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Es ist noch früher Morgen, als Gus Woodward sich erhebt und ans Fenster tritt. Er öffnet es, beugt sich hinaus und blickt die Hauptstraße hinauf und hinunter. Dann blickt er hinüber zum Hotel, und dort erscheint Brooke Denver am Fenster. Er sieht ihr Lächeln und erwidert es. Dabei verändert sich sein Gesicht, sodass die tiefen und dunklen Linien etwas weniger hart wirken. Auch sein zumeist fest geschlossener Mund verliert ein wenig von seiner Härte. Für Augenblicke ist er nur noch ein Mann, der sich über den Anblick einer begehrenswerten Frau freut. Ein Gefühl der Wärme erfüllt ihn. Er winkt ihr zu.
Sie aber ruft: »In zehn Minuten gibt es Frühstück, Sheriff.«
Er will gerade antworten. Aber dann sieht er plötzlich einen Mann kommen, den er sofort erkennt, obwohl er ihn seit dem Krieg nicht mehr gesehen hat. Dieser Mann kommt aus dem Mietstall, wo er gewiss sein Pferd untergebracht hat. Vielleicht schlief er auch dort im Heu. Er ist unrasiert, ungewaschen und ziemlich abgerissen. Und dennoch bewegt sich der Mann stolz und selbstbewusst.
Ja, da kommt Vance, denkt Gus Woodward, da kommt Vance Clayborne. Und indes er dies denkt, wird er wieder an seine eigene wilde und rauchige Zeit erinnert, an seine böse Zeit, auf die er nicht stolz ist, weil er hart an der Grenze zwischen Gut und Böse ritt.
Vance Clayborne erinnert ihn wieder an jene Zeit. Denn damals waren sie Sattelgefährten ...
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Das Aufgebot
Vorschau
Impressum
Das Aufgebot
Es ist noch früher Morgen, als Gus Woodward sich erhebt und ans Fenster tritt. Er öffnet es, beugt sich hinaus und blickt die Hauptstraße hinauf und hinunter. Dann blickt er hinüber zum Hotel, und dort erscheint Brooke Denver am Fenster. Er sieht ihr Lächeln und erwidert es. Dabei verändert sich sein Gesicht, sodass die tiefen und dunklen Linien etwas weniger hart wirken. Auch sein zumeist fest geschlossener Mund verliert ein wenig von seiner Härte. Für Augenblicke ist er nur noch ein Mann, der sich über den Anblick einer begehrenswerten Frau freut. Ein Gefühl der Wärme erfüllt ihn. Er winkt ihr zu.
Sie aber ruft: »In zehn Minuten gibt es Frühstück, Sheriff.«
Er will gerade antworten. Aber dann sieht er plötzlich einen Mann kommen, den er sofort erkennt, obwohl er ihn seit dem Krieg nicht mehr gesehen hat. Dieser Mann kommt aus dem Mietstall, wo er gewiss sein Pferd untergebracht hat. Vielleicht schlief er auch dort im Heu. Er ist unrasiert, ungewaschen und ziemlich abgerissen. Und dennoch bewegt sich der Mann stolz und selbstbewusst.
Ja, da kommt Vance, denkt Gus Woodward, da kommt Vance Clayborne. Und indes er dies denkt, wird er wieder an seine eigene wilde und rauchige Zeit erinnert, an seine böse Zeit, auf die er nicht stolz ist, weil er hart an der Grenze zwischen Gut und Böse ritt.
Vance Clayborne erinnert ihn wieder an jene Zeit. Denn damals waren sie Sattelgefährten ...
Der Mann auf der Straße blickt zu ihm hoch, hält dann unter dem Fenster an und hat jenes blinkende Grinsen im Gesicht, an das Gus Woodward sich noch gut erinnern kann.
»He, Gus, wie schön, dich zu sehen! Ich kam in der Nacht hier an und hörte im Mietstall, dass du hier der Sheriff bist. Wie schön, Gus. Kannst du mich zum Frühstück einladen? Ich bin völlig pleite.«
Wieder grinst er bei seinen letzten Worten blinkend, als würde er eine Freudenbotschaft verkünden. Aber sein Selbstbewusstsein war schon immer groß wie ein Berg. Und hinter seinem blinkenden Zähnezeigen lauerte stets eine stählerne Wachsamkeit. An all das erinnert sich Gus Woodward in diesen Minuten.
