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Als das Klopfen und Poltern ihm zu laut wird, nimmt Otis Chugwater einen seiner beiden neben dem Bett stehenden Stiefel und wirft ihn gegen die Tür.
»Ruhe dort draußen!«, ruft er, während der Stiefel zuerst gegen die Tür und dann zu Boden poltert. In seiner Stimme ist zwar kein böses Grollen, aber doch ein Klang, den nur Dummköpfe nicht als Warnung begreifen würden. »Ich möchte die nächsten drei Tage nicht gestört werden - vestanden?«, fügt er hinzu. Und dann widmet er sich wieder Daisy McMullen, die sich an ihn schmiegt, so, als wäre sie mit Leim an ihn gekleistert worden und könnte durch nichts mehr von ihm gelöst werden.
»Lass sie nur klopfen«, flüstert Daisy ihm ins Ohr, bevor sie in sein Ohrläppchen beißt. »Wir hören gar nicht hin.«
»Richtig«, knurrt Otis Chugwater. »Der dort draußen hat sich sicherlich in der Tür geirrt.«
Aber dann klopft es wieder hart und fordernd an der Tür.
»Mach auf, Chugwater - mach auf!«
Aber Chugwater wirft erst noch seinen zweiten Stiefel gegen die Tür und ruft mit einem deutlich drohenden Klang in der Stimme: »Wenn ich aufmache, dann nur, um dich Hammel dort draußen die Treppe hinunterzuwerfen. Hau ab! Hau ab, sage ich dir im Guten!«
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Kutsche nach Last Chance City
Vorschau
Impressum
Kutsche nachLast Chance City
Als das Klopfen und Poltern ihm zu laut wird, nimmt Otis Chugwater einen seiner beiden neben dem Bett stehenden Stiefel und wirft ihn gegen die Tür.
»Ruhe dort draußen!«, ruft er, während der Stiefel zuerst gegen die Tür und dann zu Boden poltert. In seiner Stimme ist zwar kein böses Grollen, aber doch ein Klang, den nur Dummköpfe nicht als Warnung begreifen würden. »Ich möchte die nächsten drei Tage nicht gestört werden – verstanden?«, fügt er hinzu. Und dann widmet er sich wieder Daisy McMullen, die sich an ihn schmiegt, als wäre sie mit Leim festgekleistert worden und könnte durch nichts mehr von ihm gelöst werden.
»Lass sie nur klopfen«, flüstert Daisy ihm ins Ohr, bevor sie in sein Ohrläppchen beißt. »Wir hören gar nicht hin.«
»Richtig«, knurrt Otis Chugwater. »Der dort draußen hat sich sicherlich in der Tür geirrt.«
Aber dann klopft es wieder hart und fordernd an der Tür.
»Mach auf, Chugwater – mach auf!«
Aber Chugwater wirft erst noch seinen zweiten Stiefel gegen die Tür und ruft mit einem deutlich drohenden Klang in der Stimme: »Wenn ich aufmache, dann nur, um dich Hammel dort draußen die Treppe hinunterzuwerfen. Hau ab! Hau ab, sage ich dir im Guten!«
Daisy kichert indes in sein Ohr: »Gib's ihnen! O Süßer, gib's ihnen nur! Die sind ja nur neidisch, weil ich mich so schrecklich in dich verliebt habe, seit du mir die Heirat versprochen hast und ...«
Otis Chugwater hört nicht länger zu, denn er springt plötzlich aus dem Bett, als hätte ihn eine Schlange gebissen.
»Hei-heiraten?«, stottert er, indes er in seine Hose fährt. »Ha-habe ich wa-was vom Heiraten gesagt?«
Daisy wird einer Antwort enthoben.
Die Tür wird von einem schwergewichtigen Mann gerammt und fliegt mit einem Krach auf.
Und Otis Chugwater, der zwar seine Hose noch nicht richtig anhat, hält jetzt den Colt in der Linken, den er aus dem Holster angelte, das mit dem Waffengürtel über einer Stuhllehne hängt.
Aber er senkt die Waffe wieder, weil er die beiden Männer gut genug kennt, die sich so gewaltsam Zutritt verschafften. Wäre er nicht so betrunken, der gute Otis Chugwater, so hätte er den Marshal von Great Falls schon vorher an der Stimme erkennen müssen.
