönen Träumen erdachte.

Aber ihre spröde, herbe und verächtliche Stimme bringt ihn schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie sagt zu ihm: »Sie Revolvermann! Sie eitler, eingebildeter Mensch! Sie sind wohl mächtig stolz darauf, dass Sie unser Hotelschild heruntergeschossen und dieser wilden Stadt dadurch Ihre Schießkunst demonstriert haben? Jeder soll wohl wissen, dass ein großer Revolverheld eingetroffen ist? Jeder soll Sie gleich von Anfang an fürchten und Ihnen Respekt erweisen? Und jetzt kommen Sie auch noch hier herein. Hinaus mit Ihnen!«

Die Worte lösen ihn aus seinem erstarrten Staunen.

Er bewegt sich weiter und tritt an das Pult. Er legt sein Bündel ab und lüftet den alten Hut.

»Yeah«, sagt er, »es war ein schlechter Scherz. Aber das Schild wird natürlich auf meine Kosten wieder angebracht. Und ich möchte wirklich hier wohnen. Vielleicht bin ich gar kein Revolvermann, sondern nur ein leichtsinniger Bursche, der einen schlechten Spaß machen wollte. Ich würde es jedenfalls als eine wirkliche Gnade empfinden, wenn Sie mir verzeihen könnten, Lady.«

Er sieht sie nun aus der Nähe an.

Ihre rauchgrauen Augen stehen ziemlich weit auseinander. Die Brauen haben einen besonderen Schwung und geben ihr zusammen mit den hohen Wangenknochen ein reizvolles Aussehen. Ihre Nase ist klein und gerade, vielleicht etwas zu klein. Vielleicht sind ihre Lippen etwas zu voll. Ihr kleines Kinn ist energisch.

Ihr kupferrotes Haar ist im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er sieht es, als sie den Kopf wendet und zur Tür blickt. Aber hinter ihm tritt niemand ein. Sie sind allein in der Hotelhalle.

Jim Hardin seufzt fast schmerzvoll, aber das Mädchen reagiert nicht darauf, sondern betrachtet ihn offen und geradezu.

Er lächelt sie an, und obwohl er weiß, dass er auf eine sehr männliche und verwegene Art hübsch ist, weiß er sofort, dass Äußerlichkeiten bei diesem Mädchen unwichtig sind. Solche Frauen hat er schon dann und wann an der Seite hässlicher Männer gesehen. Und diese Männer waren stets wirkliche Männer.

»Wer sind Sie, Mister?«, fragt sie nach dieser Pause des Abschätzens geradezu.

Er lächelt wieder, aber diesmal wirkt sein Lächeln ernst, und in seinen Augen erscheint das harte Licht, das schon in ihnen aufkam, als er im Store den Colt des Bruders erkannte.

Er gibt ihr keine Antwort, nimmt jedoch das Gästebuch, dreht es herum und ergreift den Federhalter. Er schreibt hinein: »Jim Hardin, Texas.«

Als er wieder in ihre Augen sieht, weiß er, dass sie seinen Namen auch verkehrt herum lesen konnte.

Ihre Augen sind groß und weit geworden.

»Sie sind Jennifer Northern, und Ihr Vater ist ein Krüppel«, sagt er sanft. Er greift in die Brusttasche seines alten Hemdes und holt einen zusammengefalteten Briefumschlag hervor. Das Papier ist schon sehr mitgenommen. Dieser Brief muss oft auseinandergefaltet, gelesen und wieder sorgfältig verwahrt worden sein.

»Heben Sie diesen Brief für mich auf«, sagt er sanft. »Es ist das letzte Andenken an meinen Bruder. Darin steht geschrieben, dass Reck sein bisheriges Leben beenden und neu beginnen wollte. Er wollte neu beginnen, weil es ein Mädchen gab, das an ihn glaubte. Aber dann schoss man ihm die Ladung einer Schrotflinte in den Rücken. Das schrieben Sie mir, Jennifer. Diesen Brief habe ich allerdings vernichtet.«

»Sie sind Jim – sein Bruder Jim, den man Smiling Jim nennt, lächelnder Jim. Und Sie sind hergekommen, um ...?«

Er unterbricht sie sanft.

»Mein Bruder wollte ein anderer Mann werden. Er wollte endlich einmal für eine gute Sache kämpfen. Er wollte etwas in dieser Stadt tun, was ihn hätte erleichtern können. Aber jemand in dieser Stadt hat ihn um diese Chance gebracht. Und deshalb bin ich hier. Ich werde die Stelle meines Bruders einnehmen. Und dann werde ich genau das tun, was er tun wollte. Und mir wird keiner mit einer Schrotflinte in den Rücken schießen können. Welches Zimmer habe ich, Jennifer?«

Er lächelt schon wieder sorglos und auf eine leichtsinnige Art.

Das Mädchen starrt ihn an, und sie kann kaum glauben, dass dieser scheinbar so leichtsinnig und wild wirkende Mann solch ernste Worte geredet hat. Er wirkt wie ein heruntergekommener Cowboy, und er ist unrasiert, schmutzig und ungepflegt. Aber sie weiß, dass er von Texas heraufgereist kam. Das ist ein langer Weg. Kein Wunder, dass dieser Mann jetzt wie ein Satteltramp aussieht.

Bevor das Mädchen etwas sagen kann, kommen einige Männer von der Straße herein. Sie langt einen Schlüssel vom Brett und sagt: »Zimmer 5 ist es. Das Bad liegt gegenüber. Ich werde dem Hausdiener sagen, dass er ein heißes Bad ...«

»Meinen herzlichen Dank, Lady«, sagt er schnell und geht mit seinem Bündel nach oben. Er blickt nicht zurück.

Die hereingekommenen Männer treten zu dem Mädchen.