»Geh hinüber ins Hotel und warte dort auf mich«, spricht Gus Woodward zu ihm nieder. Dann zieht er sich in seine Wohnung zurück, die sich über dem Gefängnis und dem Sheriff's Office befindet.
Ja, er hat es hier in Silver und im Silver District zu etwas gebracht.
Doch nun hat ihn gewissermaßen seine Vergangenheit wieder eingeholt.
Er fragt sich, ob Vance Clayborne allein nach Silver kam.
Aber das wird er ja bald erfahren.
Er beeilt sich mit dem Rasieren und der übrigen Morgentoilette an seinem Waschtisch in der Ecke. Und indes er dies tut, erinnert er sich an alles, was gewesen ist, als sie in Texas und New Mexico zu beiden Seiten der Grenze noch ihre rauchigen Fährten ritten und Pferdestehlen ihr geringstes Vergehen war.
O verdammt, verdammt, denkt er immer wieder. Vance muss völlig abgebrannt sein. Vielleicht ist er sogar auf der Flucht. Ich aber bin hier Sheriff. O verdammt!
Wenig später geht er über die staubige Fahrbahn der Main Street hinüber zum Hotel und betritt fast lautlos den Speiseraum.
Er hört Brooke Denvers Lachen. Es klingt ein wenig kehlig, aber doch sehr melodisch. Dieses Lachen geht den Männern irgendwie unter die Haut. Es ist das Lachen einer stolzen und selbstbewussten Frau.
Auch das Lachen von Vance ertönt nun. Und als er den kleinen Nebenraum des Speisesaals betritt, da sieht er sie sitzen.
Vance hat sich also schon mit Brooke bekannt gemacht. Aber es war ja schon immer seine Art, alles im ersten Ansturm erobern zu wollen.
Er tritt zu ihnen an den Tisch und nimmt Platz.
Der Chinakoch tritt aus der Küche und bringt ihm den gefüllten Teller mit Bratkartoffeln, Eiern und Speck.
Brooke spricht sehr sanft: »Er ist also ein alter Freund und Sattelgefährte von dir, nicht wahr? Vielleicht werde ich von ihm ein paar Dinge über dich erfahren, die du mir nicht erzählen willst. Aber ich möchte sie erfahren, verstehst du? Er sagte mir soeben, dass ihr rauchige Wege geritten seid.«
Gus Woodward gibt ihr keine Antwort. Er sieht Vance an.
»Bist du auf der Durchreise?« So fragt er.
Vance zeigt wieder sein blinkendes und stets verwegen wirkendes Grinsen. Er ist ein hellblonder und sichelbärtiger Texaner. Sein Haar trägt er sehr lang, fast bis zu den Schultern. Es ist schönes, leicht gelocktes Haar, um welches ihn so manche Frau beneidet. Aber Gus weiß, dass Vance mit seinen langen Haaren wie so mancher texanische Vieh- und Pferdedieb seine Ohren verdeckt. Denn in Texas ist es immer noch üblich, dass man Rinder- und Pferdedieben entweder das halbe Ohr abschneidet oder sie am Hals aufhängt.
Vance hat als blutjunger Bursche Glück gehabt. Man wollte ihn als Jungen am Brazos noch nicht aufhängen. Und so fehlt ihm am rechten Ohr die obere Hälfte.
»Ich war auf der Durchreise.« Vance grinst. »Doch jetzt, wo ich einen alten Freund und Gefährten getroffen habe, der in diesem Land offenbar ein wichtiger Mann wurde, möchte ich gern eine Weile bleiben. Geht das, Sheriff?«
Auch er betont das Wort »Sheriff« fast so wie Brooke, nämlich ein wenig spöttisch. Und diese sagt: »Wenn er dein alter Freund und Gefährte ist, Gus, dann ist er auch mir willkommen. Ich werde ihm ein gutes Zimmer geben. Aber ich lasse euch jetzt allein. Ihr werdet euch eine Menge zu erzählen haben.«
Sie erhebt sich, und als sie geht, schnalzt Vance mit der Zunge und spricht: »Was bist du doch für ein Glückspilz, oho, was meint es das Schicksal gut mit dir, Gus!«
»Und mit dir nicht?« So fragt Gus Woodward ruhig.