Was Daisy vom Heiraten zu ihm sagte, machte ihn schon merklich nüchtern.
»Wenn ihr keinen guten Grund habt«, sagt er, »dann macht euch auf was gefasst. Das nehme ich auch von dir nicht hin, Jed Carpenter.«
Marshal Jed Carpenter nickt beschwichtigend.
»Junge, nimm's nicht so persönlich. Mister Yorktown bat mich um Hilfe. Und ich bin verpflichtet, dem Agenten der Post- und Frachtlinie Hilfe zu geben. Unsere Stadt lebt nicht zuletzt vom Post- und Frachtverkehr. Also, Chugwater, es ist nicht persönlich gemeint.«
Bevor Otis Chugwater etwas erwidern kann, sagt Daisy vom Bett her: »Ihr könnt nicht einfach in das Zimmer einer Lady eindringen wie zwei wilde Indianer. Geht raus! Los, geht raus – alle! Ihr sollt euch zum Teufel scheren, ihr dämlichen Affen!«
Und nun, da sie sich erst einmal in die richtige Erregung hineingesteigert hat, beginnt sie zu kreischen und böse zu schimpfen.
Die beiden Männer helfen Otis Chugwater, dessen Siebensachen im Zimmer einzusammeln. Sie flüchten nach draußen, und als der Marshal die Tür hinter sich zuzieht, da wirft die kreischende Dame drinnen gegen die Tür, was ihr nur zwischen die Finger kommt.
Chugwater lehnt schnaufend an der Wand und zieht die Kleidungsstücke an, die ihm die beiden Männer reichen.
»Ich weiß noch nicht richtig«, schnauft er, »ob ihr mich um ein Vergnügen gebracht oder gerettet habt. Aber euer Freund bin ich heute nicht. Was wollt ihr von einem Mann, der sich ein paar schöne Tage und Nächte verdient hat? Störe ich euch vielleicht in eurem Privatleben? Warum tut ihr das dann bei mir?«
Er ist immer noch leicht betrunken, obwohl er sich Mühe gibt, nüchtern zu werden. Ganz jedoch gelingt ihm das nicht.
»Trink erst mal unten einen starken Kaffee«, brummt Marshal Jed Carpenter und klopft ihm begütigend auf die Schulter.
Der Postagent Abe Yorktown aber sagt: »Mister Chugwater, die Postlinie braucht Ihre Hilfe.«
»Und auch die Stadt«, sagt der Marshal. »Denn es muss noch eine letzte Kutsche nach Last Chance City gehen. Das muss unbedingt noch sein.«
Sie gehen indes die Treppe nach unten und betreten den Speiseraum des Hotels. Jake Wells, der Besitzer, bringt selbst die Kaffeekanne, und man kann schon riechen, wie stark der Kaffee ist. Wahrscheinlich würde eine Gewehrkugel auf ihm schwimmen können wie ein Flaschenkorken.
Die drei Männer sehen dann schweigend zu, wie Otis Chugwater trinkt, und sie sehen einen großen, sehnigen, dunklen und indianerhaften Burschen, der sich ohne große Schwierigkeiten als Sioux verkleiden könnte.
Als Otis Chugwater die zweite Tasse geleert hat, wischt er sich über das Gesicht und sieht die drei Männer der Reihe nach an.
»Hab ich das vorhin richtig gehört? Es muss noch eine Postkutsche nach Last Chance City in der Last Chance Gulch fahren? Und ihr habt mich als Fahrer oder Begleitmann ausersehen?«
Sie nicken.
Da tippt er mit dem Finger gegen die Schläfe.
»Ihr seht zwar ganz normal aus«, knurrt er verächtlich, »doch ihr könnt es gewiss nicht sein. Bei euch klappern die Erbsen in der Schüssel. Aber der Kaffee war gut. Kaffee kannst du kochen, Jake Wells.«
Er will sich erheben. Doch der schwergewichtige Marshal drückt ihn freundschaftlich auf den Stuhl zurück.
»Du wirst fahren müssen«, sagt er. »Denn wir haben dich in der Klemme. Als du gestern mit Daisy anfingst und mit auf ihr Zimmer wolltest, da sagte sie dir, dass sie dies nur täte, wenn ihr euch als Verlobte betrachtet und du sie heiraten würdest, sobald der Pater aus der Indianermission weiter stromauf zurückgekehrt wäre. Und du hast nur eine einzige Chance – nämlich die, dass wir dich laufen lassen, weil wir dich als Fahrer nach Last Chance City brauchen. Denn Daisy, die macht mit, wenn wir erst damit anfangen, dich klein zu machen. Hast du mich verstanden, großer Scout und Lederstrumpf?«
Otis Chugwater trinkt noch eine dritte Tasse Kaffee.