»Oha, dies hat sich ja nun total geändert.« Wieder grinst Vance ihn an und schmiert sich Ahornsirup auf den Pfannkuchen. »Jetzt, da ich meinen alten Freund und Partner wiedergefunden habe, bin ich auch ein Gewinner. Oder nicht?«
Sie betrachten sich lange, und die Vergangenheit ist wieder frisch in Gus Woodwards Erinnerung.
Und er erinnert sich wieder daran, dass er Vance Clayborne eigentlich das Leben verdankt. Denn damals, als er von einer Kugel getroffen in den Rio Grande fiel, da war er bewusstlos und wäre ertrunken, hätte Vance auf seinem Pferd nicht kehrtgemacht und ihn herausgeholt. Und das geschah im Kugelregen der Verfolger, die dann jedoch am anderen Ufer – in Mexiko – zurückblieben.
Ja, ich verdanke ihm mein Leben, denkt er kauend. Doch umgekehrt ist es genauso. Wir halfen uns mehr als einmal gegenseitig aus der Klemme. Und so soll es auch jetzt wieder sein.
Aus diesen Gedanken heraus fragt er: »Hast du Schatten auf der Fährte?«
»Und wenn?«, fragt Vance Clayborne zurück. »He, und wenn es so wäre?«
Es ist eine herausfordernde und geradezu angriffslustige Frage, so als wollte er Gus Woodward gleich von Anfang an zwingen, Farbe zu bekennen.
Sie sehen sich fest in die Augen. Und Vance wartet immer noch auf eine Antwort auf seine aggressive Frage.
Gus aber denkt an die alten Zeiten.
Und so erwidert er endlich: »Bei mir wärest du sicher. Hier in meinem Distrikt bin ich das Gesetz. Aber ich müsste wissen, was auf uns zukommen könnte. Ich müsste es wissen, verdammt.«
Da grinst Vance Clayborne auf seine blinkende Art.
»Ich bin lange und weit geritten«, spricht er dann. »Ich habe alles hinter mir gelassen. Es kann mich nicht mehr einholen. Ich würde gern einen neuen Anfang machen – so wie es dir offenbar geglückt ist. Aber ich werde dich nicht anbetteln, Amigo.«
Gus Woodward nickt. Dann wirft er Geld auf den Tisch und sagt: »Geh in die Badeanstalt beim Barbier. Anschließend kleidest du dich neu ein. Wenn du danach in mein Office kommst, werde ich dich als Deputy einstellen. Du wirst einen Eid ablegen. Und wenn du mich enttäuschen und mein Vertrauen missbrauchen solltest, vergesse ich die alten Zeiten. Dann sind wir Feinde. Gut so?«
»Gut so.« Vance Clayborne nickt. »Und du kannst wirklich Deputys einstellen, so viele du willst?«
»Kann ich, Vance, kann ich. Überdies fehlt mir wirklich einer. Denn mein bisheriger wurde vor einigen Nächten von einer Bande von Silberräubern erschossen. Es wird eine Menge Silber gefunden in diesem Land. Man gießt es zu Hundert-Pfund-Barren, die von Reitern schwer zu transportieren sind. Die Banditen haben es mehr auf die Lohngelder abgesehen. In den nächsten Tagen erwartet unsere Bank in Silver einen Geldtransport von hunderttausend Dollar. Es herrscht hier eine gewisse Bargeldknappheit. Ja, ich brauche einen Deputy. Der Distrikt zahlt gut. Du wirst achtzig Dollar im Monat bekommen. Das ist der vierfache Cowboylohn. Also?«
Vance Clayborne stopft sich erst noch einen Bissen Pfannkuchen mit Ahornsirup in den Mund und gießt eine halbe Tasse Kaffee hinterher. Dann nickt er.
»Gemacht, Boss, gemacht. Ich bin dein Deputy. Wir reiten also wieder zusammen wie in alten Zeiten. Wir sind wieder die alten Sattelgefährten. Doch diesmal bist du der Boss. Nun gut, ich werde mich daran gewöhnen.«
Er nimmt das Geld vom Tisch, erhebt sich und geht hinaus, nachdem er den Rest aus der Kaffeetasse leerte.