»Ihr seid schlechte Menschen«, stellt er fest. »Ihr habt euch als redliche Bürger getarnt. Der da trägt sogar einen Blechstern. Aber ihr seid so schlecht, dass ich den Kaffee wieder ausspeien möchte.«
»Nicht so schlecht wie du, Otis«, grollt der Marshal. »Es gibt ein paar Leute hier in Great Falls – he, wie war das mit dem Maultier, das du Pete Hammer verkauft hast? Das legte sich hin, wenn man ihm was aufladen wollte. Und ...«
»Schon gut, Jed, schon gut«, seufzt Otis Chugwater. »Kommt mal zur Sache. Was wollt ihr wirklich von mir?«
»Dass du eine noble Abbot-&-Downing-Kutsche nach Last Chance City fährst, mehr nicht. Und dass sie auch ankommt.«
»Und was ist in der Kutsche?«
»Nur ein paar Leute, die mit dem letzten Schiff kamen, ein paar Säcke Post und mehr als dreihunderttausend Dollar in Papiergeld.«
»Dreihunderttausend Dollar?« Otis Chugwater ächzt. »Und diesen Betrag wollt ihr mir anvertrauen, mir, den ihr für schlechter haltet, als ihr es seid?«
Sie nicken. »Wir müssen, Mister Chugwater, wir müssen. Das Geld wird von den Bankfilialen in den Goldgräbercamps gebraucht. Die machen dort nämlich beim Goldumtausch in Papiergeld gute Geschäfte. Aber die Goldsucher werden dabei immer noch nicht so betrogen wie in den Saloons, Tingeltangeln und Geschäften. Kaum eine Goldwaage stimmt. Viele Goldgräber tauschen deshalb ihr Gold lieber bei einer Bankfiliale ein und zahlen mit Papiergeld. Sie erfüllen eine wichtige Mission, Mister Chugwater.«
Abe Yorktown, der Post- und Frachtagent von Great Falls, zwingt sich ein freundliches Lächeln ab.
»Aber ich bin doch kein Fahrer der Postgesellschaft. Die hat doch Fahrer und Begleitmänner in Hülle und Fülle. Ich bin doch nur ein Biberjäger, der Maultierkäufer übers Ohr haut.«
Otis Chugwater sagt es höhnisch.
Da grinsen die drei Männer.
»Deinen Ruf«, sagt der Marshal, »kennen wir. Es macht dir Spaß, einem Dummkopf ein unbrauchbares Maultier anzudrehen. Aber wenn ein Mann hier die Postkutsche mit Inhalt ans Ziel bringen kann, dann bist du es. Und überdies hat die Postlinie keinen Fahrer mehr. Die Banditen – na ja, du weißt ja. Und dann hält jeder Mensch es für Blödsinn, jetzt noch vor dem großen Schnee aufzubrechen. Sie haben alle Angst, unterwegs stecken zu bleiben.«
»Richtig«, nickt Otis Chugwater. »Die Angst habe ich auch. Oh, ihr seid ja noch schlechter, als ich dachte. Aber da gibt es gewiss noch einen Haken. Wollt ihr mir jetzt endlich reinen Wein einschenken, ihr drei Strolche?«
Sie schlucken mühsam.
Dann murmelt der Marshal: »Nun, es kamen mit dem letzten Schiff einige Passagiere, die hier bei uns in der Stadt überwintern würden, wenn sie nicht sofort weiter ins Goldland können. Wir möchten sie aber hier nicht bis zum Frühjahr haben. Das gäbe Mord und Totschlag. Otis, schaff sie fort! Dann haben wir bis zur Ankunft der ersten Schiffe im nächsten Frühjahr Ruhe. Du brauchst ja nichts anderes zu tun, als die Kutsche nach Last Chance City zu fahren. Das ist in drei Tagen zu schaffen. Schon in sieben Tagen könntest du wieder hier bei uns sein. Vielleicht machen wir dich dann zum Ehrenbürger dieser Stadt.«
»Darauf pfeife ich«, sagt Otis Chugwater überzeugt. »He, was für Passagiere sind es denn? Revolverhelden? Spieler? Banditen? Oder Aussätzige?«
»Sechs Passagiere«, murmelt der Postagent, »vier Männer und zwei Frauen. Ich zahle Ihnen über den üblichen Lohn hinaus noch eine Prämie von zehn Dollar für jeden Tag, den Sie mit der Kutsche unterwegs sind. Zu diesen hohen Prämien bin ich in Sonderfällen befugt.«
»Oh, wie nobel! Wie großzügig! Männer, ihr könnt mich mal!«
Er erhebt sich.
Aber dann bemerken sie, dass sie nicht allein im Raum sind.
In der dunkelsten Ecke, in die der Lichtschein der einzigen noch brennenden Lampe nicht reicht, sitzt eine junge Frau.
Nun tritt sie hervor.
»Einen Moment, Mister Otis Chugwater! Das ist doch Ihr Name, wie ich aus dem Gespräch entnehmen konnte? Einen Moment, Mister Chugwater!«
Sie hat eine dunkle, kehlige Stimme mit einem eigenartigen Timbre, das ihm unter die Haut geht.
Noch bevor er ihr Gesicht im Lampenlicht richtig erkennen kann, ist er sicher, dass sie ihm mächtig gefallen wird.
Und er wird nicht enttäuscht.
Ja, dieses Gesicht passt zu der Stimme.
Rassig ist es. Lebendig. Grüne, etwas schräge Augen. Und rabenschwarze Haare.
Es geht etwas von ihr aus, er spürt es stark. Ihre Zähne blitzen. Vielleicht sind ihre Lippen etwas zu voll. Aber er ist dennoch nicht zu weich, eher etwas gierig.
Dieses Girl könnte mich verrückt machen, denkt er. Gegen die ist die hübsche Daisy dort oben, die man für das schönste Girl von Great Falls hält, nur eine miese Henne.
Er ertappt sich dabei, dass er den Atem anhält.
Dann hört er sich sagen: »Kneifen Sie mich mal – hier in den Arm. Kneifen Sie mich ruhig fest, damit ich auch wirklich merke, dass ich wach bin und nicht nur von Ihnen träume.«
Sie lächelt und kneift ihn wirklich.
»Es stimmt also«, sagt er. »Es gibt auf dieser Erde ein Mädchen, welches genau meinen Träumen entspricht. Oh, ich kenne Sie schon lange.«
Wieder lächelt sie. Und sie muss zu ihm aufsehen, obwohl sie mittelgroß ist und gewiss nicht weniger als hundertzehn Pfund wiegt.
»Ich muss nach Last Chance City«, sagt sie. »Mein Name ist Georgia Shannon. Bitte helfen Sie mir. Bringen Sie uns alle nach Last Chance City.«
Sie sagt es ziemlich leise, so als wäre es nur für ihn bestimmt.
Und dabei sieht sie ihn fest mit ihren grünen und schrägen Katzenaugen an.
Verdammt noch mal, denkt Otis Chugwater, die ist ja eine Hexe. Bei der kann man ja gar nicht Nein sagen.
»Wenn es so wichtig für Sie ist, Georgia Shannon, dann will ich Sie mal nach Last Chance City bringen. Ist es wirklich wichtig?«
Sie nickt heftig. »Sehr. Ich würde zu Fuß hingehen, führe keine Kutsche und gäbe es kein Pferd oder Maultier.«
Sie sagt es sehr ernst – und er spürt genau, dass sie wahrhaftig Hilfe braucht. Er hebt den Finger.
»In einer halben Stunde«, sagt er.
✰
Sie sind noch etwa zwei Meilen von der ersten Pferdewechselstation entfernt, als die ersten Flocken fallen und der Rand der schwarzen Wand über ihnen ist.
Otis kennt die Two Dance Station gut genug und wundert sich nicht, ihre Lichter selbst zu dieser Stunde durch die Dunkelheit blinken zu sehen.
Es ist kälter geworden, und dies beunruhigt ihn sehr. Bei Schneefall hätte es eigentlich wärmer werden müssen. Aber es wurde kälter.
Sollte dieser ersten Schneefront ein Eisblizzard folgen?