Als er verschwunden ist, kommt Brooke aus der Küche und setzt sich wieder zu Gus an den Tisch, sieht einige Atemzüge lang wortlos zu, wie Gus den Teller leert.
Erst nach einer Weile sagt sie: »Du musst ihn ja kennen, wenn er dein Sattelgefährte war.«
Er sieht sie fragend an. »Ja, ich kannte ihn damals wie einen Bruder«, murmelt er. »Du hast alles gehört?«
Sie nickt und murmelt dann: »Sicher, einem Freund, der für dich wie ein Bruder war, dem musst du wohl auch nach Jahren noch vertrauen können. Gus, er wird mir den Hof machen. Er ist ein Bursche, der es stets leicht bei den Frauen hatte, die er auf seinen Wegen traf. Und so ist er daran gewöhnt, dass er sie alle bekommen kann.«
Gus Woodward grinst sie nun an.
»Wenn du dich in ihn verliebst, kann ich nichts dagegen tun, Brooke. Oder?«
Sie wirkt einen kurzen Moment so, als wollte sie fauchen wie eine gereizte Katze. Dann aber macht sie nur »Pah« und beginnt den Tisch abzuräumen.
Gus Woodward erhebt sich und geht hinaus.
Draußen auf der Straße trifft er auf Al Jenkins, den Nachtmarshal der Stadt, dessen Befugnisse nur innerhalb der Stadtgrenzen gelten. Al Jenkins ist ein bulliger Mann, eine Art zweibeiniger Toro. Er betrachtet alle Dinge dieser Welt zumeist unter gesenkter Stirn, wiegt etwa zweieinhalb Zentner und war früher einmal ein gefürchteter Preisboxer am Mississippi.
Er nickt dem Sheriff zu und spricht dann mit seiner merkwürdig sanften und gar nicht zu seiner bulligen Erscheinung passenden Stimme: »Es kamen ein paar Fremde in die Stadt. Sie kamen einzeln nach und nach aus verschiedenen Richtungen. Aber es ist ein etwas merkwürdiger Zufall. Es sind drei. Ich wette, dass sie zusammengehören, obwohl sie so tun, als würden sie sich nicht kennen. Und dann gegen Mitternacht kam noch einer. Aber der legte sich im Mietstall sofort ins Stroh, nachdem er sein Pferd abgegeben hatte. Es kamen also im Ganzen vier Fremde.« Er will nun weiter.
Doch Gus Woodward hält ihn mit den Worten auf: »Ich habe einen Deputy eingestellt. Wahrscheinlich ist er der Fremde aus dem Mietstall. Aber der ist ein alter Freund von mir. Heute Abend wirst du ihn kennenlernen, Al.«
»Gut, gut, du bist der Sheriff.« Al Jenkins nickt und macht sich auf den Weg zu seinem Bett.
Gus betritt wenig später sein Office.
✰
Der Morgen und der Vormittag vergehen ohne besondere Vorkommnisse. Nur die Stadt kam in Betrieb wie immer. Es wird gebaut, vergrößert. Frachtwagen bringen Waren jeder Art. Der Oriental Saloon bekommt ein neues Klavier und einige Kristallleuchter, dazu einen dreiteiligen Spiegel hinter der Bar.
Die Postkutsche bringt auch einige Post für das Sheriff's Office, darunter ein Dutzend Steckbriefe, die Gus Woodward aufmerksam studiert.
Doch ein Steckbrief von Vance Clayborne ist nicht dabei. Das beruhigt ihn. Die anderen Steckbriefe merkt er sich genau, und die Fremden in der Stadt wird er sich sorgfältig anschauen. Denn dies ist sein Job.
Einige Male fragt er sich, wann wohl der große Geldtransport nach Silver kommen wird, den man schon seit Tagen erwartet. Überall wird Bargeld benötigt. Einige Minen geben schon Ersatzgeld aus, das von den Läden und Lokalen akzeptiert wird.
Die hunderttausend Dollar werden vielleicht heute noch kommen – oder in der Nacht zum nächsten Morgen.
Und dann?
Darüber denkt er immer wieder nach.