Er knallt mehrmals mit der Peitsche, sodass es wie Gewehrschüsse durch das kleine Tal hallt. Auch das Räderrollen der Kutsche und der Hufschlag der sechs Pferde verursachen ein rollendes Echo.
Vor der Two Dance Station zieht er die Bremse. Einige Männer treten aus der Tür.
Als es still wird nach all dem Lärm der haltenden Kutsche, sagt eine Stimme: »Hoiii, das ist wahrhaftig noch eine richtige Linienkutsche nach Last Chance City. Und wer fährt das Ding? Seht es euch an! Wer fährt das Ding in heiliger Einfalt und voller Gottvertrauen? Kennt ihr den?«
»Ah, das ist doch Chugwater. He, Chugwater, hast du eine Wette abgeschlossen?«
Aber Chugwater, der vom hohen Bock klettert, gibt dem Frager keine Antwort. Er hat unter der Männergruppe den Stationsmann entdeckt und fragt scharf: »Warum steht das Gespann noch nicht bereit? Du hast mich doch schon gehört, als ich noch eine halbe Meile entfernt war? Soll ich dir mal Beine machen, Humpy?«
Die Männer starren ihn schweigend an.
Eine feindliche Strömung geht jäh von ihnen aus. Dann aber nickt Humpy Boggart.
»Schon gut«, sagt er. »Wir haben dich gehört. Aber wer konnte ahnen, dass du ein Verrückter bist, der noch eine Kutsche nach Last Chance City bringen will?«
»Das muss doch einen wichtigen Grund haben!« Einer der anderen Männer ruft es scharf, wie von einer plötzlichen Eingebung beflügelt.
Wieder schweigen sie alle, starren auf Chugwater und die Kutsche.
»He, hast du Geld mit, Chugwater – viel Geld? Hoi, er muss viel Geld in der Kutsche haben! Die warten in den Goldgräbercamps auf Geld, weil sie mit Goldstaub als Zahlungsmittel grausam betrogen werden. Die warten auf viel Geld für viel Gold! Gold wiegt schwer. Doch Papiergeld kann man im Stiefelfutter verstecken. Jungs, der hat eine Million in Scheinen in der Kutsche! Wetten?«
»Ihr Blödmänner«, sagt Chugwater und öffnet den Kutschenschlag.
»Wenn die Ladys für einige Minuten aussteigen und sich drinnen aufwärmen möchten bei einem Schluck heißen Kaffee«, sagt er, »dann ließe sich das machen. Denn es wird noch viel kälter werden.«
Die Zuschauer vergessen nun, dass sie ziemlich unzulänglich bekleidet aus dem Haus traten und zu frieren begannen.
Denn im Lichtschein erkennen sie zwei besonders bemerkenswerte Exemplare der Gattung Frau, wie sie sie auf tausend Meilen in der Runde so schnell nicht wieder zu Gesicht bekommen.
Einige pfeifen sogar.
Auch die männlichen Fahrgäste klettern aus der Kutsche. Sie alle haben jetzt schon tüchtig gefroren.
Otis Chugwater wendet sich wieder an Humpy Boggart.
»Jetzt mach ich dir aber wirklich Beine, Humpy! Und ich brauche noch zwei Futtersäcke mit Hafer, ein Dutzend Decken und halbes Dutzend Flaschen Whisky. Alles auf Rechnung der Postlinie. Hast du mich verstanden?«
Humpy Boggart nickt.
Dann setzt er sich in Bewegung und ruft nach seinen Helfern, die im Stallanbau schlafen.
Einer der Männer sagt: »Chugwater, wir haben dich gefragt, ob du Geld in der Kutsche hast. Also?«
»Und ich habe nicht geantwortet«, sagt Chugwater und macht sich daran, das dampfende Sechsergespann auszuspannen.
»Ich glaube, wir sollten ihm mal Manieren beibringen«, lässt sich eine harte und verwegen klingende Stimme vernehmen.
Da hält Chugwater inne, so als hätte er nur auf diese Stimme gewartet, deren Besitzer er längst unter den anderen Männern erkannte.
Chugwater tritt vorwärts und stößt dabei rechts und links zwei Männer zur Seite, die ihm den Weg versperren.
Nach einem weiteren Schritt hält er vor dem Sprecher.
»Hope Prado«, knirscht er, »du möchtest mir Manieren beibringen? Welche Manieren? Deine vielleicht? Na los, Hope Prado – na los!«
Otis Chugwater nimmt offenbar von ganz bestimmten Männern jede Herausforderung an. Ist das eine Schwäche von ihm? Oder weiß er sehr genau, wem er gleich zu Beginn auf die Zehen treten muss?
Hope Prado ist so groß wie Chugwater, vielleicht sogar noch etwas schwerer als dieser. Sie stehen sich einige Atemzüge lang schweigend gegenüber.
Alle anderen Männer verharren ebenfalls.
Sie warten. Es sind einige von Hope Prados Freunden dabei – zum Beispiel Oregon Pete, dessen Nachnamen keiner kennt.
Und fast jeder Mensch zwischen Last Chance City und Great Falls am Missouri weiß, dass Hope Prado und Oregon Pete wahrscheinlich Banditen sind, zumindest jedoch Claimräuber und Pferdediebe. Man munkelt auch, dass einige Postkutschenüberfälle im vergangenen Herbst, als viele Goldsucher vor dem Winter mit ihrer Ausbeute die Heimreise antraten, von ihnen ausgeführt worden sein sollen.
Es ist eine merkwürdige Gesellschaft hier bei der Two Dance Station versammelt. Der Stationsmann Humpy Boggart sah auch so aus, als fühlte er sich nicht recht wohl in seiner Haut.
Sekunden vergehen also, indes Chugwater und Prado sich gegenüberstehen. Der Atem von Gefahr und drohender Gewalttat ist deutlich spürbar.
Aber dann lacht Hope Prado leise und kehlig.
»Ah, wir sind füreinander bestimmt, Chugwater – ja, das wissen wir beide. Und wenn wir es mal austragen, dann gibt es eine Schlacht, dass die Fetzen nur so fliegen. Doch es muss sich lohnen. Es muss sich lohnen für mich. Hab Geduld, mein Freund – hab Geduld!«
✰
Otis Chugwater hat schon ziemlich viel Schnee auf dem Büffelfellmantel, als er in die Gaststube tritt. Es ist eine ziemlich große Gaststube, denn die Two Dance Station ist zugleich auch Saloon und Handelsstore. Etwa ein Dutzend Menschen leben hier ständig, und fast immer sind Gäste darunter.
Chugwater schüttelt den Schnee vom Mantel und tritt an den großen Tisch beim Ofen. Humpy Boggarts indianische Frau schiebt ihm einen dampfenden Kaffeetopf und eine noch halb volle Whiskyflasche hin.
Chugwater gießt ziemlich viel Whisky in den Kaffee.
Indes er dann das heiße Gebräu trinkt, mustern seine rauchgrauen Augen, an denen man ihn zuerst als Weißen erkennen kann, die Menschen im Raum.
Seine männlichen Fahrgäste sieht er zum ersten Mal beim Lampenschein, und er stellt fest, dass sie ihm allesamt nicht gefallen.
Einer der Burschen lässt ihn an einen schrägäugigen Coyoten denken. Ein anderer Mann hat rötliche Haare und ist gewiss ein zweibeiniger Wolf.
Der dritte Mann ist wahrscheinlich ein Spieler, doch einer von der gefährlichen Sorte, die auch mit einem Colt kämpfen kann. Und der vierte Mann – oha, dies ist einer von diesen blonden, sichelbärtigen texanischen Revolverschwingern, die nach dem Krieg von Texas aus überallhin ausschwärmten.
Eine feine Blase ist das, denkt Chugwater und leert den Kaffeetopf, in dem gewiss drei normale Tassen enthalten sind, bis auf den Grund.
Ihm wird sofort heiß. Der starke Kaffee und der Whisky werden ihn vielleicht eine Weile warmhalten.
Zuletzt blickt er auf die beiden Frauen.
Jene Georgia Shannon ist dunkelhaarig und grünäugig. Auf ihrer kleinen Nase entdeckt er einige Sommersprossen. Er freut sich darüber, denn es gefällt ihm, macht ihre rassige Schönheit für ihn natürlicher.
Sie sieht ihn mit ihren grünen Augen an, und wieder ist etwas zwischen ihnen. Er spürt es genau.
Er denkt: Girl, ich werde dir helfen. Du willst nach Last Chance City, weil es wichtig für dich ist. Und ich bringe dich hin. Darauf kannst du dich verlassen!