Deshalb verspürt er eine gewisse Erleichterung, dass Vance Clayborne hier aufgetaucht ist und nun sein Deputy sein wird. Ja, er wird ihm vertrauen, denn sie sind alte Gefährten, die sich gegenseitig das Leben retteten und wie Brüder waren.
Der Krieg trennte sie damals.
Als er hinüber zum Mittagessen ins Hotel geht und das kleine Zimmer neben dem Speisesaal betritt, da hört er schon die Stimmen von Vance und Brooke. Sie lachen über etwas. Wahrscheinlich hat Vance eine lustige Geschichte erzählt.
Als Gus sich zu ihnen setzt, da fragt er: »Kann ich mitlachen?«
Brooke lächelt ihn an und erwidert: »Er erzählt mir eine Menge über dich, Gus, zum Beispiel, dass du Gushard heißt – Gushard Cäsar Pierce. Was für Namen!«
»Und darüber lacht ihr?« Er fragt es fast böse. Dann aber sieht er Vance an. »Ich glaube, ich sollte dich aus der Stadt jagen«, murmelt er. »Ich mag nicht, dass die schöne Brooke über meine Namen lacht. Steh auf, damit ich dir den Eid als Deputy abnehmen kann!«
Vance Clayborne grinste bis jetzt. Doch nun wird er ernst. Er sieht ohnehin sehr verändert aus in seinem neuen Zeug. Auch seine Haare sind geschnitten. Doch sie sind immer noch lang genug, um sein halbes Ohr zu verbergen.
Vance erhebt sich. Auch Gus tut es. Dann lässt er Vance den Eid sprechen.
Und als dies geschehen ist, wirft er ihm einen Stern zu, den Vance aus der Luft fängt wie eine Fliege. Er steckt ihn sich bedächtig an und murmelt dann: »Ich werde mich später im Spiegel bewundern. Heiliger Rauch, ich hätte niemals gedacht, dass ich mal einen Blechstern tragen würde.«
»Messing, nicht Blech«, verbessert Gus und setzt sich.
Auch Vance tut es. Er lächelt Brooke an. »Bin ich jetzt seriös genug? Reicht es, um einer schönen Frau ganz ehrenwert den Hof machen? Oder gehört ihr beide schon so zusammen, dass ich in ein fremdes Revier eindringe? He, Gus, gehört sie dir?«
Es ist eine aggressive und fast herausfordernd klingende Frage.
Gus betrachtet den einstigen Gefährten ernst. In seinen rauchgrauen Augen funkelt Zorn. Und in diesem Moment fragt er sich wieder, ob der alte Freund noch der gleiche Mensch ist wie früher.
Dann aber erwidert er: »Vance, du bist ein Mann, auf den die Frauen schon immer flogen wie die Motten aufs Licht. Vielleicht liebt Brooke schöne Männer. Dann hätte ich keine Chance gegen dich.«
In seiner Stimme klingt Spott. Doch in seinen Augen ist ein ernstes Warnen.
Brooke aber sagt ein wenig zornig: »Ihr redet wie große Jungen, nicht wie Männer. Vance, ich will nicht, dass Sie mir den Hof machen. Sie sind ein alter Freund von Gus, und Gus kann mich haben, sobald er nur will. Wir kennen uns jetzt ein halbes Jahr, und er hat mir noch keinen Antrag gemacht. Aber ich kann warten.«
Nach diesen Worten erhebt sie sich und verschwindet in der Küche.
Gus und Vance aber starren sich lange wortlos an. Dann aber bekommen sie ihre gefüllten Teller.
Doch noch bevor sie zu essen beginnen können, hören sie draußen eine Stimme rufen: »Da kommt der Geldtransport, Leute! Da kommt das Silbergeld! Und die Armee hat es bis zu uns nach Silver begleitet. Leute, da kommt das Silbergeld!«
Gus und Vance erheben sich und gehen hinaus.
Sie sehen schräg gegenüber vor der Bank die Kutsche stehen. Es ist die Überland-Expresskutsche der Post- und Frachtlinie, die bis zur Grenze – also den San Pedro hinunter bis nach Nogales – geht.
Sie laden schon die Geldsäcke aus, tragen sie in die Bank hinein. Es sind ein halbes Dutzend Säcke, denn es handelt sich um eine Menge Kleingeld. Denn dieses wird ja besonders benötigt.
Die Armeepatrouille sichert das alles. Die Soldaten sitzen staubig auf ihren Pferden und wirken ausgebrannt. Sie stehen unter dem Kommando eines eisgrauen Lieutenant.
Er nickt Gus Woodward zu und spricht heiser: »Übernehmen Sie das verdammte Geld hier in Ihrer Stadt, Sheriff?«
»Ich übernehme, Lieutenant«, erwidert Gus Woodward.
»Dann haben jetzt Sie die Verantwortung, Sheriff. Ich raste mit meiner Patrouille beim Wagenhof. In zwei Stunden reiten wir wieder zurück.«
Inzwischen hat man die Geldsäcke in die Bank gebracht. Und so ruft er: »Patrouille in Zweierreihe antraben!«
Dann reitet er an, und seine zwölf Reiter folgen ihm in Doppelreihe.
Gus Woodward geht mit seinem neuen Deputy in die Bank. Sie sehen zu, wie die noch versiegelten Säcke geöffnet werden und der Kassierer mit einem Gehilfen das Geld zu zählen beginnt.
»Ab morgen zahlen wir an die Konteninhaber aus«, sagt der Bankdirektor. »Aber dieser Geldtransport ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss noch mehr Geld nach Silver kommen, sehr viel mehr. Und ich hoffe, Sheriff, dass Sie es beschützen können.«
Gus Woodward grinst. Er deutet auf Vance neben sich und erwidert: »Ich habe einen alten Freund von mir als Deputy vereidigt. Mister Stonebreaker, dies ist Deputy Clayborne, Vance Clayborne. Er wird in der Bank bleiben, solange das Geld hier in Ihrem Tresor liegt. Er wird es Tag und Nacht bewachen. Wer hier in der Bank unberechtigt an den Tresor will, der wird erschossen.«
Er wendet sich nach diesen Worten an Vance und grinst diesen an: »Du hast es gehört, Vance. Geh also, iss deinen Teller leer und versorge dich mit einer Parker-Schrotflinte aus dem Office und genügend Munition. In einer halben Stunde möchte ich dich hier in der Bank wissen. So lange bleibe ich hier. Ich will nichts riskieren.«
»Ach«, grinst Vance, »wir haben ja wohl noch zwei Stunden die Armee hier.«
Aber er geht hinaus. Zuerst sucht er wieder das Hotel auf, wo ja noch in dem kleinen Zimmer neben dem Speisesaal sein gefüllter Teller auf dem Tisch steht.
Brooke kommt aus der Küche und fragt: »Ist es noch warm genug? Sonst nehme ich es noch mal in die Küche zurück.«
Er probiert das Steak und die Bohnen und erwidert: »Das ist noch warm genug für mich. Aber das Essen von Gus können Sie wegnehmen. Der kommt erst, wenn ich ihn in der Bank abgelöst habe. Der hat große Furcht, dass Banditen in der Stadt sind, hahaha!«
Er schüttelt sich vor Lachen und beginnt dann zu essen.
Brooke betrachtet ihn staunend, so als wunderte sie sich über seine spöttisch klingenden Worte und sein Lachen.
Dann geht sie wieder in die Küche zurück. Denn es ist noch eine Menge Betrieb im großen Speisesaal. Dort sitzen immer noch mehr als zwei Dutzend hungrige Gäste. Brooke hat noch reichlich zu tun.
Vance Clayborne leert mit großem Appetit seinen Teller, und manchmal sieht es bei ihm so aus, als könnte er nur mühsam ein Lachen unterdrücken.
Als er fertig ist, kommt Brooke mit einem Tablett an ihm vorbei und fragt: »Hat es geschmeckt?«
»Sehr«, erwidert er und erhebt sich. »Aber eine so schöne und reizvolle Frau wie Sie, Brooke, sollten nicht wie eine Bedienung arbeiten.«
Sie hält mit dem Tablett voll gefüllter Teller inne.
»Und warum nicht?«, fragt sie.
»Weil Sie zu schön sind, Brooke«, erwidert er. »Sie könnte ich mir eher als die Queen auf einer Rinderranch vorstellen.«
»Pah«, macht sie und geht hinüber in den Speisesaal. Er aber verlässt ebenfalls das kleine Zimmer und tritt hinaus auf die Straße.